Erläuterungen zu Kapitel 4
Geld ist das sichtbare Zeichen einer universalen Kraft, und diese Kraft in ihrer irdischen Manifestation wirkt auf der vitalen und physischen Ebene und ist für die Fülle des äußeren Lebens unentbehrlich. Seinem Ursprung und wahren Wirken nach gehört es dem Göttlichen. Aber wie andere Mächte des Göttlichen ist es hierher abgeordnet und in der Unwissenheit der niederen Natur kann das Ego es zum eigenen Gebrauch an sich reißen oder können asurische Einflüsse es festhalten und zu ihren Zwecken missbrauchen. Es ist in der Tat eine der drei Kräfte – Macht, Reichtum, Sexualität –, welche die stärkste Anziehung auf das menschliche Ego und den Asura ausübt und von denen, die darüber verfügen, oft schlecht verwaltet und verwendet wird. Die Reichtum suchen oder haben, sind meist eher davon besessen als deren Besitzer; nur wenige entgehen ganz einem gewissen entstellenden Einfluss, der ihm infolge der langen Beschlagnahme und Verfälschung durch den Asura anhaftet. Aus diesem Grund verlangen die meisten spirituellen Disziplinen eine völlige Selbst-Kontrolle, Loslösung und Verzicht auf jegliche Bindung an Wohlstand und auf jeden persönlichen und egoistischen Wunsch nach seinem Besitz. Manche sogar ächten Geld und Reichtum und erklären Armut und Dürftigkeit des Lebens zur einzigen spirituellen Haltung. Das aber ist ein Irrtum; es lässt die Macht in den Händen der feindlichen Kräfte. Es für das Göttliche, dem es gehört, zurückzuerobern und es auf göttliche Weise für das göttliche Leben zu verwenden, ist der supramentale Weg für den Sadhaka. (Sri Aurobindo, DIE MUTTER)
Wie kann man wissen, ob die Art und Weise, wie man mit Geld umgeht, dem göttlichen Willen entspricht?
Zuerst muss man wissen, was der göttliche Wille ist. Aber es gibt einen Weg, der ist sicherer, das Geld für das göttliche Wirken hinzugeben, wenn man sich selbst nicht sicher ist. „Göttlich“ bedeutet Dienst für das Göttliche – es bedeutet, das Geld nicht zu nutzen für die eigene Befriedigung, sondern es in den Dienst des Göttlichen zu stellen.
Sri Aurobindo spricht von „schwächlichem Haften an den Gewohnheiten, die der Besitz von Reichtum mit sich bringt“.
Wenn du reich bist und hast eine Menge Geld auszugeben, dann gibst du es normalerweise für Dinge aus, die du angenehm empfindest, und du gewöhnst dich an diese Dinge, du bist diesen Dingen zugeneigt. Und wenn dann eines Tages das Geld verschwindet, dann vermisst du etwas, dann bist du unglücklich, du fühlst dich sehr miserabel und ganz verloren, weil du nicht mehr länger hast, was du gewohnheitsgemäß hattest. Es ist eine Bindung, ein schwächliches Anhängen. Wer davon unberührt ist, wenn er darin lebt, für den ist es in Ordnung, wenn diese Dinge verschwinden, auch in Ordnung, er ist völlig gleichgültig beidem gegenüber. Das ist die richtige Haltung: Wenn es da ist, dann nutzt er es, wenn es nicht da ist, dann kommt er auch ohne Geld aus. Und für sein inneres Bewusstsein macht das keinen Unterschied. Da staunst du, aber so ist es.
Wenn man die Fähigkeit hat viel Geld zu verdienen, heißt das, man hat eine gewisse Kontrolle über irdische Kräfte?
Das hängt davon ab wie man es erwirbt. Wenn du es erlangst durch unsaubere Methoden, dann bedeutet das nicht, dass du eine Kontrolle hast; aber wenn jemand gewissenhaft seine Pflicht tut und sieht, dass das Geld zu ihm kommt, dann ist es klar, dass er über diese Kräfte eine Kontrolle ausübt. Es gibt Menschen, die Macht haben, Geld anzuziehen, und sie haben es nicht im geringsten nötig, unanständige Methoden anzuwenden, um es zu bekommen. Andere müssen, um ein paar Cent zu bekommen, alle Arten von Betrügereien, mehr oder weniger anständig, anwenden. Man kann also nicht sagen … seht mal ein reicher Mann und denken, der muss eine Kontrolle ausüben über die Kräfte des Geldes – nein, nicht unbedingt. Aber ist ein Mensch vollkommen ehrlich, und tut, was er für seine Pflicht hält, ohne sich darum zu kümmern, Geld dabei zu verdienen; wenn dann doch das Geld zu ihm kommt, dann hat er eine gewisse Übereinstimmung mit diesen Kräften.
Man sagt „man kann keinen Haufen machen ohne ein Loch zu graben“, man kann sich selbst nicht bereichern, ohne jemand anderen arm zu machen. Ist das wahr?
