6. Kapitel
Nirvana und Wirken in der Welt
6.1
Der Erhabene sprach:
Wer das Werk tut, das vollbracht werden muss, ohne Hinsicht auf dessen Frucht, ist der Sannyasin und der Yogin; nicht jener, der keine Opferfeuer entzündet und keine Werke verrichtet.
6.2
Was man Entsagung (Sannyasa) nennt, wisse, O Pandava, ist in Wahrheit Yoga. Denn niemand wird ein Yogin, der nicht in seinem Mental dem Willen seines Begehrens entsagt hat.
Zuerst unterstreicht der Lehrer – und das ist sehr bezeichnend – seine oft wiederholte Beteuerung, das wirkliche Wesen von Sannyasa sei inneres, nicht äußeres Entsagen. „Wer immer das Werk tut, das getan werden muss, ohne zurückzugreifen auf seine Früchte, der ist der Sannyasin und der Yogin. Das ist nicht der Mensch, der nicht das Opferfeuer anzündet und keine Werke tut. Wisse, dass das, was sie Entsagung (Sannyasa) nennen, in Wahrheit Yoga ist! Denn niemand wird ein Yogin, der sich nicht mental vom Begehrens-Willen losgesagt hat.“ Werke müssen getan werden, aber zu welchem Zweck und innerhalb welcher Ordnung? (240)
6.3
Für den Weisen, der den Berg des Yoga emporsteigt, liegt die Ursache im Handeln. Für denselben Weisen, der den Gipfel des Yoga erreicht hat, liegt die Ursache in der Selbstbemeisterung.
Zuerst müssen sie getan werden, während wir den Berg des Yoga emporsteigen, denn da sind die Werke die Ursache, kāraṇam. Ursache wessen? Die Ursache der Selbst-Vervollkommnung, der Befreiung, des Nirvana im Brahman. Denn wenn wir die Werke stets mit innerer Entsagung tun, bringen wir diese Vervollkommnung, diese Befreiung, diesen Sieg über das Begehrens-Mental, das Ego-Selbst und die niedere Art leicht zustande.
Was aber, wenn man auf dem Gipfel angelangt ist? Dann sind die Werke nicht mehr die Ursache. Dann wird die Ruhe der Herrschaft des Selbsts und des Selbstbesitzes, die wir durch das Wirken gewonnen haben, zur Ursache. Wieder fragen wir: Zur Ursache wovon? Ursache der Festigung im Selbst, der Gründung im Brahman-Bewusstsein und der vollendeten Gelassenheit, in der die göttlichen Werke des befreiten Menschen getan werden. (240)
6.4
Wenn ein Mensch nicht mehr an den Gegenständen der Sinne oder am Wirken hängt und in seinem Mental jeglichem Willen des Begehrens entsagt hat, dann sagt man von ihm, er sei bis zum Gipfel des Yoga emporgestiegen.
Das ist der Geist, in dem der befreite Mensch wirkt. Er verrichtet seine Werke ohne Begehren und Bindung, ohne den egoistischen persönlichen Willen und das mentale Suchen, das die Ursache des Begehrens ist. Er hat sein niederes Selbst besiegt. Er hat die vollkommene Ruhe gewonnen, in der ihm sein höchstes Selbst offenbar geworden ist. Dies höchste Selbst, das stets in seinem eigenen Wesen, samāhita, in Samadhi konzentriert ist, hat er nun nicht nur in der Verzückung des nach innen gezogenen Bewusstseins, sondern immer, auch im Wachzustand des Mentals, wenn es den Ursachen des Begehrens und der Störung seiner Ruhe ausgesetzt ist, wenn all die Dualitäten einwirken, Hitze und Kälte, Ehre und Schande, śītoṣṇa-sukhaduḥkheṣu tathā mānāpamānayoḥ. Dieses höhere Selbst ist das Akshara. (240-41)
6.5
Durch das Selbst sollst du das Selbst befreien. Du solltest das [niedere] Selbst nicht entmutigen und nicht erniedrigen (weder indem du ihm nachgibst, noch indem du es unterdrückst). Denn das [höhere] Selbst ist der Freund des [niederen] Selbstes, und das [niedere] Selbst ist auch der Feind.
6.6
Sein Selbst ist für den Menschen sein Freund, in dem das (niedere) Selbst durch das (höhere) Selbst bezwungen worden ist. Wenn aber jemand nicht im Besitz seines (höheren) Selbstes ist, dann ist das (niedere) Selbst gleichsam ein Feind und handelt wie dieser.
6.7
Hat einer sein [niederes] Selbst bezwungen und hat die Stille einer vollkommenen Selbst-Herrschaft und eines völligen Selbst-Besitzes erlangt, dann ist das höchste Selbst in ihm zum Fundament geworden und ausgeglichen (sogar in seinem äußeren bewussten menschlichen Wesen) in Kälte und Hitze, Freude und Schmerz, wie auch in Ehre und Unehre.
6.8
Hat ein Yogin Genüge in der Selbst-Erkenntnis gefunden, ist er ruhig und ausgeglichen in seinem Selbst, Meister seiner Sinne und schätzt den Erdklumpen gleich dem Stein und dem Gold, dann sagt man von ihm, er sei im Yoga [gegründet].
Das höhere Selbst ist das Akshara. Es ist kūṭastha und steht über den Veränderungen und Erschütterungen des natürlichen Wesens. Und von dem Yogin wird gesagt, er ist im Yoga mit diesem höheren Selbst, wenn er ebenso ist wie es, kūṭastha, wenn er erhaben über allen äußeren Erscheinungen und Veränderungen steht, wenn er zufrieden ist in der Selbst-Erkenntnis, wenn er allen Dingen, Ereignissen und Personen gegenüber gleichmütig ist. (241)
Mit anderen Worten liegt der Weg zur Vollkommenheit und Befreiung des Menschen darin, dass er Herr wird über das niedere Selbst durch das höhere, über das natürliche durch das spirituelle Selbst. (218)
Aber es ist schließlich keine leichte Sache, diesen Yoga zu erlangen, wie Arjuna kurz danach hervorhebt. Denn das ruhelose Mental ist stets in Gefahr, durch die Angriffe äußerer Dinge von diesen Höhen heruntergezogen zu werden und unter die starke Herrschaft von Kummer, Leidenschaft und Unausgeglichenheit zurückzufallen. Wahrscheinlich gibt uns die Gita deshalb zu der allgemeinen Methode von Wissen und Wirken noch ein besonderes Verfahren der Meditation im Raja-Yoga, eine machtvolle praktische Methode, abhyāsa, eine strenge Disziplin, um die vollständige Kontrolle über das Mental und all seine Wirkensweisen zu erlangen. (241)
6.9
Wer in seiner Seele von gleicher Gesinnung zu Freund und Feind, zum Neutralen und Gleichgültigen und ebenso zum Sünder und zum Heiligen ist, ragt hervor.
6.10
Der Yogin soll ständig das Einswerden mit dem Selbst üben (so dass dies zu seinem normalen Bewusstsein wird), indem er abgesondert und allein sitzt, alles Verlangen und jeden Gedanken an Besitz aus seinem Mental verbannt und in seinem ganzen Wesen und Bewusstsein selbstbeherrscht ist.
6.11-12
An einem sauberen Ort soll er seinen festen Sitz errichten, der weder zu hoch, noch zu niedrig ist, mit einem Tuch bedeckt, einem Rehfell und mit heiligem Gras; dort soll er mit einem konzentrierten Mental sitzen und in voller Beherrschung der Wirkensweisen des mentalen Bewusstseins und der Sinne. So soll er zur Selbst-Läuterung den Yoga üben.
6.13-14
Seinen Körper, sein Haupt und seinen Nacken soll er dabei aufrecht und bewegungslos halten (in der Stellung, die zur Ausübung des Raja-Yoga üblich ist), die Schau soll nach innen gerichtet und zwischen den Augenbrauen fixiert sein, er soll nicht in der Gegend herumschauen, das mentale Wesen soll still gehalten werden und frei von Furcht, das Gelübde des Brahmacharya soll eingehalten und das ganze beherrschte innere Wesen Mir (dem Göttlichen) zugewandt sein. So muss er fest im Yoga sitzen und Mir gänzlich hingegeben sein (so dass die niedere Wirkensweise des Bewusstseins eingetaucht ist in den höheren Frieden).
6.15
Versetzt sich der Yogin so beständig durch Beherrschung seiner mentalen Kräfte in Yoga, erlangt er den erhabenen Frieden des Nirvana, der in Mir gegründet ist.
Und doch ist, solange wir noch leben, das Ergebnis kein Nirvana, das jede Möglichkeit des Wirkens in der Welt, jede Beziehung zu den Wesen in der Welt ausschließt. Zunächst könnte es so aussehen, als müsste das so sein. Wenn alles Begehren und alle Leidenschaften aufgehört haben, wenn es dem mentalen Wesen nicht mehr erlaubt ist, sich im Denken auszubreiten, wenn das Praktizieren dieses schweigenden, einsamen Yoga zur Regel wurde, welche weitere Aktion, welche Beziehung zur Welt der äußeren Einwirkungen und veränderlichen Erscheinungen ist noch möglich? Zweifellos verbleibt der Yogin noch eine Zeitlang im Körper. Aber die Höhle, der Wald, der Berggipfel erscheinen nun als der geeignetste, der einzig mögliche Schauplatz für sein fortdauerndes Leben, die ständige Ekstase des Samadhi als seine einzige Freude und Beschäftigung. Erstens wird aber das Entsagen jeder anderen Tätigkeit, während man diesen einsamen Yoga praktiziert, von der Gita nicht empfohlen. (243)
6.16
Dieser Yoga ist wahrlich nichts für jemanden, der zu viel isst oder zu viel schläft; und ebenso, O Arjuna, ist er auch nichts für jemanden, der auf Schlafen und Essen verzichtet.
6.17
Yoga hebt alle Sorge auf für jenen, dem all sein Schlafen und Wachen, Essen, Spielen, sein mühevoller Einsatz im Wirken yukta sind.
yukta: Im Allgemeinen wird das so ausgelegt, als bedeute es, alles solle gemäßigt, wohlgeordnet, im rechten Maß getan werden. Das mag auch die Bedeutung sein. Immerhin muss aber, wenn der Yoga erlangt ist, dies alles yukta getan werden in einem anderen, dem überall sonst in der Gita gebräuchlichen Sinn des Wortes. In jeglichem Zustand, im Wachsein und Schlafen, beim Essen, Spielen und Arbeiten wird der Yogin im Yoga mit dem Göttlichen sein. Alles wird von ihm in dem Bewusstsein getan werden, dass das Göttliche das Selbst und das All und all das ist, was sein eigenes Leben und Wirken fördert und in sich enthält. Begehren, Ego, persönlicher Wille und das Denken des Mentals sind nur in der niederen Art Motive des Handelns. Wenn das Ego überwunden ist und der Yogin zum Brahman wird, wenn er in einem transzendenten und universalen Bewusstsein lebt und sogar zu diesem wurde –, kommt das Handeln spontan aus jenem hervor. Eine lichtvolle Erkenntnis, die höher ist als das mentale Denken, entspringt aus jenem. Eine Macht, die anders und mächtiger ist als der persönliche Wille, kommt aus jenem, um für ihn seine Werke zu tun und ihre Früchte zu bringen. Persönliches Handeln hat aufgehört. Alles ist in das Brahman emporgehoben und vom Göttlichen angenommen worden, mayi sannyasya karmāṇi.(243-44)
6.18
Wenn das ganze mentale Bewusstsein vollkommen beherrscht wird und befreit ist vom Verlangen und still im Selbst verharrt, dann sagt man von einem solchen Menschen, „er ist im Yoga gegründet“.
6.19
Regungslos wie das Licht einer Lampe an einem windstillen Ort ist das unter Kontrolle gehaltene Bewusstsein des Yogins, der das Einswerden mit dem Selbst übt (es ist frei von seiner ruhelosen Betätigung, abgeschlossen von seiner äußeren Bewegung).
6.20
(Yoga ist) das, worin das Mental durch die Praxis des Yoga still wird; das, worin das Selbst im Selbst vom Selbst geschaut wird (geschaut, dass heißt selbst-erkannt durch das Selbst, svaprakāśa, und nicht so, wie es uns fehlerhaft oder unvollständig vom Mental durch das Ego dargestellt wird), und worin die Seele zu ihrer Erfüllung kommt.
6.21
(Yoga ist) das, worin die Seele ihre eigene wahre und höchste Seligkeit erkennt; was von der Intelligenz wahrgenommen wird und jenseits der Sinne liegt; worin die Seele gegründet ist und darum nicht mehr aus der spirituellen Wahrheit ihres Seins herausfallen kann.
Das ist nicht die ruhelose Fröhlichkeit, die dem Mental und den Sinnen eigen ist, sondern eine innerliche, heiter-gelassene Glückseligkeit, in der das Selbst sicher ist vor den Verwirrungen des Mentals und nicht mehr abfallen kann von der spirituellen Wahrheit seines Seins. (242)
Der Haupt-Nachdruck wird hier auf das Stilllegen des gefühlsbetonten Mentals, auf das Mental des Verlangens und der Sinne gelegt, die die Einwirkungen von außen empfangen und mit unseren gewohnten emotionalen Reaktionen antworten. Aber auch das mentale Denken muss im Schweigen des selbst-seienden Wesens beruhigt werden. (242)
6.22
(Yoga ist) das Größte, das ein Mensch gewinnen kann, und der Schatz, neben dem alles andere seinen Wert verliert. Ist einer sicher darin gegründet, wird er auch durch den heftigsten Ansturm mentalen Kummers nicht überwältigt.
6.23
(Yoga ist) das, was die Berührung mit dem Schmerz beseitigt, die Trennung jener innigen Verbindung des Mentals mit dem Kummer. Das feste Erlangen dieser unveräußerlichen spirituellen Seligkeit ist Yoga; es ist die göttliche Vereinigung. Diesen Yoga muss man mit aller Entschlossenheit praktizieren, ohne sich durch Schwierigkeiten oder Fehlschläge entmutigen zu lassen (bis die Befreiung, bis die Seligkeit des Nirvana als sicherer Besitz für immer gewonnen ist).
6.24-25
Man soll ohne Ausnahme und Vorbehalt alle Begehrlichkeiten aufgeben, die im Begehrens-Willen ihren Ursprung haben, und die Sinne durch das Mental so binden, dass sie nicht nach allen Seiten ausschweifen (wie es ihre übliche, Ärgernis erregende und ruhelose Gewohnheit ist). So wird man allmählich jede mentale Betätigung mittels Buddhi beenden, das fest im Griff gehalten wird. Und wenn das Mental im höheren Selbst fest verankert ist, sollte man an gar nichts mehr denken.
6.26
Wenn immer das rastlose und unruhige Mental nach außen schweift, sollte es kontrolliert und im Selbst zum dienenden Untertanen gemacht werden.
6.27
Wenn das Mental vollkommen zur Ruhe gebracht worden ist, dann kommt über den Yogin makellos und leidenschaftslos die höchste Seligkeit der Seele, die zum Brahman geworden ist.
6.28
Dergestalt vom Makel der Leidenschaft befreit, versetzt sich der Yogin beständig in den Yoga und erfreut sich leicht und froh der Berührung mit dem Brahman, was eine außerordentliche Seligkeit bedeutet.
6.29
Der Mensch, dessen Selbst im Yoga gegründet ist, sieht das Selbst in allen Wesen und alle Wesen im Selbst. Er sieht überall mit gleichwertigem Blick.
6.30
Der Mensch, der Mich überall sieht und alles in Mir schaut, für den gehe Ich nicht verloren, noch geht er Mir verloren.
Alles, was er sieht, ist für ihn das Selbst. Alles ist sein Selbst, alles ist das Göttliche. Besteht aber nicht die Gefahr, wenn er überhaupt noch in der Veränderlichkeit des Kshara lebt, dass er alle Ergebnisse dieses schwierigen Yoga verliert, dass er das Selbst verliert und in das Mental zurückfällt, dass das Göttliche ihn verliert und die Welt ihn wieder zurückbekommt, dass er das Göttliche verliert und an dessen Stelle das Ego und seine niedere Art zurückerhält? Nein, sagt die Gita. Denn dieser Friede des Nirvana ist zwar durch das Akshara gewonnen. Er ist aber auf das Wesen des Purushottama gegründet, mat-saṁsthām. Dieses ist in der Welt der Wesen ausgebreitet. Ebenso ist das Göttliche und das Brahman in der Welt der Wesen ausgebreitet. Obwohl es ihr gegenüber transzendent ist, ist es doch nicht in seine eigene Transzendenz eingesperrt. Man hat alle Dinge als ihn zu schauen und völlig in dieser Schau zu leben und zu handeln. Das ist die vollkommene Frucht des Yoga.
Aber warum handeln? Ist es nicht sicherer, wir bleiben in unserer Einsamkeit sitzen und schauen sozusagen von dort auf die Welt herab, betrachten sie im Brahman, im Göttlichen, nehmen aber keinen Anteil an ihr, bewegen uns nicht in ihr, leben nicht in ihr, handeln nicht in ihr, leben vielmehr für gewöhnlich im inneren Samadhi? Sollte das nicht das Gesetz, die Regel, das Dharma dieses höchsten spirituellen Zustands sein? Wieder ein Nein! Denn für den befreiten Yogin gibt es kein anderes Gesetz, keine andere Regel, kein anderes Dharma als einfach dies: Er soll im Göttlichen leben; er soll das Göttliche lieben; er soll eins sein mit allen Wesen. Seine Freiheit ist eine absolute und keine bedingte Freiheit, selbst-seiend und nicht mehr abhängig von irgendeiner Regel des Verhaltens, einem Gesetz des Lebens oder einer Einschränkung irgendwelcher Art. Er benötigt weiter keinen besonderen Yoga-Prozess mehr, denn er befindet sich jetzt beständig im Yoga. (244-45)
6.31
Der Yogin, der seinen Stand im Einssein eingenommen hat und Mich in allen Wesen liebt, lebt und handelt in Mir, auf welche Weise er auch immer leben und handeln mag.
Die Liebe zur Welt ist spiritualisiert. Sie ist umgewandelt von einer Sinnen-Erfahrung in eine Seelen-Erfahrung. Sie ist auf die Liebe zu Gott gegründet. In dieser Liebe entsteht keine Gefahr und kein Mangel. Furcht vor der Welt und Verachtung der Welt mögen oft notwendig sein, um sich aus der niederen Art zurückzuziehen. Denn in Wirklichkeit ist es die Furcht und die Abscheu unseres eigenen Ego, die sich in der Welt widerspiegelt. Wenn wir aber Gott in der Welt schauen, brauchen wir uns vor nichts zu fürchten. Wir umarmen alles im Wesen Gottes. Alles als das Göttliche schauen heißt, nichts zu hassen und nichts zu verachten, nur Gott in der Welt und die Welt in Gott zu lieben.
Müssen nicht zumindest jene Dinge der niederen Art zurückgewiesen und gefürchtet werden, die zu überwinden der Yogin so viele Schwierigkeiten auf sich genommen hat? Nein, auch das nicht! Alles wird angenommen in der Gelassenheit der Schau des Selbsts. (245)
6.32
Jener, O Arjuna, der mit Gleichmut alles in der Ebenbildlichkeit des Selbstes sieht, sei es Kummer oder sei es Glück, ist in Meinen Augen der höchste Yogin.
Damit ist ganz und gar nicht gemeint, dass dieser Yogin aus seiner kummerlosen spirituellen Seligkeit herausfällt und wieder all das Elend der Welt fühlt, auch nicht im Leid der anderen. Wenn er in den anderen das Spiel der Dualitäten sieht, das er selbst verlassen und überwunden hat, wird er vielmehr sie alle noch sehen, als seien sie er selbst; sein Selbst in allen und Gott in allen, unbeirrt und nicht verwirrt durch die äußeren Erscheinungen dieser Dinge, durch sie nur dazu getrieben, zu helfen und zu heilen, sich mit dem für alle Wesen Guten zu beschäftigen, die Menschen zur spirituellen Freude hinzuführen, dafür zu wirken, dass die Welt auf Gott hin vorwärtsschreitet. So wird er das göttliche Leben leben, solange ihm seine Tage auf dieser Erde zugemessen sind. Der Gott-Liebende, der dies tun kann, kann alle Dinge liebevoll in Gott umfassen. Er kann in Ruhe auf die niedere Art und auf die Werke der Maya in den drei Gunas schauen, in ihnen handeln und auf sie einwirken ohne Verwirrung, Rückfall oder Erschütterung, aus der Höhe und Macht spirituellen Einsseins, frei in der Weite der Gottes-Schau, gütig, groß und leuchtend in der Stärke der Gott-Natur. Ihn darf man wohl einen erhabenen Yogin nennen. Er hat in der Tat die Schöpfung überwunden, jitaḥ sargaḥ. (245-46)
6.33
Arjuna sprach:
Für einen solchen Yoga von der Art des Gleichmuts, wie Du ihn mir beschrieben hast, O Madhusudana, erkenne ich keine stabile Grundlage aufgrund der Ruhelosigkeit.
Als Arjuna die Natur des Yoga völlig erkennt, den anzunehmen Krishna von ihm fordert, ist seine pragmatische Natur, die gewohnt ist, aufgrund des mentalen Willens, nach dessen Vorliebe und nach seinem Begehren zu handeln, über dessen Schwierigkeit entsetzt und fragt, was das Ende der Seele sei, die das versuche und dabei versage… (27)
6.34
Wie rastlos ist doch das Denken, O Krishna! Heftig ist es, stark und unbesiegbar. Ich glaube, es ist ebenso schwer zu beherrschen wie der Wind.
6.35
Der Erhabene sprach:
Ohne Zweifel, O Starkarmiger, sind die mentalen Kräfte ruhelos und sehr schwer zu zügeln. Und doch, O Kaunteya, können sie durch ständige Praxis und Nicht-Bindung beherrscht werden.
6.36
Wer nicht selbstbeherrscht ist, kann diesen Yoga schwerlich erlangen. Durch Selbstbeherrschung ist er aber zu gewinnen, wenn die Bemühungen richtig gelenkt werden.
6.37
Arjuna sprach:
Wenn nun jemand den Yoga mit Glauben beginnt, aber die Selbstbeherrschung nicht durchhalten kann, weil die mentalen Kräfte im Yoga abschweifen, was ihn hindert, zur Vollkommenheit im Yoga zu gelangen –, was ist sein Ende, O Krishna?
6.38
Verliert er, O Starkarmiger, nicht beides: dieses Leben (des menschlichen Handelns, Denkens und Empfindens, die er hinter sich gelassen hat) und ebenso das Bewusstsein Brahmans, nach dem er trachtet? Muss er nicht, wenn er aus beidem herausfällt, zugrunde gehen wie eine sich auflösende Wolke?
