Kapitel 2
Liebe das Göttliche
„Liebe allein das Göttliche und das Göttliche wird immer mit dir sein.“ Mutter schrieb dies einem ihrer Kinder. Es ist der Schlüssel, um Probleme zu lösen, das magische Mantra, welches die Krankheiten des menschlichen Lebens und Bewusstseins heilt, – das eine Mittel für alle inneren und äußeren Leiden.
Nimm zum Beispiel das Ego. Es versinnbildlicht in gewisser Hinsicht das Problem des Menschen. Alle spirituellen Disziplinen betonen die Notwendigkeit, es loszuwerden, es zu überwinden, mit den Wurzeln auszureißen oder zu vernichten. Das Ego ist eine gefährliche und bedrohliche Falle und muss gehen. In den Methoden, dies zu bewerkstelligen, unterscheiden sich die Lehren: Sei selbstlos, losgelöst, diene anderen, vergiss dich selbst und deine eingebildete Wichtigkeit usw. Alle diese Methoden sind gut: Sie helfen, das Ego zu lenken und zu zähmen, unter Kontrolle zu halten und sogar, es zu beherrschen. Trotzdem bleibt das Ego, es ist die ganze Zeit da. Es ist nicht entwurzelt, aufgelöst, vernichtet.
Die hier vorgeschlagene Methode ist einfacher. Löse das Ego durch göttliche Liebe auf. Zuerst liebst du das Göttliche, – aber du kannst das Göttliche nur lieben, wenn es bereits in dein Herz gekommen ist, wenn es schon da ist. Es ist seine Liebe, die durch dich ausstrahlt, und du liebst es. Die Tatsache, dass du das Göttliche liebst, zeigt, dass die Gnade dich berührt hat, auf dich herabgekommen ist. Es ist diese Gnade, die dich von deinem Ego in dem Maße befreit, in welchem du sie wirken lässt. Nur die Gnade kann dies tun.
Der Vedantin denkt, dass er sein Ego losgeworden ist, wenn er in den Zustand des Sachchidananda eintritt. Das ist nicht ganz wahr, denn der Mensch ist ein komplexes Wesen, eine aus verschiedenen Teilen und unterschiedlichen Bewusstseinsebenen bestehende Wesenheit. Sogar, wenn man das Göttliche in einem Teil seines Wesens erreicht hat, bleibt auf den anderen Teilen – obschon inaktiv – der Stempel von Unwissenheit und Ego. Wenn du dich nach dem Göttlichen in seiner Fülle sehnst, musst du ganz und gar in das höchste Bewusstsein eintauchen oder es vielmehr herabkommen, dein Wesen überfluten, es besitzen und nach seinem Muster formen lassen. Und was ist die Gnade anderes als diese befreiende Annäherung und Berührung des Göttlichen.
Das Göttliche zu lieben bedeutet, dieser Gnade die Tore deines Hauses weit zu öffnen. Und dann gibt es nichts, was unmöglich ist, sei es die Auslöschung des Ego oder eine neue Geburt des ganzen Wesens.
Veröffentlicht im November 1981

Kapitel 3
Wie ist Savitri zu verstehen
Der beste Weg, Savitri zu verstehen, ist, so paradox es scheint, nicht zu versuchen es zu begreifen, sondern sich jeder mentalen Bemühungen um Verstehen zu enthalten. Lasst es stattdessen in euer Bewusstsein eintreten und es erleuchten.
Savitri ist keine tote Materie, kein Wörterbuch der Ideen und Bilder. Es ist eine lebendige Schrift, ein konzentrierter Block von Bewusstsein. Alle Schriften beinhalten in Wahrheit das Bewusstsein des Autors, und von der Stärke und Qualität seines Bewusstseins hängen Wert und Kraft des Textes ab. Das ist die Bedeutung der grantha-pūjā der Sikhs. Sogar ohne eine Schrift zu lesen, könnt ihr durch intensive Konzentration und Aspiration einen inneren Kontakt mit dem Bewusstsein des Autors und dem im Buch konzentrierten Bewusstsein herstellen und den Nutzen daraus ziehen. Das trifft besonders auf spirituelle Schriften zu.
