11. Kapitel

Die Schau des Zeit-Geistes

Der Zerstörer Zeit

11.1
Arjuna sprach:
Aus Mitleid hast Du dies Wort vom tiefsten spirituellen Geheimnis des Seins zu mir gesprochen. Dadurch ist meine Verblendung aufgehoben.

Arjuna hat das höchste spirituelle Geheimnis des Seins vernommen: Alles ist von Gott, alles ist das Göttliche, und in allen Dingen wohnt Gott; er ist verborgen und kann in jeglicher endlichen Erscheinung geoffenbart werden. Vorbei ist für Arjuna die Illusion, die des Menschen Sinne und Mental so beharrlich gefangen hält, die Annahme, die Dinge existierten überhaupt nur in sich selbst oder für sich selbst, getrennt von Gott; oder irgend etwas, das der Natur unterworfen ist, werde aus sich selbst bewegt und von selbst gelenkt. Das war die Ursache für seinen Zweifel, seine Verwirrung und für seine Weigerung zu handeln. (377)

11.2
Über Entstehen und Vergehen der Daseinsformen habe ich nun ausführlich von Dir, O Lotosäugiger, gehört, und ebenso über die unvergängliche Größe der göttlichen Seele.

Alles ist ein Yoga dieses großen, den Dingen innewohnenden, ewigen Geistes. Alle Ereignisse sind Ergebnis und Ausdruck dieses Yoga. Die ganze Natur ist erfüllt von der verborgenen Gottheit und liegt in Wehen, um Gott in sich zu offenbaren. Aber er möchte auch Gestalt und Körper dieser Gottheit sehen, wenn das möglich wäre. Arjuna hat von Gottes Eigenschaften gehört und die Stufen und Wege verstanden, auf denen Gott sich selbst offenbart. Jetzt aber erbittet er von diesem Herrn des Yoga, dem Auge des Yoga sein wahres, unzerstörbares Selbst zu enthüllen. Das ist offensichtlich nicht das gestaltlose Schweigen seiner tätigkeitslosen Unwandelbarkeit, vielmehr jener Erhabene, von dem alle Kraft und alles Wirken herrührten, dessen Masken die wahrnehmbaren Gestaltungen sind, der seine Kraft im Vibhuti offenbart –, der Meister des Wirkens, der Meister des Wissens und der Anbetung, der Herr der Natur und all ihrer Geschöpfe. Arjuna soll um diese größte, allumfassende Schau bitten, weil er von dem im Universum geoffenbarten Geist den Befehl zu seiner Rolle in der Welt-Aktion empfangen muss. (377-78)

11.3
So ist es, wie Du Dich selbst dargestellt hast, O Höchster Herr. Ich begehre nun, Deine göttliche Gestalt und Deinen göttlichen Körper zu erblicken, O Purushottama.

11.4
Wenn Du meinst, dass es von mir erkannt werden kann, O Herr, O Meister des Yoga, dann zeige mir Dein unvergängliches Selbst.

11.5
Der Erhabene sprach:
Erblicke, O Partha, Meine hundert und tausend göttlichen Gestalten, verschieden nach Art, Form und Farbe.

11.6
Schaue die Adityas, die Vasus, die Rudras, die beiden Aswins und auch die Maruts. Betrachte die vielen wunderbaren Erscheinungen, die noch niemand gesehen hat, O Bharata (Arjuna).

11.7
Hier und heute soll dein Blick die ganze Welt umfassen mit allem Beweglichen und Unbeweglichen, O Gudakesha, das in Meinem Körper vereint ist, und was du sonst noch zu schauen begehrst.

Das ist also der Schlüssel zum Verständnis dieser Vision, ihre zentrale Bedeutung. Es ist die Schau des Einen in den Vielen, der Vielen in dem Einen –, und alle sind der Eine. Diese Schau ist es, die für das sehende Auge des göttlichen Yoga alles befreit, alles rechtfertigt und erklärt, was ist, was war und was sein wird. Wird das einmal geschaut und im Bewusstsein festgehalten, dann wird damit die schimmernde Axt Gottes an die Wurzel allen Zweifels und aller Verwirrungen gelegt und jedes Leugnen und aller Widerstand aufgehoben. Das ist die Schau, die alles miteinander versöhnt und vereint. Wenn die Seele in dieser Vision zur Einung mit Gott kommen kann – Arjuna ist noch nicht soweit, und daher finden wir, dass ihn Furcht packt, wenn er erkennt –, verliert alles seinen Schrecken, auch das, was in der Welt furchtbar ist. (378)

11.8
Was du sehen sollst, das kann dein menschliches Auge nicht fassen. Es gibt aber ein göttliches Auge (ein innerstes Schauen), und dieses Auge verleihe Ich dir jetzt. Erblicke Mich in Meinem göttlichen Yoga.