6.39
Ich bitte Dich, O Krishna, zerstreue diesen meinen Zweifel völlig und lasse keinen Rest davon übrig. Denn es gibt niemanden als Dich, der diesen Zweifel zerstören kann.
6.40
Der Erhabene sprach:
O Sohn Prithas, weder in diesem Leben noch danach gibt es für ihn eine Vernichtung. Niemals gerät ein Mensch, der Gutes vollbringt, O Geliebter, ins Elend.
6.41
Ist er in der Welt der Gerechten angelangt und hat dort undenkliche Jahre gelebt, wird er, der vom Yoga abwich, wiedergeboren im Hause der Reinen und Ruhmreichen.
6.42
Oder er kann im Hause des weisen Yogin wieder zur Welt kommen. Gewiss ist solche Geburt selten in dieser Welt zu erlangen.
6.43
Dort gewinnt er den mentalen Zustand des Einsseins (mit dem Göttlichen) wieder, den er in seinem vorherigen Leben gestaltet hat. Und damit ringt er erneut um die Vollkommenheit, O Freude der Kurus.
6.44
Durch jene frühere Praxis des Yoga wird er unaufhaltsam vorwärtsgetrieben. Gerade der nach der Erkenntnis des Yoga Suchende gelangt über die Bereiche der Veden und der Upanishaden hinaus.
6.45
Der Yogin jedoch, der sich unablässig weiterbemüht, der geläutert ist von der Sünde, der sich durch viele Leben hindurch vervollkommnet, der erreicht das höchste Ziel.
6.46
Der Yogin ist größer als die, die Askese betreiben; größer als die Menschen des Wissens; größer als die Menschen des Wirkens. Darum werde du, O Arjuna, ein Yogin!
6.47
In Meinen Augen gilt von allen Yogins der als zutiefst geeint mit Mir im Yoga, der sein inneres Selbst völlig an Mich hingegeben hat und seinen Glauben und seine Liebe auf Mich richtet.
Die Gita hebt hier, wie überall, Bhakti als höchste Steigerung des Yoga hervor, sarvabhūtasthitaṁ yo māṁ bhajati ekatvam āsthitaḥ. Man könnte fast sagen, dass hier das ganze endgültige Ergebnis der Lehre der Gita zusammengefasst ist: Wer Gott in allen liebt und seine Seele auf das göttliche Einssein gegründet hat, der mag leben und handeln wie er will, er lebt und handelt in Gott. Und um es noch mehr zu betonen, kehrt, als Arjuna Einwendungen macht, der göttliche Lehrer in seiner Antwort auf die Zweifel, ob ein so schwieriger Yoga für das ruhelose Mental des Menschen überhaupt möglich sei, zu diesem Gedanken zurück und macht ihn zum Höhepunkt seiner Aussagen: „Der Yogin ist größer als die, die Askese betreiben; größer als die Menschen des Wissens; größer als die Menschen des Wirkens. Darum werde du, O Arjuna, ein Yogin!“ Ein solcher Yogin sucht und erlangt durch Wirken und Wissen, durch Askese oder durch irgendwelche anderen Mittel allein die Einung mit Gott. Er erstrebt kein spirituelles Wissen oder spirituelle Macht oder irgend etwas anderes um ihrer selbst willen. Denn in diesem Einssein mit Gott ist alles andere enthalten und über sich selbst hinausgehoben zur höchsten göttlichen Bedeutung. Aber unter den Yogins ist eben der Bhakta der größte. „In Meinen Augen gilt von allen Yogins der als zutiefst geeint mit Mir im Yoga, der sein inneres Selbst völlig an Mich hingegeben hat und seinen Glauben und seine Liebe auf Mich richtet“, śraddhāvān bhajate. Das ist das Schlusswort dieser ersten sechs Kapitel. Es enthält in sich den Keim zu allem Übrigen, den Keim von dem, was hier noch unausgesprochen bleibt und was nirgendwo völlig ausgesprochen wird. Denn immer ist und bleibt es ein Mysterium und ein Geheimnis, rahasyam, das höchste spirituelle Mysterium und das göttliche Geheimnis. (246)

7. Kapitel
Hingabe und Wissen
Die zwei Naturen
7.1
Der Erhabene sprach:
Höre, O Partha, wie du Mich durch die Praxis des Yoga, das Mental fest an Mich gebunden und mit Mir als āśraya (der alleinigen Grundlage, Stütze und Zuflucht für dein bewusstes Wesen und Wirken), vollständig und ohne eine Spur von Zweifel erkennen wirst.
Die tiefere Bedeutung dieses Satzes ist, dass das Göttliche Wesen alles ist, vāsudevaḥ sarvam. Wenn Gott also vollständig in allen seinen Mächten und Prinzipien erkannt ist, dann ist alles erkannt, nicht nur das reine Selbst, sondern die Welt, das Wirken und die Natur. Dann bleibt hier nichts mehr übrig, das man erkennen kann, da alles dieses Göttliche Sein ist. Unsere mentale Wahrnehmung der Dinge ist deshalb Unwissenheit, weil unser Schauen hier nicht auf solche Weise integral ist, weil es auf dem zerteilenden Mental, der Vernunft und der sondernden Idee des Ego beruht. Von dieser mentalen und egoistischen Schau müssen wir wegkommen, hin zur wahren einenden Erkenntnis. Diese hat zwei Aspekte: den wesentlichen, jñāna, und den umfassenden, vijñāna: Die unmittelbare spirituelle Wahrnehmung des höchsten Wesens und die richtige innere Erkenntnis der Prinzipien seines Seins: Prakriti, Purusha und das Übrige, durch das alles, was ist, in seinem göttlichen Ursprung und in der höchsten Wahrheit seiner Natur erkannt werden kann. Die Gita sagt, dies integrale Wissen ist etwas Seltenes und Schwieriges. (266)
7.2
Nennen will ich dir – und nichts dabei auslassen oder offenlassen – das essentielle Wissen, das gestützt ist auf allumfassende Erkenntnis. Wenn du es weißt, bleibt nichts Wissenswertes mehr übrig.
7.3
Unter Tausenden von Menschen ringt nur hier und da einer nach Vollkommenheit. Und von denen, die ringen und zur Vollkommenheit gelangen, erkennt nur hier und da einer Mich in all den Prinzipien Meines Daseins.
7.4
Die fünf Elemente (Zustandsformen des materiellen Daseins), das Mental, die Vernunft und das Ego, dies ist Meine achtfach geteilte Natur.
Um mit diesem integralen Wissen zu beginnen und es zu stützen, trifft die Gita jene tiefe und bedeutungsvolle Unterscheidung, die praktisch die Grundlage ihres ganzen Yoga ist, die Unterscheidung zwischen den zwei Arten der Natur: Der phänomenalen und der spirituellen Natur… Hier ist der erste neue metaphysische Gedanke der Gita, der ihr hilft, von den Begriffen der Sankhya-Philosophie auszugehen und dadurch über sie hinauszukommen, dass sie ihren Begriffen, die sie beibehält und ausweitet, eine vedantische Bedeutung beilegt. Eine achtfache Natur, von den fünf bhūtas gebildet –, den Elementen, wie man übersetzt, aber eigentlich den elementaren oder wesentlichen Zustandsformen materiellen Seins, denen man die konkreten Namen gegeben hat: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther –, ferner vom Mental mit seinen verschiedenen Sinnen und Organen, vom Vernunft-Willen und vom Ego –, diese achtfache Natur ist die Sankhya-Beschreibung der Prakriti. Hier macht das Sankhya halt. Und weil es hier haltmacht, muss es eine unüberbrückbare Trennwand zwischen der Seele und der Natur errichten. Es muss die beiden als zwei ganz verschiedene primäre Wesenheiten darstellen. Auch die Gita hätte, wenn sie hier haltmachen würde, die gleiche unüberwindbare Antinomie zwischen dem Selbst und der kosmischen Natur behaupten müssen. Letztere wäre nur die Maya der drei Gunas. Alles kosmische Sein wäre dann einfach das Ergebnis dieser Maya; es könnte nichts anderes sein. Es gibt aber etwas darüber hinaus, ein höheres Prinzip, eine Natur des Geistes, parā prakṛtir me. (266-67)
7.5
Doch ist dies nur die niedere Natur. Erkenne nun, O Starkarmiger, auch Meine andere Natur, die von dieser verschieden ist, Mein Erhabenes Wesen. Dieses wird zum Jiva, durch den diese Welt getragen und erhalten wird.
Meine andere Natur: Dieses „Ich“ hier ist der Purushottama, das höchste Wesen, die erhabene Seele, der transzendente und universale Geist. Die ursprüngliche und ewige Natur des Geistes und seine erhabene hervorbringende Shakti ist das, was mit Para Prakriti gemeint ist. Denn wenn Krishna zuerst vom Ursprung der Welt unter dem Gesichtspunkt der aktiven Macht der Natur spricht, versichert er: „Dies ist der Schoß aller Wesen“, etad-yonīni bhūtāni. Und in der nächsten Zeile des Doppelverses stellt er wiederum dieselbe Tatsache dar, diesmal unter dem Gesichtspunkt der hervorbringenden Seele, und fährt fort: „Ich bin die Geburt der gesamten Welt und ebenso ihre Auflösung. Es gibt nichts Erhabenes jenseits von Mir.“ Hier werden also die erhabene Seele, Purushottama, und die erhabene Natur, Para Prakriti, gleichgesetzt: sie werden als die beiden Wege dargestellt, auf denen ein und dieselbe Wirklichkeit zu betrachten ist. Denn wenn Krishna erklärt, „Ich bin die Geburt der Welt und ihre Auflösung“, ist es offensichtlich Para Prakriti, die höchste Natur seines Wesens, die diese beiden Dinge ist. Der Geist ist das höchste Wesen in seinem unendlichen Bewusstsein, und die höchste Natur ist die Unendlichkeit von Macht oder Wille des Wesens des Geistes –, sie ist sein unendliches Bewusstsein in der innewohnenden göttlichen Energie und in seiner erhabenen göttlichen Aktivität. Die Geburt ist die Bewegung von Evolution dieser bewussten Energie aus dem Geist, parā prakṛtir jīvabhūtā, seine Aktivität im veränderlichen Universum. Die Auflösung geschieht, wenn sich diese Aktivität zurückzieht indem sich die Energie dem unveränderlichen Sein und der in sich gesammelten Macht des Geistes involviert. Das ist also das, was eigentlich mit der höchsten Natur gemeint ist.
Die höchste Natur, parā prakṛtiḥ, ist somit die unendliche, zeitlose, bewusste Macht des selbst-seienden Wesens, aus der alles Seiende im Kosmos manifestiert wird, um aus der Zeitlosigkeit in die Zeit hervorzutreten. Um aber für dieses vielfältige universale Werden im Kosmos eine spirituelle Grundlage zu schaffen, formuliert sich die erhabene Natur als der Jiva. Mit anderen Worten: Die ewige vielfältige Seele des Purushottama erscheint als individuelles spirituelles Sein in allen Gestaltungen des Kosmos. Alles Seiende wird durchdrungen vom Leben des einen unteilbaren Geistes. Alles wird in seiner Personalität, seinen Handlungen und Gestaltungen von der ewigen Vielfalt des einen Purusha gefördert und erhalten. Wir müssen uns vor dem Fehler hüten, diese höchste Natur für identisch zu halten mit dem in der Zeit manifestierten Jiva in dem Sinn, dass wir meinen, es gebe sonst nichts, oder es existiere nur die Art des Werdens und nicht die Art des Seins. Das könnte nicht die erhabene Natur des Geistes sein. Sogar in der Zeit ist sie mehr als nur das. Denn sonst wäre ihre einzige Wahrheit im Kosmos die Art der Vielfalt, und es gäbe keine Art der Einheit in der Welt. Das ist aber nicht das, was die Gita sagt: Sie sagt nicht, die höchste Prakriti sei in ihrem Wesen der Jiva, jīvātmikām, sondern dass sie zum Jiva geworden ist, jīvabhūtām. In diesem Ausdruck ist sinngemäß enthalten, dass es hinter ihrer Manifestation als Jiva ursprünglich etwas anderes und Höheres gibt; das ist die Natur des einen höchsten Geistes. Der Jiva ist, wie wir später erfahren, der Herr, īśvara, jedoch in seiner partiellen Manifestation, mamaivāṁśaḥ. Sogar die unendlich vielfältigen Wesen im Weltall oder in zahllosen Universen könnten in ihrem Werden nicht das integrale Göttliche sein, sondern nur eine partielle Manifestation des unendlichen Einen. In ihnen residiert Brahman, das eine unteilbare Sein so, als sei er zerteilt, avibhaktaṁ ca bhūteṣu vibhaktam iva ca sthitam. Die Einheit ist die höhere Wahrheit, die Vielfalt ist die niedere Wahrheit, wenn auch beide eine einzige Wahrheit sind und keine von ihnen eine Illusion ist.
Durch die Einheit dieser spirituellen Natur wird die Welt getragen, yayedaṁ dhāryate jagat, ebenso ist sie der Ursprung ihres Entstehens mit all ihren Werdegestaltungen, etad-yonīni bhūtāni sarvāṇi. Und sie ist es auch, die die ganze Welt und alles, was in ihr existiert, in der Stunde der Auflösung in sich zurücknimmt, ahaṁ kṛtsnasya jagataḥ prabhavaḥ pralayas tathā. Aber in der Manifestation, die auf diese Weise im Geist hervorgebracht, in ihrem Wirken gefördert und zu ihrem periodischen Ausruhen vom Handeln zurückgezogen wird, ist der Jiva die Grundlage des vielfältigen Seins. Er ist die vielfältige Seele, wenn wir ihn so nennen wollen, oder wenn wir ihn lieber so nennen, die Seele der Vielfalt, die wir hier erfahren. Er ist in seinem Wesen immer eins mit dem Göttlichen, von ihm nur in der Macht seines Wesens unterschieden –, verschieden nicht in dem Sinne, dass er nicht in allem dieselbe Macht wäre, sondern in dem Sinne, dass er nur die eine Macht in einer partiell vielfältig individualisierten Aktion trägt und erhält. Darum sind auch alle Dinge in ihrem Anfang, an ihrem Ende und im Prinzip ihres fortdauernden Bestehens der Geist. Der fundamentale Charakter aller Wesen ist die Art des Geistes, und nur in ihren niederen, verschiedenartigen Erscheinungsformen scheinen sie etwas anderes zu sein: Art von Körper, Leben, Mental, Vernunft, Ego und Sinnen. Das sind aber phänomenale Ableitungen. Sie sind nicht die wesenhafte Wahrheit unserer Natur und unseres Seins.
Die höchste Natur des spirituellen Wesens gibt uns also beides: eine ursprüngliche Wahrheit und Seins-Macht jenseits des Kosmos, und ferner eine erste Grundlage spiritueller Wahrheit für die Manifestation im Kosmos. Wo ist aber die Verknüpfung zwischen dieser höchsten Natur und der niederen phänomenalen Natur? (268-71)
7.6
Erkenne diese höhere Natur als den Schoß aller Wesen. Ich bin die Geburt der gesamten Welt und ebenso ihre Auflösung.
7.7
Es gibt nichts Erhabenes jenseits von Mir, O Dhananjaya. Auf Mir ist alles, was es gibt, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur.
Dies ist aber nur ein Bild, das wir nicht zu sehr ausdeuten dürfen. Denn durch die Schnur werden die Perlen nur in äußerer Beziehung zueinander gehalten; sie haben kein anderes Einssein, keine andere Beziehung zur Perlenschnur, außer dass sie von ihr abhängig sind für ihre gegenseitige Verbundenheit. Wir wollen also vom Bild weitergehen zu dem, was hier bildlich ausgedrückt werden soll. Es ist die höchste Natur des Geistes, die unendliche bewusste Macht seines Wesens, selbst-bewusst, all-bewusst, all-weise, die diese phänomenalen Seienden in Beziehung zueinander erhält, sie durchdringt, in ihnen verbleibt, sie fördert und in das System seiner Manifestation verwebt. Diese eine höchste Macht manifestiert sich nicht nur in allen Wesen als der Eine, sondern in jedem Einzelnen als der Jiva, als die individuelle spirituelle Gegenwart. Sie manifestiert sich auch als das Wesentliche aller Eigenschaften der Natur. Darum sind diese die verborgenen spirituellen Mächte hinter allen Phänomenen. Diese höchste Eigenschaft ist nicht das Wirken der drei Gunas, das eine Erscheinungsform der Eigenschaft, nicht aber ihre spirituelle Wesenheit ist. Sie ist vielmehr die eingeborene, einzige, jedoch veränderliche innere Macht all der vordergründigen Variationen. Sie ist die fundamentale Wahrheit des Werdens, eine Wahrheit, die alle ihre Erscheinungsformen fördert und ihnen spirituelle und göttliche Bedeutung verleiht. Die Wirkensweisen der Gunas sind nur die vordergründigen unsicheren Werdeerscheinungen von Vernunft, Mental, Sinne, Ego, Leben und Materie, sāttvikā bhāvā rājasās tāmasāś ca. Diese indessen ist die wesentliche stabile ursprüngliche innerste Macht des Werdens, svabhāva. Sie ist das, was das ursprüngliche Gesetz allen Werdens und jedes Jiva bestimmt. Sie bildet das Wesentliche und entfaltet die Bewegung der Natur. Sie ist ein Prinzip in jedem Geschöpf, das sich ableitet aus einem transzendenten göttlichen Werden und unmittelbar damit verbunden ist, aus dem des Ishvara, madbhāvaḥ. Die Verknüpfung zwischen jenem höchsten und diesem niederen Sein finden wir in dieser Beziehung des göttlichen bhāva zum svabhāva und des svabhāva zum äußeren bhāva, der göttlichen Natur zur individuellen Selbst-Natur und der Selbst-Natur in ihrer reinen, ursprünglichen Seinsweise zur phänomenalen Natur in all ihrem vermischten und verworrenen Spiel der Gunas. Die Mächte und Werte niederen Grades der unteren Prakriti leiten sich her aus den absoluten Mächten und Werten der erhabenen Shakti. Sie müssen wieder zu diesen zurückgehen, um dort ihren eigenen Ursprung, ihre Wahrheit und das wesentliche Gesetz ihrer Wirkensweise und Bewegung zu finden. So muss auch die Seele oder der Jiva, der hier in das gehemmte, armselige und niedere Spiel der phänomenalen Seinsweisen involviert ist –, wenn er dem entkommen, göttlich und vollkommen werden will –, durch ein Zurückgreifen auf die reine Wirksamkeit seiner wesenhaften Qualität des Swabhava zu jenem höheren Gesetz seines eigenen Wesens zurückkehren, in dem er den Willen, die Macht, das dynamische Prinzip, die höchste Wirkensweise seiner göttlichen Natur entdecken kann.
Das wird aus der unmittelbar darauffolgenden Stelle klar, in der die Gita eine Reihe von Beispielen aufzählt, um zu zeigen, wie sich das Göttliche in der Macht seiner höchsten Art offenbart und in den beseelten und sogenannten unbeseelten Daseinsformen im Weltall handelt. (271-72)
7.8
Ich bin der Geschmack in den Wassern, O Sohn der Kunti, Ich bin das Licht von Sonne und Mond, Ich bin Pranava (die Silbe OM) in allen Veden, der Klang im Äther und die Männlichkeit in den Männern.
Das Göttliche selbst ist in seiner Para Prakriti die den verschiedenen sensorischen Beziehungen zugrunde liegende Energie. Von dieser sind nach dem alten Sankhya-System die ätherischen, strahlenden, elektrischen, gasförmigen, flüssigen und anderen elementaren Zustandsformen der Materie das physikalische Medium. Die fünf elementaren Zustandsformen der Materie sind das quantitative oder materielle Element in der niederen Natur und die Basis der materiellen Formen. Die fünf Tanmatras, die Sinne des Schmeckens, Tastens, Riechens und die anderen, sind das qualitative Element. Diese Tanmatras sind die subtilen Energien, deren Wirksamkeit das sensorische Bewusstsein zu den gröberen Formen der Materie in Beziehung bringt –, sie sind die Grundlage für alle phänomenale Erkenntnis. Vom materiellen Standpunkt aus ist die Materie die Wirklichkeit; die sensorischen Beziehungen sind etwas Abgeleitetes. Vom spirituellen Standpunkt aus ist aber das Gegenteil wahr: Materie und materielle Media sind selbst abgeleitete Mächte. Sie sind im Grunde nur die konkrete Art und die Umstände, in denen sich das Wirken der Qualität der Natur in den Dingen für das sensorische Bewusstsein des Jiva manifestiert. Die einzige ursprüngliche und ewige Tatsache ist die Energie der Natur, die Macht und Eigenschaft des Wesens, das sich so der Seele durch die Sinne offenbart. Was aber in den Sinnen essentiell, am meisten spirituell und subtil ist, das ist selbst Stoff dieser ewigen Qualität und Macht. Diese Energie oder Macht des Wesens in der Natur ist jedoch das Göttliche selbst in seiner Prakriti. Darum ist jeder Sinn in seiner Reinheit jene Prakriti; jeder Sinn ist das Göttliche in seiner dynamischen bewussten Kraft.
In jedem Fall ist es die Energie der essentiellen Qualität, von der jede dieser Werde-Formen um derentwillen abhängt, zu dem sie geworden ist, was hier als das charakteristische Zeichen angegeben ist, das die göttliche Macht in ihrer Natur anzeigt.
