Ruhe, Stille und Schweigen (2)
Die Mutter
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Überall auf der Welt wächst das Interesse an Spiritualität und Yoga. Man kann eine zunehmende Suche nach dem wahren Sinn und Zweck des Lebens erkennen, eine Suche nach tieferen Lösungen für die Probleme, mit denen wir alle konfrontiert sind, und man kann eine zunehmende Bemühung beobachten, am evolutionären Wandel und Fortschritt der Menschheit beitragen zu wollen.
Bei dieser Suche und Bemühung wenden sich immer mehr Menschen an Sri Aurobindo und die Mutter, um Führung und Kraft zu finden. Aber in den umfangreichen Werken Sri Aurobindos und der Mutter wissen wir oft nicht, wo wir Antworten auf unsere Fragen finden können. Aus diesem Grund haben wir zu bestimmten Themen des alltäglichen Lebens einfache Auszüge aus ihren Werken zusammengetragen, die für die Sadhana eine praktische Orientierung im Alltag geben sollen, denn wahre Spiritualität bedeutet nicht, sich vom Leben abzukehren, sondern das Leben mit einer Göttlichen Vollkommenheit zu vollenden.
Diesbezüglich sagte die Mutter:
„Sri Aurobindo sollte nicht nach Büchern studiert werden, sondern nach Themen – was er über das Göttliche, die Einheit, die Religion, die Evolution, die Erziehung, die Selbstvervollkommnung, das Supramental, usw. gesagt hat.“ (CWM 12: 206)
Bei einer anderen Gelegenheit sagte sie:
„Wenn du wissen willst, was Sri Aurobindo zu einem bestimmten Thema gesagt hat, musst du zumindest alles lesen, was er zu diesem Thema geschrieben hat. Man wird dann sehen, dass er die widersprüchlichsten Dinge gesagt zu haben scheint. Aber wenn man alles gelesen und ein wenig verstanden hat, sieht man, dass all die Widersprüche sich ergänzen und in einer integralen Synthese geordnet und geeint sind.“ (CWM 16: 309-310)
Unsere Titel aus der Reihe ALLES LEBEN IST YOGA sind ein Versuch, etwas mehr Klarheit über ein bestimmtes Thema zu gewinnen und so vielleicht unsere persönlichen Bemühungen in die richtige Richtung zu lenken. Denn Sri Aurobindo sagt:
„Es ist stets wünschenswert, sich in die richtige Richtung zu bemühen; selbst wenn man scheitert, bringt das Bemühen ein bestimmtes Ergebnis und ist niemals verloren.“ (CWSA 29: 87)

Die Übersetzung der Textstellen von Sri Aurobindo erfolgte aus dem ursprünglichen Englisch, während die meisten Passagen der Mutter bereits Übersetzungen aus dem Französischen waren. Fast alle Texte der Mutter wurden ihren Gesprächen, die sie mit Kindern und Erwachsenen führte, entnommen, einige ihren Schriften. Wir müssen außerdem berücksichtigen, dass die Auszüge ihrem ursprünglichen Zusammenhang entnommen wurden und dass jede Zusammenstellung ihrer Natur nach möglicherweise einen persönlichen und subjektiven Charakter hat. Es wurde jedoch der aufrichtige Versuch unternommen, der Vision Sri Aurobindos und der Mutter treu zu bleiben.
Die Textauszüge sind vom Verlag zum Teil mit Kapiteln und Überschriften versehen worden, um ihre Themen hervorzuheben. Sofern es möglich war, wurden sie in Anlehnung eines Satzes aus dem Text selbst gewählt.
Sri Aurobindo und die Mutter machen von der in der englischen Sprache gegebenen Möglichkeit, Wörter groß zu schreiben, um ihre Bedeutung hervorzuheben, häufig Gebrauch. Mit dieser Großschreibung bezeichnen sie meist Begriffe aus übergeordneten Daseinsbereichen, doch auch allgemeine wie Licht, Friede, Kraft usw., wenn sie ihnen einen vom üblichen Gebrauch abweichenden Sinn zuordnen. Diese Begriffe wurden in diesem Buch kursiv hervorgehoben, um dem Leser zu einer leichteren Einfühlung in diese subtilen Unterscheidungen zu verhelfen.
Eckige Klammern bezeichnen Einfügungen des Übersetzers, die um des besseren Verständnisses willen angebracht erschienen. Einige wenige Sanskritwörter wie Sadhana, Sadhaka, Yoga usw. wurden eingedeutscht, da sie durch ihren häufigen Gebrauch bereits als Bestandteil der deutschen Sprache angesehen werden können. Alle anderen Sanskritwörter sind kursiv hervorgehoben, wobei auf diakritische Transkriptionszeichen verzichtet wurde.
Die kursiv geschriebenen Textpassagen vor den Worten Sri Aurobindos und der Mutter sind Fragen bzw. Antworten von Schülern oder sonstige erläuternde Texte.