Denn das menschliche Auge kann nur die äußere Erscheinung der Dinge sehen oder aus ihnen besondere Symbolformen machen, von denen jede einzelne nur für einige wenige Aspekte des ewigen Mysteriums bedeutungsvoll ist. (378)

11.9-14
Sanjaya sprach:
Als Hari, der Meister des großen Yoga, so gesprochen hatte, O König, da zeigte er dem Partha Seine erhabene Gestalt. Es ist die Gestalt der unendlichen Gottheit, deren Angesichter uns überall anblicken. Alle Wunder des Seins existieren in ihr. Unendlich vervielfältigt sie all die wunderbaren Offenbarungen des Seins, ein weltweites Gottwesen, das mit unzählbaren Augen sieht, aus unzähligen Mündern spricht, zum Kampf gewappnet ist mit zahllosen erhobenen göttlichen Waffen, herrlich erstrahlt im heiligen Schmuck der Schönheit, gekleidet ist in himmlischen Gewändern der Göttlichkeit, lieblich anzuschauen ist in den Girlanden aus göttlichen Blüten, duftend von überirdischen Wohlgerüchen. So hell strahlt das Licht dieses göttlichen Körpers, als ob tausend Sonnen zugleich am Himmel aufgegangen wären. Die ganze Welt, in ihre Vielfalt zerteilt und doch eine Einheit, wird sichtbar im Körper des Gottes der Götter. Arjuna erblickte ihn (den Gott, großartig, schön und schrecklich, den Herrn der Seelen, der in der Herrlichkeit und Erhabenheit seines Geistes diese wilde und schauerliche, diese geordnete und wundervolle, diese liebliche und schreckliche Welt hat sichtbar werden lassen). Und überwältigt von Erstaunen, von Freude und von Furcht, beugt er sich tief zu Boden und huldigt dieser erschütternden Erscheinung mit ehrfurchtsvollen Worten und mit gefalteten Händen.

11.15
Arjuna sprach:
In Deinem Körper schaue ich all die Götter, O Gott, und die verschiedenen Scharen von Wesen: Brahman, den Schöpfergott, im Lotos sitzend, und die Rishis und das Volk der göttlichen Schlangen.

11.16
Ich erblicke Arme und Körper, Augen und Münder, ich sehe Deine unendlichen Formen zu allen Seiten. Aber ich sehe weder Dein Ende noch Deine Mitte noch Deinen Anfang, O Herr des Weltalls, O allumfassende Gestalt.

11.17
Ich sehe Dich mit Deiner Krone, mit Deinem Streitkolben und Deinem Diskus, kaum zu erkennen, denn Du bist eine leuchtende Masse von Energie zu allen Seiten von mir, eine Flammenglut, die mich einschließt, ein sonnenhelles, feuerglühendes Unermessliches.

11.18
Du bist der erhabene Unwandelbare, den wir erkennen müssen. Du bist das hohe Fundament und der hohe Wohnsitz des Universums. Du bist der unvergängliche Hüter der ewigen Gesetze. Du bist die immerwährende Seele des Seins.

11.19
Ich erblicke Dich als den ohne Anfang, Mitte und Ende von unendlicher Stärke, mit zahllosen Armen, Deine Augen sind Sonnen und Monde, Du hast ein Gesicht von flammendem Feuer und entzündest das ganze Weltall mit der Flamme Deiner Energie.

In der Großartigkeit dieser Schau findet sich aber auch das erschreckende Angesicht des Zerstörers. Dieser Unermessliche ohne Ende, Mitte oder Anfang ist jener, in dem alle Dinge beginnen, dauern und enden. Diese Gottheit umfasst die Welten mit ihren zahllosen Armen und zerstört sie mit ihren Millionen Händen. (379-80)

11.20
Aller Raum zwischen Erde und Himmel wird von Dir allein ausgefüllt. Wenn diese Deine wilde und verblüffende Gestalt gesehen wird, winden sich alle drei Welten in Pein und Leiden, O Du mächtiger Geist.

11.21
Die Scharen der Götter dringen in Dich ein, voll Angst und Anbetung. Die Rishis und die Siddhas, laut rufend „Lass Frieden walten und Glück“, preisen Dich mit vielen Hymnen.

11.22
Die Rudras, Adityas, Vasus, Sadhyas, Vishvas, die beiden Aswins und die Maruts, die Ushmapas, die Gandharvas, die Yakshas und Asuras, die Siddhas, alle haben in erschrockenem Staunen ihre Augen auf Dich gerichtet.

11.23
Erschüttert und in Angst versetzt ist die Welt mit ihren Nationen, und auch ich bin es angesichts Deiner großen Gestalt mit den vielen Mündern und Augen, O Starkarmiger, den vielen Armen, Schenkeln, Füßen und Bäuchen, schrecklich anzusehen die vielen Zähne.

11.24
Ich erblicke Dich, O Vishnu, wie Du bis an den Himmel heranreichst, in vielen Farben erstrahlend, mit geöffneten Mündern und feurigen Augen. Beunruhigt und gequält ist die Seele in meinem Inneren, und ich finde keinen Frieden und keine Freude mehr.

11.25
Da ich auf Deine Münder schaue, schrecklich anzusehen mit ihren vielen Fangzähnen zum Zerstören, auf Deine Gesichter, die den Vernichtungsfeuern von Tod und Zeit gleichen, verliere ich jeden Richtungssinn und finde keinen Frieden mehr. Wende Dein Herz der Gnade zu, O Gott der Götter, Zuflucht aller Welten!