Die zugrunde liegende Silbe OM ist das Fundament aller machtvollen schöpferischen Klänge des geoffenbarten Wortes. OM ist die eine universale Formulierung der Energie von Klang und Sprache. Es ist das, was die ganze spirituelle Kraft und alle Machtmöglichkeiten von Vak und Shabda enthält, ihre Summe und Synthese ausmacht und alles aussendet. Aus diesem werden die anderen Klänge und aus ihrem Stoff die Worte der Sprache gewoben, von denen man annimmt, sie seien die entfalteten Evolutionen. Das macht die Sache klar. Die Eigenschaften der höchsten Prakriti sind nicht die phänomenalen Entwicklungen der Sinne oder des Lebens, des Lichts, der Intelligenz, der Energie, Stärke, Männlichkeit, asketischen Kraft, es ist vielmehr die essentielle Qualität in ihrer spirituellen Macht, die das Swabhava bildet. Es ist die spirituelle Macht, die sich so manifestiert; es ist das Licht ihres Bewusstseins und die Macht ihrer Energie in den Dingen, die hier in einem reinen, ursprünglichen Zeichen geoffenbart sind, das die Selbst-Natur ist. Diese Kraft, dieses Licht, diese Macht sind der ewige Keim, aus dem alle anderen Dinge Entfaltungen, Abwandlungen, Ableitungen und plastische Umstände sind. Darum fügt die Gita als die allgemeinste Erklärung in die Aufzählung ein: „Erkenne Mich als den ewigen Keim von allem Seienden, O Sohn Prithas.“ Dieser ewige Keim ist die Macht des spirituellen Wesens, der bewusste Wille im Wesen, der Keim, von dem an anderer Stelle gesagt wird, dass ihn das Göttliche in das große Brahman, in die supramentale Weite hineinstreut, aus dem alles in das phänomenale Sein hineingeboren wird. Es ist die Saat des Geistes, der sich als die wesenhafte Art in allen Werdeerscheinungen offenbart und deren Swabhava bildet. (272-74)
7.9
Ich bin der reine Wohlgeruch der Erde, die Leuchtkraft im Feuer. Ich bin das Leben in jeglichem Sein. Ich bin die asketische Kraft in denen, die Askese üben.
7.10
Erkenne Mich als den ewigen Keim von allem Seienden, O Sohn Prithas. Ich bin die Intelligenz des Intelligenten, die Energie des Energetischen.
7.11
Ich bin die Stärke des Starken, der frei ist von Begehren und Neigung. Ich bin, O Herr der Bharatas, in den Wesen jenes Begehren, das nicht im Gegensatz zum Dharma steht.
Sehr klar wird am Ende der Reihe der praktische Unterschied angedeutet zwischen dieser ursprünglichen essentiellen Qualität und den phänomenalen Ableitungen niederer Art, zwischen dem Ding an sich in seiner Reinheit und dem Ding in seinen niederen Erscheinungsformen.
Wie kann es aber im Göttlichen ein Begehren, kāma, geben? Es wurde doch erklärt, dies Begehren, kāma, sei unser einziger großer Feind, der erschlagen werden muss. Jenes Begehren war aber das Begehren der niederen Art der Gunas, das seinen eigentlichen Ursprung im rajasischen Wesen hat, rajoguṇa-samudbhavaḥ. Dies niedere Begehren meinen wir gewöhnlich, wenn wir von Begehren sprechen. Jenes andere spirituelle Begehren ist ein Wille, der nicht im Widerspruch zum Dharma steht. Meint hier die Gita, dies spirituelle kāma sei ein tugendhaftes Begehren, seiner Art nach ethisch, ein sattwische Begehren –, denn Tugend ist immer sattwisch in ihrem Ursprung und ihrer Motiv-Kraft? Dann bestünde aber hier ein offensichtlicher Widerspruch, da schon in der unmittelbar folgenden Zeile von allen sattwischen Neigungen erklärt wird, sie seien nicht das Göttliche, sondern nur dessen niedere Ableitungen. Zweifellos soll Sünde aufgegeben werden, wenn man irgendwie der Gottheit nahekommen will. Aber ebenso müssen wir auch über die Tugend hinauskommen, wenn wir in das Göttliche Wesen eingehen wollen. Wir müssen die sattwische Natur erlangen, sollen aber über sie hinauskommen. Das ethische Wirken ist nur ein Mittel zur Läuterung, durch das wir uns zur göttlichen Art erheben können. Unsere Art muss aber noch höher, über die Gegensatzpaare hinaus, emporsteigen. In Wirklichkeit könnte es anders keine reine göttliche Gegenwart oder göttliche Kraft im starken Menschen geben, wenn er den rajasische Leidenschaften unterworfen ist. Dharma im spirituellen Sinn ist keine Moralität oder Ethik. Dharma, so sagt die Gita an anderer Stelle, ist ein von Swabhava d. h. vom wesenhaften Gesetz unserer Art regiertes Wirken. Dies Swabhava ist in seinem Kern die reine Qualität des Geistes in seiner charakteristischen Kraft des Handelns. Das hier gemeinte Begehren ist also der absichtsvolle Wille des Göttlichen in uns, das nicht die Lust der niederen Prakriti sucht und findet, sondern das Ananda seines eigenen Spiels und seiner Selbst-Erfüllung. Es ist das Begehren, das Trachten nach der göttlichen Wonne des Daseins, das seine eigene bewusste Kraft des Handelns im Einklang mit dem Gesetz des Swabhava entrollt. (274-75)
7.12
Und auch die zweitrangigen subjektiven Werdeformen der Natur, bhāvāḥ, (die mentalen Zustandsformen, die Gefühle des Verlangens, die Regungen der Leidenschaft, die Reaktionen der Sinne, das begrenzte, in Gegensätzen verlaufende Spiel der Vernunft und die Wandlungen der Gefühle und des moralischen Sinnes), die sattwisch, rajasisch und tamasisch sind, rühren in Wahrheit von Mir her. Aber Ich bin nicht in ihnen; sie sind es, die in Mir sind.
Was ist aber damit gemeint, wenn gesagt wird, das Göttliche sei nicht in den Werdeformen, den Gestaltungen und Neigungen der niederen Art, auch nicht im Sattwa, obwohl diese alle doch in seinem Wesen sind? In gewissem Sinn muss Gott offensichtlich in ihnen sein, sonst könnten sie nicht existieren. Gemeint ist aber, dass die wahre und höchste spirituelle Natur des Göttlichen in sie nicht eingeschlossen ist. Jene sind nur Phänomene innerhalb seines Wesens, die aus ihm durch die Wirksamkeit des Ego und die Unwissenheit erschaffen sind. Die Unwissenheit stellt uns alles in umgekehrter Sicht und in einer zumindest partiell verfälschten Erfahrung dar. Wir stellen uns vor, die Seele sei im Körper; sie sei beinahe ein Ergebnis, ein Derivat des Körpers. So fühlen wir es auch. Doch ist es der Körper, der in der Seele ist. Er ist ein Ergebnis der Seele und von ihr hergeleitet. Wir denken, der Geist sei ein kleiner Teil von uns („der Purusha, der nicht größer als der Daumen ist“), der in dieser ungeheuren Masse von materiellen und mentalen Phänomenen enthalten sei. In Wirklichkeit ist diese letztere bei all ihrer imponierenden Erscheinung doch nur ein winziges Ding in der Unendlichkeit des Wesens des Geistes. So ist es auch hier: In genau dem gleichen Sinn befinden sich die Dinge mehr im Göttlichen, als dass das Göttliche in diesen Dingen wäre. Diese niedere Art der drei Gunas, die eine so falsche Sicht der Dinge bewirkt und ihnen einen niederen Charakter auferlegt, ist Maya, eine Macht der Illusion. Hierdurch ist aber nicht gemeint, dass das alles nicht-seiend sei oder dass wir es mit Unwirklichkeiten zu tun hätten, vielmehr dass Maya unsere Erkenntnis verwirrt, falsche Werte erschafft, uns in Ego, Mentalität, Sinnlichkeit, Körperlichkeit, begrenzte Intelligenz hüllt. Dadurch verbirgt sie vor uns die höchste Wahrheit unseres Seins. Diese Maya, die solche Illusionen hervorruft, verhindert, dass wir das Göttliche erkennen, das wir selbst sind, den unendlichen und unzerstörbaren Geist… Wenn wir sehen könnten, dass dieses Göttliche die wirkliche Wahrheit unseres Seins ist, würde sich auch alles Übrige für unsere Betrachtung verändern. Es würde seinen wahren Charakter annehmen. Unser Leben und Handeln würde die göttlichen Werte gewinnen und sich innerhalb des Gesetzes der göttlichen Natur bewegen. (275-76)
7.13
Durch diese drei Formen des Werdens, die von der Art der Gunas sind, wird diese ganze Welt verwirrt. Sie erkennt Mich nicht, der Ich erhaben jenseits von ihnen bin und unvergänglich.
7.14
Dies ist Meine göttliche Maya der Gunas, und sie ist kaum zu überwinden. Über sie hinaus gelangen nur jene, die Meine Nähe suchen.
Warum ist es so schwer, diese Maya zu überwinden, māyā duratyayā, da es doch schließlich das Göttliche gibt und die göttliche Natur sich an der Wurzel gerade dieser verwirrenden Ableitungen vorfindet; da wir doch Jiva sind; da der Jiva jenes ist? Weil dies noch die Maya des Göttlichen ist, daivī hyeṣā guṇamayī mama māyā. „Dies ist Meine göttliche Maya der Gunas.“ Maya selbst ist göttlich und eine Entfaltung aus der Art des Göttlichen, aber des Göttlichen in der Art der Götter. Es ist daivī, von der Art der Gottheiten oder, wenn man so will, der Gottheit, jedoch von der Art der Gottheit in ihren zerteilten subjektiven und niederen kosmischen Aspekten des Sattwa, Rajas und Tamas. Die Gottheit hat um unser Verstehen einen kosmischen Schleier gesponnen. Brahma, Vishnu und Rudra haben ihre komplexen Gespinste gewoben. Die Shakti, die Erhabene Natur ist dort verborgen in dem Grundmuster des Gewebes und in all seinen Fäden. Wir müssen diese Gewebe in uns selbst verarbeiten und uns durch es hindurch- und aus ihm herauswinden. Wir müssen es hinter uns lassen, wenn sein Verwendungszweck erfüllt ist. Wir sollen uns, weg von den Göttern, hinwenden zu der ursprünglichen und höchsten Gottheit. In diesem Gott werden wir zugleich auch den eigentlichen Sinn der Götter erkennen, ihr Wirken und die innersten spirituellen Wahrheiten unseres eigenen unvergänglichen Seins verstehen. „Die sich Mir zuwenden und zu Mir kommen, sie allein schreiten über diese Maya hinaus.“ (276-77)

Die Synthese von Hingabe und Wissen
Die Gita ist keine Abhandlung über metaphysische Philosophie, obwohl gelegentlich auf ihren Seiten eine Menge metaphysischer Gedanken auftaucht. Aber hier wird keine metaphysische Wahrheit um ihrer selbst willen zum Ausdruck gebracht. Die Gita sucht die höchste Wahrheit um ihrer höchsten praktischen Verwendbarkeit willen, nicht zur intellektuellen, auch nicht zur spirituellen Befriedigung. Vielmehr forscht sie nach der Wahrheit, die uns errettet und uns den Übergang aus unserer gegenwärtigen sterblichen Unvollkommenheit in die unsterbliche Vollkommenheit eröffnet. Nachdem sie uns in den ersten vierzehn Versen dieses Kapitels eine wegweisende philosophische Wahrheit mitgeteilt hat, deren wir bedürfen, beeilt sie sich nun in den nächsten sechzehn Versen, diese sofort praktisch anzuwenden. Sie macht sie zum wichtigen Ausgangspunkt für die Vereinigung von Wirken, Wissen und Hingabe –, denn die einleitende Synthese von Wirken und Wissen an sich ist bereits vollzogen worden.
Drei Mächte haben wir vor uns: den Purushottama als die höchste Wahrheit dessen, in das wir emporwachsen müssen, das Selbst und den Jiva. Wir können das auch so sagen: Es gibt den Erhabenen, es gibt den apersonalen Geist, und es gibt die vielfältige Seele, die zeitlose Grundlegung unserer spirituellen Persönlichkeit, das wahre ewige Individuum, mamaivāṁśaḥ sanātanaḥ. Alle drei sind göttlich; alle drei sind das Göttliche. Die höchste spirituelle Natur des Wesens, Para Prakriti, ist die Natur des Purushottama, der frei ist von jeder Eingrenzung durch die beschränkende Unwissenheit. Im apersonalen Selbst gibt es die gleiche göttliche Natur, doch ist sie hier im Zustand ewiger Ruhe, Ausgewogenheit, Inaktivität, Nivritti. Schließlich wird Para Prakriti, um aktiv, Pravritti, zu sein, zur vielfältigen spirituellen Persönlichkeit, zum Jiva. Aber die wesentliche Aktivität dieser höchsten Natur ist immer das spirituelle, göttliche Wirken. Diese Kraft der höchsten göttlichen Natur, der bewusste Wille des Wesens des Erhabenen, verströmt sich in verschiedenartiger wesenhafter und spiritueller Begabtheit (Seinsmacht) im Jiva: Diese wesenhafte Macht des Jiva ist sein Swabhava. Alles Handeln und Werden, das unmittelbar aus dieser spirituellen Kraft hervortritt, ist göttliches Werden und reine spirituelle Wirksamkeit. Daraus folgt, dass das menschliche Individuum im Handeln mit seinem Bemühen zu seiner wahren spirituellen Persönlichkeit zurückgehen und danach trachten muss, all sein Wirken der Macht ihrer erhabenen Shakti entströmen zu lassen. Der Mensch soll sein Handeln durch die Seele entfalten, durch sein innerstes, eigentliches Wesen, nicht durch die mentale Idee und das vitale Begehren. So soll er all seine Handlungen in ein reines Ausströmen des Willens des Erhabenen umwandeln und aus seinem ganzen Leben ein dynamisches Symbol der Göttlichen Natur machen. (278-79)
7.15
Die Übeltäter gelangen nicht zu Mir, jene verwirrten Seelen auf niederer menschlicher Stufe. Denn ihr Wissen wird ihnen weggerissen von Maya, und sie nehmen ihre Zuflucht in der Wesensart des Asura.
Diese Verwirrung kommt daher, dass das irreführende Ego die Seele in der Natur narrt. Der Übeltäter kann deshalb nicht zum Erhabenen gelangen, weil er immer wieder versucht, seinen Götzen, das Ego, auf der niedersten Stufe der menschlichen Art zu befriedigen. Sein wirklicher Gott ist dies Ego. Fortgerissen von den Unternehmungen der Maya der drei Gunas, sind sein Mental und sein Wille nicht Werkzeug des Geistes, sondern willige Sklaven oder sich selbst betrügende Werkzeuge seiner Begehrlichkeiten. (280)
Von Anfang an hat die Gita als allererste Voraussetzung für die göttliche Geburt, für das höhere Sein, das Abtöten des rajasischen Begehrens und seiner Abkömmlinge verlangt; und das bedeutet die Ausmerzung der Sünde. Sünde ist die Wirksamkeit der niederen Art zur groben Befriedigung ihrer eigenen unwissenden, dumpfen oder heftigen Neigungen, die dem Rajas oder Tamas entstammen, in Auflehnung gegen jede hohe Selbst-Kontrolle und Selbst-Beherrschung der Natur durch den Geist. Damit wir diesen groben Zwang auf unser Wesen durch die niedere Prakriti mit ihren niederen Erscheinungsformen loswerden, müssen wir unsere Hilfe bei der höchsten Erscheinungsform dieser Prakriti, beim Sattwa, suchen, das immer ein harmonisches Licht der Erkenntnis und eine rechte Ordnung des Handelns sucht. Der Purusha, die Seele in uns, die in der Natur dem verschiedenartigen Antrieb der Gunas zustimmt, muss dem sattwischen Impuls und dem sattwischen Willen und Temperament in unserem Wesen, das nach einer solchen Lenkung sucht, seine Sanktion erteilen. Der sattwische Wille in unserem Wesen muss uns regieren, nicht der Wille von Rajas und Tamas. Darin liegt die Bedeutung aller hohen Vernunft im Handeln wie auch aller wahren ethischen Kultur. Das ist das Gesetz der Natur in uns, die danach ringt, sich aus ihrer niederen, ungeordneten Wirkensweise zu ihrer höheren, geordneten zu entwickeln. Eigentlich wollen wir nicht in Leidenschaft und Unwissenheit mit dem Ergebnis von Kummer und Unruhe handeln, sondern im Wissen und mit erleuchtetem Willen, woraus dann inneres Glück, Ausgeglichenheit und Friede folgen. Wir können nicht über die drei Gunas emporkommen, wenn wir nicht zuerst in uns selbst die Vorherrschaft der höchsten Guna, des Sattwa, entfalten. (280)
Darum soll der Mensch zuerst sittlich werden, sukṛtī, und danach weiter emporsteigen zu Höhen, die jenseits einer nur sittlichen Lebensordnung liegen, zum Licht, zur Weite und Macht der spirituellen Art, wo er über den Zugriff der Gegensatzpaare und ihre Irreführung hinauskommt, dvandva-moha. Dort sucht er nicht mehr seinen persönlichen Vorteil oder sein Vergnügen, dort weicht er nicht mehr vor persönlichem Leid und Schmerz zurück. Denn er wird davon nicht mehr berührt und sagt auch nicht mehr „ich bin tugendhaft“ oder „ich bin sündig“. Vielmehr handelt er durch den Willen des Göttlichen in seiner eigenen erhöhten spirituellen Art für das allgemeine Wohl. Wir haben schon gesehen, dass für dieses Ziel Selbsterkenntnis, Gelassenheit, Apersonalität die ersten notwendigen Voraussetzungen sind und dass dies der Weg des Ausgleichs zwischen Wissen und Wirken, zwischen Spiritualität und dem Wirken in der Welt, der Synthese zwischen dem immer unbeweglichen Quietismus des zeitlosen Selbsts und dem ewigen Spiel der pragmatischen Energie in der Natur ist. Aber die Gita weist jetzt noch auf etwas anderes hin, das für den Karmayogin noch unumgänglicher notwendig ist, wenn er seinen Yoga des Wirkens mit dem Yoga des Wissens in Einklang gebracht hat. Jetzt werden von ihm nicht allein Wissen und Wirken erwartet, sondern auch bhakti, Ergebenheit dem Göttlichen gegenüber, Liebe, Anbetung und das Verlangen der Seele nach dem Höchsten. (281-82)
7.16
Unter den Tugendhaften, die sich Mir mit Hingabe zuwenden, O Arjuna, gibt es vier Arten von Bhaktas: die Zuflucht suchenden Verzweifelten, die nach dem Guten in der Welt Strebenden, die Erkenntnis Suchenden, und, O Herrscher der Bharatas, die Mich mit Wissen anbeten.
Wir können sagen, diese Wege sind in ihrer Aufeinanderfolge das Bhakti der vital-emotionalen Natur und der tieferen Gefühle, das der praktischen und dynamischen Art, das logisch denkender und intellektueller Art, schließlich das des höchsten intuitiven Wesens, das alle übrigen Seiten der Natur in die Einung mit dem Göttlichen empornimmt. Unter praktischen Gesichtspunkten können die anderen als vorbereitende Bewegungen angesehen werden. Denn die Gita sagt selber, man könne nur am Ende vieler Lebensabläufe, wenn man das integrale Wissen besitzt und im Verlauf von zahlreichen Leben in sich selbst ausgearbeitet hat, zum Transzendenten gelangen. Denn die Erkenntnis, dass das Göttliche alle Dinge ist, die es gibt, sei schwer zu erlangen, und selten ist auf Erden die große Seele, mahātmā, die fähig ist, ihn so in seiner Fülle zu schauen und mit ganzem Wesen in ihn, in jede Seite seiner Natur, durch die große Macht dieser allumfassenden Erkenntnis einzugehen, sarvavit sarvabhāvena. (284-85)
7.17
Der Beste von ihnen ist der Wissende, der in stetem Einssein mit Gott und dessen Bhakti ganz auf Ihn konzentriert ist. Denn er liebt Mich in vollkommener Weise und wird von Mir geliebt.
Diese einzige hingebungsvolle Verehrung ist sein ganzes Lebensgesetz. Er ist über alle Dogmen religiösen Glaubens hinausgekommen, über alle Verhaltensregeln und persönlichen Lebensziele. Er hat keine Kümmernisse, die geheilt werden müssten, denn er ist im Besitz des Allseligen. Er hat keine sehnsüchtigen Wünsche, nach deren Erfüllung er hungert, denn er besitzt das Höchste und das All und ist nahe bei der All-Macht, die alle Erfüllung bringt. Ihm bleiben auch nicht Zweifel oder vergebliches Suchen, denn alles Wissen strömt auf ihn hernieder aus dem Licht, in dem er lebt. Er liebt in vollkommener Weise das Göttliche und ist dessen Geliebter. Denn er findet seine Freude im Göttlichen, und das Göttliche erfreut sich auch an ihm. Das ist der Gott-Liebende, der das Wissen besitzt, jñānī bhakta. (287-88)
7.18
Edel sind all diese Bhaktas, ohne Ausnahme. Aber der Wissende ist wahrlich Mein Selbst. Denn als sein oberstes Ziel hat er Mich angenommen, den Purushottama, mit dem er eins ist.
7.19
Am Ende von vielen Geburten gelangt der Wissende zu Mir. Wie wirklich selten ist doch die große Seele, die weiß, dass Vasudeva, das allgegenwärtige Wesen, all das ist, was ist!
Und von diesem Wissenden sagt die Gottheit in der Gita: Er ist mein Selbst. Die anderen erfassen nur Motivkräfte und Aspekte in der Natur. Er aber erfasst das eigentliche Selbst-Sein und das All-Wesen des Purushottama, mit dem er vereint ist. Ihm wird die göttliche Geburt in die höchste Natur zuteil, integral im Wesen, vervollständigt im Willen, absolut in Liebe, vollendet im Wissen. In einem solchen Menschen findet das kosmische Sein des Jiva seine volle Rechtfertigung, denn er ist über sich selbst hinausgekommen und hat so die eigene ganze und höchste Wahrheit seines Wesens gefunden. (288)
7.20
Irregeleitet werden die Menschen durch verschiedene äußere Begehren, die sie der Wirkung der inneren Erkenntnis berauben. Sie halten sich dann an andere Gottheiten und stellen diese oder jene Regel auf, die das Bedürfnis ihrer Natur befriedigt.
7.21
Den Glauben, mit dem ein hingebungsvoller Verehrer Mich in irgendeiner Gestalt anzubeten wünscht, diesen seinen Glauben mache Ich stark und behüte ihn vor dem Abirren.
7.22
Mit solchem Glauben begabt, betet er diese Gestalt an; und durch die Kraft eines solchen Glaubens in Kult und Anbetung erlangt er die Erfüllung seiner Begehren. Denn Ich selbst bin es, der (in jener Gestalt) ihm diese Früchte zuteil werden lässt.
7.23
Aber die Früchte sind vorübergehender Natur, nach ihnen streben jene von geringer Intelligenz und ungebildeter Vernunft. Zu den Göttern kommen die, die die Götter verehren. Doch zu Mir gelangen jene, die Mir hingegeben sind.