Das ist nicht ganz korrekt. Wenn man etwas produziert, dann ist das keine Verarmung, sondern eine Bereicherung; man bringt in der Welt etwas in Umlauf, was den gleichen Wert hat wie Geld. Aber zu sagen, dass man „keinen Haufen machen kann, ohne ein Loch zu graben“, das ist richtig für die, die spekulieren, die ihr Geschäft an der Börse machen oder im Finanzwesen, das stimmt. Es ist unmöglich finanziellen Erfolg zu haben bei reiner Spekulation, ohne dass es einem anderen Schaden zufügt. Aber es beschränkt sich darauf. Andererseits macht ein Produzent kein Loch, wenn er Geld anhäuft im Austausch für das, was er produziert. Sicherlich gibt es da eine Frage nach dem Wert der Produktion, aber wenn die Produktion eine Bereicherung des allgemeinen menschlichen Reichtums ist, dann macht das kein Loch, sondern es vergrößert diesen Reichtum. Auf andere Weise, nicht nur im materiellen Bereich, gilt das gleiche für Kunst, für Literatur oder Wissenschaft und für jede mögliche Produktion.
Als ich im Geschäftsleben stand (Export/Import), hatte ich immer das Gefühl, meinem Nachbarn etwas zu stehlen.
Das heißt auf Kosten anderer leben, denn man vermehrt den Zwischenhandel. Natürlich ist das möglicherweise bequem und praktisch, aber allgemein gesehen, und besonders bezogen auf die Art und Weise wie das praktiziert wird, lebt man auf Kosten des Herstellers und des Verbrauchers. Man wird niemals ein Agent mit der Idee, dass man einen Dienst leistet (denn unter einer Million Menschen ist keiner, der diese Vorstellung hat), sondern, weil es leicht ist, so Geld zu verdienen, ohne sich anzustrengen. Aber schließlich gibt es andere Möglichkeiten Geld zu verdienen ohne Anstrengung, es gibt andere, die noch viel schlimmer sind! Sie sind unzählbar.
Freunde von auswärts haben mich häufig folgendes gefragt: „Wenn man gezwungen ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, sollte man sich dann mehr entsprechend dem allgemeinen Verhaltenskodex der Anständigkeit verhalten, oder sollte man noch strikter sein?“
Das hängt davon ab, welche Grundeinstellung dein Freund in diesem Leben eingenommen hat. Wenn er ein Wahrheitssucher sein möchte, dann ist es folgerichtig, dass die Regeln gewöhnlicher Moral für ihn keinen Wert haben. Jedoch, wenn er ein gewöhnlicher Mensch ist, der ein gewöhnliches Leben führt, dann ist es eine rein praktische Frage, nicht wahr? Er muss übereinstimmen mit den Gesetzen des Landes, in dem er lebt, um keinen Ärger zu bekommen! Aber all diese Dinge im gewöhnlichen Leben haben einen sehr relativen Wert, und man kann sie mit einer gewissen Nachsicht betrachten, aber sie wandeln sich total in der Minute, in der man sich entscheidet, Yoga zu üben oder in das göttliche Leben einzutreten. Dann wandeln sich alle Werte komplett; was im gewöhnlichen Leben ehrenhaft war, ist für dich überhaupt nicht mehr ehrenhaft. Abgesehen davon, gibt es eine solche Umkehr der Werte, dass man nicht länger mehr die gleiche, gewöhnliche Sprache benutzen kann. Wenn jemand sich selbst dem göttlichen Leben hingeben will, dann muss er das wahrhaftig tun, das heißt, er muss sich selbst ganz geben, nicht länger irgendetwas für die eigenen Interessen tun, ausschließlich abhängig sein von den göttlichen Kräften, denen er sich anvertraut hat. Alles ändert sich total, tut es das nicht? Alles, alles: Es ist eine Umkehr. Was ich gerade vorgelesen habe aus diesem Buch, das gilt natürlich nur für die, die Yoga praktizieren wollen, für andere hat es keine Bedeutung, es ist eine Sprache, die keinen Sinn macht, aber für die, die Yoga praktizieren wollen, ist sie unumgänglich. Es ist immer dasselbe bei allem, was wir kürzlich gelesen haben: man muss dafür sorgen, nicht einen Fuß auf dieser Seite zu haben, den anderen Fuß auf der anderen, nicht breitbeinig auf zwei verschiedenen Booten stehen, von denen jedes seinem eigenen Kurs folgt. Das ist, was Sri Aurobindo sagt: „Man darf kein „Doppelleben“ führen.“ Man muss die eine oder die andere Sache aufgeben, man kann nicht beiden folgen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass man verpflichtet ist, den Umständen des eigenen Lebens zu entkommen: es ist die innere Haltung, die total verwandelt werden muss. Man mag das tun, was man zu tun pflegt, aber man muss es mit einer völlig veränderten Haltung tun. Ich sage nicht: Es ist notwendig, alles im Leben aufzugeben und in die Einsamkeit zu gehen um Yoga zu praktizieren, in einen Ashram; es ist allerdings wahr, dass Yoga in der Welt zu üben und in weltlichen Umständen schwieriger ist, aber es ist auch umfassender. Denn jede Minute muss man sich mit Problemen auseinandersetzen, die sich dem nicht präsentieren, der alles hinter sich gelassen hat und in die Einsamkeit gegangen ist; denn für den sind diese Probleme auf ein Minimum reduziert – während man im Alltagsleben alle Arten von Schwierigkeiten antrifft, beginnend mit dem Unverständnis derer, die um einen herum sind, mit denen man zu tun hat; man muss willig sein, mit Geduld gerüstet und mit großem Gleichmut. Aber im Yoga sollte man sich nicht länger darum sorgen, noch was die Leute denken oder sagen; das ist ein absolut unerlässlicher Ausgangspunkt. Du musst absolut immun sein gegenüber allem, was die Welt von dir sagt oder denkt, und wie sie dich behandelt. Das Verständnis der Menschen muss für dich etwas ganz Bedeutungsloses sein und es sollte dich nicht im geringsten berühren. Deshalb ist es im Allgemeinen viel schwieriger, in der gewohnten Umgebung zu bleiben und dort Yoga zu praktizieren, als alles zu verlassen und in die Einsamkeit zu gehen; es ist viel schwieriger, aber wir sind nicht hier, leichte Dinge zu tun – leichte Dinge überlassen wir denen, die nicht über eine Transformation nachdenken.