11.26-27
Die Söhne des Dhritarashtra, sie alle mit der Vielzahl der Könige und Helden, Bhishma, Drona und Karna zusammen mit den hervorragendsten Kriegern auch auf unserer Seite, sie alle stürzen sich in Deine Hauer und schrecklichen Rachen. Manche sieht man mit zermalmten blutigen Schädeln gefangen zwischen Deinen Zähnen der Macht.

11.28
Wie die Strömung vieler Fluten dem Ozean zueilt, so werden alle diese Helden der Menschenwelt in Deine vielen Flammenmünder hineingerissen.

11.29
Wie ein Schwarm von Motten in immer wachsender Hast zu ihrem Verderben hineinfliegt in ein Feuer, das jemand entzündete, so stürzen sich jetzt die Nationen mit wachsender Eile in Deinen Rachen des Verderbens.

11.30
Die Regionen ringsum leckst Du mit Deinen Zungen und verschlingst alle Völker in Deinem Feuerrachen. Die ganze Welt ist erfüllt von der Glut Deiner Energien. Grell und fürchterlich ist Dein Feuermeer, und es verbrennt uns alle, O Vishnu.

11.31
Erkläre mir, wer Du bist, der Du diese Gestalt des Schreckens trägst. Sei gegrüßt, O Du gewaltige Gottheit! Wende Dein Herz der Gnade zu! Wissen möchte ich, wer Du bist, der Du von Anfang warst. Denn ich kann die Absicht Deines Wirkens nicht verstehen.

Dieser letzte Aufschrei Arjunas lässt uns die doppelte Absicht der Gita mit dieser Vision erkennen. Es ist die Gestalt des höchsten und universalen Wesens, des Alten der Tage, der auf ewig da ist, sanātanaṁ puruṣaṁ purāṇaṁ. Das ist Er, der immer erschafft; denn Brahma, der Schöpfer, ist eine der Gottheiten, die in diesem Körper geschaut werden. Er erhält stets die Welt im Dasein, denn er ist der Hüter der ewigen Gesetze. Aber er zerstört sie auch immer, damit er von neuem erschaffen kann. Er ist Zeit. Er ist Tod. Er ist Rudra, der Tänzer des stillen schauerlichen Tanzes. Er ist Kali mit ihrer Girlande von Totenschädeln, die nackt in der Schlacht herumstapft, befleckt vom Blut der erschlagenen Titanen. Er ist der Zyklon und das Feuer und das Erdbeben. Er ist Schmerz, Hungersnot, Revolution und Ruin, er ist der alles verschlingende Ozean. Und es ist gerade dieser letztere seiner Aspekte, den die Gita im Augenblick herausstellt. Das ist ein Aspekt, von dem sich das mentale Wesen des Menschen absichtlich abwendet und vor dem es, wie der Vogel Strauß, seinen Kopf verbirgt, damit es vielleicht, wenn es den Schrecklichen nicht sieht, auch von ihm nicht gesehen wird. Die Schwäche des menschlichen Herzens wünscht sich nur freundliche und tröstliche Wahrheiten oder, wenn diese fehlen, angenehme Fabeln. Sie will die Wahrheit in ihrem vollen Umfang gar nicht haben, weil es dann viel gibt, was nicht klar, angenehm und bequem ist, sondern schwer zu verstehen und noch härter zu ertragen. Der gewöhnliche religiöse Mensch, der oberflächliche optimistische Denker, der sentimentale Idealist, der Mensch, der von seinen Empfindungen und Gefühlen abhängt, sie alle stimmen darin überein, dass sie sich an den ernsteren Folgen der Wirklichkeit vorbeidrücken und vor den mehr rauen und schrecklichen Aspekten des universalen Seins ausweichen. Aus Unwissenheit hat man der indischen Religion einen Vorwurf daraus gemacht, dass sie an diesem allgemeinen Versteckspiel nicht teilgenommen hat, weil sie im Gegenteil vor ihrem Blick die schrecklichen ebenso wie die freundlichen und schönen Symbole der Gottheit vor Augen geführt hat. Das ist aber gerade die Tiefe und Weite ihrer langen Erfahrung und ihres spirituellen Denkens, die sie vor dem Gefühl und der Billigung schwächlichen Zurückschreckens bewahrten.