Insoweit man auf diesem Weg überhaupt ein spirituelles Ziel erreicht, endet der Weg bei den Göttern. Was man in Wirklichkeit erkennt und verwirklicht, ist das Göttliche in Gestaltungen von veränderlicher Art, deren Gaben er ihnen gewährt. Jene aber, die die erhabene und integrale Gottheit verehren, umfassen mit ihrer Liebe dies alles und wandeln es um, heben die Götter zu ihren höchsten Eigenschaften und die Natur zu ihren höchsten Gipfeln empor und schreiten über diese hinweg, weiter fort zur wahren Gottheit. Sie erkennen die Wirklichkeit des Transzendenten und gelangen zu ihm, devān deva-yajo yānti mad-bhaktā yānti mām api. Dennoch weist die erhabene Gottheit die Verehrer der unvollkommenen Schau keineswegs zurück. Denn das Göttliche, der Ungeborene, durch nichts zu Mindernde, der all diesen partiellen Manifestationen Überlegene, kann in seinem höchsten transzendenten Wesen nicht leicht von einem lebenden Geschöpf erkannt werden. (286)
7.24
Die mit kleinem Verstand denken von Mir, dem Ungeoffenbarten, Ich sei durch Meine Offenbarung beschränkt; denn sie kennen nicht Meine erhabene Wesensart, die unvergängliche, höchst vollkommene.
7.25
Auch bin Ich nicht allen offenbar, da Ich in Meine Yoga-Maya eingehüllt bin. Die verwirrte Welt kennt Mich, den Ungeborenen, den Unvergänglichen, nicht.
Er hat sich in diesen weltweiten Mantel seiner Maya, in diese Maya seines Yoga, selbst eingehüllt, durch den er eins ist mit der Welt und dennoch über ihr steht. Er ist immanent, jedoch verborgen. Er hat seinen Sitz in allen Herzen, ist aber nicht allem und jedem Wesen offenbar. Der Mensch in der Natur denkt, diese Manifestationen in der Natur sind allesamt das Göttliche, während sie doch nur seine Werke, seine Mächte und seine Verhüllungen sind. Alles vergangene, alles gegenwärtige und alles künftige Seiende kennt er; aber niemand hat ihn je erkannt. Könnten die Menschen, die er so durch seine Wirkensweisen in der Natur verwirrt hat, ihm nicht in diesen allen begegnen, dann gäbe es für Mensch oder Seele, die in Maya sind, nirgends eine göttliche Hoffnung. Wenn sie sich ihm deshalb im Einklang mit ihrer Art nahen, nimmt er ihr Bhakti an und antwortet mit göttlicher Liebe und göttlichem Mitleid. Letztlich sind diese Gestaltungen eine gewisse Art von Manifestation, durch die die unvollkommene menschliche Intelligenz mit ihm in Verbindung treten kann. Diese Wünsche sind das erste Mittel, durch das sich unsere Seele zu ihm hinwenden können. Darum ist keine Verehrung des Göttlichen wertlos oder unwirksam, wie groß auch ihre Begrenztheit sein mag. Sie bedarf aber der einen großen, notwendigen Sache: Des Glaubens. „Den Glauben, mit dem ein hingebungsvoller Verehrer Mich in irgendeiner Gestalt anzubeten wünscht, diesen seinen Glauben mache Ich stark und behüte ihn vor dem Abirren.“ Durch die Kraft dieses Glaubens erlangt er in seinem Kultus und Gottesdienst die Erfüllung seines Begehrens und die spirituelle Verwirklichung, zu der er im Augenblick fähig ist. Indem er alles Gute vom Göttlichen ersucht, wird er zuletzt dazu gelangen, dass er im Göttlichen all sein höchstes Gut sucht. Indem er wegen seiner Freude vom Göttlichen abhängig ist, wird er lernen, all seine Freude fest im Göttlichen zu gründen. Indem er das Göttliche in seinen Gestaltungen und Seinsweisen erkennt, wird er dahin gelangen, das Göttliche als das All und als den Transzendenten zu erkennen, der der Ursprung aller Dinge ist.
So wird durch spirituelle Entwicklung die Hingabe eins mit dem Wissen. Der Jiva erlebt immer mehr seine Seligkeit in der einen Gottheit –, in dem Göttlichen, das erkannt wird als alles Sein, alles Bewusstsein und alle Wonne, als alle Dinge, Wesen und Geschehnisse in der Natur, die im Selbst erkannt und als das erkannt werden, was über das Selbst und die Natur hinausgeht. (286-87)
Vor uns haben wir nun drei eng miteinander verbundene Bewegungen zu unserer Befreiung aus der gewöhnlichen menschlichen Natur und unser Hineinwachsen in das göttliche und spirituelle Wesen. (282)
7.26
Ich weiß um alles vergangene, alles gegenwärtige und alles zukünftige Seiende, O Arjuna, aber Mich kennt noch keiner.
7.27
Durch die Täuschung der Gegensätze, die ihren Ursprung in Wunsch und Abneigung haben, O Bharata, werden alle Wesen der Schöpfung in die Verwirrung geführt.
Das ist die Unwissenheit, der Egoismus, der versagt, das Göttliche überall zu sehen und zu ergreifen, weil er nur auf die Gegensätze in der Natur sieht und sich ständig mit seiner eigenen gesonderten Persönlichkeit und mit dem beschäftigt, was diese sucht und wovor sie zurückschreckt. Wenn wir aus diesem Teufelskreis herauskommen wollen, ist es für unser Wirken zuallererst nötig, dass wir uns fernhalten von der Sünde des vitalen Ego, vom Feuer der Leidenschaft, vom Tumult des Begehrens der rajasischen Natur. Das soll durch den beruhigenden Impuls des Sattwa des ethischen Wesens geschehen. (282)
7.28
Doch standhaft in ihrem Gelübde, sich Mir zu weihen, verehren Mich die Menschen edlen Handelns, in denen die Sünde zu Ende gekommen ist und die frei geworden sind von der Täuschung der Gegensätze.
Wenn das getan ist, yeṣāṁ tvantagataṁ pāpaṁ janānāṁ puṇyakarmaṇām –, oder vielmehr während das getan wird, denn nach einem gewissen Punkt bewirkt alles Wachsen in der sattwischen Art zunehmende Fähigkeit zur tiefen Ruhe, Gelassenheit und Erhabenheit –, wird es nötig, dass wir uns über die Gegensatzpaare erheben und apersonal, ausgeglichen, ein einziges Selbst mit dem Unwandelbaren und ein einziges Selbst mit allem Seienden werden. Dieser Prozess des Wachsens in den Geist vollendet unsere Läuterung. Aber während das geschieht und die Seele sich in die Erkenntnis des Selbstes ausweitet, soll sie auch an Hingabe zunehmen. Denn sie soll nicht nur in einem umfassenden Geist der Gelassenheit handeln, sondern auch dem Herrn Opfer darbringen, jener Gottheit in allen Wesen, die die Seele noch nicht vollkommen erkennt, die sie aber dann integral erkennen kann, samagraṁ mām, wenn sie kraftvoll und sicher die Schau des einen Selbsts überall und in allen Seienden besitzt. Wenn die Gelassenheit und die Schau der Einheit vollkommen gewonnen sind, te dvandva-moha-nirmuktāḥ, wird höchstes Bhakti, eine allumfassende Hingabe an das Göttliche, zum ganzen und einzigen Gesetz des Menschen. Jede andere Verhaltensregel wird eingeschmolzen in diese Überantwortung, sarva-dharmān parityajya. Die Seele wird dann stark in diesem Bhakti und in dem Gelübde, all ihr Wesen, Wissen und Wirken als Opfer darzubringen. Denn jetzt hat sie als gesicherten Grund, als absolutes Fundament für ihr Dasein und Handeln, das vollkommene, integrale, vereinigende Wissen der alles verursachenden Gottheit, te bhajante māṁ drṛḍha-vratāḥ. (282-83)
Die erste Bedingung für die wirkungsstarke Kraft dieser Liebe ist integrales Wissen bei unserer Selbst-Hingabe. Deshalb sollen wir zuerst den Purusha in allen Mächten und Prinzipien seines göttlichen Seins erkennen, tattvataḥ, in seiner vollkommenen Harmonie, seiner ewigen Wesenheit und seinem lebendigen Prozess. Für das Denken des Altertums lag aber der ganze Wert dieser Erkenntnis, tattvajñāna, in ihrer Macht, uns aus unserer sterblichen Geburt in die Unsterblichkeit höchsten Seins zu erlösen. Darum fährt die Gita zunächst damit fort, uns zu zeigen, wie diese Befreiung, auch in ihrem höchsten Grad, letztlich das Ergebnis ihrer eigenen Bewegung zur spirituellen Selbst-Erfüllung ist. Die Erkenntnis des Purushottama, so sagt sie im wesentlichen, ist die vollkommene Erkenntnis des Brahman. (290-91)
7.29
Jene, die ihre Zuflucht ganz zu Mir nehmen, jene, die sich Mir zuwenden in ihrem spirituellen Bemühen um Befreiung von Alter und Tod (vom sterblichen Wesen und dessen Beschränkungen), gelangen dahin, jenen Brahman zu erkennen und die Vollständigkeit der spirituellen Natur und die Ganzheit des Karma.
7.30
Weil sie Mich erkennen, gleichzeitig um die materielle und die göttliche Natur des Seins wissen und die Wahrheit über den Herrn des Opfers kennen, darum behalten sie das Wissen über Mich auch im kritischen Augenblick ihres Abscheidens aus dem körperlichen Sein und in jenem Augenblick ihr ganzes Bewusstsein fest mit Mir geeint.
Darum gelangen sie zu Mir (dem Purushottama). Nicht mehr an das sterbliche Sein gebunden, erlangen sie den allerhöchsten Zustand des Göttlichen ebenso vollkommen wie jene anderen, die ihre gesonderte Persönlichkeit im apersonalen und bewegungslosen Brahman verlieren. Damit beschließt die Gita das wichtige und entscheidende siebente Kapitel. (291)

8. Kapitel
Das erhabene Göttliche
In den letzten beiden Slokas haben wir gewisse Ausdrücke, die uns in knapper Form die hauptsächlichen wesenhaften Wahrheiten der Manifestation des höchsten Göttlichen im Kosmos darstellen. Es finden sich hier alle seine Aspekte als der Urheber und Bewirker, alles, was die Seele bei ihrer Rückkehr zum integralen Selbst-Wissen angeht. Da steht zuerst jenes Brahman, tad brahma; zweitens adhyātma, das Prinzip des Selbsts in der Natur; dann adhibhūta und adhidaiva, das objektive und das subjektive Phänomen des Seins, zuletzt adhiyajña, das Geheimnis des kosmischen Prinzips von Wirken und Opfern. Krishna sagt geradezu: Ich, der Purushottama, māṁ viduḥ, der Ich über all diesen Dingen stehe, muss dennoch durch sie alle gesucht und durch die Mittel ihrer Beziehungen zueinander erkannt werden –, und das ist der einzige, vollständige Weg für das Bewusstsein des Menschen, der seinen Weg zurück zu Mir sucht. Diese Begriffe sind aber zunächst an sich nicht ganz klar, oder sie lassen zumindest verschiedene Auslegungen zu. Sie müssen in ihrer vollen Bedeutung präzise erklärt werden. Darum bittet Arjuna, der Schüler, sofort um ihre Erläuterung. Krishna antwortet ganz kurz –, nirgendwo verweilt die Gita sehr lange bei einer rein metaphysischen Erklärung. Sie bietet nur so viel, und dies auf eine Art, dass die Erläuterung der Seele diese Wahrheit zu dem Zweck deutlich macht, dass sie zu ihrer Erfahrung weiterschreiten kann. (291-92)
8.1
Arjuna sprach:
Was bedeutet tad brahman (das Absolute), was ist adhyātma (das Selbst), und was ist karma (das Handeln), O Purushottama? Und was wird als adhibhūta bezeichnet und was als adhidaiva (als erschaffener und als göttlicher Bereich)?
8.2
Was bedeutet adhiyajña in diesem Körper, O Madhusudana? Und wie kannst Du im entscheidenden Augenblick des Hinscheidens vom körperlichen Sein von dem erkannt werden, der selbstbeherrscht ist?
8.3
Der Erhabene sprach:
Akshara ist der erhabene Brahman: svabhāva (Wesensart) wird adhyātma genannt; Karma ist der Name, der dem Schöpfungsablauf, visargaḥ, gegeben wird, der alle Wesen und ihre subjektiven und objektiven Zustandsformen ins Dasein ruft.
Hier finden wir die universalen Prinzipien einzeln aufgeführt. Jenes Brahman, ein Ausdruck, der in den Upanishaden mehr als einmal für das selbst-seiende Wesen, im Gegensatz zum phänomenalen, verwendet wird, bedeutet bei der Gita offensichtlich das unwandelbare Selbst-Sein, der höchste Ausdruck für das Selbst des Göttlichen, auf dessen unveränderliche Ewigkeit alles Übrige, alles, was sich bewegt und entwickelt, gegründet ist, akṣaraṁ paramam. Unter adhyātma versteht sie svabhāva, die spirituelle Art und das Wesensgesetz der Seele in der höchsten Natur. Karma ist der Name, der dem schöpferischen Impuls und der kreativen Energie, visargaḥ, gegeben wird, die die Dinge aus diesem ersten wesenhaften Selbst-Werden, diesem Swabhava, hervortreten lässt und unter ihrem Einfluss das kosmische Werden des Seienden in Prakriti bewirkt, erschafft und ausarbeitet. Unter adhibhūta ist das ganze Ergebnis des veränderlichen Werdens zu verstehen, kṣaro bhāvaḥ. Mit adhidaiva ist der Purusha gemeint, die Seele in der Natur, das subjektive Wesen, das als den Gegenstand seines Bewusstseins dieses ganze veränderliche Werden seines wesenhaften Seins beobachtet und genießt, das hier durch das Karma in der Natur ausgearbeitet wird. Unter adhiyajña, dem Herrn des Wirkens und Opferns, verstehe Ich, sagt Krishna, Mich selbst, das Göttliche, die Gottheit, den Purushottama, der hier insgeheim dem Körper all dieser verkörperten Daseinsformen innewohnt. Darum fällt alles, was ist, in den Bereich dieser Formel. (292)
8.4
Adhibhūta ist kṣaro bhāva (die veränderliche Natur), adhidaiva ist der Purusha. Ich selbst bin der Herr des Opfers, adhiyajña, hier in diesem Körper, O Bester der verkörperten Wesen.
8.5
Wer seinen Körper verlässt und zur Zeit seines Endes im Gedenken an Mich weitergeht, erlangt Mein bhāva (das des Purushottama, Meinen Wesenszustand). Daran gibt es keinen Zweifel.
8.6
Wer jedoch am Ende den Körper aufgibt und dabei an irgendeine Gestaltung des Seins denkt, der erlangt jene Gestalt, O Kaunteya, zu dem die Seele während ihres körperlichen Lebens innerlich herangewachsen war.
Der in die Welt hineingeborene Mensch wandert seine Kreise zwischen Welt und Welt unter dem Wirken von Prakriti und Karma. Seine Formel heißt, Purusha in Prakriti: Was die Seele in ihm denkt, erwägt und tut, immer wird er zu diesem. Alles, was er gewesen ist, bestimmt seine gegenwärtige Geburt. Und alles, was er in diesem Leben bis hin zum Augenblick seines Todes ist, denkt und tut, bestimmt das, wozu er in den Welten des Jenseits und in den Lebensabläufen, die er noch zu leisten hat, werden wird. Wie die Geburt ein Werden ist, so ist auch der Tod ein Werden, keinesfalls ein Aufhören. Der Körper wird aufgegeben, aber die Seele geht weiter ihrer Wege, tyaktvā kalevaram. Viel hängt also davon ab, was der Mensch im kritischen Augenblick seines Weitergehens ist. Denn jene Werde-Gestaltung, auf die sein Bewusstsein zur Zeit des Todes fixiert ist und von der er immer in seinem Mental und Denken vor dem Tod erfüllt war, muss er erlangen, da Prakriti durch das Karma die Gedanken und Energien der Seele ausarbeitet. Das ist in Wirklichkeit ihre eigentliche Arbeit. Wenn also die Seele im Menschen den Zustand des Purushottama zu erlangen sucht, muss der Mensch zwei notwendige Voraussetzungen und Bedingungen erfüllen, bevor das möglich sein kann. Er muss zu seinen Lebzeiten auf der Erde sein ganzes inneres Leben auf dieses Ideal hin gestaltet haben. Und er muss seinem Streben und Wollen bei seinem Weitergehen treu bleiben. Krishna sagt: „Wer seinen Körper verlässt und zur Zeit seines Endes im Gedenken an Mich weitergeht, erlangt mein bhāva.“ Das ist dasjenige des Purushottama, dessen Seins-Zustand. Er ist mit dem ursprünglichen Sein des Göttlichen geeint. Das ist das höchste Werden der Seele, paro bhāvah, das letzte Ergebnis von Karma, wenn sie zu sich selbst und zu ihrem Ursprung zurückkehrt. Die Seele kommt heim zu jener wesenhaften Natur, nachdem sie hier das Spiel der kosmischen Evolution mitgemacht hat, das ihre wesenhafte, spirituelle Natur, ihre ursprüngliche Werde-Gestalt, svabhāva, verhüllt hatte, und wenn sie durch alle diese anderen Arten des Werdens ihres Bewusstseins hindurchgegangen ist, die nur ihre äußeren Erscheinungsformen, ihre Phänomene, sind, taṁ taṁ bhāvam. Durch diese Rückkehr findet die Seele ihr wahres Selbst, ihren wahren Geist. Sie erlangt den ursprünglichen Zustand als Seiendes, der, vom Gesichtspunkt der Rückkehr aus betrachtet, ein höchstes Werden ist, mad-bhāvam. In gewissem Sinn können wir auch sagen, sie wird Gott, da sie sich in einer letzten Transformation ihrer eigenen phänomenalen Natur und Existenz mit der Natur des Göttlichen eint.
Die Gita legt hier großes Gewicht auf das Denken und den Zustand des Mentals zur Zeit des Todes. Das ist für uns schwer verständlich, wenn wir nicht das anerkennen, was man die selbst-schöpferische Macht des Bewusstseins nennen könnte. Unser inneres Wesen will sich verwandeln in das, was das Denken, die innere Betrachtung, der Glaube, śraddhā, mit endgültigem Nachdruck festhält. Diese Tendenz wird zu einer entscheidenden Kraft, wenn wir zu jenen höheren spirituellen, aus dem Selbst entfalteten Erfahrungen weiterkommen, die weniger von den äußeren Dingen abhängig sind, als es unsere gewöhnliche, der äußeren Natur versklavte Psyche ist. Dabei können wir dann sehen, wie wir stetig immer mehr zu dem werden, worauf wir unser Mental fixiert halten und wonach wir ständig trachten. Darum bedeutet jedes Absinken des Denkens, jede Untreue des Gedenkens stets eine Verzögerung der Umwandlung oder ein Herabsinken in deren Ablauf und eine Rückkehr zu dem, was wir vorher gewesen sind, zumindest so lange, als wir unser neues Werden noch nicht in Substanz und unwiderruflich gefestigt haben. Ist das aber geschehen und für unsere Erfahrung zu etwas Normalem geworden, dann bleibt das Gedenken daran im Selbst gegenwärtig, da das nun zur natürlichen Form unseres Bewusstseins geworden ist. Im kritischen Augenblick, wenn wir die sterbliche Ebene des Lebens verlassen, wird ersichtlich, wie wichtig der dann erreichte Zustand unseres Bewusstseins ist. Solch eine rettende Macht kann aber nicht ein bloßes Gedenken erst auf dem Totenbett bewirken, wenn die ganze Grundhaltung unseres Lebens und unsere vergangene persönliche Lebensweise im Gegensatz dazu standen oder dies Gedenken nur ungenügend vorbereitet haben. Das hier vorgetragene Denken der Gita stimmt nicht überein mit den Ablässen und sakramentalen Gebräuchen populärer Religionen. Es hat nichts gemein mit den primitiven Vorstellungen, die die Absolution und letzte Ölung durch den Priester zu einem erbaulichen „christlichen“ Tod nach einem unerbaulichen profanen Leben, die Planung oder den Zufall eines Todes im geheiligten Benares oder am heiligen Ganges zu einer ausreichenden Mechanik der Erlösung machen. Das göttliche subjektive Werden, auf das sich das mentale Wesen im Augenblick des physischen Todes mit aller Kraft konzentrieren soll, yaṁ smaran bhāvaṁ tyajati ante kalevaram, muss schon vorher ein Zustand gewesen sein, in den die Seele jeden Augenblick während des physischen Lebens hineingewachsen war, sadā tad-bhāva-bhāvitaḥ. (294-96)
8.7
Darum gedenke Meiner zu allen Zeiten und kämpfe! Denn wenn dein Gemüt und dein Verstand immer fest auf Mich gerichtet und an Mich hingegeben sind, wirst du sicher zu Mir gelangen.
8.8
Denn wenn man immer seiner gedenkt mit einem Bewusstsein, das in einem unentwegten Yoga von ständiger Praxis mit ihm vereint ist, dann, O Partha, gelangt man zum göttlichen und erhabenen Purusha.
8.9-10
Dies erhabene Selbst ist der Seher, der Uralte der Tage, feiner als das Feinst-Stoffliche und (in der Schau und Weisheit seines ewigen Selbsts) der Meister und Gebieter allen Seins. Alle Dinge, die sind, setzt er in seinem Wesen an ihren rechten Ort. Unvorstellbar ist seine Gestalt. Er ist strahlend wie die Sonne jenseits von Dunkelheit. Wer zur Zeit seines Abscheidens an diesen Purusha mit unbewegtem Mental denkt, in seiner Seele gewappnet mit der Kraft des Yoga, in Bhakti eins geworden ist mit Gott und die Lebenskraft völlig emporgezogen hat und zwischen den Augenbrauen, dem Ort der mystischen Schau, konzentriert, er gelangt zu diesem höchsten, göttlichen Purusha.
Wir kommen hier zur ersten Beschreibung dieses höchsten Purusha –, der Gottheit, die noch mehr und größer ist als das Unwandelbare und der die Gita infolgedessen den Namen Purushottama gibt. Auch er ist in seiner zeitlosen Ewigkeit unwandelbar und steht weit jenseits aller Manifestation. Hier in der Zeit dämmern in uns nur flüchtige Ahnungen von seinem Wesen, die uns durch viele verschiedene Symbole und Verhüllungen mitgeteilt werden, avyakto kṣaraḥ. Trotzdem ist er nicht nur ein rein gestaltloses und ununterscheidbares Seiendes, anirdeśyam. Auch ist er nicht nur deshalb ununterscheidbar, weil er subtiler ist als die äußerste Feinheit, die unser Mental wahrnehmen kann, und weil die Gestalt des Göttlichen jenseits unseres Denkens ist, aṇor aṇīyāṁsam acintya-rūpam. (296)
Einung mit Gott durch Bhakti: Dies Geeintsein durch Liebe wird hier nicht durch die gestaltlose Vereinigung mittels der Erkenntnis überhöht; es bleibt bis zum Ende ein Teil der höchsten Kraft des Yoga. (297)
8.11
Diese erhabene Seele ist der unwandelbare, selbst-seiende Brahman, von dem die Veda-Kenner sprechen. Und er ist es, zu dem die Asketen eingehen, wenn sie die Neigungen ihres sterblichen Mentals hinter sich gelassen haben. Aus Verlangen nach ihm praktizieren sie die Kontrolle über die körperlichen Leidenschaften. Diesen Zustand will Ich dir jetzt in Kürze beschreiben.