Wenn jemand durch kriminelle Methoden eine Menge Geld verdient hat, kann man dann von dem etwas für das Göttliche erbitten?
Sri Aurobindo hat diese Frage beantwortet: Er sagt, dass Geld an sich eine unpersönliche Macht sei: Wie du Geld verdienst, betrifft nur dich persönlich. Es kann dir großen Schaden zufügen, es mag auch Anderen schaden, aber das ändert in keiner Weise die Natur des Geldes, das eine ganz und gar unpersönliche Kraft ist: Geld hat keine Farbe, keinen Geschmack, kein psychologisches Bewusstsein. Es ist eine Kraft. Es ist so, wie wenn man sagen würde, dass die Luft, die von einem Dieb ausgeatmet wird, mehr belastet, als die, die von einem ehrlichen Mann ausgeatmet wird – ich glaube das nicht! Ich glaube das Ergebnis ist das gleiche. Man mag aus praktischen Gründen Geld zurückweisen, das gestohlen ist, aber das ist ausschließlich aus praktischen, nicht aus göttlichen Gründen. Das ist eine rein menschliche Auffassung. Man mag praktischerweise sagen: „Oh! Nein, wie du das Geld verdient hast, das ist verabscheuungswürdig, und deshalb möchte ich es nicht dem Göttlichen anbieten“, weil man ein menschliches Bewusstsein hat. Aber wenn du dir jemanden vorstellst – lass uns das Schlimmste annehmen –, der jemanden ermordet und das Geld durch den Mord an sich gebracht hat, wenn der plötzlich von schrecklichen Skrupeln befallen ist und von Gewissensbissen und sich selbst sagt: „Ich habe nur noch eines mit diesem Geld zu tun, nämlich es dorthin zu geben, wo es auf die beste unpersönlichste Art und Weise genutzt wird“, dann erscheint mir, dass diese Regung der vorzuziehen ist, es für die eigene Befriedigung zu benutzen. Ich sagte, dass die Gründe, die einen daran hindern können, auf üble Weise erworbenes Geld anzunehmen, Gründe rein praktischer Art sind; es mag aber noch tiefere Gründe geben – ich möchte nicht sagen moralischer –, sondern spiritueller Natur, aus der Sicht der Disziplin; man mag jemandem sagen: „Nein, du kannst nicht in Wirklichkeit einen Verdienst erwerben mit diesem Reichtum, den du auf so schreckliche Weise erworben hast, was du tun kannst ist es zurückzugeben.“ Man mag erwägen, dass eine Wiedergutmachung zum Beispiel mehr Fortschritt bringt, als dieses Geld ganz einfach irgendeinem Zweck zuzuführen. Man mag die Dinge so sehen – man kann hier keine Regeln machen. Das ist das, was ich nicht aufhören werde, allen zu sagen: Es ist unmöglich eine Regel zu machen. Jeder einzelne Fall ist anders. Aber glaube nicht, dass das Geld dadurch irgendwie beeinflusst ist. Geld ist eine irdische Kraft, und wird keineswegs durch die Art und Weise beeinflusst, wodurch man sie erworben hat, dies kann sie in keiner Weise beeinflussen. Das Geld bleibt das gleiche, die Banknote bleibt die gleiche, dein Goldstück bleibt das gleiche, und weil es nun diese Kraft in sich trägt, bleibt die Kraft auch darin. Sie schadet nur der Person, die übel gehandelt hat, das ist offenbar. Dann bleibt die Frage: In welcher geistigen Verfassung und aus welchem Beweggrund will ein unehrenhafter Mensch das Geld weitergeben, für ein Werk, das er als göttlich ansieht? Ist das eine Sicherheitsmaßnahme aus Weisheit und um sein Gewissen zu beruhigen? Offensichtlich ist das kein sehr gutes Motiv und man kann es nicht gut heißen, aber wenn er eine Spur von Reue empfindet und von Bedauern über das, was er getan hat, und wenn er das Gefühl hat, dass er nur die eine Möglichkeit zu handeln hat und das ist ganz genau die, sich selbst dessen zu entledigen, was er auf üble weise erworben hat, und es soweit wie möglich für das Allgemeinwohl zu nutzen, dann kann man nichts dagegen sagen. Man kann es nicht verallgemeinern – es hängt immer vom Einzelfall ab. Nur wenn ich richtig verstehe, was du meinst, wenn man weiß, dass ein Mensch das Geld erworben hat durch die übelsten Methoden, offensichtlich würde es dann nicht gut sein, ihn für ein göttliches Werk nach Geld zu fragen, das wäre so, als ob man die Art und Weise des Gelderwerbs rehabilitieren wollte, das geht nicht. Wenn er es jedoch aus irgendeinem Anlass spontan gibt, dann gibt es keinen Grund, es zurückzuweisen. Aber es ist ganz unmöglich zu ihm zu gehen und ihn um etwas zu bitten, denn hierdurch rechtfertigt man die Art, wie er das Geld verdient. Das ist der große Unterschied.