Die indische Spiritualität weiß, dass Gott Liebe, Friede, Stille und Ewigkeit ist. Die Gita, die uns jenen schrecklichen Bildern gegenüberstellt, spricht von der Gottheit, die sich in ihnen als der Liebende, als der Freund der Geschöpfe verkörpert. Es gibt aber auch jenen strengeren Aspekt göttlicher Welt-Regierung, der uns von Anfang an begegnet: den der Zerstörung. Wenn wir ihn nicht beachten, verfehlen wir die volle Wirklichkeit der göttlichen Liebe, des Friedens, der Stille und Ewigkeit. Wir legen dann Gott sogar einen Aspekt von Parteilichkeit und Illusion bei, weil die ausschließlich tröstliche Form, in der man hier Gottes Wirken darstellt, von der Art der Welt, in der wir leben, nicht bestätigt wird. Diese Welt unseres Kämpfens und Mühens ist eine wilde, gefährliche, zerstörende, verschlingende Welt, in der das Leben nur unter Gefahren existiert. Seele und Körper des Menschen sind in ihr enormen Gefährdungen ausgesetzt. Es ist eine Welt, in der bei jedem Schritt, den wir tun, ob wir es wollen oder nicht, von uns etwas zertreten oder zerstört wird; jedes Atmen von Leben ist auch ein Atmen von Tod. Es sind nur ärmliche Ausflüchte und primitive Vertröstungen, zu denen das religiöse Denken Indiens nie seine Zuflucht genommen hat: Wenn man die Verantwortung für alles, was uns böse oder schrecklich erscheint, einem halb-allmächtigen Teufel anlastet oder als Teil der Natur abtut und dadurch einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen der Welt-Natur und der Gott-Natur schafft, als ob die Natur unabhängig von Gott existieren würde; oder wenn man die Verantwortung dem Menschen und seiner Sündhaftigkeit aufhalst, als ob der Mensch bei Erschaffung dieser Welt eine ausschlaggebende Stimme gehabt hätte oder etwas gegen den Willen Gottes erschaffen könnte. Wir müssen mutig der Wirklichkeit ins Auge schauen und erkennen, dass es Gott ist, und niemand sonst, der diese Welt in seinem Sein und so erschaffen hat, wie sie ist. Wir müssen erkennen, dass die Natur ihre Kinder verschlingt, dass die Zeit das Leben der Geschöpfe verzehrt, dass der Tod universal und unentrinnbar ist, dass auch die Gewalt der Rudra-Kräfte im Menschen und in der Natur die höchste Gottheit in einer ihrer kosmischen Gestalten bildet. Wir müssen erkennen: Gott ist der unermesslich reiche und verschwenderische Schöpfer; Gott ist der hilfreiche und gütige Bewahrer; ebenso ist es auch Gott, der seine Geschöpfe verschlingt und zerstört. Die Qual auf dem Schmerzenslager, die Peinigung durch das Böse ist ebenso eine Berührung durch ihn wie das Glück, die Freundlichkeit und die Freude. Nur wenn wir mit dem Auge der völligen Einung schauen und diese Wahrheit in den Tiefen unseres Wesens fühlen, können wir hinter dieser Maske auch das ruhige und schöne Gesicht der all-wonnevollen Gottheit ganz entdecken. Wenn er uns so anrührt, um unsere Unvollkommenheit zu prüfen, können wir die Hand des Freundes fühlen, der auf diese Weise den Geist im Menschen wachsen lässt. Die Missklänge der Welt sind Gottes Missklänge. Erst wenn wir sie annehmen und durch sie hindurchgehen, können wir zu dem höheren Wohlklang seiner erhabenen Harmonie gelangen, zu den höchsten Höhen und begeisternden unendlichen Weiten seines transzendenten, kosmischen Ananda.

Das von der Gita aufgeworfene Problem und die Lösung, die sie ihm gibt, erfordern diese Art der Schau des Welt-Geistes… Warum muss es denn auf solche Weise geschehen, dass sich der All-Geist in der Natur offenbart? Was ist der Sinn dieser erschaffenden und verzehrenden Flamme des sterblichen Seins? Warum dieser weltweite Kampf, diese ständigen unheilvollen Revolutionen, dieses Mühen, die Angst, die Wehen und das Vergehen der Geschöpfe? Er stellt die uralte Frage und flüstert das ewige Gebet. (380-83)

11.32
Der Erhabene sprach:
Ich bin der Zeit-Geist, der Vernichter der Welt, der sich aufgemacht hat in Riesengestalt zur Vernichtung der Völker. Auch ohne dein Zutun werden alle diese Krieger, die sich in den Heeren gegenüberstehen, nicht mehr sein.

Von dem Zeitlosen, der sich offenbart als Zeit und Welt-Geist, geht der Befehl zum Handeln aus. Denn ganz gewiss meint die Gottheit, wenn sie sagt: „Ich bin die Zeit, der Zerstörer der Wesen“ nicht, dass sie nur der Zeit-Geist ist oder dass sich das Wesen des Zeit-Geistes darin erschöpfe, zu zerstören. Zerstörung ist aber das, was der jetzige Wille in seinem Wirken ist, pravṛtti. (384)

Auch ohne dein Zutun: Ich habe eine vorausschauende Absicht, die sich unfehlbar in Erfüllung bringt. Kein menschliches Wesen kann sie dadurch verhindern, verändern oder umgestalten, dass es an ihr teilnimmt oder sich ihr entzieht. Alles ist von Mir im ewigen Blick Meines Willens schon vorher getan worden, bevor es überhaupt von einem Menschen auf Erden getan werden kann. Ich muss als die Zeit die alten Strukturen zerstören und ein neues, mächtiges und herrliches Reich aufbauen. Du musst in diesem Kampf, den du nicht verhindern kannst, als menschliches Werkzeug der göttlichen Macht und Weisheit für das Recht kämpfen und seine Gegner erschlagen und besiegen. Auch sollst du, die menschliche Seele in der Natur, dich an der Frucht freuen, die dir von Mir gegeben wird: Das Reich des Rechts und der Gerechtigkeit. Lass dir genügen, in deiner Seele eins zu sein mit Gott, seinen Befehl anzunehmen, seinen Willen zu tun, ruhig zu erkennen, wie seine höchste Absicht in der Welt erfüllt wird. (383-84)

11.33
Darum erhebe dich! Erwirb dir deinen Ruhm! Besiege deine Feinde! Erfreue dich einer reichen Herrschaft! Durch Mich und niemand sonst sind auch sie bereits erschlagen. Auf dir liegt nur der Vollzug, O Savyasachin.