In sich unbewegt, sammelte sie Kraft.
– Sri Aurobindo

Sie war zugleich die Stille und das Wort,
Kontinent eines selbstausbreitenden Friedens,
Ein Meer von nicht flackernd jungfräulichem Feuer;
Die Stärke, das Schweigen der Götter war ihr zu eigen.
– Sri Aurobindo

Teil 2 RUHE, STILLE UND SCHWEIGEN WORTE DER MUTTER
Kapitel 1
Handeln und Schweigen
Unter den Menschen verfügen diejenigen, die ihr inneres Selbst entwickelt haben, die ihre Energien auf die Entdeckung des wahren Gesetzes ihres Wesens konzentriert haben, mehr oder weniger über die Fähigkeit der Intuition. Wenn der mentale Geist völlig still ist, klar wie ein gut polierter Spiegel, regungslos wie ein Teich an einem windstillen Tag, dann kann von oben, ebenso wie das Licht der Sterne in das bewegungslose Wasser fällt, das Licht des Supramentals, der inneren Wahrheit in das befriedete Mental leuchten und der Intuition zur Geburt verhelfen. Diejenigen, die es gewohnt sind, auf diese Stimme aus dem Schweigen zu hören, machen sie mehr und mehr zum Auslöser ihrer Aktionen; und wo andere, die Durchschnittsmenschen, den verwickelten Wegen des Verstandes folgen, schreiten sie geradeaus, von der Intuition, diesem überlegenen Instinkt, wie an einer starken, sicheren Hand durch die Weiten des Lebens geführt.

Hat der mentale Geist Erholung nötig, unabhängig vom physischen Körper und vom physischen Gehirn?
Ja, unbedingt. Und nur im Schweigen kann der mentale Geist das wahre Licht von oben empfangen. Ich glaube nicht, dass das mentale Wesen der Ermüdung ausgesetzt ist. Das ist eher eine Reaktion des Gehirns. Nur im Schweigen kann es sich über sich selbst hinaus erheben. Was nun den Schlaf und die Träume betrifft, wovon wir gesprochen haben, so gibt es etwas sehr Bemerkenswertes. Ich habe es erprobt. Gelingt es dir, nicht nur das Schweigen im Kopf herzustellen, sondern auch die Ruhe im Vital, alle Betätigungen deines Wesens anzuhalten, und verlässt du dann den Bereich der Formen und trittst in jenen Zustand ein, der Sachchidananda genannt wird, das höchste Bewusstsein, so bist du nach drei dort verbrachten Minuten mehr ausgeruht als nach acht Stunden Schlaf. Das ist allerdings nicht leicht… Es ist das absolut bewusste Bewusstsein, aber völlig unbewegt, im vollen ursprünglichen Licht. Erreichst du das, vermagst du alles in dir stillzulegen, dann nimmt dein gesamtes Wesen an jenem höchsten Bewusstsein teil, und ich habe festgestellt, dass drei Minuten jenes Zustandes ebenso viel Erholung bringen (und darunter verstehe ich körperliche Erholung, Erholung der Muskeln) wie acht Stunden gewöhnlichen Schlafs.