Und im Allgemeinen bedienen sich in solchen Fällen diejenigen, die irgendeinen Gauner nach Geld fragen, des Mittels der Einschüchterung: Sie ängstigen ihn, nicht physisch, sondern in Hinsicht auf sein zukünftiges Leben. Das ist nicht sehr schön. Das sind Verfahren, deren man sich nicht bedienen sollte.
Was sind die anderen göttlichen Mächte, abgesehen vom Geld, die hier „delegiert“ sind auf der Erde?
Alle. Alle göttlichen Kräfte sind hier manifestiert und hier deformiert – Licht, Leben, Liebe, Kraft – alle – Harmonie, Ananda – alle, es gibt nichts, was in seinem Ursprung nicht göttlich wäre, und was hier nicht in vollständig verdrehter, travestierter Form existiert. Neulich haben wir darüber sehr lange gesprochen, über die Art und Weise in der die göttliche Liebe deformiert wird, in dieser Offenbarung hier, das ist dasselbe.
Wie kann das Geld für die Mutter zurückerobert werden?
Ah! Da gibt es hier einen Hinweis. Drei Dinge sind miteinander verflochten (sagt Sri Aurobindo hier): Macht, Geld und Sex. Ich glaube, diese drei sind so miteinander verbunden, dass alle drei erobert werden müssen, wenn man sicher sein will, eine zu besitzen – wenn du eine erobern willst, dann musst du die anderen beiden auch erobern. Wenn man diese drei Dinge nicht gemeistert hat, das Begehren nach Macht, das Begehren nach Geld und das Begehren nach Sex, dann kann man nicht in Wahrheit eine von ihnen fest und sicher beherrschen. Was dem Geld eine so große Bedeutung in der Welt gibt, ist heute nicht so sehr das Geld selbst, sondern abgesehen von den wenigen Narren, die Geld anhäufen und glücklich sind, weil sie es aufhäufen und zählen können, ist Geld gewöhnlich begehrt und wird erworben für die Befriedigung, die es mit sich bringt. Und dies ist beinahe wechselseitig; jede dieser drei Dinge hat nicht nur ihren eigenen Wert in der Welt des Begehrens, sondern sie stützt sich auch auf die anderen beiden. Ich habe dir von der Vision dieser großen schwarzen Schlange erzählt, die Wache hielt über die Reichtümer der Welt, den irdischen Reichtum – sie verlangte die Meisterschaft über den Seximpuls, weil entsprechend bestimmter Theorien das wirkliche Bedürfnis nach Macht ihr Ende hätte in dieser Befriedigung und weil, wenn man das meistert, wenn man das aus dem menschlichen Bewusstsein tilgt, dann automatisch die Notwendigkeit für Macht und Begehren, das Streben nach Geld verschwinden würde. Offensichtlich sind dies die drei großen Hindernisse irdischen menschlichen Lebens, und wenn sie nicht erobert sind, dann gibt es kaum eine Chance für die Menschheit, sich zu wandeln.
Genügt eine individuelle Meisterschaft über das Begehren oder muss es eine allgemeine, kollektive Meisterschaft sein?