11.34
Töte sie, die schon von Mir getötet sind: Drona, Bhishma, Jayadratha, Karna und die anderen heldenhaften Krieger! Lass keinen Schmerz und keine Verwirrung mehr über dich kommen! Kämpfe, du wirst den Feind in der Schlacht besiegen!

Der Lohn für das große, schreckliche Werk wird versprochen und vorausgesagt, aber nicht als eine Frucht, nach der der Einzelne hungert – denn danach soll kein Verlangen sein –, sondern als das Ergebnis des göttlichen Willens, als Ruhm und Erfolg der Sache, die durchgeführt werden muss, als ein Ruhm, den Gott sich selbst durch seinen Vibhuti verleiht. Dergestalt ist der endgültige und zwingende Befehl zum Handeln, der dem Vorkämpfer in dieser Welt-Schlacht gegeben wird. (384)

Der doppelte Aspekt

11.35
Sanjaya sprach:
Als Kiriti (Arjuna) mit gefalteten Händen und zitternd diese Worte Keshavas gehört hatte, huldigte er ihm nochmals und sprach zu Krishna mit versagender Stimme, zutiefst erschrocken und niedergebeugt.

11.36
Arjuna sprach:
Recht und billig ist es, O Krishna, dass die Welt über Deinen Namen jubelt und frohlockt. In Schrecken fliehen vor Dir die Rakshasas nach allen Richtungen, und die Scharen der Siddhas verbeugen sich vor Dir in Anbetung.

Während noch auf Arjuna die Auswirkungen des schrecklichen Aspekts dieser Vision liegen, sind doch die ersten von ihm geäußerten Worte, nachdem die Gottheit gesprochen hat, ein beredtes Zeugnis für die erhebende und ermutigende Wirklichkeit hinter diesem Todesanblick und dieser Zerstörung…

Es gibt etwas, das das Herz der Welt froh sein und Freude gewinnen lässt durch den Namen und die Nähe des Göttlichen. Es ist das tiefe Empfinden dessen, was uns im finsteren Gesicht von Kali das Antlitz der Mutter schauen lässt, so dass wir, selbst inmitten der Zerstörung, die beschützenden Arme des Freundes der Geschöpfe wahrnehmen; mitten im Bösen die Gegenwart einer reinen unwandelbaren Güte; inmitten des Todes den Herrn der Unsterblichkeit. Aus Angst vor dem König der göttlichen Aktion fliehen die Rakshasas, die wilden gigantischen Mächte der Finsternis, zerstört, besiegt, überwältigt. Aber die Siddhas, die Vollendeten und Vollkommenen, die den Namen des Unsterblichen kennen und besingen, die in der Wahrheit seines Wesens leben, beugen sich nieder vor jeglicher seiner Gestalten und erkennen, was jede Form in ihrem innersten Heiligtum birgt und bedeutet. Nichts braucht sich wirklich zu fürchten außer dem, was zerstört werden muss, das Böse, die Unwissenheit, die alles in Nacht hüllen, die Rakshasa-Mächte. Jede Bewegung und Aktion von Rudra, dem Schrecklichen, zielt auf Vollkommenheit, auf göttliches Licht und auf Vollendung. (388-90)

11.37
Wie sollten sie Dir auch keine Huldigung erweisen, O mächtiger Geist! Denn Du bist der ursprüngliche Schöpfer und Wirkende und größer selbst als der schöpferische Brahman. O Du Unendlicher, O Du Herr der Götter, O Du Wohnsitz des Weltalls! Du bist der Unwandelbare. Du bist das, was ist und was nicht ist, und Du bist, was das Erhabene ist.

Die wirkliche göttliche Schöpfung ist ewig. Sie ist das Unendliche, das im ewigen Ablauf in endlichen Dingen geoffenbart wird. Sie ist der Geist, der sich immer und ewig in seiner unberechenbaren Unendlichkeit von Seelen, im Wunder seiner Aktionen und in der Schönheit seiner Gestaltungen verbirgt und offenbart. Er ist der ewige Unwandelbare. Er ist die zweifache Erscheinung des „Es ist“ und des „Es ist nicht“; als das Manifestierte und das niemals Manifestierte; als die Dinge, die waren und scheinbar nicht mehr sind; als die Dinge, die sind und zum Untergang verurteilt zu sein scheinen; als das, was sein wird und vorübergehen wird. Aber das, was Er jenseits von all diesen Dingen ist, das ist Jener, der Erhabene, der alle veränderlichen Dinge in der einzigen Ewigkeit einer Zeit hält, für die alles immer gegenwärtig ist. Er besitzt sein unwandelbares Selbst in zeitloser Ewigkeit, die sich in Zeit und Schöpfung ständig gestalthaft ausbreitet. (390)

11.38
Du bist die uralte Seele und die erste und ursprüngliche Gottheit, die erhabene Ruhestätte dieses Alls. Du bist der Wissende und alles, was erkannt werden soll. Du bist der höchste Zustand des Seins. O Du Unendlicher in endlicher Gestalt, durch Dich ist dieses Weltall ausgebreitet worden.