Was sollten die Maßnahmen zur Abschaffung der mentalen Intervention sein?
Der mentale Geist muss lernen ruhig zu sein, – ruhig zu bleiben, aufmerksam, ohne Lärm zu machen. Wenn ihr versucht, den mentalen Geist direkt zu beruhigen, ist es sehr schwer, fast unmöglich; denn der allerphysischste Teil des Mentals stellt seine Aktivität nie ein, – er läuft weiter und weiter wie ein Non-Stop-Aufnahmegerät. Er wiederholt alles, was er aufnimmt und macht endlos weiter und weiter damit, außer es gibt einen Abschaltknopf. Andererseits, wenn ihr versucht euer Bewusstsein auf eine höhere Ebene zu erheben, über den normalen mentalen Geist, beruhigt dieses Licht den Geist. Er ist nicht länger unruhig, und die so erreichte Stille kann dauerhaft werden. Wenn ihr einmal in diesen Bereich eingetreten seid, kann es sehr gut sein, dass ihr nie mehr aus ihm herauskommt, – der äußere mentale Geist bleibt ruhig.

Es ist schwer, den göttlichen Willen zu erkennen, nicht wahr?
…Es gibt vier Voraussetzungen, den göttlichen Willen zu erkennen:
Erste, grundlegende Voraussetzung: absolute Aufrichtigkeit.
Zweite, sich über die Begierden und Vorlieben zu erheben.
Dritte, den mentalen Geist zum Schweigen zu bringen und zu lauschen.
Vierte, unverzüglich zu gehorchen, wenn das Geheiß vernommen wird.
Wenn du darin beharrst, gewahrst du den göttlichen Willen immer klarer. Doch schon bevor du weißt, was er ist, kannst du deinen eigenen Willen darbringen, und du wirst sehen, wie alle Umstände sich genau so einrichten, dass du das Erforderliche tust. Aber man darf es nicht so machen wie jemand, den ich kannte und der sagte: „Ich sehe stets den göttlichen Willen in den anderen.“ Damit gerätst du irgendwohin, das ist etwas vom Gefährlichsten; denn wenn du den göttlichen Willen in den anderen siehst, tust du bestimmt ihren und nicht den göttlichen Willen. Auch da können wir sagen, dass es kaum einen Menschen unter vielen, vielen gibt, der mit dem göttlichen Willen übereinstimmt.

Erste Bedingung: schweigen können. Und nicht nur mit der Zunge schweigen, sondern im Kopf, den Kopf still halten. Wenn du eine wahre, aufrichtige Erfahrung willst, auf der du etwas begründen kannst, musst du schweigen können, sonst bekommst du nichts als Selbstfabriziertes, was soviel wie gar nichts ist. Dann kannst du höchstens feststellen: „Wie formungsfreudig ist doch mein Denken!“

Muss man sich in der schweigenden Meditation nicht völlig leer machen? Wie kann das dann aber vom Meditierenden abhängen?
Ich glaube, man verwechselt das Schweigen im Mental mit der völligen Leere im Wesen – zwei ziemlich verschiedene Dinge. Im Übrigen sehe ich nicht recht, wie man sich völlig leer machen kann; dann würde man ja gar nicht mehr existieren!