Ah! Also … Ist es möglich eine totale persönliche Umformung zu erreichen, ohne dass da wenigstens eine Verbindung mit dem Kollektiven besteht? Dies scheint mir nicht möglich. Es gibt solch eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem Individuum und der Allgemeinheit, dass, wenn man nicht tut, was die Asketen gepredigt haben, das heißt sich der Welt ganz zu entziehen, sich von ihr vollständig befreit, sie lässt, wo sie ist und sich rettet, indem man sehr egoistisch den anderen die Arbeit überlässt, wenn man das nicht tut … Und auch dann habe ich meine Zweifel. Ist es möglich, eine totale Umformung des eigenen Wesens zu erreichen, solange die Allgemeinheit nicht wenigstens einen gewissen Grad davon erreicht hat? Ich glaube das nicht. Die menschliche Natur bleibt was sie ist – man kann eine große Bewusstseinswandlung erreichen, das ja, man kann das eigene Bewusstsein reinigen, aber die totale Eroberung, die materielle Umformung hängt definitiv, in großem Maße von einem gewissen Grad des Fortschritts der Allgemeinheit ab. Buddha sagte aus gutem Grund, dass solange du in dir eine Schwingung des Begehrens hast, sich diese Schwingung in der Welt ausdehnen wird und alle, die bereit sind sie aufzunehmen, sie aufnehmen werden. Gleicherweise, wenn du in dir auch nur die geringste Aufnahmebereitschaft für eine Schwingung von Begehren hast, dann wirst du offen sein für alle Schwingungen von Begehren, die beständig in der Welt zirkulieren. Deshalb kam er zu dem Schluss: Verlasse diese Illusion, ziehe dich vollständig zurück, und du wirst frei sein. Ich empfinde das als relativ sehr selbstsüchtig, aber schließlich war das der einzige Weg, den er voraussehen konnte. Es gibt einen anderen: Sich selbst mit der göttlichen Macht zu identifizieren, so sehr, so gut, dass man in die Lage versetzt wird, beständig und bewusst einzuwirken auf all die Schwingungen, die in der Welt zirkulieren. Dann wirken die unerwünschten Schwingungen nicht mehr länger auf dich, sondern du wirkst auf sie, das heißt, statt einer unerwünschten Schwingung, die in dich eintritt, die du nicht wahrnimmst und die dort wirkt, wird sie wahrgenommen, und du wirkst sofort bei ihrem Kommen auf sie ein, um sie umzuwandeln, und sie geht wieder zurück in die Welt, umgeformt, um ihr wohltätiges Werk zu verrichten und andere auf dieselbe Verwirklichung vorzubereiten. Genau das zu tun, schlägt Sri Aurobindo vor und noch deutlicher das verlangt er von euch allen, das will er, dass wir es wie folgt tun sollen:
Statt wegzurennen, in uns die Macht hineinzubringen, die erobern kann.
Gib acht, die Dinge sind so strukturiert, wenn auch nur das geringste Atom von Ehrgeiz verbliebe, und man diese Macht für die eigene Befriedigung haben möchte, man sie nie haben könnte, und diese Macht niemals kommen würde. Ihre deformierte Begrenzung der Art, wie wir sie in der vitalen und physischen Welt sehen, diese ja, die mag man haben, und es gibt viele Menschen, die sie besitzen, aber die wahre Macht, die Macht, die Sri Aurobindo „Supramental“ nennt, die wird man niemals offenbaren können, es sei denn, man ist absolut frei von allem Egoismus jeglicher Form. So besteht also keine Gefahr, dass diese Macht missbraucht werden könnte. Sie wird sich nicht offenbaren, außer durch ein Wesen, das die Vollkommenheit einer vollständigen inneren Losgelöstheit erreicht hat. Ich habe dir das gesagt, das ist es, was Sri Aurobindo erwartet, was wir tun sollen – du magst sagen, das ist schwierig, aber ich wiederhole, wir sind nicht hier, um leichte Dinge zu tun, wir sind hier um schwierige Dinge zu tun.
3. MAI 1951

Geld ist das sichtbare Zeichen einer universalen Kraft, und diese Kraft in ihrer irdischen Manifestation wirkt auf der vitalen und physischen Ebene und ist für die Fülle des äußeren Lebens unentbehrlich. Seinem Ursprung und wahren Wirken nach gehört es dem Göttlichen. Aber wie andere Mächte des Göttlichen ist es hierher abgeordnet und in der Unwissenheit der niederen Natur kann das Ego es zum eigenen Gebrauch an sich reißen oder können asurische Einflüsse es festhalten und zu ihren Zwecken missbrauchen. (Sri Aurobindo, DIE MUTTER)
Wie zeigt sich das Geld auf anderen Ebenen?
Welche anderen Ebenen? Er spricht vom Vital und Physischen, nicht wahr, dass es eine Kraft ist, die sich auf der vitalen und der physischen Ebene manifestiert. Die vitalen Kräfte haben einen sehr großen Einfluss auf das Geld.
Wenn man an Geld denkt, denkt man an Banknoten oder an Geldstücke oder an irgendwelche Reichtümer, an Kostbarkeiten. Das ist aber nur der physische Ausdruck einer Kraft, die man vital handhaben kann und die, wenn man sie besitzt und kontrolliert, fast automatisch zu diesen materielleren Ausdrucksformen des Geldes führt. Und dies ist eine Art Macht. Sie ist eine Anziehungskraft für gewisse sehr materielle Schwingungen und hat eine Verwendungsfähigkeit, die ihr Vermögen vergrößert. Sie macht gleichsam eine physische Übung, was ihre Stärke durch den Gebrauch noch erhöht.
Hat man die Kontrolle über diese Kraft – eine Kraft, deren Farbe in der vitalen Welt wechselt zwischen Rot, einem tiefen Rot von äußerst kräftigem Farbton, und einem Dunkelgold, das nicht leuchtet und auch nicht sehr klar ist –, nun, wenn man diese Kraft in Bewegung setzt, in Umlauf bringt, wird sie stärker. Sie ist nichts, das man anhäufen und behalten kann, ohne dass sie in Gebrauch ist. Diese Kraft muss immer in Zirkulation sein. Geizige etwa, die alles Geld und alle Güter, die sie an sich ziehen können, anhäufen, überlassen diese Kraft sich selbst, ohne ihr Bewegungspotenzial zu nutzen. Und dann entschwindet sie entweder oder sie erschlafft und verliert ihre Stärke.