Savitri ist ein lebendiger und konzentrierter Inbegriff von Sri Aurobindos Bewusstsein und enthält sein Licht und Wissen, immer gegenwärtig und aktiv. Um Savitri zu lesen, müsst ihr euch mit dem Bewusstsein hinter den Worten verbinden und eine Art innere Wahrnehmung entwickeln. Die im Gedicht beschriebenen Bilder sind nicht bloß Bilder, denn Sri Aurobindo hat sie gesehen. In seiner Vision lebten sie, waren lebendige Wirklichkeiten. Und ihr könnt sie auch sehen und als solche spüren.
Das ist nur möglich, wenn ihr zuerst zwei Voraussetzungen erfüllt: Erstens muss der mentale Geist ruhig und still sein, und zweitens müsst ihr beim Lesen in eurem höchsten und besten Bewusstseinszustand sein. Erfüllt diese Voraussetzungen und ihr werdet wirklich verstehen und erkennen.
Das indische Lernsystem oder die Einführung in das Lernen beabsichtigt dieses Erwachen des Bewusstseins, das Erwachen zu einer neuen inneren Verbindung mit dem Gegenstand des Wissens.
Veröffentlicht im Februar 1982

Kapitel 4
Der Mensch und andere Wesen
Der Mensch ist ein komplexes Wesen, eine aus vielen Persönlichkeiten zusammengesetzte Wesenheit, die um ein Zentrum herum eine Vielzahl von Aspekten vereinigt. Er beinhaltet eine ganze Menge verschiedener Elemente. Er ist eine Welt für sich. Aber warum Welt? – Er ist eher ein Universum oder repräsentiert es wenigstens.
Dies ist nicht so bei den Wesen anderer Welten, anderer Bereiche der Schöpfung. Dort repräsentiert jeder Typus nur einen Aspekt der Unendlichkeit und ist sozusagen statisch. Die dortigen Wesen ändern oder entwickeln sich nicht, wie es der Mensch auf Erden tut. Sie bleiben immer, was sie sind, sie tun, was sie tun; es ist ziemlich festgelegt oder wenigstens ist die Möglichkeit der Veränderung sehr begrenzt.
Die Erde ist eine verdichtete Form und vollständige Nachbildung des gesamten Universums oder der ganzen Schöpfung. Der Mensch wiederum repräsentiert alles, was es auf der Erde, im Universum gibt, alle Aspekte, alle Bewusstseinsebenen und ebenso den ganzen Drang nach Entwicklung und Wandel. Er ist das Labor der Natur. Wenn sich ein Punkt im Bewusstsein des Menschen ändert, wird dieser Wandel auf das ganze Universum übertragen. Dies ist zwangsläufig so, weil der Mensch ein Konzentrationspunkt auf der Erde ist, so wie die Erde eine verdichtete Form des Universums darstellt.
Aus diesem Grund sehen wir in Savitri, wie die menschliche Seele alle Wesensebenen, sozusagen das ganze Universum durchqueren muss.
Dies ist das Besondere des Menschen, sein spezifisches Merkmal, seine einzigartige Aufgabe.
Veröffentlicht im Februar 1982

Kapitel 5
Im Inneren leben
Lebe im Inneren, sei über äußere Umstände nicht verärgert. Ja, dies ist das Motto: Lebe im Inneren.
Aber wie? Und was bedeutet das genau? Normalerweise zentriert sich das dynamische Wesen, der aktive Teil des Bewusstseins in trivialen äußeren Regungen an der Oberfläche. Einer der Wege im Inneren zu leben, besteht deshalb darin, sich von äußeren Aktivitäten zurückzuziehen und unbeteiligt oder sozusagen losgelöst im inneren Bewusstsein zu leben. Aber dieser Rückzug ist weder sehr leicht noch sehr spontan; er benötigt eine lange und mühevolle Disziplin.