Wie man das kleine Ego aufhebt? – Erst einmal muss man es wollen, und nur sehr wenige Menschen wollen es. Und was sie sagen, die Rechtfertigung ihrer Seinsweise, ist eben dies: „So bin ich nun einmal gemacht, ich kann nicht anders. Und wenn ich dies oder jenes änderte, diese Sache aufgäbe oder jene ausmerzte, dann würde ich ja gar nicht mehr existieren!“ Und sagt man es auch nicht geradeheraus, so denkt man es doch. Man hängt an all diesen kleinen Wünschen, all diesen kleinen Befriedigungen, all diesen kleinen Seinsweisen, man hängt daran – man klammert sich an sie, will sie nicht fahren lassen. Ich habe Hunderte von Fällen erlebt, wo jemandes Schwierigkeit beseitigt wurde (mit einer bestimmten Kraft hatte man dem Betreffenden eine Schwierigkeit weggeräumt), aber nach ein paar Tagen nahm er sie mit Begeisterung wieder auf! Er erklärte: „Ohne dies existiere ich ja gar nicht mehr!“ Ich kannte Leute, die fast spontan das mentale Schweigen bekommen hatten und die dann nach ein, zwei Tagen ganz entsetzt wiederkamen: „Bin ich denn verblödet?“ – weil eben die mentale Maschine nicht mehr andauernd lief… Du kannst dir nicht vorstellen, du weißt gar nicht, wie schwer es fällt, sich von diesem kleinen Ego zu trennen; wie breit es sich trotz seiner Winzigkeit macht. Es nimmt so viel Platz ein und ist doch nur mikroskopisch klein. Das ist wirklich schwierig. Und bei gewissen allzu offenkundigen Dingen stößt man es beiseite; wenn da zum Beispiel etwas Gutes zu holen ist und einer losstürzt, um es auch ja als erster zu kriegen (was ja im gewöhnlichen Leben sehr oft geschieht), so sieht man ein, dass das nicht allzu schön ist und beginnt, solche Grobheiten zu unterdrücken, man strengt sich mächtig an – und wird recht zufrieden mit sich selbst: „Ich bin nicht egoistisch, ich gönne das Gute den anderen, ich beanspruche es nicht für mich“, und man bläht sich auf. Dabei füllt man sich mit einem moralischen Egoismus, der viel schlimmer ist als der physische, weil er sich seiner Überlegenheit bewusst ist. Und dann gibt es jene, die alles aufgeben, allem entsagen, die ihre Familie verlassen, ihren Besitz verteilen und sich in die Einsamkeit zurückziehen, also ein asketisches Leben führen und sich ihrer Überlegenheit schrecklich bewusst sind, indem sie die arme Menschheit von der Höhe ihrer spirituellen Größe herab betrachten – und diese besitzen ein derart fürchterliches Ego, dass sie, sofern dies Ego nicht in kleine Stücke geschlagen wird, das Göttliche niemals zu Gesicht bekommen werden. Eine so leichte Aufgabe ist es also nicht. Sie braucht viel Zeit. Und ich muss sagen: auch wenn die Aufgabe getan ist, muss sie immer wieder getan werden.

Mutter, manchmal spürt man eine Stille, aber man fühlt sich außerhalb dieser Stille. Warum ist das so?
Man fühlt eine Stille, und nun?
In den Dingen.
Nein. Wenn du in deinem Bewusstsein einen Zustand der Stille erreichst, nimmst du deinen Zustand der Stille überall wahr, aber die anderen nehmen ihn nicht unbedingt wahr. Du nimmst ihn wahr, weil du in diesem Zustand bist. Das ist das Gegenstück zu jenen, denen das Göttliche in ihrem Innern bewusst wird: Sie sehen das Göttliche überall, aber den anderen ist es nicht unbedingt bewusst. Und zwar deshalb, weil du es bist, die in diesen Zustand hineingekommen ist; da dir dieser Zustand bewusst ist, ist er dir überall bewusst, wo er sich findet; und in Wirklichkeit findet er sich überall irgendwo, nicht an der Oberfläche und äußerlich, sondern innerlich.
Man hat das Gefühl, dass man außerhalb der Stille ist, das sie nicht in mir ist.
Das man außerhalb der Stille ist? Dann ist man im Lärm! Ich verstehe nicht recht, was…
Ich meine, dass die Stille in den Dingen ist, aber nicht in mir.
Wahrscheinlich, weil du in diesem Moment mehr in den Dingen bist als in dir. Weil dir die Stille mehr außerhalb von dir als in dir bewusst geworden ist.
Liebe Mutter, es kommt manchmal vor, dass man nicht bereit war für eine Meditation oder Konzentration, und dann wird man plötzlich zu etwas genötigt und muss still sein, auch wenn man dann herauswollte, kann man nicht; man bleibt so, manchmal lange Zeit, völlig mitgerissen vom Strom des Geschehens. Fällt das unter eine Kategorie der Meditation?
Das bedeutet einfach, dass man plötzlich unter dem Einfluss einer höheren Kraft steht, die einem nicht bewusst ist; man ist sich nur der Wirkung bewusst, nicht der Ursache. Das ist alles. Etwas anderes ist es nicht. Wäre man bewusst, wüsste man, was einen still macht, was einen meditieren lässt, welche Kraft in einen hineingegangen ist oder auf einen einwirkt oder einen beeinflusst und einen in Stille versetzt. Da man aber nicht bewusst ist, ist einem nur die Wirkung, das Ergebnis bewusst, nämlich die Stille, die in einen hineingeht.