Jene ewige Wirklichkeit ist die oberste Stufe, die Fußstütze, padam, des Wesens. Darum ist sie das höchste Ziel der Bewegung der Seele in der Zeit. Sie selbst ist aber an sich keine Bewegung, sondern ein ursprünglicher, ewig-dauernder und höchster Zustand, paraṁ sthānam ādyam. (297)
8.12-13
Wer alle Tore der Sinne verschlossen, das mentale Bewusstsein ganz in das Herz zurückgezogen, die Lebenskraft aus ihren diffusen Abläufen emporgenommen hat in das Haupt, die Intelligenz im Aussprechen der heiligen Silbe OM konzentriert und sein begreifendes Denken in der Erinnerung an die erhabene Gottheit, wer so seinen Körper aufgibt und weitergeht, gelangt zum höchsten Zustand.
Die Gita beschreibt den letzten Zustand des Mentals des Yogin, in dem er aus dem Leben durch den Tod hinübergeht in jenes höchste göttliche Sein… Das ist der festgelegte yogische Weg des Scheidens aus dem Leben, ein letztes Opfern des ganzen Wesens dem Ewigen, dem Transzendenten. Aber bis jetzt ist das nur der Verlauf des Vorgangs. Die wesentliche Voraussetzung ist das ständige, nicht abirrende Gedenken an das Göttliche im Leben, auch im Handeln, in der Schlacht – mām anusmara yudhya ca – und die Verwandlung des ganzen Lebensakts in einen ununterbrochenen Yoga, nitya-yoga. (297)
8.14
Der Yogin, O Partha, der sich Meiner ständig erinnert, der an niemand anderen denkt, der mit Mir im andauernden Einssein ist, findet es leichter, zu Mir zu gelangen.
8.15
Wenn diese großen Seelen zu Mir gekommen sind, kehren sie nicht wieder in die Geburt zurück, in den vergänglichen, leidvollen Zustand unseres sterblichen Wesens. Sie erreichen die höchste Vollkommenheit.
Der Zustand, den die Seele erlangt, wenn sie so aus dem Leben scheidet, ist ein suprakosmischer. Die höchsten Himmel der kosmischen Ebene sind einer Rückkehr zur Wiedergeburt unterworfen. Jener Seele aber, die aufbricht zum Purushottama, wird keine Wiedergeburt auferlegt. Darum wird jedes Ergebnis, das man aus dem sehnsuchtsvollen Streben nach Erkenntnis des unbestimmbaren Brahman erzielen kann, ebenso gewonnen durch dieses andere und umfassendere sehnsuchtsvolle Streben durch Erkenntnis, Wirken und Liebe nach der selbst-seienden Gottheit, nach ihm, der der Gebieter des Wirkens, der Freund der Menschheit und aller Wesen ist. Ihn so zu erkennen und ihn so zu suchen, fesselt uns nicht an die Wiedergeburt oder die Kette des Karma. Die Seele kann ihre Sehnsucht befriedigen und für immer dem vergänglichen und schmerzvollen Zustand unseres sterblichen Lebens entkommen. Und um dem mentalen Wesen dies Kreisen in der Runde der Geburten und das Entkommen aus ihr noch deutlicher zu machen, nimmt die Gita hier die alte Theorie von den kosmischen Zyklen an, die zu einem feststehenden Teil der indischen kosmologischen Erkenntnisse geworden ist. (297-98)
8.16
Die höchsten Himmel des kosmischen Plans sind noch der Rückkehr zur Wiedergeburt unterworfen. Jedoch wird keine Wiedergeburt jener Seele auferlegt, O Kaunteya, die zu Mir (dem Purushottama) kommt.
8.17
Jene, die einen Tag des Brahman, der eine Dauer von tausend Zeitaltern (Yugas) hat, und die Nacht, die tausend Zeitalter umschließt, kennen, sind die Kenner von Tag und Nacht.
Es gibt einen ewigen Zyklus von miteinander abwechselnden Perioden der kosmischen Manifestation und Nicht-Manifestation. Jede Periode wird dementsprechend ein Tag und eine Nacht des Schöpfers Brahma genannt. Sie sind an Zeit von gleicher Dauer. Der lange Äon, in dem er wirkt, dauert tausend Zeitalter. Der lange Äon, in dem er schläft, dauert weitere tausend schweigende Zeitalter. (298)
8.18
Beim Anbruch des Tages werden alle Manifestationen aus dem Nicht-Manifestierten heraus ins Dasein geboren. Beim Anbruch der Nacht vergehen sie alle oder werden in sie aufgelöst.
8.19
Diese Vielzahl von Daseinsformen tritt wieder und wieder hilflos in das Werden ein, wird zunichte gemacht mit dem Anbruch der Nacht, O Partha, und wird wieder ins Dasein geboren mit dem Beginn des Tages.
8.20
Aber dies Nicht-Manifestierte ist nicht die ursprüngliche Göttlichkeit des Seins. Es gibt noch einen anderen Zustand seines Daseins, einen supra-kosmisch Unmanifestierten, jenseits dieser kosmischen Nicht-Manifestation (der ewig in sich selbst ruht, kein Gegensatz zu diesem kosmischen Zustand der Offenbarung ist, aber weit darüber steht und, ihm ungleich, unveränderlich ist und ewig), der nicht gezwungen ist, zugrunde zu gehen mit dem Untergang all dieser Daseinsformen.
8.21
Dieser Zustand wird der Ungeoffenbarte, Unwandelbare genannt. Von ihm sprechen sie als von der erhabenen Seele und vom höchsten Zustand. Wer diesen erlangt, kehrt nicht zurück. Er ist Mein erhabener Ort im Sein.
Denn die Seele, die dorthin gelangt, ist dem Zyklus von kosmischer Manifestation und Nicht-Manifestation entronnen.
Ob wir nun diese kosmologische Auffassung annehmen oder zurückweisen – was von dem Wert abhängt, den wir dem Wissen der „Kenner des Tages und der Nacht“ beizulegen geneigt sind –, wichtig ist die Wendung, die die Gita ihr gibt. Man könnte sich leicht vorstellen, dass dies ewig nicht-manifestierte Sein, dessen Zustand offenbar nichts zu tun hat mit der Manifestation oder der Nicht-Manifestation, das ewig undefinierte und undefinierbare Absolute sein muss. Der geeignete Weg, zu ihm zu gelangen, wäre dann, dass wir loskommen von alledem, zu dem wir in der Manifestation geworden sind, dass wir nicht unser ganzes inneres Bewusstsein in einer kombinierten Konzentration der Erkenntnis des Mentals, der Liebe des Herzens, des Willens und der vitalen Lebenskraft unseres Yoga zu ihm emportragen. Besonders würde dann das Bhakti auf das Absolute unanwendbar erscheinen, da dieses leer ist von jeder Beziehung, avyavahārya. Die Gita besteht jedoch im nächsten Sloka darauf, dass – obwohl diese Zustandsform suprakosmisch und ewig ungeoffenbart ist – dieser höchste Purusha trotzdem durch Bhakti gewonnen werden muss… Mit anderen Worten dieser höchste Purusha ist nicht ein völlig beziehungsloses Absolutes, das fern und erhaben ist über unseren Illusionen. Er ist vielmehr der Seher, Schöpfer und Herrscher der Welten, kavim anuśāsitāram, dhātāram. Und nur, wenn wir Ihn als den Einen und als das Ganze erkennen und lieben, vaāsudevaḥ sarvam iti, sollten wir die erhabene Vollendung, die Vollkommenheit, die absolute Befreiung suchen, indem wir unser ganzes bewusstes Wesen in allen Dingen, allen Kräften, allem Wirken mit ihm einen.
Dann bringt die Gita einen eher eigentümlichen Gedanken, den sie von den Mystikern des frühen Vedanta übernommen hat. Sie nennt die verschiedenen Zeiten, zu denen der Yogin seinen Körper verlassen soll, je nachdem, ob er die Wiedergeburt sucht oder vermeiden will. (298-99)
8.22
Aber jener erhabene Purusha kann nur durch ein Bhakti gewonnen werden, das sich allein ihm zuwendet, in dem alle Wesen sind und durch den diese ganze Welt im Raum ausgebreitet wurde.
8.23
Jene Zeit will Ich dir noch erklären, O Bester der Bharatas, in der abscheidende Yogins nicht mehr zurückkehren, und auch jene, in der Yogins, die darin scheiden, wieder zurückkommen.
Welche psycho-physische Tatsache oder welcher Symbolismus hinter dieser Auffassung auch stehen mag1 –, sie stammt aus dem Zeitalter der Mystiker, die in jedem physischen Ding ein wirkungsstarkes Symbol für etwas Psychisches sahen und die überall einem Zusammenwirken zwischen beiden und einer Art von Identität zwischen Äußerem und Innerem, zwischen Licht und Wissen, dem Prinzip des Feuers und der spirituellen Energie nachspürten –, wir brauchen hier nur die Wendung zu beachten, mit der die Gita diesen Abschnitt beschließt: „Darum sei zu allen Zeiten im Yoga!“
Denn das ist schließlich das Wesentliche, dass wir unser ganzes Wesen eins werden lassen mit dem Göttlichen, so völlig und in jeder Beziehung eins, dass wir in natürlicher Weise und beständig fest und sicher in dieser Einung sind und dass wir so alles Leben, nicht nur das Denken und die Meditation, sondern auch das Handeln, die Arbeit und den Kampf zu einer ständigen Erinnerung an Gott machen. „Gedenke Meiner und kämpfe!“ bedeutet, dass wir das immer-gegenwärtige Denken an den Ewigen im Zusammenprall des Vergänglichen auch nicht einen einzigen Augenblick lang verlieren, das normalerweise unser mentales Wesen ganz gefangen nimmt. Das scheint schwer genug, fast unmöglich zu sein. Es ist in der Tat nur vollauf möglich, wenn wir die anderen Bedingungen erfüllen: Wenn wir in unserem Bewusstsein zu einem einzigen Selbst mit allen anderen geworden sind, zu einem einzigen Selbst, das für unser Denken stets das Göttliche ist, und wenn sogar unsere Augen und die anderen Sinne das Göttliche Wesen überall sehen und empfinden, so dass es uns zu gar keiner Zeit möglich ist, etwas nur als jenes zu fühlen und zu denken, das die unerleuchteten Sinne empfinden, sondern allein als die Gottheit, die zugleich in dieser Gestalt verborgen und geoffenbart ist. Und wenn unser Wille im Bewusstsein eins ist mit dem höchsten Willen und wenn jeder Akt von Willen, Mental und Körper so gefühlt wird, dass er von dorther kommt, dass er dessen Bewegung und ganz von ihm durchdrungen und identisch mit ihm ist, dann kann das, was die Gita fordert, vollständig getan werden. Diese Erinnerung an das Göttliche Wesen wird nicht mehr nur ein immer wieder unterbrochener Akt des mentalen Wesens sein, sondern die natürliche Voraussetzung all unserer Aktivitäten und in gewisser Beziehung die wirkliche Substanz unseres Bewusstseins. Der Jiva ist in den vollen Besitz seiner richtigen, natürlichen und spirituellen Beziehung zum Purushottama eingetreten. Nun ist unser ganzes Leben Yoga, Einssein, das vollendet ist und sich doch ewig neu vollendet. (299-300)
8.24-25
Diese Zeiten entsprechen den Gegensätzen von Feuer und Licht, Rauch und Nebel, Tag und Nacht, der hellen Hälfte des Mond-Monats und der dunklen, dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis. Während des ersten von den Gegensatz-Paaren gehen die Kenner Brahmans in Brahman ein. Aber während des zweiten gelangt der Yogin in das „Mond-Licht“ und kehrt darum wieder in die menschliche Geburt zurück.
8.26
Es sind die hellen und die dunklen Pfade (in den Upanishaden werden sie der „Pfad der Götter“ und der „Pfad der Väter“ genannt). Den einen nimmt jener, der nicht mehr zurückkehrt; den anderen der, der wiederkehrt.
8.27
Der Yogin, der sie kennt, wird nicht in die Irre geführt. Darum, O Arjuna, sei zu allen Zeiten im Yoga.
8.28
Wenn der Yogin dies weiß, lässt er die Frucht aller verdienstlichen Werke, die in den Veden genannt werden, der Opfer, der Verzichtleistungen und wohltätigen Gaben, weit hinter sich und gelangt zum höchsten und ewigen Zustand.

1 Die Yoga-Erfahrung zeigt tatsächlich, dass es eine wirkliche psycho-physische Wahrheit hinter dieser Idee gibt, die aber sicherlich in ihrer Anwendbarkeit nicht absolut ist. Das heißt: Es handelt sich hier um den inneren Kampf zwischen den Mächten des Lichts und den Mächten der Finsternis, wobei erstere dahin tendieren, dass sie ein natürliches Vorherrschen in den hellen Perioden des Tages oder Jahres, letztere jedoch in den dunklen Perioden besitzen. Und dieses Ringen um die Vorherrschaft mag dauern, bis der fundamentale Sieg gewonnen
9. Kapitel
Werke, Hingabe und Wissen
Bisher hat sich all die Wahrheit Schritt für Schritt so entfaltet, dass jeder einen neuen Gesichtspunkt des integralen Wissens herausstellte und auf ihn ein gewisses Ergebnis von spirituellem Zustand und Handeln gründete. Nun muss sie eine Wendung von außerordentlicher Bedeutung nehmen. Darum lenkt der Lehrer zuerst mit aller Sorgfalt die Aufmerksamkeit auf den entscheidenden Charakter dessen, was er jetzt zu sagen hat, damit Arjunas Mental aufgeweckt und aufmerksam wird. Denn er will dieses jetzt für die Erkenntnis und Schau des integralen Göttlichen öffnen und zur Vision des elften Kapitels hinführen, durch die der Krieger von Kurukshetra dessen bewusst wird, der der Urheber seines Wesens, seines Handelns und seiner Sendung ist: jener Gottheit im Menschen und in der Welt. Diesen Gott begrenzt und bindet nichts im Menschen und in der Welt. Denn alles geht aus ihm hervor, Ist eine Bewegung in seinem unendlichen Wesen, lebt weiter und wird gefördert durch seinen Willen, wird in seinem göttlichen Selbst-Wissen gerechtfertigt und hat ihn immer als Ursprung, Substanz und Ziel. Arjuna soll sich dessen bewusst werden, dass er allein in Gott existiert; dass er nur durch die Macht in seinem Inneren handelt, dass seine Unternehmungen nur eine Instrumentation des göttlichen Wirkens sind und dass sein egoistisches Bewusstsein nur ein Schleier ist und seiner Unwissenheit das wahre Wesen In seinem Inneren, das ein unsterblicher Funke und ein Teil der erhabenen Gottheit ist, falsch darstellt. (301)
9.1
Der Erhabene sprach:
Was Ich dir nun mitteilen will, da du kein Nörgler bist, ist das Geheimste, das essentielle Wissen, das mit allumfassender Erkenntnis verbunden ist. Wenn du dies weißt, wirst du vom Übel befreit werden.
9.2
Dies ist das Königs-Wissen, das Königs-Geheimnis (die Weisheit aller Weisheiten, das Geheimnis aller Geheimnisse). Es ist ein reines und erhabenes Licht, das man durch unmittelbare spirituelle Erfahrung nachprüfen kann. Es ist das rechte und wahrhaftige Wissen, das wirkliche Gesetz des Seins. Es ist leicht zu verwirklichen und unvergänglich.
9.3
(Aber Glaube ist nötig.) Die Seele, die es nicht fertigbringt, Glauben an die höhere Wahrheit und an das höhere Gesetz aufzubringen, O Parantapa, und nicht zu Mir gelangt, diese Seele muss wieder auf den Pfad des gewöhnlichen sterblichen Lebens zurückkehren (dem Tod, dem Irrtum und dem Übel unterworfen).
Denn das ist eine Wahrheit, die man im Leben verwirklichen muss. Sie muss im wachsenden Licht der Seele gelebt werden. Man kann sie nicht in der Finsternis des Mentals ausdiskutieren. Man muss in sie hineinwachsen, man muss sie werden –, das ist der einzige Weg, ihre Wirklichkeit zu bestätigen. Nur wenn wir über das niedere Selbst hinauskommen, können wir zum wirklichen göttlichen Selbst werden und die Wahrheit unseres spirituellen Seins leben. All die vordergründigen Wahrheiten, die man dieser Wahrheit entgegenhalten kann, sind nur die Scheinwahrheiten der niederen Natur. Die Befreiung vom Bösen und von den Mängeln der niederen Natur, aśubham, kann nur dadurch kommen, dass wir ein höheres Wissen annehmen, in dem all dies vordergründige Übel davon überzeugt wird, dass es letztlich etwas Unwirkliches ist und dass man es als eine Schöpfung unserer Finsternis aufzeigen kann. Damit wir aber so in die Freiheit der göttlichen Natur emporwachsen, müssen wir die Gottheit annehmen und an sie glauben, die insgeheim in unserer gegenwärtigen begrenzten Art da ist. Denn der Grund, warum dieser Yoga möglich ist und leicht praktiziert werden kann, liegt darin, dass wir, indem wir ihn praktizieren, alles Wirken dessen, was wir unserer Natur nach sind, in die Hand dieses inneren göttlichen Purusha geben. Gott bringt in uns die göttliche Geburt fortschreitend, einfach, unfehlbar dadurch zustande, dass er unser Wesen in das seinige empornimmt und es mit seinem eigenen Wissen und eigener Macht erfüllt, jñānadīpena bhāsvatā. Er legt seine Hand auf unsere dunkle unwissende Natur und wandelt sie um in sein Licht und seine Weite. Das, woran wir uns mit ganzem Glauben und ohne Egoismus halten und was wir unter seinem Antrieb sein wollen, das wird der Gott in unserem Inneren sicherlich zur Vollendung bringen. Aber das egoistische Mental und Leben, das wir jetzt und in unserer äußeren Erscheinung sind, muss sich zuerst zwecks Umwandlung dieser in unserem Inneren wohnenden geheimen Göttlichkeit überantworten. (310)
9.4
Durch Mich ist dieses ganze Universum in dem unbeschreiblichen Mysterium Meines Wesens ausgebreitet worden. Alle Daseinsformen haben ihren Stand in Mir, nicht Ich in ihnen.
Die Gita fährt dann fort, das höchste und integrale Geheimnis zu enthüllen, den einen Gedanken, die einzige Wahrheit, in der zu leben lernen muss, wer Vollkommenheit und Befreiung sucht, das einzige Gesetz der Vervollkommnung seiner spirituellen Wesensseiten und all ihrer Regungen. Dies höchste Geheimnis ist das Mysterium der transzendenten Gottheit. Gott ist alles und überall; und doch ist er so viel größer und anders als das Weltall und alle seine Gestaltungen, dass nichts hier ihn in sich enthält, nichts ihn wirklich zum Ausdruck bringt und keine Sprache, die von den Erscheinungen der Dinge in Raum und Zeit und ihren Verhältnissen entlehnt ist, die Wahrheit seines unbegreiflichen Wesens auch nur andeuten kann. Das hieraus folgende Gesetz für unsere Vervollkommnung ist anbetende Verehrung durch unser ganzes Wesen und seine Selbst-Überantwortung an diesen göttlichen Ursprung und Besitzer unserer selbst. Unser endgültiger Weg ist der, unser ganzes In-der-Welt-Sein, nicht nur dieses oder jenes in ihm, in eine einzige Bewegung hin zum Ewigen zu verwandeln. Durch die Macht und das Mysterium eines göttlichen Yoga sind wir hervorgetreten aus seinen unvorstellbaren Geheimnissen in diese gebundene Art der phänomenalen Dinge. Durch eine rückläufige Bewegung desselben Yoga müssen wir die Begrenzungen der phänomenalen Art überwinden und jenes mächtigere Bewusstsein erwerben, durch das wir im Göttlichen und im Ewigen leben können. (312)
9.5
Und doch haben alle Daseinsformen ihren Stand auch wieder nicht in Mir – verstehe Meinen göttlichen Yoga richtig! Es ist Mein Selbst, das alle Wesen trägt und deren Dasein begründet.
Es gibt einen Yoga göttlicher Macht, me yoga aiśvaraḥ, durch den der Erhabene Phänomene seiner selbst in einer spirituellen – nicht materiellen – Selbst-Formulierung seiner ausgebreiteten Unendlichkeit gestaltet, eine Selbst-Ausdehnung, von der das Materielle nur ein Abbild ist. (312)
9.6
Ebenso wie das weite, überall eindringende Prinzip der Luft im Prinzip des Äthers wohnt, so wohnen alle Daseinsformen in Mir. So musst du dies verstehen!
Das universale Sein ist alles durchdringend und unendlich. Und auch das Selbst-Seiende ist alles durchdringend und unendlich. Aber die selbst-seiende Unendlichkeit ist fest, statisch, unbeweglich. Das Universale ist alles durchdringende Bewegung, sarvatragaḥ. Das Selbst ist eines, es ist nicht die Vielen. Aber das Universale bringt sich als All-Sein zum Ausdruck und ist, wie es scheint, die Summe aller Daseinsformen. Das eine ist das Wesen; das andere ist die Macht des Wesens, die im Sein des zugrunde liegenden, alles fördernden unbeweglichen Geistes alles bewegt, erschafft und bewirkt. Das Selbst wohnt nicht in all diesen Seienden, auch nicht in einem von ihnen. Das heißt: keines von ihnen kann das Selbst zu seinem Inhalt machen, genauso wenig, wie der Äther hier Inhalt von irgendeiner Gestaltung ist, obwohl alle Formen schließlich aus dem Äther abgeleitet sind. Auch ist das Selbst nicht in der Gesamtheit aller Seienden enthalten und wird nicht von diesen allen zusammen gebildet, ebensowenig wie der Äther in Bewegung und Ausdehnung des Luft-Prinzips enthalten ist oder durch die Summe ihrer Gestaltungen oder Kräfte gebildet wird. Dennoch ist Gott auch in der Bewegung. Er bewohnt die Vielen als der Herr in jedem einzelnen Wesen. Diese seine beiden Verhältnisse gehören gleichzeitig zu seiner Wahrheit. (319)
9.7
Alle Daseinsformen, O Kaunteya, kehren am Ende eines Zyklus in Meine göttliche Natur zurück (aus den Aktivitäten der Natur in deren Unbeweglichkeit und Schweigen). Mit Beginn eines neuen Zyklus lasse Ich sie wieder aus Mir hervorgehen.