Man muss auch zwischen dem dynamischen Bewusstsein und den Gedankenregungen unterscheiden; die beiden sind nicht dasselbe. Gedanken sind nur eine der Regungen des Bewusstseins, nicht das Bewusstsein selbst. Es gibt ein inneres Bewusstsein hinter der Oberfläche, in dem zu leben man lernen muss.
Außerdem gibt es noch einen anderen Zustand, das Bewusstsein des Purusha, das Zeugen-Bewusstsein, welches hinter dem dynamischen Wesen steht. Sich in das Purusha-Bewusstsein zurückzuziehen, dort zu leben, sich mit ihm zu identifizieren, ist ein weiterer Weg, im Inneren zu leben. Dies hilft einem dabei, von den Aktivitäten des äußeren Lebens und Bewusstseins unbeeinträchtigt zu bleiben. Sie werden dann nur als Regungen der generellen Prakriti erfahren. Aber für uns ist auch das nicht genug.
Für uns bedeutet Leben im Inneren die Etablierung des dynamischen Zentrums im Seelischen, der innersten Seele in den Tiefen unseres Wesens. Dies muss unser ganzes Wesen beeinflussen, lenken und ergreifen und auch der Ursprung und entscheidende Faktor all unserer äußeren Handlungen sein. Alles muss von ihm erhellt, verändert und zu eben seiner Substanz umgewandelt werden. Dann wird sich der gesamte Lebensstil, die Beschaffenheit der Erfahrung selbst verwandeln, und anstatt von äußeren Umständen oder Lebensereignissen beeinträchtigt zu sein, werden wir sozusagen darüber hinausgehoben. Wir werden sogar in einem Zustand der Kommunion mit dem Göttlichen leben, denn die Seele ist ein Funke des Göttlichen, sie ist die Göttliche Gegenwart selbst. Dann werden wir auch verstehen, warum die Dinge so sind, wie sie sind, und nicht anders.
Im Inneren zu leben bedeutet, in einem Zustand beständigen Strebens nach dem Göttlichen zu leben. Wenn wir dies tun, können wir das Leben mit einem Lächeln und mit Frieden betrachten, wie auch immer die äußeren Umstände sein mögen.
Veröffentlicht im April 1982

Kapitel 6
Falschheit
Falschheit ist die Agonie des Höchsten, – so sagte es die Mutter.
Und um diese Falschheit aufzulösen, kamen der höchste Herr und Seine Bewusstseinskraft, die höchste Mutter, in den tiefen Abgrund der Schöpfung herab. Die strahlenden Funken jener höchsten göttlichen Gegenwart sind die Seelen auf der Erde.
Der Mensch, das menschliche Wesen, ist nichts anderes als dieser göttliche Funke, der vom Höchsten ausgegangene Funke, der in die äußere Form eines unwissenden irdischen Bewusstseins gekleidet und in ihr behaust ist. Wir können vielleicht sagen, die Seele ist eine Wunderlampe, die hier auf die Erde herabgebracht wurde, um die Dunkelheit der materiellen Welt ringsum zu erhellen und aufzulösen. In ihrer individuellen Form ist jede Seele einzigartig: Sie hat eine einmalige Rolle zu spielen, einen kleinen Winkel zu reinigen und transparent zu machen. Und sie ist auch in ihrer Beziehung zum Höchsten einzigartig.