Er ist der Wissende, der im Menschen die Erkenntnis von ihm selbst, von der Welt und von Gott entfaltet, jenes einzigen Gegenstands aller Erkenntnis, der sich dem Herzen, dem Mental und der Seele des Menschen offenbart, so dass jede neue Erleuchtung in unserer Erkenntnis eine seiner bis zur höchsten aufsteigenden Teil-Entfaltungen ist, durch die er gründlich, tief und vollständig geschaut und entdeckt wird. Das ist die hocherhabene Unveränderlichkeit, der feste Grund, der alle Wesen, die im Weltall sind, hervorbringt, trägt und wieder zu sich nimmt. Durch ihn wird die Welt innerhalb seines eigenen Seins ausgebreitet: Durch seine Allmacht, seine wunderbare Selbst-Empfängnis und Energie, durch sein Ananda einer niemals endenden Schöpfung. (390-91)

11.39-40
Du bist Yama und Vayu und Agni und Soma und Varuna und Prajapati, Vater der Geschöpfe und ihr Urahne. Sei tausendmal gegrüßt und wieder und immer wieder gegrüßt von vorn, von hinten und von allen Seiten, denn Du bist alles und jedes, das ist. Unendlich an Macht, unermesslich an Kraft zum Handeln, durchwaltest Du alles und bist alles.

Er ist die unzähligen Götter vom geringsten bis zum höchsten. Er ist der Vater der Geschöpfe, alle sind seine Kinder und sein Volk. Er ist der Ursprung von Brahma, dem Vater des ersten Vaters der göttlichen Schöpfung dieser verschiedenen Gattungen lebendiger Dinge. Mit Nachdruck wird ständig auf diese Wahrheit hingewiesen. So wird wiederholt: Er ist das All, jeder und jedes Einzelne, sarvaḥ. Er ist der unendliche Universale. Er ist jedes Individuum und jedes Ding, das ist, die einzige Kraft, das einzige Wesen in jedem Einzelnen von uns, die unendliche Energie, die sich in diesen Mengen ausbreitet, der unermessliche Wille und die gewaltige Macht von Bewegung und Handeln, die aus sich selbst heraus all die Abläufe der Zeit und all die Ereignisse des Geistes in der Natur gestaltet. Von dieser Beteuerung wendet sich das Denken in natürlicher Weise der Gegenwart dieser einen großen Gottheit im Menschen zu. (391)

11.41-42
Habe ich je vor Dir ein kühnes und vorschnelles Wort gesprochen, da ich Dich nur als meinen menschlichen Freund und Gefährten ansah, wenn ich sagte: „O Krishna, O Yadava, O Kamerad“; da ich nichts wusste von Deiner Erhabenheit, in unbedachten Irrtum oder in Liebe redete; habe ich Dir je Respektlosigkeit gezeigt in Scherz und Spiel, wenn wir auf den Polstern, dem Ratssitz oder beim Bankett beieinander saßen; wenn ich allein war oder in Deiner Gegenwart, Du Fehlloser –, so erbitte ich Vergebung von Dir, dem Unermesslichen.

Dieses höchste universale Wesen hat hier vor ihm mit menschlichem Angesicht, in sterblichem Körper, als der göttliche Mensch, als verkörperte Gottheit, als Avatar gelebt; und er hat ihn bis jetzt nicht erkannt. Er hat nur die menschliche Seite gesehen, das Göttliche als bloß menschliches Geschöpf behandelt. Er ist nicht durch die irdische Maske zur Gottheit durchgedrungen, für die das Menschsein nur Gefäß und Symbol war. Und nun bittet er Gott um Verzeihung für seine blinde Sorglosigkeit und seine gleichgültige Unwissenheit. (388-89)

Er hat jetzt nur die erschütternde, unendliche, unermessliche Wirklichkeit all der wahrnehmbaren Dinge geschaut, diese grenzenlose universale Gestalt, die so weit über jede individuelle Gestalt hinausragt und für die doch jedes individuelle Wesen ein Haus ist, um darin zu wohnen. (391)

11.43
Du bist der Vater dieser ganzen Welt der sich bewegenden und der unbeweglichen Dinge. Du bist der einzige, dem Anbetung gebührt, das erhabenste Ziel der Verehrung. Niemand ist Dir gleich. Wie könnte denn ein anderer in den drei Welten größer sein als Du, in Deiner Allmacht Unvergleichlicher!

11.44
Darum verneige ich mich tief vor Dir. Ich werfe meinen Körper vor Dir zu Boden und verlange Gnade von Dir, dem anbetungswürdigen Herrn. Wie ein Vater mit seinem Sohn, wie ein Freund mit seinem Freund und Kameraden, wie einer, der liebevoll ist zu dem, den er liebt, so sollst Du, O Gottheit, mit mir verfahren.