9.8
Indem Ich Mich mit allem Nachdruck auf Meine eigene Natur (Prakriti) stütze, erschaffe Ich diese Vielfalt von Daseinsformen (lasse Ich sie in ein unterschiedliches Dasein hervorgehen), die hilflos der Herrschaft der Natur unterworfen sind.
Unwissend ist der Jiva dem zyklischen Wirbel der göttliche Natur unterworfen, nicht Herr über sich selbst, vielmehr von ihr beherrscht, avaśaḥ prakṛter vaśāt. Nur wenn er zum göttlichen Bewusstsein zurückkehrt, kann er zu Herrschaft und Freiheit gelangen. Auch das Göttliche folgt dem Zyklus, doch nicht als ihm unterworfen, sondern als der ihn von innen gestaltende Geist und Lenker, nicht mit seinem ganzen Wesen ihm involviert, sondern ihn mit der Macht seines Wesens begleitend und gestaltend. (320)
9.9
Aber dies Wirken bindet Mich nicht, O Dhananjaya, denn Ich sitze wie unbeteiligt darüber, ohne dass Ich an diese Aktionen gebunden wäre.
Er ist die lenkende Kontrolle seiner eigenen Aktion der Natur, adhyakṣa, nicht ein in ihr geborener Geist, sondern der schöpferische Geist, der sie dazu veranlasst, das hervorzubringen, was in der Manifestation erscheint. In seiner Macht begleitet er sie und verursacht ihr ganzes Wirken. So ist er auch außerhalb von ihr wie jemand, der in suprakosmischer Herrschaft über der allumfassenden Aktion der Natur seinen Thron einnimmt. Er ist ihr nicht gebunden durch ein Begehren, das ihn in sie verwickelt oder ihn beherrscht, und deshalb auch nicht durch ihr Wirken gebunden, denn er überragt dieses in unendlicher Weise und geht ihm voraus. Er ist derselbe vor, während und nach all ihrem Fortschreiten in den Zyklen der Zeit. All ihre Veränderungen bewirken für sein unveränderliches Wesen keinen Unterschied. Das schweigende Selbst, das den Kosmos durchdringt und unterstützt, wird durch dessen Wandlungen nicht berührt, weil es nicht an ihnen teilhat, auch wenn es sie fördert. Dies mächtigste erhabene suprakosmische Selbst wird ebenfalls durch sie nicht beeinträchtigt, weil es sie überragt und ewig transzendiert.
Da aber auch diese Aktion die Tätigkeit der göttlichen Natur ist, svā prakṛtiḥ, und die göttliche Natur niemals vom Göttlichen getrennt sein kann, muss allem, was sie erschafft, die Gottheit immanent sein. Das ist eine Beziehung, die zwar nicht die ganze Wahrheit des Wesens Gottes ist; sie ist aber auch keine Wahrheit, die wir völlig übersehen dürfen. (320-21)
9.10
Ich bin der führende Herrscher über das eigene Wirken Meiner Natur, (nicht ein Geist, der in ihr geboren wurde, sondern) der schöpferische Geist, der sie veranlasst, all das hervorzubringen, was in der Manifestation erscheint. Aus diesem Grund, O Kaunteya, schreitet die Welt in Zyklen fort.
9.11
Irregeführte Gemüter missachten Mich, der Ich im menschlichen Körper wohne, denn sie erkennen Meine erhabene Wesens-Natur nicht, den Herrn aller Daseinsformen.
Das sterbliche Mental wird dadurch verwirrt, dass es sich in seiner Unwissenheit auf die Hüllen und äußeren Erscheinungen verlässt. Es sieht nur den äußeren menschlichen Körper, das menschliche Mental, die menschliche Lebensweise. Es ahnt nicht einmal flüchtig die Gottheit, die im Geschöpf ihre Wohnung hat. Es hat keine Kenntnis von der Gottheit in ihm selbst und kann sie auch nicht in anderen Menschen sehen. Und obwohl sich das Göttliche sogar in der Menschheit als Avatar oder Vibhuti offenbart, das Mental bleibt doch blind und erkennt nicht oder missachtet die verhüllte Gottheit, avajānanti māṁ mūḍhā mānuṣīṁ tanum āśritam. Und wenn es Gott nicht einmal in der lebendigen Kreatur erkennt, wie viel weniger kann es ihn in der gegenständlichen Welt schauen, auf die es aus seinem Gefängnis des trennenden Ego durch die vergitterten Fenster des endlichen Mentals blickt. Das mentale Wesen sieht Gott nicht im Weltall. Es weiß nichts von der erhabenen Gottheit, die der Gebieter ist dieser von vielartigen Daseinsformen erfüllten Ebenen und allem innewohnt. Es ist unbegabt für jene Schau, durch die alles in der Welt als göttlich erkannt wird, in dem die Seele zu der ihr eingeborenen Göttlichkeit erwacht und der Gottheit gemäß, Gott gleich wird. Was das mentale Wesen gerne sieht, woran es sich mit Leidenschaft hingibt, ist nur das Dasein des Ego, das endlichen Dingen um ihrer selbst willen nachjagt und um den irdischen Hunger des Intellekts, des Körpers und der Sinne zu befriedigen. Jene, die sich diesem Drängen der Mentalität nach außen allzu sehr überlassen haben, fallen der niederen Art anheim, klammern sich an sie und machen sie zu ihrer Grundlage. Sie werden eine Beute der Natur des Rakshasa im Menschen, der alles der Befriedigung seines gewalttätigen und gesetzwidrigen gesonderten vitalen Ego opfert und dieses zur finsteren Gottheit seines Wollens, Denkens, Handelns und Genießens macht. Oder sie werden durch arroganten Eigenwillen, selbst-genügsames Denken, auf das eigene Interesse gerichtetes Handeln in ziellosem Kreislauf vorwärtsgetrieben, sich selbst befriedigend und doch nie zufriedengestellt in ihrem intellektualisierten Hunger nach Lust asurischer Art. Wenn wir aber hartnäckig in diesem gesonderten Ego-Bewusstsein leben und dieses zum Mittelpunkt all unserer Aktivitäten machen, verfehlen wir ganz und gar die wahre Selbst-Erkenntnis. Der Zauber, den das Ego auf die irregeleiteten Instrumente des Geistes wirft, ist ein Bann, der unser Leben fesselt, so dass es sich nutzlos im Kreise dreht. All sein Hoffen, Handeln, Erkennen sind leere, eitle Dinge, gemessen am göttlichen und ewigen Maßstab. Denn das schließt die große Hoffnung aus, macht das befreiende Handeln unmöglich, verbannt das erleuchtende Wissen. Es ist eine falsche Erkenntnis, die zwar die äußere Erscheinung sieht, aber die Wahrheit verfehlt, die hinter der äußeren Erscheinung steht. Es ist eine verblendete Hoffnung, die dem Vergänglichen nachjagt, aber das Ewige verfehlt. Es ist ein unfruchtbares Handeln, dessen Gewinn stets durch Verlust vernichtet und das so zur immerwährenden Sisyphusarbeit wird. (325-27)
9.12
All ihr Hoffen, Handeln und Wissen sind eitle Dinge. Sie sind in der Natur der Rakshasa und Asura daheim, die den Willen und die Intelligenz irreleiten.
9.13
Aber die großen Seelen, O Partha, die in der göttlichen Natur daheim sind, erkennen Mich (die Gottheit, die im menschlichen Körper ihren Sitz hat) als den Unvergänglichen, in dem alle Daseinsformen ihren Ursprung haben. So wissend, wenden sie sich zu Mir mit ganzer und vollkommener Liebe.
Die großen Seelen, die sich dem Licht und der Weite der göttlicheren Natur öffnen, zu der der Mensch fähig ist, gehen einsam auf diesem Pfad, der am Anfang eng, an seinem Ende unaussprechlich weit ist, der zur Befreiung und Vollkommenheit führt. Den Gott im Menschen heranwachsen zu lassen, ist des Menschen eigentliche Aufgabe. Dass er ständig die niedere Art des Asura und Rakshasa in die göttliche Art verwandelt, ist die sorgsam verhüllte Bedeutung des menschlichen Lebens. Indem er darin vorankommt, fällt die Hülle, und die Seele erkennt immer besser den tieferen Sinn des Handelns und die wirkliche Wahrheit des Seins. Das Auge öffnet sich für die Gottheit im Menschen und für die Gottheit in der Welt. Es schaut nach innen und erkennt immer besser im äußeren Bereich den unendlichen Geist, den Unzerstörbaren, der der Ursprung von allem Seienden ist, der in allem ist, durch den und in dem stets alles ist. Darum wird, wenn diese Schau, diese Erkenntnis die Seele ergreift, alles Streben des Lebens zu einer außerordentlichen Liebe und unauslotbaren Verehrung des Göttlichen und des Unendlichen. Das Mental geht ganz und gar auf im Ewigen, Spirituellen, Lebendigen, Allumfassenden, Wirklichen. Es wertet nichts um seiner selbst willen, es freut sich allein am all-beseligenden Purusha. Alles Reden und alles Denken wird zu einem einzigen Hymnus auf die universale Größe, das Licht, die Schönheit, Macht und Wahrheit, die sich dem menschlichen Geist in ihrer Herrlichkeit geoffenbart hat, und zur Verehrung der einen erhabenen Seele und unendlichen Person. All das lange Bemühen des inneren Selbstes, nach außen durchzustoßen, nimmt jetzt die Form eines spirituellen Ringens und eines Strebens danach an, das Göttliche in der Seele zu besitzen und im Wesen zu verwirklichen. Das ganze Leben wird zum beständigen Yoga und zur Einung von Göttlichem Wesen und menschlichem Geist. Dies ist die Art der integralen Gottesverehrung. Sie bewirkt einen einzigen Aufschwung unseres ganzen Wesens und unserer Art durch Opfern mit einem dem ewigen Purushottama geweihten Herzen. (327)
9.14
Sie verehren Mich ewig im Yoga, indem sie Mich stets anbeten, in ihrem spirituellen Bemühen standfest verharren und sich vor Mir mit Hingabe verneigen.
9.15
Auch andere Menschen spüren Mich auf durch das Opfer des Wissens. Sie verehren Mich in Meinem Einssein, in jedem gesonderten Wesen und in all Meinen Millionen universalen Gesichtern (mit denen Ich ihnen in der Welt und in deren Geschöpfen gegenübertrete).
Dies Wissen wird leicht zur Anbetung, zur tiefen Ergebenheit, zur umfassenden Selbst-Hingabe, zum integralen Selbst-Opfer. Denn es ist die Erkenntnis des Geistes, die Berührung mit dem Wesen, die Umarmung der erhabenen und allumfassenden Seele, die alles, was wir sind, für sich beansprucht, wie sie auch alle Schätze ihrer unendlichen Seins-Seligkeit in Fülle über uns gießt, wenn wir ihr nahen.
Auch der Weg des Wirkens wandelt sich In Anbetung und verehrungsvolle Selbst-Hingabe, da er ein ungeteiltes Opfern all unseres Wollens und seiner Betätigungen an den einen Purushottama ist. Der äußere vedische Ritus ist ein machtvolles Symbol, wirkungsstark für ein weniger hohes, gleichwohl noch himmelwärts gerichtetes Streben. Das wirkliche Opfer ist aber eine innere Darbringung, bei der der Göttliche All-Eine selbst zur rituellen Handlung, zum Opfer und zu jedem einzelnen Vorgang des Opferns wird. Alles Wirken und alle Formen dieses inneren Ritus sind Selbst-Verordnung und Selbst-Ausdruck seiner Macht in uns. Durch unser Streben steigen sie bis zum Ursprung von deren Kräften empor. Der Göttliche Einwohner wird selbst zur Flamme und zur Opfergabe, denn die Flamme ist der auf Gott gerichtete Wille, und dieser Wille ist Gott selbst in uns. Und auch die Opfergabe ist Gestalt und Kraft der unsere Art und unser Wesen bildenden Gottheit. Alles, was wir von ihm empfangen haben, wird dem Dienst und der Verehrung seiner eigenen Wirklichkeit, seiner erhabenen Wahrheit und diesem Ursprung dargebracht. (328-29)
9.16
Ich bin die Opferhandlung. Ich bin das Opfer. Ich bin die Opferspeise. Ich bin das Feuer spendende Kraut. Ich bin das Mantra und Ich bin die Butter. Ich bin die Flamme und die Opfergabe bin Ich.
9.17
Ich bin der Vater dieser Welt und auch die Mutter. Ich bin ihr Ordner und ihr erster Schöpfer. Ich bin der Gegenstand des Wissens, die heilige Silbe OM und ebenso die drei Veden Rik, Sama und Yajur.
9.18
Ich bin der Weg und das Ziel, der Erhalter, der Meister und der Zeuge, Haus und Land, Zuflucht und gütiger Freund. Ich bin Geburt, Bestand und Vernichtung des sichtbar gewordenen Seins. Ich bin der unzerstörbare Samen aller und ihr ewiger Ruheort.
9.19
Ich spende die Wärme. Ich halte den Regen zurück und schicke ihn wieder. Ich bin die Unsterblichkeit und auch der Tod, seiend und nicht-seiend, O Arjuna.
9.20
Von Mir erbeten jene den Weg zum Himmel, die den dreifachen Veda kennen, den Soma-Wein trinken, sich von der Sünde reinigen und Mich durch Opfer verehren. Wenn sie durch ihre Rechtschaffenheit zu den himmlischen Welten emporgestiegen sind, erfreuen sie sich im Paradies der heiligen Feste der Götter.
9.21
Nachdem sie die himmlischen Welten der Glückseligkeit genossen haben und der Lohn für ihre guten Werke aufgezehrt ist, kehren sie wieder in das sterbliche Dasein zurück. Da sie sich an die Tugenden halten, die durch die drei Veden eingeschärft werden, und die Befriedigung ihres Begehrens suchen, folgen sie dem Zyklus von Geburt und Tod.
9.22
Zu jenen Menschen, die Mich anbeten und dabei zum einzigen Gegenstand ihres Denkens machen, zu ihnen, die beständig im Yoga mit Mir geeint sind, bringe Ich von selbst jegliches Gute.
Auf folgende Weise lernte der vedische Ritualist alter Zeiten den exoterischen Sinn des dreifachen Veda: Er reinigte sich von Sünde, trank den Wein der Kommunion mit den Göttern und suchte durch Opfer und gute Taten die Belohnungen des Himmels. Der starke Glaube an ein Jenseits und das Suchen nach einer gotterfüllteren Welt sichert der Seele auf ihrem Weg die Kraft, die Freuden des Himmels zu erlangen, auf die ihr Glaube und ihr Suchen konzentriert waren. Doch führt das zwangsläufig zur Rückkehr in die sterbliche Existenz, da das wahre Ziel dieses Seins nicht gefunden und verwirklicht worden ist. Hier, nicht irgendwo anders, muss die höchste Gottheit gefunden, muss die göttliche Natur der Seele aus der unvollkommenen physischen Natur des Menschen heraus entfaltet, durch Einung mit Gott, Mensch und Weltall die ganze umfassende Wahrheit des Seins entdeckt, gelebt und müssen ihre Wunder sichtbar gemacht werden. Dadurch vollendet sich der lange Kreislauf unseres Werdens und verschafft uns ein erhabenes Ergebnis. Das ist die hohe Möglichkeit, die der Seele durch die Geburt als Mensch verliehen wurde. Bevor sie nicht verwirklicht ist, kann die Seele nicht ans Ende kommen. Der Gott-Liebende strebt ständig nach diesem höchsten, notwendigen Ziel unserer Geburt im Kosmos durch konzentrierte Liebe und Anbetung, durch die er das erhabene und universale Göttliche zum einzigen Zweck und Ziel seines Lebens macht – weder um egoistischer irdischer Befriedigung noch himmlischer Welten willen –, nur Gott zum ganzen Inhalt seines Denkens und Schauens. Die ganze Voraussetzung seines spirituellen Seins ist: auf nichts zu schauen als auf das Göttliche, jeden Augenblick mit ihm geeint zu sein, ihn in allen Geschöpfen zu lieben, in allen Dingen tiefe Freude am Göttlichen zu finden. Seine Gottes-Schau schließt ihn nicht vom Leben ab. Er entbehrt auch nichts von der Fülle des Lebens. Denn Gott selbst wird für ihn zum spontanen Überbringer alles Guten und all dessen, was er im Inneren und Äußeren bekommt und hat, yoga-kṣemaṁ vahāmyaham. Die Freude des Himmels und die Freude der Erde sind nur ein kleiner Schatten von dem, was er nun besitzt. Denn er wächst empor in das Göttliche und zugleich strömt das Göttliche auf ihn herab mit all dem Licht, der Macht und Freude eines unendlichen Seins. (331-32)
9.23
Selbst jene, die anderen Gottheiten hingebungsvoll und gläubig opfern, auch sie opfern Mir, O Sohn der Kunti, wenn auch nicht im Einklang mit dem wahren Gesetz.
9.24
Ich selbst bin es, der sich aller Opfer erfreut, und bin der Herr aller Opfer. Aber sie erkennen Mich nicht wahrheitsgemäß und fallen darum (zurück in den Zyklus von Geburt und Tod, d.Ü.).
9.25
Jene, die die Götter verehren, gehen hin zu den Göttern. Zu den (vergöttlichten) Ahnen gehen die Ahnen-Verehrer. Zu den Elementargeistern gehen jene, die den Elementargeistern opfern. Aber die Mich verehren, kommen zu Mir.
Jedes aufrichtige religiöse Fürwahrhalten und Handeln ist in Wirklichkeit ein Suchen nach der einen erhabenen und allumfassenden Gottheit. Denn Gott ist immer der alleinige Herr des Opfers und der Askese des Menschen und derjenige, der sich unendlich an seinem Bemühen und seinem Streben erfreut. Wie klein oder niedrig die Art seiner Gottesverehrung, wie begrenzt seine Idee von der Gottheit, wie ärmlich seine Gabe, wie schwach sein Glaube und sein Bemühen, hinter den Vorhang seiner egoistischen Verehrung und Begrenztheit durch die materielle Natur zu kommen, auch sein mögen, bildet dies alles dennoch ein Band der Verbundenheit zwischen der Seele des Menschen und der All-Seele, und es findet Widerhall. Doch entspricht die Antwort, die Frucht der Anbetung und Darbringung der Erkenntnis, dem Glauben und Wirken, sie kann nicht größer sein als deren Begrenztheiten. Darum wird dieses niedere Opfer unter dem Gesichtspunkt der höheren Gott-Erkenntnis, die allein die vollkommene Wahrheit von Wesen und Werden verleiht, nicht dargebracht im Einklang mit dem wahren und höchsten Gesetz des Opferns. Es gründet sich nicht auf die Erkenntnis des höchsten Gottes in dessen integralem Sein, auch nicht auf die wahren Prinzipien seiner Selbst-Manifestation. Vielmehr bindet es sich an äußerliche und partielle Erscheinungen, na mām abhijānanti tattvena. Darum ist dieses Opfer auch in seinem Zweck und Ziel beschränkt. Es ist zumeist in seinem Motiv egoistisch. Es ist in seiner Ausführung und der Darbringung partiell und voller Irrtum, yajanti avidhi-pūrvakam. Voraussetzung dafür, dass wir uns ganz bewusst überantworten, ist die ganzheitliche Schau des Göttlichen. Sonst blicken wir nur auf Dinge, die unvollständig und partiell sind, fallen zurück und müssen umkehren, um uns in höherem Suchen und in umfassendere Gott-Erfahrung auszuweiten. Folgen wir aber ausschließlich und mit unserem äußersten Einsatz dem Weg zur erhabenen und allumfassenden Gottheit, dann erlangen wir alles Wissen und alle Ergebnisse, die man auf anderen Wegen gewinnt; ohne durch einen einzigen Aspekt beschränkt zu sein, finden wir die Wahrheit Gottes in allen Aspekten. Diese Bewegung zum höchsten Purushottama umfasst alle Gestalten des göttlichen Wesens.
Die absolute Selbst-Hingabe, diese Überantwortung des ganzen konzentrierten Mentals stellt die Gita als die Krönung ihrer Synthese dar. Durch diese Gottesliebe wird jedes Wirken und Bemühen in eine Darbringung an die höchste und universale Gottheit verwandelt. (332-33)
9.26
Wer Mir mit Hingabe ein Blatt darbringt, eine Blume, eine Frucht oder einen Becher Wasser –, willkommen ist Mir das mit Liebe gegebene Opfer der strebenden Seele.
Hier nimmt schließlich der unbedeutendste Umstand des Lebens, die geringste Gabe aus dem, was wir selbst sind oder haben, die einfachste Betätigung göttliche Bedeutung an und wird zu einem wohlgefälligen Opfer an Gott, der mit diesem Mittel die Seele und das Leben des Gott-Liebenden in seinen Besitz nimmt. Da verschwinden die vom Begehren und vom Ego getroffenen Unterschiede. Da gibt es kein angestrengtes Ringen um das gute Ergebnis unseres Handelns und auch kein Zurückscheuen vor einem unglücklichen Resultat. Da alles Handeln und alles Ergebnis dem Höchsten anheimgegeben ist, dem stets alles Handeln samt seinen Früchten in der Welt gehört, besteht auch keine weitere Gebundenheit. Denn bei absoluter Selbsthingabe verschwindet alles egoistische Begehren aus dem Herzen. Es kommt zu einer vollkommenen Einung zwischen dem Göttlichen und der Seele des Einzelnen, weil diese auf ihr gesondertes Leben innerlich verzichtet. Alles Wollen, alles Handeln und alle Ergebnisse werden zum Wirken der Gottheit, auf göttliche Weise vollzogen durch die geläuterte und erleuchtete Natur und gehören nicht mehr dem begrenzten persönlichen Ego. Die so überantwortete begrenzte Natur wird zum freien Weg des Unendlichen. Die aus ihrer Unwissenheit und Begrenzung herausgehobene Seele kehrt zu ihrem spirituellen Wesen, zu ihrem Einssein mit dem Ewigen zurück. (333-34)
9.27
Was du auch immer tust, woran du auch immer Freude hast, was du auch immer opferst, was du auch immer gibst, welche Energie der tapasyā, welches Wollen und Bemühen der Seele du auch aufbringst –, mache es zu einer Darbringung an Mich.