Dies ist die Wahrheit, aber nur eine Seite von ihr. Es gibt eine andere, komplementäre Wahrheit. Der Mensch ist kein vollständig von anderen Wesen getrenntes oder isoliertes Individuum. Ungeachtet seiner eigenen unverwechselbaren Persönlichkeit und Ausformung ist er doch eins mit Allem und repräsentiert die Gesamtheit des irdischen Bewusstseins. Er trägt es in Wahrheit in sich, in seinem Bewusstsein. Zu jedem Element im Erdbewusstsein gibt es einen korrespondierenden Punkt im individuellen Bewusstsein; der Mensch ist ein Amalgam von beidem, Gutem und Bösem, der ganzen irdischen Natur. Er stellt eine Miniaturwelt, eine Repräsentation des gesamten Erdbewusstseins in konzentrierter Form in ganz kleinem Rahmen dar. Je mehr das Bewusstsein entwickelt ist, umso mehr wächst das Individuum und umso sichtbarer wird diese Parallele. Alles, was es in der Welt an Gutem gibt, tragt ihr in euch; alles Schlechte ist ebenfalls in eurem Bewusstsein vorhanden. Kein menschliches Wesen ist weder ein reiner Heiliger oder Engel, noch ein kompletter Teufel.
Auf anderen Yogawegen versuchte man, die für das Ziel der persönlichen Befreiung unnötigen Verknüpfungen mit der Welt zu kappen und sich auf einen einzigen oder wenige Kontakte zu konzentrieren, welche einen leichter mit dem eigenen Urgrund verbinden würden. Es war eine sehr praktische Methode, vielleicht sogar die richtige für jene, die auf die Befreiung ihres eigenen individuellen Selbst von der dunklen Unklarheit der materiellen Welt und des irdischen Bewusstseins hinarbeiteten.
Aber für uns, die wir nach Befreiung des gesamten irdischen Bewusstseins von Falschheit und Unwissenheit streben, ist das nicht genug. Wir müssen unsere Bürde akzeptieren; wir müssen uns an der kollektiven Bemühung beteiligen. Wenn einer von uns einen Fortschritt macht, macht er ihn für die Erde; wenn nur ein bisschen des Bösen in einem individuellen Bewusstsein aufgelöst ist, hat dies eine korrespondierende Wirkung im Erdbewusstsein; wenn eine Person einen einzigen Missstand in ihrer Natur behebt, gereicht es der ganzen Welt zum Guten. Tatsächlich ist nichts gänzlich geheilt, bis alles geheilt ist. Dies ist das Geheimnis kollektiver Sadhana. Und das ist der Grund, warum es auf unserem Weg schwierig ist, den eigenen Fortschritt zu messen oder für sich eine Wegmarke zu setzen, wie man das auf anderen Yogapfaden tut. Wir stehen alle zusammen, wir sind in unseren Bemühungen eins.
Die Erde ist voller Missstände, voller Krankheiten. Es mögen Krankheiten des Körpers sein, aber im Grunde sind es alles Krankheiten des Bewusstseins. Man muss ihnen in allen Lebensbereichen und auf allen Ebenen begegnen und bei jedem Schritt kämpfen. Nimm die Politik zum Beispiel; es ist dieselbe Geschichte. Es ist eine politische Krankheit, eine Krankheit des Gruppenbewusstseins in jeder Gruppierung oder Nation. Wie in einem Individuum ist auch in der Gemeinschaft das Bewusstsein im Ego zentriert und versucht, nur den eigenen begrenzten Interessen zu dienen und sie auf Kosten anderer zu erfüllen. Das Problem besteht darin, das eigene Selbst zu beherrschen und zur gleichen Zeit anderen zu helfen, dasselbe zu tun.
Um dieses oder jedes andere Problem mit der richtigen Haltung und vom richtigen Blickwinkel aus zu lösen, muss man sein Ego klein machen, darüber hinauswachsen, sein Bewusstsein weiten und Einheit mit anderen fühlen. In eurem Bewusstsein zu wachsen, es groß genug zu machen, damit es mit der Erde eins ist, und von dort aus das Problem zu betrachten, ist die einzige tiefgreifende Lösung. Man muss von innen, vom wahren Urgrund seines Wesens her wachsen.
Wie das Individuum hat jede Nation eine Seele. Man muss sich ihrer bewusst werden, sich mit ihr identifizieren und auf sie hören. Dann sieht das Problem anders aus und es findet sich ein wirkliches Heilmittel, die wahre Lösung.
Es ist das gleiche mit allen Lebensproblemen.
Veröffentlicht im August 1982