Dass das, was in der menschlichen Offenbarung und in der menschlichen Beziehung dargestellt ist, ebenfalls eine Wirklichkeit ist, die für unser Mental den furchterregenden Eindruck der universalen Vision begleitet und mildert. Wir müssen die Transzendenz und den kosmischen Aspekt sehen, denn ohne sie zu erkennen, können wir nicht über die Begrenztheiten unseres Menschseins hinauskommen. In dieses alles vereinigende Einssein muss alles einbezogen werden. Das würde aber an sich eine zu große Kluft zwischen dem transzendenten Geist und unserer Seele schaffen, die hier in einer niederen Natur gebunden und begrenzt ist. Die unendliche Gegenwart wäre in ihrer ungemilderten Pracht für die gesonderte Geringfügigkeit des begrenzten einzelnen physischen Menschen zu überwältigend. Darum ist ein Verbindungsstück nötig, durch das der Mensch die universale Gottheit im Inneren seines eigenen individuellen und physischen Wesens erkennen kann, das ihm nahesteht, nicht nur dort allmächtig thront, um alles, was es ist, durch allumfassende und unermessliche Macht zu regieren, vielmehr in menschlicher Gestalt, um uns zur Einheit zu tragen und emporzuheben durch eine vertraute individuelle Beziehung. Die Verehrung, in der das endliche Geschöpf sich vor dem Unendlichen niederbeugt, empfängt all seine Liebe. Sie kommt ihm entgegen in wahrer Kameradschaft und wirklichem Einssein, wenn sie sich zu einer noch innigeren Anbetung vertieft, im Empfinden der Vaterschaft Gottes, der Freundschaft Gottes, und der anziehenden Liebe, die zwischen dem Göttlichen Geist und unserer menschlichen Seele und Art besteht. Denn Gott wohnt in der Seele und im Körper des Menschen. Er umhüllt ihn und trägt so das Gewand von Mental und Gestalt des Menschen. Er nimmt die menschlichen Beziehungen an, die die Seele in ihrem sterblichen Körper so tief berühren und die nun in Gott ihre Sinnerfüllung und größte Verwirklichung finden. Das ist das Vaishnava Bhakti, dessen Keim hier in den Worten der Gita liegt, das aber erst später tiefere, ekstatische, bedeutungsvollere Ausweitung erfahren hat. (392-93)

11.45
Ich habe gesehen, was niemals zuvor gesehen ward, und bin voller Freude, wenn auch mein Verstand von Furcht verwirrt ist. O Gottheit, zeige mir nun Deine andere Gestalt, wende Dein Herz der Gnade zu, Du Herr der Götter, O Du Wohnung des Weltalls!

Die Gestalt des transzendenten und universalen Wesens ist für die Kraft des befreiten Geistes etwas Mächtiges, Ermutigendes, ihn Stärkendes, eine Quelle der Macht, eine Vision, die ihn gelassen werden lässt, verfeinert und alles ins rechte Licht rückt. Aber für den normalen Menschen ist sie zu überwältigend, erschreckend und unausdrückbar. Die Wahrheit, die Sicherheit gibt, wird, auch wenn sie erkannt wird, nur schwer erfasst hinter dem schrecklichen und gewaltigen Aspekt der alles zerstörenden Zeit, hinter einem unberechenbaren Willen und einem weiten, unermesslichen und unentwirrbaren Wirken. Es gibt aber auch die gnadenvolle vermittelnde Gestalt des göttlichen Narayana, den Gott, der dem Menschen nahe und im Menschen ist, der Wagenlenker in der Schlacht und auf der Lebensreise, den Gott mit den vier Armen hilfreicher Macht, ein zum Menschen gewordenes Symbol der Gottheit, nicht jene millionenarmige Universalität. Diesen vermittelnden Aspekt muss der Mensch zu seiner Hilfe stets vor Augen haben. Denn diese Gestalt des Narayana ist es, die die uns Sicherheit verleihende Wahrheit symbolisiert. Sie lässt die unendliche spirituelle Freude, in der die universalen Wirkensweisen für den inneren Geist und das Leben des Menschen uneingeschränkt ihren Höhepunkt, ihr wunderbares, verheißungsvolles Ergebnis finden, erkennbar werden hinter ihrem gewaltigen Kreislauf, all dem Rückschritt und Fortschritt, als etwas Nahes, Sichtbares, Lebendiges, Begreifbares. (393)

11.46
Sehen möchte ich Dich wieder so wie zuvor, den Gekrönten mit Streitkolben und Diskus. Nimm Deine vierarmige Gestalt wieder an, O Du Tausendarmiger, O universale Gestalt.

11.47
Der Erhabene sprach:
Was du jetzt durch Meine Gunst erschaust, O Arjuna, ist Meine erhabene Gestalt, Meine Gestalt von leuchtender Kraft, die allumfassende, unendliche, ursprüngliche, die niemand unter den Menschen außer dir bis jetzt erblickt hat. Ich habe sie dir durch Meinen Selbst-Yoga gezeigt.