Die rechte Art, sich in der Strömung dieser Kraft zu befinden, wird genau hier beschrieben: ein Gefühl absoluter Unpersönlichkeit, das Gefühl, dass Geld nicht etwas ist, das man besitzt, das einem gehört, sondern dass es eine Kraft ist, die man handhaben kann, um sie genau dorthin zu dirigieren, wo sie hingehen soll, um ihr Werk am effektivsten zu verrichten. Und durch diese Bewegungen, durch dieses ständige Aktivität vergrößert sich seine Kraft – die Anziehungskraft, und auch eine gewisse Kraft der Organisation. Das bedeutet, dass auch jemand, der über keine physischen Mittel verfügt, der sich nicht in äußeren Umständen befindet, in denen er mit dem Geld physisch umgehen könnte, diese Kraft wirken lassen, sie in Umlauf bringen kann, wenn er in ihrem Besitz ist. Er kann von ihr, wenn er es für notwendig hält, so viel Macht erhalten, wie er braucht, ohne dass es ein äußeres Zeichen oder einen äußeren Grund gibt, warum das Geld zu ihm kommen sollte. Er kann sich in einer Lage befinden, die dem üblichen Reichtum ganz entgegengesetzt ist, und kann dennoch mit dieser Kraft umgehen und alle notwendigen Güter immer zu seiner Verfügung haben, um seine Tätigkeit fortsetzen zu können.
Demnach war es folgendermaßen: Dieser Brief war an jemand gerichtet, der in die Welt gehen wollte, um Geld für das Werk Sri Aurobindos zu sammeln. Diese Person besaß selbst keine Mittel. Deshalb sagte sie zu Sri Aurobindo gesagt: „Da ich keine Mittel besitze, werden die Leute kein Vertrauen zu mir haben, und ich werde nichts bekommen.“ Und Sri Aurobindo erwiderte jener Person, dass nicht die äußere Kraft in ihrer materiellsten Form notwendig sei, sondern der Umgang mit dieser inneren Kraft, wodurch man die Kontrolle erlangt über das Geld, wo es auch sei, ob in öffentlichen Einrichtungen oder bei einzelnen Menschen; man bekommt die Kontrolle darüber und man kann bei Bedarf durch eine gewisse Bewegung das anziehen, was nötig ist.
Liebe Mutter, auf welche Weise haben die Kräfte des Geldes das Göttliche verlassen?
Verlassen? Die Kraft des Geldes gehört zu einer Welt, die deformiert geschaffen wurde. Es ist etwas, das zur vitalen Welt gehört. Er sagt, dass es zur vitalen und materiellen Welt gehört. Und so war es schon immer, zu allen Zeiten unter der Herrschaft asurischer Kräfte; und das ist genau das, was getan werden muss: es von den asurischen Kräften zurückerobern.
Deshalb sagten seinerzeit alle, die Yoga praktizieren oder einer Disziplin folgen wollten, dass man sich vom Geld fernhalten sollte, da es – so sagten sie – etwas Diabolisches oder Asurisches oder auf jeden Fall dem göttlichen Leben völlig Entgegengesetztes sei. Aber das ganze Universum, in all seinen Erscheinungsformen, ist das Göttliche selbst und folglich gehört es dem Göttlichen ganz; und aus diesem Grund, sagt er, gehören die Kräfte des Geldes dem Göttlichen. Man muss die Kräfte zurückerobern, um sie dem Göttlichen zu geben. Sie stehen unter dem Einfluss asurischer Kräfte: Man muss sie wiedergewinnen, um sie dem Göttlichen zur Verfügung zu stellen, damit Es sie für Sein Werk der Transformation benutzen kann.
Liebe Mutter, das Geld haben die Menschen gemacht. Wie kann es dann eine göttliche Macht sein?
Das ist, als sagtest du zu mir: Ein Mann und eine Frau haben einen anderen Menschen gemacht, wie kann er dann von göttlicher Wesensart sein? Das ist genau das gleiche! Die ganze Schöpfung ist äußerlich aus äußeren Dingen gemacht, aber hinter allem sind göttliche Kräfte. Was die Menschen erfunden haben – Papiere oder Geldstücke oder Objekte –, all das sind einfach Ausdrucksmittel, nichts anderes. Ich habe es eben gesagt, das ist nicht die Kraft selbst, es ist ihr materieller Ausdruck, wie die Menschen ihn geschaffen haben. Aber es ist nur eine Konvention. Zum Beispiel gibt es Länder, wo man kleine Muscheln anstelle des Geldes austauscht. Es gibt sogar Länder, in denen … jemand schrieb die Geschichte so: Im Norden bedeutet Reichtum, Angelhaken zum Fischen zu besitzen; und reich ist, wer die meisten Angelhaken hat. Du weißt, was Angelhaken sind? Kleine gekrümmte Eisenstückchen, mit denen man Fische fängt und die man am Ende einer Schnur anbringt. Multimillionär ist also, wer ansehnliche Mengen von Angelhaken besitzt!