9.28
Auf diese Weise sollst du befreit werden von guten und bösen Ergebnissen, die die Fesseln des Wirkens begründen. Wenn deine Seele durch solche Entsagung im Einssein mit dem Göttlichen ist, wirst du frei werden und zu Mir gelangen.
9.29
Ich (der Ewige Innewohnende) bin der Gleiche in allen Daseinsformen. Keine ist Mir lieb und keine verhasst. Jene aber, die sich mit Liebe und Hingabe Mir zuwenden, die sind in Mir, und Ich bin auch in ihnen.
Er ist niemandes Feind, aber auch niemandes parteiischer Liebhaber. Keinen hat er ausgeschlossen, keinen hat er für ewig verdammt; niemanden hat er durch Despotismus willkürlicher Laune begünstigt. Letztlich kommen in gleicher Weise alle zu ihm nach dem Durchlaufen ihrer Unwissenheit. Aber nur vollkommene Verehrung kann das Innewohnen Gottes im Menschen und des Menschen in Gott zu etwas Bewusstem machen und ihn zu wachsender und vollkommener Einung führen. Die Liebe zum Höchsten und völliges Sich-überantworten sind der kürzeste Weg dahin. (334)
9.30
Und selbst ein Mensch mit schlechter Lebensführung, der sich mit einziger und ganzer Liebe Mir zuwendet, muss nun als Heiliger gelten. Denn sein entschlossener Wille zur Bemühung ist der rechte und vollkommene Wille.
9.31
Rasch wird er zu einer Seele der Rechtschaffenheit und erlangt den ewigen Frieden. Dies ist Mein Wort der Verheißung, O Arjuna: Wer Mich liebt, wird nicht zugrunde gehen.
Mit anderen Worten: ein Wille der vollständigen Selbst-Hingabe öffnet weit alle Tore des Geistes und bringt als Antwort darauf dem menschlichen Wesen die völlige Herabkunft und Selbst-Hingabe der Gottheit. Das gestaltet sofort alles in uns um und passt es durch rasche Umwandlung der niederen in die spirituelle Art dem Gesetz des göttlichen Seins an. Der Wille der Selbst-Darbringung zwingt durch seine Macht den Vorhang zwischen Gott und Mensch hinweg. Er klärt jeden Irrtum auf und vernichtet jedes Hindernis. Jene, die in ihrer menschlichen Kraft durch Bemühung ihres Wissens, durch tugendhaftes Bemühen oder durch Bemühung um strenge Selbst-Disziplin nach Gott streben, wachsen mit Angst und Erschwernis zum Ewigen hin. Wenn die Seele aber ihr Ego aufgibt, wenn sie alles Wirken dem Göttlichen überlässt, kommt Gott selbst zu uns und nimmt unsere Last auf sich. Dem Unwissenden bringt er das Licht göttlichen Wissens, dem Schwachen die Macht göttlichen Willens, dem Sünder Befreiung durch göttliche Reinheit, dem Leidenden unendliche spirituelle Freude und Ananda. (334-35)
9.32
Die ihre Zuflucht zu Mir nehmen, O Partha, auch wenn sie Kastenlose sind, aus sündigem Schoß geboren, Frauen, Vaishyas, selbst Shudras –, auch sie gelangen zum höchsten Ziel.
Alle frühere Mühe und Vorbereitung, die Reinheit und Heiligkeit des Brahmanen, die erleuchtete Stärke des Königs-Weisen, der erhaben ist in Handeln und Wissen: sie alle haben ihren Wert, da sie es für das unvollkommene menschliche Geschöpf leichter machen, zu dieser weiten Schau und Selbst-Überantwortung zu gelangen. Aber auch ohne eine solche Vorbereitung finden alle, die Zuflucht nehmen beim göttlichen Liebhaber des Menschen, dass sich die Tore Gottes vor ihnen auftun: der Vaishya, der bisher nur auf sein enges Ziel ausgerichtet war, Reichtum zu erwerben und sich um die Produktion zu bemühen, der Shudra, der behindert ist durch tausend harte Einschränkungen, die Frau, die eingeschlossen und in ihrer Entwicklung behindert ist durch den engen Zaun, den die Gesellschaft um ihre Selbst-Ausweitung gezogen hat, und auch die Menschen, pāpa-yonayaḥ, denen ihr vergangenes Karma sogar die schlimmsten Geburten auferlegte, der Kastenlose, der Pariah, der Chandala. Im spirituellen Leben hören all diese äußeren Unterscheidungen auf. Die Menschen treffen sie so stark, weil sie mit unterdrückender Kraft an das äußere Mental appellieren. Sie verschwinden vor der ausgleichenden, unparteiischen Macht des göttlichen Lichts und seiner allmächtigen Weite. (335)
9.33
Um wie viel eher dann die heiligen Brahmanen, die Frommen und Königs-Weisen! Du nun, der du in diese vergängliche und unglückliche Welt gekommen bist, liebe Mich und wende dich Mir zu!
9.34
Werde Mir zugeneigt, Mein Liebender und Verehrender, ein Mir Opfernder, unterwerfe dich Mir. So im Selbst mit Mir geeint, wirst du zu Mir gelangen, da du Mich als dein höchstes Ziel hast.
Die Erden-Welt, so stark von den Gegensätzlichkeiten beherrscht und an die unmittelbaren vergänglichen Verhältnisse von Stunde und Augenblick gebunden, wird für den Menschen so lange zu einer Welt des Kampfes, Leidens und Kummers, als er den Dingen hier anhängt und akzeptiert, was sie ihm als das Gesetz seines Lebens auferlegen. Der Weg der Befreiung heißt: Umkehr vom Äußeren zum Inneren; weg von der äußeren Erscheinung, die durch das materielle Leben geschaffen wird und ihre Last dem mentalen Wesen auferlegt, das sie in den Gewohnheiten von Leben und Körper einsperrt, hin zur göttlichen Wirklichkeit die darauf wartet, sich durch die Freiheit des Geistes zu offenbaren. Die Liebe zur Welt, zur Maske, soll sich umwandeln in die Liebe zu Gott, zur Wahrheit. Wenn wir einmal diese geheime innere Gottheit erkannt und umarmt haben, wird unser ganzes Wesen und Leben höchsten Aufschwung und eine wunderbare Umwandlung erfahren. Statt befangen zu sein in der Unwissenheit der niederen Natur, die ganz aufgezehrt wird vom äußeren Wirken und von äußeren Erscheinungen, wird sich unser Auge öffnen für die Schau Gottes, der überall ist, für die Einheit und Universalität des Geistes. Leid und Schmerz der Welt werden in der Seligkeit des All-Seligen verschwinden. Unsere Schwäche, unser Irrtum und unsere Sünde werden in die allumfassende und alles wandelnde Stärke, Wahrheit und Reinheit des Ewigen umgestaltet. Sich aus dem weltlichen in das göttliche Sein erheben bedeutet, das Mental mit dem göttlichen Bewusstsein zu einen, das Ganze unserer emotionalen Natur überall zu einer einzigen Liebe zu Gott werden zu lassen, all unser Wirken als ein einziges Opfer dem Herrn der Welten darzubringen; all unsere Gottesverehrung und unser Streben zu einer einzigen Anbetung und Selbst-Übergabe an Gott zu machen; unser ganzes Selbst in völliger Einung auf Gott zu lenken. Das ist die Lehre der Gita von der göttlichen Liebe und Hingabe, in der Wissen, Wirken und die Sehnsucht des Herzens eins werden in höchster Vereinigung, im Verschmelzen all ihrer Unterschiede, im Sich-Verflechten all ihrer Fäden zu einem erhabenen einheitlichen Gebilde, zu einer umfassenden gleichsetzenden Bewegung. (335-36)

10. Kapitel
Das höchste Wort
Das höchste Wort der Gita
10.1
Der Erhabene sprach:
Vernimm noch einmal, O Starkarmiger, Mein höchstes Wort, das Ich zu dir sprechen will, da Mir das Wohl deiner Seele am Herzen liegt, wie nun dein Herz seine Freude in Mir findet.
Der göttliche Avatar erklärt in einer kurzen Zusammenfassung all dessen, was er bisher mitgeteilt hat, dass dies und kein anderes sein höchstes Wort ist, paramaṁ vacaḥ. Dies höchste Wort der Gita, so erkennen wir, ist erstens die genaue und unmissverständliche Erklärung, die höchste Verehrung und das tiefste Wissen des Ewigen sei die Erkenntnis und Verehrung seiner als des erhabenen und göttlichen Ursprungs all dessen, was ist, und als des mächtigen Herrn der Welt und der Völker, von dessen Sein alle Dinge die Werdeformen sind. Zweitens ist es die Erklärung, dass ein mit Wissen geeintes Bhakti der höchste Yoga ist. Das ist der vom Schicksal bestimmte und natürliche Weg des Menschen, um zur Einung mit der ewigen Gottheit zu gelangen. (344-45)
10.2
Keiner der Götter und keiner der großen Rishis kennt eine Geburt von Mir. Denn Ich bin in jeder Beziehung und auf jede Weise der Ursprung der Götter und der großen Rishis.
Die Gita bringt die pantheistischen, die theistischen und die höchsten transzendenten Begriffe unserer spirituellen Auffassung und spirituellen Erfahrung miteinander in Einklang. Das Göttliche ist der ungeborene Ewige, der keinen Ursprung hat…
Die göttliche Transzendenz ist aber keine Negation; noch ist sie ein Absolutes, leer von jeglicher Beziehung zum Weltall. Die Transzendenz ist ein höchstes Positives; sie ist das Absolute aller Absolutheiten. Alle kosmischen Beziehungen leiten sich aus diesem Allerhöchsten her. Die ganze kosmische Existenz kehrt zu ihm zurück und findet allein in ihm ihr wahres und unermessliches Sein…
Die Götter sind die großen, nie sterbenden Mächte und unsterblichen Persönlichkeiten, die bewusst die subjektiven und objektiven Kräfte des Kosmos gestalten, bilden und über ihnen walten. Die Götter sind spirituelle Gestaltungen der ewigen und ursprünglichen Gottheit, die aus Gott in die vielen Abläufe der Welt herabkommen. Vielfältig und universal weben die Götter aus den grundlegenden Prinzipien des Seins und aus dessen tausend komplexen Abläufen das ganze Gewebe dieses so mannigfaltigen Seins des Einen. Ihr ganzes eigenes Sein, ihre Natur und Macht, ihr Verfahren geht auf jede Weise, in jeglichem Prinzip und in jedem seiner Fäden hervor aus der Wahrheit des transzendenten Unbeschreiblichen. (345-47)
10.3
Wer Mich jedoch erkennt und von Mir weiß als dem Ungeborenen, ohne Ursprung, dem mächtigen Herrn der Welten und der Völker, lebt ohne Verwirrung unter den Sterblichen und wird befreit von aller Sünde und allem Übel.
Der Erhabene, der zu aller Schöpfung wird, sie jedoch unendlich transzendiert, ist nicht eine willenlose Ursache, fern und getrennt von ihrer Schöpfung. Er ist kein unwillkürlicher Verursacher, der alle Verantwortung für die Ergebnisse seiner universalen Macht ablehnt oder die Resultate auf ein illusionäres Bewusstsein abschiebt, das von seinem eigenen völlig verschieden wäre, oder der sie einem mechanischen Gesetz oder einem Demiurgen oder, wie die Manichäer, einem Widerstreit von Prinzipien überlässt. Er ist kein distanzierter und gleichgültiger Zeuge, der teilnahmslos darauf wartet, dass sich alles auflöst oder wieder zu seinem unbewegten ursprünglichen Prinzip zurückkehrt. Vielmehr ist er der mächtige Herr der Welten und Völker, loka-maheśvara. Er regiert sie alle nicht nur von innen, sondern auch von oben her aus seiner höchsten Transzendenz. Der Kosmos kann nicht von einer Macht regiert werden, die nicht den Kosmos transzendiert. Eine göttliche Regierung setzt die freie Gewalt eines allmächtigen Herrschers voraus, nicht aber eine automatische Kraft oder ein mechanisches Gesetz eines bestimmenden Werdens, das durch die in Erscheinung getretene Art des Kosmos eingeschränkt wird. Dies ist die theistische Betrachtung des Universums. (350)
ohne Verwirrung leben: Alle Verwirrung von Mental und Wirken des Menschen, all sein Schwanken, die Unsicherheit und der Kummer seines Mentals und seines Willens, seine Hinwendung zur Ethik, all das Drängen seiner Gefühle, Empfindungen und vitalen Regungen können auf die tastende und verworrene Erkenntnis und Willenstendenz zurückgeführt werden, die natürlich ist für sein durch die Sinne getrübtes sterbliches Mental im Körper, sammoha. Sobald er aber den göttlichen Ursprung aller Dinge sieht, sobald er von der kosmischen äußeren Erscheinung beständig hinwegblickt zu deren transzendenter Wirklichkeit und von dieser Wirklichkeit wieder zurück zu der Erscheinung, wird er befreit von dieser Verwirrung in Mental, Wollen, Herz und Sinnen. Er schreitet weiter, erleuchtet und frei, asammūḍhaḥ martyeṣu. Nun misst er jedem seinen höchsten und wirklichen, nicht mehr nur gegenwärtigen und scheinbaren Wert bei; er findet die verborgenen Verbindungen und Zusammenhänge. Er lenkt bewusst alles Leben und Handeln hin zu ihrem hohen Zweck und wahren Ziel. Er regiert sie durch das Licht und die Macht, die von der in seinem Inneren wohnenden Gottheit zu ihm kommen. So entgeht er der falschen Erkenntnis, der falschen mentalen und willkürlichen Reaktion, der unrichtigen Auffassung und dem Antrieb der Sinne, die hier Ursprung sind von Sünde, Irrtum und Leiden, sarva-pāpaiḥ pramucyate. (351-52)
10.4-5
Verstehen und Wissen und Freiheit von Verwirrung durch Unwissenheit, Vergebung und Wahrheit und Selbstbeherrschung und die Ruhe innerer Kontrolle, Kummer und Freude, das Eintreten in das Dasein und dessen Vernichtung, Furcht und Furchtlosigkeit, Ehre und Unehre, Nichtverletzen und Gleichmut, Zufriedenheit, Genügsamkeit und Geben –, sie alle hier in ihrer getrennten Mannigfaltigkeit sind subjektive Werdeformen des Seienden und sie alle gehen aus Mir hervor.
subjektive Werdeformen: Wir müssen hier die eindrucksvolle Nebeneinanderstellung der drei, aus dem Verbum bhū (=werden) abgeleiteten Wörter bhavanti, bhāvāḥ, bhūtānām beachten. Alle Daseinsformen sind Werdegestaltungen des Göttlichen, bhūtāni. Alle objektiven Zustände und Bewegungen sind seine und ihre psychologischen Werdeformen, bhāvāḥ. Gerade diese, unsere niederen subjektiven Zustände und deren sichtbar werdenden Ergebnisse nicht weniger als die höchsten spirituellen Zustände sind allesamt Werdeformen aus dem höchsten Sein, bhavanti matta eva. (349)
sie alle gehen aus Mir hervor: Die Gita lehrt aber keinen Theismus, der vor den Widersprüchlichkeiten der Welt zurückscheut oder sich ängstlich vor ihnen fürchtet. Vielmehr schaut sie Gott als den allwissenden und allmächtigen, als den einzigen ursprünglich Seienden, der in sich selbst alles manifestiert, was es auch sein mag: Gutes und Böses, Schmerz und Lust, Licht und Finsternis. Alles ist der Stoff seines eigenen Seins, und er regiert selbst, was er in sich manifestiert hat. Er bleibt unberührt von den Gegensätzlichkeiten, ungebunden durch seine Schöpfung. Er überragt diese Natur und steht doch in inniger Beziehung zu ihr, er ist aufs engste geeint mit ihren Geschöpfen, er ist ihr Geist, ihr Selbst, ihre höchste Seele, ihr Herr, ihr Liebhaber, ihr Freund und ihre Zuflucht. Immer lenkt er sie von ihrem Inneren her und zugleich aus seiner Höhe durch die sterblichen äußeren Erscheinungen von Unwissenheit und Leiden, Sünde und Böses. Immer regiert er jeden Einzelnen durch dessen Natur und alle durch die universale Natur hin zu einem höchsten Licht, zur Seligkeit, Unsterblichkeit und Erhabenheit. Das ist die Fülle des befreienden Wissens. (350-51)
10.6
Die großen Rishis, die sieben Ahnen der Welt und auch die vier Manus sind Meine mentalen Werdeformen. Von ihnen stammen alle lebendigen Geschöpfe in der Welt.
Die großen Rishis, die hier wie im Veda die sieben ursprünglichen Seher genannt werden, maharṣayaḥ sapta pūrve, und die sieben Ahnen der Welt sind Intelligenz-Mächte jener göttlichen Weisheit, die alle Dinge aus ihrer eigenen selbst-bewussten Unendlichkeit heraus entfaltet hat, prajñā purāṇī –, sie hat sie auf den absteigenden Stufen der sieben Prinzipien ihrer eigenen Wesenheit entfaltet. Diese Rishis verkörpern die alles in sich enthaltenden, alles erleuchtenden, alles manifestierenden sieben Gedanken des Veda, sapta dhiyaḥ – die Upanishad spricht davon, alle Dinge seien in Septetten geordnet, sapta sapta, und mit diesen verbunden sind die vier ewigen Manus, die Väter des Menschen, denn die aktive Natur der Gottheit ist vierfach [in seinen Aspekten von Wissen, Macht, Harmonie und Wirken], und die Menschheit bringt diese Natur in ihrem vierfachen Charakter zum Ausdruck. Auch diese sind, wie ihr Name besagt, mentale Wesen. Von ihnen, den Schöpfern all dieses Lebens, das für sein Wirken vom manifesten oder latenten Mental abhängt, entstammen alle lebenden Geschöpfe in der Welt. Sie sind ihre Kinder und Nachkommen, yeṣāṁ loka imāḥ prajāḥ. (347)
10.7
Wer diese Meine alles durchwaltende Herrschaft und diesen Meinen Yoga erkennt, der eint sich ohne Zweifel selbst mit Mir durch den einen unerschütterlichen Yoga.
Nach Anschauung der Gita ist also die Weisheit des befreiten Menschen nicht das Bewusstsein einer abstrakten und beziehungslosen Apersonalität, keine tatenlose Ruhe. Denn das mentale Wesen und die Seele des befreiten Menschen haben ihren festen Halt in dem ständigen Empfinden und integralen Gefühl gefunden, dass die Welt von der das Handeln motivierenden und lenkenden Gegenwart des göttlichen Herrn des Weltalls durchdrungen ist, etāṁ vibhūtiṁ mama yo vetti. Er ist dessen inne, dass sein Geist der kosmischen Ordnung gegenüber transzendent ist. Er ist sich aber auch dessen bewusst, dass er durch den göttlichen Yoga mit dieser Ordnung geeint ist, yogaṁ ca mama. Und er schaut jeden Aspekt des transzendenten, des kosmischen und des individuellen Seins in seiner rechten Beziehung zur höchsten Wahrheit und bringt alle Aspekte auf ihren rechten Platz in der Einheit des göttlichen Yoga. Er sieht nicht mehr jedes Ding in seiner Getrenntheit –, jenes gesonderte Betrachten, das für das erkennende Bewusstsein entweder alles ungeklärt lässt oder einseitig darstellt. Er sieht auch nicht alles verworren –, jene konfuse Schau, die zu falscher Erleuchtung und chaotischem Handeln führt. Da er sicher in der Transzendenz steht, wird er durch den kosmischen Druck und das Durcheinander von Zeit und Umstand nicht belastet, unerschüttert inmitten all dieses Erschaffens und Zerstörens der Dinge hält sich sein Geist fest an einen Yoga, der nicht schwankt, nicht zittert und nicht unschlüssig ist, an einen Yoga der Einung mit dem Ewigen und Spirituellen im Weltall. Durch all das hindurch beobachtet er, wie der Herr des Yoga ständig sein göttliches Werk tut und eine ruhige Universalität und Geeintheit mit allen Dingen und Geschöpfen ausarbeitet. Dieser enge Kontakt mit allen Dingen führt nicht dazu, dass seine Seele und sein mentales Wesen in die gesonderte niedere Natur verwickelt wird, da die Basis seiner spirituellen Erfahrung nicht die niedere Form und Bewegung der äußeren Erscheinungen ist, sondern das innere All und die höchste Transzendenz. Er wird in seiner Art und im Gesetz seines Wesens dem Göttlichen gleich, sādharmyam āgataḥ. Gerade in der Universalität des Geistes wird er transzendent; gerade in der Individualität von Mental, Leben und Körper wird er universal. Der befreite Mensch wird, sobald er durch diesen Yoga vervollkommnet ist, nicht mehr davon abweicht und ganz gefestigt darin wird, avikampena yogena yujyate, fähig, jegliche Haltung in der Natur einzunehmen, jedweder menschlichen Lage gewachsen zu sein, alles Handeln in der Welt zu vollziehen, ohne dadurch aus dem Einssein mit dem göttlichen Selbst herauszufallen und ohne den Verlust seiner ständigen Kommunion mit dem Herrn des Seins zu erleiden. (352-53)
10.8
Ich bin die Geburt aller Dinge, und aus Mir geht alles weiter in die Entfaltung von Handeln und Bewegung. Die Weisen, die so verstehen, verehren Mich mit dem Gefühl des Entzückens.
Gott erschafft nicht aus dem Leeren, aus einem Nihil, einem Nichts, oder einer substanzlosen Matrix eines Traums. Aus sich selbst heraus erschafft er, in sich selbst wird er. Alle Wesen sind in seinem Wesen, alles ist aus seinem Wesen. Diese Wahrheit erkennt die pantheistische Schau der Dinge an und geht zugleich über sie hinaus. Vasudeva ist alles, vāsudevaḥ sarvam. Aber Vasudeva ist deshalb alles, was im Kosmos erscheint, weil er auch all das ist, was in diesem nicht in Erscheinung tritt, all das, was niemals manifestiert wird. (348)
Wenn man diese Erkenntnis auf die Ebene der Affekte, Emotionen und des Temperaments überträgt, wird daraus ruhige Liebe und intensive Verehrung der ursprünglichen und transzendenten Gottheit über uns, des immer-gegenwärtigen Herrn aller Dinge hier, Gottes im Menschen und Gottes in der Natur. Das ist zunächst eine Weisheit der Intelligenz buddhi, wird aber begleitet von einem in Bewegung gesetzten spiritualisierten Zustand der affektiven Natur, bhāva. Diese Wandlung von Herz und Mental ist der Anfang einer totalen Umwandlung der gesamten Natur. Eine neue innere Geburt und ein neues Werden bereiten uns vor für das Einssein mit dem höchsten Gegenstand unserer Liebe und Verehrung, madbhāvāya. Wir erfahren die tiefe Freude der Liebe zur Größe, Schönheit und Vollkommenheit dieses göttlichen Wesens, das wir nun überall in der Welt und über ihr sehen, prīti. Diese tiefere Ekstase nimmt den Platz des zerstreuten und äußerlichen Vergnügens des mentalen Wesens am Dasein ein. Oder es zieht vielmehr alles andere Entzücken in sich hinein und verwandelt durch eine wunderbare Alchimie die Gefühle des Mentals und des Herzens und alle Sinnes-Regungen. (353)
10.9
Ihr Bewusstsein von Mir erfüllt, ihr Leben völlig an Mich hingegeben, einander erleuchtend, wenn sie von Mir miteinander reden, so sind sie stets zufrieden und freudvoll.