Denn sie ist ein Ebenbild meines eigentlichen Selbstes und Geistes. Es ist das wahre Allerhöchste, selbst-gestaltet im kosmischen Sein. Die Seele, die in vollkommenem Yoga mit Mir geeint ist, schaut es ohne nervöses Zittern und ohne Bestürzung oder Verwirrung des Mentals. Denn dieser Mensch entdeckt nicht nur, was in der Erscheinung schrecklich und überwältigend ist, sondern auch dessen hohe und ermutigende Bedeutung. (393-94)

11.48
Nicht durch das Studium der Veden, nicht durch Opfer und auch nicht durch Gaben, nicht durch zeremonielle Riten, nicht durch strenge Kasteiungen kann diese Meine Gestalt von jemand anderem als dir geschaut werden, du Vornehmster der Kurus.

11.49
Ohne Schmerz solltest du diesen Meinen schrecklichen Anblick ertragen, ohne Verwirrung deines Mentals, ohne dass dir die Glieder versagen. Wirf die Furcht von dir und lass dein Herz frohlocken! Erblicke wieder Meine andere Gestalt!

Aber da die niedere Natur in dir noch nicht dazu bereitet ist, diese Verkörperung mit jener hohen Kraft und Ruhe anzuschauen, will ich für dich wieder meine Narayana-Gestalt annehmen, in der das Mental des Menschen gesondert und abgestimmt auf das menschliche Wesen die Ruhe, Hilfsbereitschaft und Wonne dieser freundlichen Gottheit sieht. (394)

11.50
Sanjaya sprach:
Als Vasudeva so zu Arjuna gesprochen hatte, offenbarte er ihm wieder seine normale (Narayana) Erscheinung. Der Mahatman nahm wieder die ersehnte Gestalt der Gnade, Liebe und Holdseligkeit an und tröstete so den Erschrockenen.

11.51
Arjuna sprach:
Da ich nun wieder Deine freundlich-menschliche Gestalt erblicke, O Janardana, wird mein Herz von Wonne erfüllt, und ich genese wieder zu meiner eigenen Natur.

11.52-54
Der Erhabene sprach:
Die mächtigere Gestalt, die du hast schauen dürfen, ist nur für die wenigen, höchst-entwickelten Seelen. Die Götter selber verlangen immer danach, sie zu betrachten. So wie du Mich erblickt hast, kann ich nicht erkannt werden durch das Studium des Veda, noch durch strenge Kasteiungen, noch durch Gaben oder durch Opfer. Es kann nur erreicht werden durch jenes Bhakti, das allein Mich in allen Dingen betrachtet, anbetet und liebt.

Der Mensch kann mit Hilfe anderer Mittel diesen oder jenen ausschließlichen Aspekt des einen Seins erkennen – seine individuellen, kosmischen oder die Welt ausschließenden Gestaltungen, jedoch nicht dieses größte, alles in sich versöhnende Einssein aller Aspekte der Göttlichkeit, in der zu ein und derselben Zeit und in ein und derselben Schau alles manifestiert, alles transzendiert und alles zu seinem Höchsten gebracht und in wundervoller Weise alles in einem unaussprechlichen Einssein geoffenbart ist: die transzendente, die universale und die Individuelle Gottheit, Geist und Natur, das Unendliche und das Endliche, Raum, Zeit und Zeitlosigkeit, das Sein und das Werden, alles, was wir von der Gottheit zu denken und zu erkennen uns bemühen können, sowohl vom absoluten wie vom manifestierten Sein. Diese Schau kann nur durch absolute Anbetung, durch Liebe, durch innere Einung erlangt werden, die auf ihrem Höhepunkt die Fülle von Wirken und Wissen krönt. Dann wird es möglich, die höchste Gestalt des Erhabenen zu erkennen, zu schauen, in sie einzugehen und eins mit ihr zu werden. Das ist ein Ziel, das die Gita für ihren Yoga in Aussicht stellt. Es gibt ein höchstes Bewusstsein, durch das es möglich ist, in die Herrlichkeit des Transzendenten einzugehen und in ihm dann jenes unwandelbare Selbst und alles sich wandelnde Werden in uns selbst zu umfassen. Es ist möglich, eins zu werden mit allem, jedoch über allem; über die Welt hinauszukommen und doch die ganze Natur sowohl der kosmischen wie der suprakosmischen Gottheit zu umfassen. Sicherlich ist das für den beschränkten Menschen schwer, da er in Mental und Körper eingekerkert ist. Die Gottheit zeigt jedoch den Weg im nächsten Sloka. (394-95)

11.55
Sei Vollstrecker Meiner Werke! Nimm Mich an als das erhabene Wesen und Ziel! Werde Mein Bhakta! Sei frei von Bindung und ohne Feindschaft zu allen Wesen! Denn solch ein Mensch gelangt zu Mir, O Pandava.

Mit anderen Worten: Überlegenheit über die niedere Natur, Einung mit allen Geschöpfen, Einssein mit der kosmischen Gottheit und der Transzendenz, Einssein des Willens mit dem Göttlichen im Wirken, absolute Liebe zu dem Einen und zu Gott in allem –, das ist der Weg zu jenem absoluten spirituellen Hinauskommen über das eigene Selbst, der Weg zu jener unvorstellbaren Transformation. (395)