Ruhe ist ein sehr positiver Zustand. Es gibt einen positiven Frieden, der nicht das Gegenteil des Konflikts ist – einen aktiven, ansteckenden, mächtigen Frieden, der bändigt und beruhigt, der Ordnung schafft, der organisiert. Von diesem spreche ich. Wenn ich zu jemandem sage: „Sei ruhig“, will ich damit nicht sagen: „Geh schlafen, sei träge und passiv und tue nichts“, weit gefehlt! … Die wahre Ruhe ist eine sehr große Kraft, eine sehr große Macht. Wenn man die Sache von der anderen Seite betrachtet, kann man tatsächlich sagen, dass all jene, die wirklich stark und mächtig sind, immer eine große Ruhe besitzen. Nur die Schwachen sind aufgeregt. Sobald man wirklich stark ist, ist man friedvoll, still, ruhig, und man hat die Widerstandskraft, den feindlichen Wogen zu trotzen, die sich von außen hereinstürzen, in der Hoffnung, uns durcheinanderzubringen. Diese wahre Ruhe ist immer ein Zeichen von Stärke. Ruhe gehört den Starken.

Ich weiß nicht, ob jemand von euch gerne Musik hört. Aber wenn ihr Musik hören wollt, müsst ihr eine absolute Stille in eurem Kopf schaffen; ihr solltet keinem Gedanken folgen oder ihn annehmen, ihr solltet ganz konzentriert sein, euch zu einer Art Leinwand machen, geräuschlos und unbeweglich. Das ist die einzige Möglichkeit, Musik zu hören und zu verstehen. Wenn du auch nur die kleinste Regung oder Eigensinnigkeit in deinen Gedanken zulässt, wird dir der ganze Wert der Musik entgehen. Um nun eine Lehre zu verstehen, die nicht von materieller Art ist, die eine Öffnung zu den Dingen im Innern voraussetzt, ist die Notwendigkeit des Schweigens umso größer. Wenn du aber, anstatt dem Gesagten zuzuhören, auf eine Idee kommst, um eine weitere Frage zu stellen, oder wenn du anfängst, über das Gesagte zu diskutieren, unter dem fadenscheinigen Vorwand, besser zu verstehen, wird alles, was du gehört hast, wie Rauch vergehen, ohne eine Wirkung zu hinterlassen.

Worte dienen wirklich nur dazu, die Aufmerksamkeit des anderen Bewusstseins oder des anderen Bewusstseinszentrums zu wecken, damit es auf die Schwingung aufmerksam wird und sie empfängt; aber wenn es sie nicht beachtet und sie nicht in verhältnismäßigem Schweigen aufnehmen kann, kannst du kilometerweise Worte hervorbringen, ohne dich im Mindesten verständlich zu machen. Und es kommt eine Zeit, in der das Gehirn, das sehr aktiv bestimmte Schwingungen aussendet, nur klare und präzise Schwingungen empfangen kann. Sonst ist es eine vage Mischung von etwas Verworrenem und Undeutlichen, das den Eindruck einer wolkigen und wolligen Masse vermittelt und keinerlei Vorstellung hervorruft. Man spricht dann, der Ton wird klar gehört, aber er vermittelt nichts, – es ist keine Frage des Klanges, es ist eine Sache von Genauigkeit in den Schwingungen.