10.10
Denen, die so in ständigem Einssein mit Mir sind und Mich mit dem innigen Entzücken der Liebe anbeten, verleihe Ich den Yoga des wahren Verstehens, durch den sie zu Mir gelangen.
Von dem Augenblick an, da dieser innere Zustand beginnt, ja, noch im Zustand der Unvollkommenheit, bestätigt Gott ihn durch den vollkommenen Yoga des Willens und der Intelligenz. Er hebt die strahlende Lampe der Erkenntnis in uns empor. Er zerstört die Unwissenheit des gesonderten Mentals und Willens. Er steht da, geoffenbart im menschlichen Geist. Durch den Yoga des Willens und der Intelligenz, der sich auf eine erleuchtete Geeintheit von Wirken und Wissen gründet, war der Übergang aus unseren niederen, verwirrten Mental-Bereichen in die unveränderliche Ruhe der beobachtenden Seele oberhalb der aktiven Natur bewirkt worden. Durch diesen größeren Yoga der Buddhi, der sich auf die lichtvolle Einung von Liebe und Anbetung mit dem alles-verstehenden Wissen gründet, erhebt sich die Seele in herrlichem Entzücken zu der umfassenden transzendenten Wahrheit der absoluten, alles verursachenden Gottheit. Der Ewige findet seine Erfüllung im individuellen Geist und in der individuellen Natur. Der individuelle Geist wird aus der Geburt in der Zeit emporgehoben zu den Unendlichkeiten des Ewigen. (354)
10.11
Ich wohne in ihrem Selbst und vertreibe aus Mitleid mit ihnen die Finsternis, die in Unwissenheit ihren Ursprung hat, durch das strahlende Licht des Wissens.

Gott in der Macht des Werdens
10.12
Arjuna sprach:
Du bist der erhabene Brahman, die höchste Zuflucht, die äußerste Reinheit, das eine Bleibende, der göttliche Purusha, die ursprüngliche Gottheit, der Ungeborene, der alles durchwaltende Herr.
Arjuna nimmt voll und ganz das Wissen an, das ihm so von dem göttlichen Lehrer mitgeteilt worden ist. Sein Mental wird schon von seinen Zweifeln und seinem ungewissen Suchen befreit. Auch sein Herz, das sich jetzt vom äußeren Aspekt der Welt, ihrer verwirrenden Erscheinung abwendet und ihrem höchsten Sinn, ihrem Ursprung und ihren inneren Wirklichkeiten zuwendet, wird ebenfalls von Kummer und Anfechtung erlöst und von der unbeschreiblichen Freude einer göttlichen Offenbarung angerührt. Die Sprache, die ihn die Gita hier verwenden lässt, um sein Einverständnis auszusprechen, ist so, dass sie noch einmal die tiefgreifende Vollständigkeit dieses Wissens und seiner alles umfassende Endgültigkeit und Fülle stark hervorhebt. Arjuna erkennt erstens den Avatar, die Gottheit im Menschen, die zu ihm als der höchste Brahman spricht, als das suprakosmische All und als das Absolute des Daseins, in dem die Seele daheim sein kann, wenn sie sich aus dieser Manifestation und diesem partiellen Werden zu ihrem Ursprung erhebt, paraṁ brahma, paraṁ dhāma. Er nimmt ihn an als die äußerste Reinheit des immer-freien Seins, zu dem man dadurch gelangt, dass man das Ego in die unbewegliche Apersonalität des Selbsts erlöschen lässt, die für immer ruhig und friedlich ist, pavitraṁ paramam. Weiter verehrt er ihn als den einen Dauernden, als die ewige Seele, als den göttlichen Purusha, puruṣaṁ śāśvataṁ divyam. Er preist in ihm die ursprüngliche Gottheit; er betet den Ungeborenen an, der Herr alles Seins ist, ādi-devam ajaṁ vibhum, der es durchdringt, in ihm wohnt und es aus seinem Selbst ausbreitet. (356-57)
10.13
Alle Rishis sagen dies von Dir und die göttlichen Seher Narada, Asita, Devala und Vyasa. Und Du selbst tust es mir kund.
Das ist eine geheime Weisheit, die man von den Sehern vernehmen muss, die das Antlitz dieser Wahrheit geschaut, die ihr Wort gehört haben, die mit ihr eins geworden sind im Selbst und im Geist… Andernfalls muss man sie von innen durch Offenbarung und Inspiration durch die innere Gottheit empfangen, die in uns die leuchtende Lampe des Wissens hochhält. (358)
10.14
Dies alles, was Du mir kundtust, O Keshava, hält mein Verstand für die Wahrheit. Weder die Götter noch die Titanen, O hochgepriesener Herr, erkennen Deine Manifestation.
Ist sie aber einmal geoffenbart, so muss sie akzeptiert werden, indem das Mental beipflichtet, das Herz sich an ihr entzückt und sich ihr unterwirft. Das sind die drei Elemente des vollständigen mentalen Glaubens, śraddhā. Auf diese Weise hat Arjuna das alles angenommen… Doch bleibt noch die Notwendigkeit, sie tiefer, im eigentlichen Selbst unseres Wesens und aus seinem innersten seelischen Zentrum, in Besitz zu nehmen. Sonst kann das Verlangen der Seele nach dieser fortdauernden, unausdrückbaren spirituellen Verwirklichung nicht voll erfüllt werden, von der das Mental nur etwas Vorläufiges oder ein Schatten ist. Ohne eine solche spirituelle Verwirklichung kann es zu keiner völligen Einung mit dem Ewigen kommen. Jetzt ist Arjuna der Weg zu dieser Verwirklichung gewiesen worden. (358)
10.15
Du allein erkennst Dich selbst durch Dein Selbst, O Purushottama, Du Ursprung aller Wesen, Herr aller Geschöpfe, Gott aller Götter, Meister der Welt.
Arjuna erfasst ihn nicht nur als jenen Wunderbaren, der mehr ist als alles, was ihn irgendwie auszudrücken vermag; denn nichts ist zureichend, um ihn zu manifestieren – „weder die Götter noch die Titanen, O hochgepriesener Herr, erkennen deine Manifestation“, na hi te bhagavan vyaktiṁ vidur devā na dānavāḥ –, sondern als den Herrn aller Daseinsformen, als die einzige wirkungsstarke Ursache allen Werdens, als den Gott der Götter, aus dem alle Gottheiten entsprungen sind, als den Herrn des Weltalls, der es von oben her offenbart und regiert durch die Macht seiner erhabenen jenseitigen und seiner universalen Natur, bhūta-bhāvana bhūteśa deva-deva jagat-pate. (357)
10.16
All Deine göttlichen Selbst-Offenbarungen solltest Du mir ohne Ausnahme mitteilen, Deine Vibhutis, durch die Du diese Welten und Völker durchdringst.
Schließlich erkennt Arjuna ihn an als jenen Vasudeva in uns und um uns, der alle Dinge hier ist dank der die Welt durchdringenden, alles bewohnenden, alles bildenden Meister-Mächte seines Werdens, vibhūtayaḥ. (357)
10.17
Wie werde ich Dich erkennen, O Yogin, wenn ich überall und immer an Dich denke, und in welchen hervorragenden Gestalten Deines Werdens soll ich Dich mir vergegenwärtigen, O Erhabener Herr?
Arjuna fühlt, dass er solcher Hilfe und Hinweise dringend bedarf, obwohl er die Offenbarung annimmt: „Vasudeva ist alles!“ und obwohl sein Herz darüber voll Freude ist –, denn er erkennt schon, dass dies ihn von der Verwirrung und der unsicher schwankenden Beurteilung seines Mentals befreit, das nach einem Schlüssel zur Lösung, nach einer sicher lenkenden Wahrheit rief inmitten der bestürzenden Probleme einer Welt der Gegensätzlichkeiten, und dass es für sein Vernehmen der Nektar der Unsterblichkeit, amṛtam, ist. Er fühlt, dass diese Hinweise unentbehrlich sind, um die Schwierigkeit zu überwinden, die eine völlige und starke Verwirklichung behindert. Denn wie sonst kann diese Erkenntnis zu einer Sache des Herzens und des Lebens werden? Er braucht Hinweise, die ihn führen. Er bittet Krishna sogar um eine vollständige und detaillierte Aufzählung der souveränen Mächte seines Werdens und wünscht, dass nichts seiner Schau vorenthalten wird, nichts übrig bleibt, das ihn noch verwirren könnte. (359)
10.18
Sprich zu mir in Einzelheiten über Deinen Yoga und von Deinen Vibhutis, O Janardana, und teile mir mehr davon mit! Nektar der Unsterblichkeit ist dies für mich. Und wenn ich auch noch so viel davon zu hören bekomme, so werde ich doch nicht übersättigt werden.
Hier gibt uns die Gita eine Andeutung von etwas, das sie selbst nicht ausführlich darlegt, das uns aber häufig in den Upanishaden begegnet und später in Vaishnavismus und Shaktismus zu einer größeren Fülle der Schau entwickelt wurde: dass es dem Menschen möglich ist, sich am Göttlichen im In-der-Welt-Sein zu erfreuen, dass er das universale Ananda, das Spiel der Mutter, die Süßigkeit und Schönheit von Gottes Lila erleben kann. (360)
10.19
Der Erhabene sprach:
Ja, Ich will dir Meine göttlichen Vibhutis kundtun, O Bester der Kurus, jedoch nur in Gestalt einiger Meiner wichtigsten und hervorragendsten. Denn es gibt kein Ende der Einzelheiten Meiner Selbst-Entfaltung im Universum.
Durch das ganze übrige Kapitel erhalten wir eine summarische Beschreibung von diesen hauptsächlichen Hinweisen auf Gott, von diesen hervorragenden Zeichen göttlicher Kraft, die in den Dingen und Personen des Weltalls gegenwärtig ist. Zuerst hat es den Anschein, als würden sie durcheinander, ohne jede Ordnung aufgezählt. Doch findet sich ein gewisses Prinzip in der Aufzählung, das uns, wenn wir es einmal herausgefunden haben, als hilfreich in den inneren Sinn dieses Gedankens und seiner Konsequenzen führen kann. Dies Kapitel ist Vibhuti-Yoga genannt worden –, ein unentbehrlicher Yoga. Denn obwohl wir uns unparteiisch mit dem universalen göttlichen Werden in seiner ganzen Ausweitung identifizieren müssen, mit seinem Guten und Bösen, seiner Vollkommenheit und seiner Unvollkommenheit, seinem Licht und seiner Finsternis, müssen wir doch zugleich auch die Wirklichkeit der Tatsache verstehen, dass es in ihm eine aufsteigende evolutionäre Macht gibt: die zunehmende Fülle seiner Offenbarung in den Dingen; ein hierarchisches geheimes Etwas, das uns von den ersten es verbergenden Erscheinungen durch höhere und immer höhere Formen emporträgt bis hin zu der umfassenden idealen Art der universalen Gottheit. (360-61)
10.20
Ich, O Gudakesha, bin das Selbst, das allen Wesen innewohnt. Ich bin Anfang, Mitte und Ende aller Wesen.
Die summarische Aufzählung beginnt mit einer Darstellung des wichtigsten Prinzips, das aller Macht dieser Manifestation im Weltall zugrunde liegt. Es ist dies, dass Gott jedem Wesen und Gegenstand verborgen innewohnt und entdeckbar ist. Er ist dort zuhause wie in einer Krypta, im Mental und Herz jedes Dings und jeder Kreatur. Er ist das innere Selbst in der Mitte seines subjektiven und seines objektiven Werdens. Er ist der eine, der Anfang, Mitte und Ende von allem, was ist, gewesen ist oder sein wird. Denn dies innere göttliche Selbst, das Gott bewohnt und verborgen ist dem Mental und dem Herzen, dieser strahlende Bewohner, der unsichtbar ist für den Blick der Seele in der Natur, die er in die Natur entsandt hat, um ihn zu repräsentieren, entfaltete stets die Veränderungen unserer Persönlichkeit in der Zeit und unser sinnenhaftes Sein im Raum – wobei Zeit und Raum die begriffliche Bewegung und Ausdehnung der Gottheit in uns sind. (361)
10.21
Unter den Adityas [den vedischen Göttern] bin Ich Vishnu. Unter den Lichtern und allem Strahlenden bin Ich die leuchtende Sonne. Ich bin Marichi [der Regenwind] unter den Maruts [Winden]. Unter den Gestirnen bin Ich der Mond.
So ist also unter all diesen lebenden Wesen, kosmischen Gottheiten, übermenschlichen, menschlichen und untermenschlichen Geschöpfen und innerhalb all dieser Eigenschaften, Mächte und Dinge der Oberste, das Haupt, der Höchste an Qualität in jeder Klasse eine besondere Werde-Macht der Gottheit.
Am anderen Ende der Stufenleiter ist er die strahlende Sonne unter den Lichtern und Herrlichkeiten, Meru unter den Berggipfeln der Welt, der Ganges unter den Strömen, und so weiter. (363)
10.22
Unter den Veden bin Ich der Sama-Veda. Unter den Göttern bin Ich Vasava. Das Mental bin Ich unter den Sinnen. In den lebenden Wesen bin Ich das Bewusstsein.
10.23
Ich bin Shiva unter den Rudras. Der Herr des Reichtums bin Ich unter den Yakshas und den Rakshasas [den Unholden]. Agni bin Ich unter den Vasus [Feuergöttern]. Und Meru bin Ich unter den Berggipfeln der Welt.
10.24
Und erkenne, O Partha, Mich auch als Brihaspati, das Haupt der Hohepriester der Welt. Ich bin Skanda, der Kriegsgott, Führer aller Befehlshaber in der Schlacht. Unter den fließenden Gewässern bin Ich der Ozean.
10.25
Ich bin Bhrigu unter den großen Rishis. Ich bin die heilige Silbe OM unter den Wörtern. Unter den Handlungen des Gottesdienstes bin Ich die Verehrung, die Japa genannt wird (die schweigende Wiederholung der heiligen Namen usw.). Unter den Gebirgszügen bin Ich der Himalaya.
10.26
Ich bin der Aswattha[-Baum] unter allen Pflanzen und Bäumen. Und Ich bin Narada unter den göttlichen Weisen, Chitraratha unter den Gandharvas [den Göttern des Tanzes], Muni Kapila unter den Siddhas [Vollkommenen].
10.27
Erkenne Mich, Nektar-Geboren, als Uchchaishravas unter den Pferden, als Airavata unter den herrschaftlichen Elefanten und als den König der Menschen unter den Menschen.
10.28
Ich bin der göttliche Donnerkeil unter den Waffen. Ich bin Kamadhuk, die Kuh der Fülle des Wohlstands, unter den Kühen. Kandarpa, der Liebesgott, bin Ich unter den Stammvätern. Unter den Schlangen bin Ich Vasuki.
10.29
Und Ich bin Ananta unter den Nagas (Kobras), Varuna unter den Völkern des Meeres, Aryaman unter den Vätern [vergöttlichte Vorfahren], Yama (Herr des Gesetzes) unter denen, die über Recht und Gesetz wachen.
10.30
Und Ich bin Prahlada unter den Titanen. Ich bin die Zeit unter denen, die rechnen und messen. Unter den Tieren bin Ich der König der Tiere, der Löwe, und Vainateya (Garuda) unter den Vögeln.
10.31
Ich bin der Wind unter den Reinigern. Ich bin Rama unter den Kriegern. Ich bin der Alligator unter den Fischen. Unter den Strömen bin Ich der Ganges.
10.32
Von den Schöpfungen bin Ich der Anfang und das Ende sowie die Mitte, O Arjuna. Ich bin das spirituelle Wissen unter den vielen Philosophien, Künsten und Wissenschaften. Ich bin der Logiker unter den Diskutierenden.
Alle Dinge sind seine Mächte, sind das, was er in seiner Selbst-Natur bewerkstelligt, Vibhutis. Er ist der Ursprung von allem, was sie sind, ihr Anfang. Er trägt sie in ihrem sich immer wandelnden Zustand; er ist ihre Mitte. Er ist auch ihr Ende, höchste Entfaltung und Auflösung jedes erschaffenen Objektes, wenn es aufhört oder verschwindet. (362)
10.33
Ich bin der Buchstabe A unter den Buchstaben, die Dualität unter den Verbindungen. Ich bin die unvergängliche Zeit. Ich bin der Meister und Herrscher über alle Daseinsformen, deren Antlitz überall sichtbar wird.
Gott ist Zeit, die unzerstörbar, ohne Anfang und ohne Ende ist. Dies ist seine offensichtlichste Macht des Werdens, das Wesenhafte aller universalen Bewegung. Aham eva akṣayaḥ kālaḥ. In dieser Bewegung von Zeit und Werden erscheint Gott unserer Auffassung von ihm oder Erfahrung mit ihm durch das Selbstzeugnis seiner Werke als die göttliche Macht, die über alle Dinge bestimmt und sie auf ihren rechten Platz in der Bewegung stellt. In seiner Raum-Gestalt ist er es, der uns aus allen Richtungen her entgegentritt. Er hat Millionen Körper und Myriaden von Mentalkräften. Er manifestiert sich in jedem Seienden. Wir schauen ringsum seine Gesichter. (362-63)
10.34
Und Ich bin der alles dahinraffende Tod. Ebenso bin Ich die Geburt von allem, das ins Dasein tritt. Unter den weiblichen Eigenschaften bin Ich Glorie und Schönheit, Redekunst, Gedächtnis, Einsicht, Standhaftigkeit und Vergebung.
Er erscheint uns im Weltall auch als der universale Geist der Zerstörung, der scheinbar nur dazu erschafft, um seine Schöpfungen am Ende wieder zunichte zu machen… Und dennoch hört seine Macht des Werdens nicht auf zu wirken, denn immer halten die Kräfte der Wiedergeburt und der neuen Schöpfung Schritt mit der Kraft des Todes und der Zerstörung. (363)
10.35
Ich bin auch das große Sama unter den Mantras, das Gayatri unter den Versmaßen. Unter den Monaten bin Ich Margasirsha, der erste der Monate. Ich bin der Frühling, die lieblichste Jahreszeit.
10.36
Ich bin beim Spiel die Raffinesse und die Stärke der Mächtigen. Ich bin Entschlossenheit, Beharrlichkeit und Sieg. Ich bin die sattwische Eigenschaft der Guten.
10.37
Ich bin Vasudeva (Krishna ) unter den Vrishnis, Dhananjaya (Arjuna) unter den Pandavas. Ich bin Vyasa unter den Weisen. Ich bin Ushanas unter den Seher-Dichtern.
Der Avatar ist hier zugleich der Vibhuti. Dieser Krishna, in seinem göttlichen inneren Wesen der Gottheit in menschlicher Gestalt, ist im äußeren menschlichen Wesen der führende Held seiner Zeit, der große Mann der Vrishnis. (160)
10.38
Ich bin Herrschaft und Macht all derer, die regieren, bändigen und überwinden, und die Politik aller, die Erfolg haben und erobern. Ich bin das Schweigen der geheimen Dinge und das Wissen der Wissenden.
10.39
Und was auch immer der Keim von allen Daseinsformen ist, O Arjuna, Ich bin der Keim. Nichts in der Welt, was sich regt oder regungslos ist, Belebtes oder Unbelebtes, kann ohne Mich existieren.
Das Göttliche ist der göttliche Keim aller Daseinsformen. Aus diesem Keim entstehen die Zweige und Blüten. Nur das, was an Selbst im Keim ist, kann sich in der Natur entfalten. Alle Wesen, einerlei von welchem Rangunterschied in der Manifestation, sind auf ihre eigene Weise und Art Mächte der Gottheit. (365)
10.40
Es gibt für Meine göttlichen Vibhutis kein Aufzählen und keine Grenze, O Parantapa. Was Ich hier nannte, ist nicht mehr als eine knappe Darlegung, und Ich habe nur das Licht von ein paar grundlegenden Andeutungen gegeben.
10.41
Wenn immer du ein schönes und herrliches Geschöpf in der Welt erblickst, ein Wesen voll Macht und Stärke (bei den Menschen und in den Bereichen oberhalb des Menschen oder unter ihm), dann wisse: Gerade dies ist Herrlichkeit, Licht und Energie aus Mir, aus einem machtvollen Wesensteil und einer intensiven Kraft Meines Seins geboren.
10.42
Doch wozu bedarf es noch einer Fülle von Einzelheiten, O Arjuna, damit du dies erkennst! Verstehe es also: Ich bin hier in dieser Welt und überall. Mit einem unendlich kleinen Teil Meines Selbsts trage und erhalte Ich dieses ganze Universum.
Alle Klassen, Geschlechter, Arten, Individuen sind solche Vibhutis. Aber da er durch die Macht seines Werdens uns sichtbar wird, ist er besonders deutlich erkennbar in allem, was von hervorragendem Wert ist oder machtvoll und hervorragend zu wirken scheint. Und darum können wir ihn in jeder Art von Wesen dort am besten sehen, wo die Wesensmacht dieser Art ihre höchste, führende, wirkungsvollste, das Selbst offenbarende Manifestation erlangt. Das sind im besonderen Sinne die Vibhutis. Dennoch ist auch die höchste Macht und Manifestation nur eine partielle Offenbarung des Unendlichen. Selbst das ganze Weltall wird nur durch einen geringen Grad seiner Hoheit gestaltet, nur durch einen winzigen Strahl seiner Herrlichkeit erleuchtet, nur durch eine schwache Andeutung seiner Seligkeit und Schönheit gerühmt. Das ist zusammengefasst der eigentliche Sinn der Aufzählung, das Ergebnis, das wir daraus entnahmen, der Kern ihrer Bedeutung. (362)