Es ist eine reine Abmachung. Dahinter steckt diese Kraft, von der ich spreche, und sie manifestiert sich nun auf alle Arten. Zum Beispiel auch als Gold… Die Menschen haben dem Gold einen bestimmten Wert gegeben, weil es von allen Metallen am wenigsten verdirbt. Es hält sich nahezu unendlich lang. Und das ist der einzige Grund. Doch ist es eine reine Übereinkunft. Der Beweis dafür ist, dass bei jeder Entdeckung und Ausbeutung einer Goldmine der Goldwert gesunken ist. Das sind einfach Übereinkünfte zwischen Menschen. Aber das lässt Geld nicht zu einer Macht werden, sondern die Kraft, die dahintersteht. Wie ich eben sagte, es ist eine Kraft, die die Fähigkeit hat, etwas an sich zu ziehen und zu gebrauchen, irgend etwas, alle stofflichen Dinge und…
Das wird dann gemäß einer Übereinkunft gebraucht. Jetzt ist es eine abgemachte Sache, dass Reichtum durch Papierfetzen dargestellt werden, die sehr schmutzig werden und auf die man etwas gedruckt hat. Das ist ganz widerlich, meist gerade gut genug zum Feueranzünden. Es wird aber als großes Glück betrachtet. Warum? Weil es eine Übereinkunft ist. Wer aber fähig ist, das an sich zu ziehen und es für das Gute zu nutzen, um das Gute dieser Welt zu mehren, das Gute und das Wohl dieser Welt, der handhabt die Kraft des Geldes, das heißt, die Kraft, die hinter dem Geld steht.
Im Französischen nennt man das Geld „argent“. „Argent“ (Silber) ist auch der Name eines weißen Metalls, das ein wenig schöner und ein wenig dauerhafter ist als andere Metalle, das nicht so leicht rostet und verunziert wird. Das nennt man also Geld (argent). Und in Erweiterung davon nennt man dann alles, was Güter sind, auch Geld, „argent“. Papier, Gold, manchmal auch einfach Geschriebenes… Denn es gibt beträchtliche Vermögenswerte, die lediglich auf Papier geschriebene Zahlen sind, nicht einmal diese Papiere, die in Umlauf sind, bloß Bücher! Es gibt riesige Vermögen, die die Welt beherrschen und die einfach nur so auf dem Papier stehen, mit einigen geschäftlichen Aufzeichnungen und einigen Abmachungen zwischen Menschen. Das Vermögen kann sich vergrößern, es kann sich verdreifachen, vervierfachen und verzehnfachen, oder es kann zu nichts werden. Man verkauft alles, man verkauft Baumwolle, man verkauft Zucker, man verkauft Getreide, man verkauft Kaffee, man verkauft irgendetwas, aber es ist nichts! Es ist keine Baumwolle, kein Zucker, kein Getreide, nichts. Alles steht nur auf dem Papier! Und dann kauft man für Millionenwerte Baumwolle: Man hat kein Stückchen solcher Baumwolle! Aber es steht auf dem Papier. Und manchmal, später, verkauft man dann wieder. Wenn der Baumwollpreis gestiegen ist, gewinnt man ein Vermögen; wenn er gesunken ist, verliert man ein Vermögen. Und man hat weder Geld noch Baumwolle noch irgendetwas, nichts als Papier! Das ist alles nur eine Übereinkunft.
Wie kann man sein abgesondertes Ego im göttlichen Bewusstsein eingehen lassen?
Wie es sich auflösen soll, du meinst, sich im Göttlichen auflösen und sein Ego verlieren? Zunächst muss man es wollen. Und dann muss man ganz beharrlich danach streben, und jedes Mal, wenn sich das Ego zeigt, muss man ihm einen Klaps auf die Nase geben, bis es so viele kleine Schläge bekommen hat, dass es dessen überdrüssig wird und das Spiel aufgibt.
Statt ihm aber einen Klaps auf die Nase zu geben, rechtfertigt man meistens seine Anwesenheit. Fast ständig sagt man sich bei seinem Erscheinen: „Eigentlich hat es recht.“ Und in den meisten Fällen weiß man nicht einmal, dass es das Ego ist, man glaubt, man sei es selbst. Doch die erste Bedingung ist, dass man es für wesentlich hält, kein Ego mehr zu haben. Man muss begreifen, dass man es nicht mehr haben will. Das ist nicht so leicht. Es ist nicht so einfach… Denn man kann Worte im Kopf bewegen und sagen: „Ich will das Ego nicht mehr, ich will nicht mehr vom Göttlichen getrennt sein.“ Das geht alles im Kopf vor sich, und dabei bleibt es. Das bewirkt nicht sonderlich viel im Leben. Eine Minute später vollzieht man wieder eine egoistische Tat, und man findet es ganz natürlich. Das schockiert einen nicht einmal.