Das ist nur möglich, wenn man die Erfahrung des völligen Schweigens im mentalen Bereich gemacht hat und wenn die spirituelle Kraft mit ihrem Licht und ihrer Macht durch das Mental herabsteigt und es dazu bringt, direkt zu handeln, ohne seiner üblichen Methode der Analyse, der Schlussfolgerung, des Denkens zu folgen. Alle diese Fähigkeiten, die normalerweise als normale Aktivitäten des Mentals angesehen werden, müssen gestoppt werden, und doch muss das spirituelle Licht, das spirituelle Wissen und die spirituelle Kraft in der Lage sein, sie in einen Kanal des direkten Ausdrucks zu verwandeln, ohne diese Mittel zu benutzen, um sich auszudrücken.

Alles was bisher gesagt wurde, betrifft das beobachtende, lernende Denken. Aber Lernen ist ja nur eine Seite der Denktätigkeit; die andere, mindestens ebenso wichtige, kennzeichnet die aufbauende Fähigkeit, das Vermögen, dem Gelernten eine Form zu geben und so die Handlung vorzubereiten. Dieser sehr wichtige Teil der mentalen Tätigkeit ist selten Gegenstand des Studiums oder einer besonderen Disziplin. Nur diejenigen, die aus einem bestimmten Grunde eine strenge Kontrolle über ihre Gedankentätigkeit ausüben wollen, sind darauf bedacht, ihre schöpferische Fähigkeit zu beobachten und zu disziplinieren; und sobald sie dies versuchen, sehen sie sich Schwierigkeiten gegenübergestellt, die so groß sind, dass sie beinahe unüberwindbar scheinen.
Und doch ist die Beherrschung dieser formgebenden Denktätigkeit eine der wichtigsten Seiten der Selbsterziehung, und man kann sagen, dass eine Meisterschaft des Denkens ohne sie nicht möglich ist. Vom Standpunkt des Lernens aus sind alle Ideen annehmbar und müssen zugelassen werden, Bestandteile einer Synthese zu bilden, deren Funktion darin besteht, immer reicher und umfassender zu werden; im Hinblick auf das Handeln gilt jedoch genau das Gegenteil. Die Ideen, die sich im Handeln ausdrücken dürfen, müssen streng kontrolliert sein, und allein jene dürfen zur Umsetzung in die Tat gutgeheißen werden, die mit der allgemeinen Tendenz der Zentralidee, welche die Grundlage der Gedankensynthese bildet, übereinstimmen. Das bedeutet, dass ein jeder Gedanke, der in das Denkbewusstsein eindringt, in die Gegenwart der Zentralidee gestellt werden muss. Wenn er einen logischen Platz unter den schon gruppierten Gedanken finden kann, wird er als ein Teil der Synthese zugelassen; wenn nicht, wird er zurückgewiesen, damit er das Handeln nicht in irgendeiner Weise beeinflussen kann. Diese Arbeit der mentalen Säuberung muss sehr regelmäßig unternommen werden, um eine vollkommene Kontrolle über die Handlungen zu gewinnen.
Dafür ist es gut, sich jeden Tag ein wenig Zeit freizuhalten, während der man in aller Ruhe seine Gedanken an sich vorbeiziehen lässt und ihren Aufbau in Ordnung hält. Hat man diese Gewohnheit erst einmal angenommen, so wird man selbst während der Tätigkeit, mitten in der Arbeit, die Kontrolle über seine Gedanken bewahren und nur diejenigen an die Oberfläche kommen lassen, die für die Arbeit, die man gerade tut, nützlich sind. Besonders wenn man schon seit einiger Zeit sich darin übt, Konzentrationskraft und Aufmerksamkeit zu stärken, ist man durchaus imstande, im äußeren aktiven Bewusstsein nur die Gedanken vorüberziehen zu lassen, die im Augenblick erforderlich sind und die dann umso dynamischer und wirksamer werden. Und wenn die Konzentration eine so hohe Intensität erlangt, dass es notwendig wird, überhaupt nicht mehr zu denken, so kann man jegliche Gedankenvibration zur Ruhe bringen und zu einem fast vollkommenen Schweigen gelangen. Und in diesem Schweigen öffnet man sich nach und nach den höheren Ebenen der Gedankenwelt und lernt, die von dort kommenden Eingebungen zu empfangen.
Doch selbst bevor man diese Stufe erreicht, ist das Schweigen an sich außerordentlich hilfreich, denn bei den meisten Menschen, die ein einigermaßen entwickeltes und aktives Denkwesen haben, ruht dieses nie; tagsüber ist seine Tätigkeit einer gewissen Kontrolle unterworfen, doch des Nachts, während der Körper schläft und die Kontrolle des Wachbewusstseins nahezu vollkommen ausgeschaltet ist, gibt das Denken sich zuweilen ausschweifenden, zusammenhanglosen Tätigkeiten hin, was eine große Anspannung erzeugt, die zur Ermüdung und zur Verringerung der intellektuellen Fähigkeit führt.

Ich weiß nicht, ob du versucht hast, mentales Schweigen zu finden. Man kann sein ganzes Leben damit verbringen und fast nichts erreichen, während das hier äußerst interessant ist.
Am Anfang geschieht nichts. Man muss so bleiben: nicht aktiv, sondern im Streben nach dem Göttlichen. Es darf keine Bewegung im Mental geben, es ist nicht einmal eine Hingabe, es ist eine Bewegung der Vollkommenheit… etwas zwischen Selbsthingabe und Selbstaufopferung. Und wenn der mentale Geist seine Art zu sein darbringt, kommt die Antwort eines Tages von selbst. Sie fällt wie ein Licht.
Je ruhiger man ist, je mehr Vertrauen man hat, je aufmerksamer man ist, desto klarer kommt es. Es kommt eine Zeit, in der man nur noch das tun muss (Geste des Öffnens)… Der Schüler stellt eine Frage. Du bleibst (gleiche Geste)…
Und vor allem, denke nicht aktiv: „Ich möchte wissen… Was soll ich ihm sagen?“ Nein!
Dann wirst du immer die richtige Antwort für den Schüler finden. Vielleicht nicht die Antwort auf die Frage, die er gestellt hat, aber die Antwort, die er braucht. Und die ist immer interessant…
Dort oben weiß man es. Wenn du zu der Überzeugung kommst, dass der Verstand machtlos ist, dass er nichts weiß, dann wirst du still. Du bist immer mehr davon überzeugt, dass es dort oben ein Bewusstsein gibt, das nicht nur weiß, sondern auch die Macht hat, das kleinste Detail und damit das Bedürfnis des Schülers wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Wenn du davon überzeugt bist, gibst du dein persönliches Eingreifen auf und sagst: „Nimm meinen Platz ein“.

Praktiziere das Schweigen im Mental; es gibt die Kraft zum Verstehen.

Ich antworte immer auf deine Briefe, aber ich habe selten Zeit, meine Antwort zu Papier zu bringen. Du bist in der Lage, diese Antworten direkt zu erhalten, aber dazu musst du lernen, deinen mentalen Geist still zu halten – das ist die wahre Meditation – das Gehirn leer, unbeweglich und nach oben gerichtet. Das ist die notwendige Bedingung, um die Antworten zu erhalten. Wenn du die Sorge um deine Existenz und Entwicklung dem Höchsten Bewusstsein überlassen kannst, wird Frieden in dein Herz einziehen und deine Probleme werden gelöst.

Was genau sollte ich tun, um die Sadhana zu beschleunigen?
Warte in Ruhe auf den genauen Hinweis; alle mentalen Eingriffe und Entscheidungen sind willkürlich. Der klare Hinweis kommt im Schweigen des Mentals.