Man muss zunächst damit anfangen, wirklich zu verstehen, was das bedeutet. Es gibt viele Stufen. Zunächst muss man versuchen, nicht selbstsüchtig zu sein, was etwas ganz anderes ist. Nimmst du die englischen Wörter, dann verstehst du den Unterschied. Im Englischen gibt es das Wort „selfish“, (selbstsüchtig), und auch das Wort „egoism“, (Egoismus). Das Ego – „ego“ – gibt es im Englischen, und „selfish“, und das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge; im Französischen macht man diesen Unterschied nicht. Man sagt: „Ich will nicht egoistisch sein“. Aber das ist etwas ganz Geringes, ganz gering! Wenn die Menschen aufhören, egoistisch zu sein, glauben sie, dass sie gewaltige Fortschritte gemacht haben! Doch das ist etwas ganz Geringes. Es ist einfach, den Sinn für seine Absurdität zu haben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie lächerlich egoistische Menschen sind!
Wenn man sie sieht, wie sie die ganze Zeit an sich denken, alles auf sich beziehen, einzig und allein beherrscht von ihrer kleinen Person, wie sie sich in das Zentrum der Welt setzen und das ganze Universum, Gott inbegriffen, um sich herum zu organisieren versuchen, als wäre dies das wichtigste auf der Welt! Ja, wenn man sich einfach objektivieren könnte, wie man sich in einem Spiegel betrachtet, wenn man sich sehen könnte, wie man ist, es ist so grotesk! …Man spürt sofort, dass man, ach, so unwiderstehlich lächerlich ist!
Ich entsinne mich, ich habe auf französisch – es war eine Übersetzung – einen Satz von Tagore gelesen, der mich sehr belustigte. Er sprach von einem kleinen Hund. Er verglich ihn mit etwas… An die Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr, was mir aber auffiel, war folgendes: Das Hündchen sitzt auf den Knien seiner Herrin und stellt sich vor, dass es der Nabel der Welt sei! Das hat mich sehr überrascht. Es ist wahr! Ich kannte ein Hündchen, das so war. Doch es gibt viele, die so sind, fast alle sind so. Sie wollen, dass sich jedermann mit ihnen beschäftigt, und es gelingt ihnen wirklich sehr gut. Denn wenn ein kleiner Hund da ist, und genauso, wenn ein kleines Kind da ist – das ist fast das gleiche –, jedermann beschäftigt sich mit ihnen.
Ist dir noch nicht aufgefallen, dass wenn ein Kind kommt, das nur so groß ist (Mutter zeigt die Größe an), alles andere stillsteht? Die Leute konnten vorher miteinander gesprochen haben, interessante Sachen gesagt, sich mit etwas Höherem beschäftigt haben; aber sobald ein kleines Kind da ist, beginnen alle zu lächeln, sich wie Babys zu benehmen, es zum Sprechen anzuregen, sich mit ihm zu beschäftigen. Man kann kein Kind bringen, ohne dass alle versuchen, es zu tätscheln, es aufzunehmen, ihm Worte zu entlocken. Das Kind fühlt sich dann natürlich wie der Nabel der Welt! Das ist ganz selbstverständlich.
Bei einem kleinen Hund ist es ebenso; bei einer Katze ist es ebenso. Es ist eine sehr niedrige, entstellte Form einer Art von Bedürfnis, etwas zu beschützen, das kleiner ist als man selbst. Das ist eine der Formen, eine der ersten Formen unegoistischer Manifestationen des Egos. Es fühlt sich so behaglich, wenn es etwas beschützen kann, sich mit etwas beschäftigen kann, das viel kleiner, viel schwächer ist als es selbst, das einem fast ausgeliefert ist, einem fast – ja völlig – preisgegeben ist, das keine Widerstandskraft hat. Und weil man es nicht vernichtet, fühlt man sich gut, edel und großherzig.
Das ist die erste Manifestation von Edelmut und Großherzigkeit in der Welt. Aber all das, insofern man dahinterschauen und ein wenig darüber hinausschauen kann, heilt einen vom Egoismus, denn er ist wirklich lächerlich. Wirklich, er ist lächerlich!
Es ist also ein langer, langer, langer Weg, bis man sein Ego im Göttlichen auflösen kann.
Sein Ego im Göttlichen auflösen! Doch zunächst kann man sein Ego nicht im Göttlichen auflösen, bevor man nicht vollständig individualisiert ist. Weißt du, was das bedeutet, vollständig individualisiert zu sein? Fähig, allen äußeren Einflüssen standzuhalten?
Vor einigen Tagen erhielt ich einen Brief von jemand, der mir sagte, er zögere sehr, normale Literatur zu lesen, zum Beispiel Romane oder Theaterstücke, weil seine Natur eine fast unüberwindliche Neigung habe, von den Personen dieser Bücher Eindrücke zu empfangen, so dass das Fühlen und Denken, der Charakter dieser Personen in ihm wieder auflebt. So sind viel mehr Menschen, als man glaubt. Sie lesen ein Buch, und während der Zeit des Lesens fühlen sie in sich alle Arten von Emotionen, Gedanken, Wünschen, Absichten, Plänen, ja Idealen. Sie sind ganz einfach gefangen von der Lektüre. Sie haben es nicht einmal wahrgenommen, weil bei einem Individuum mindestens neunundneunzig Teile seines Charakters aus zarter Butter bestehen, natürlich nicht essbar, drückt man aber den Daumen darauf, hinterlässt er einen Eindruck.
Alles ist also ein „Daumen“: ein ausgesprochener Gedanke, ein gelesener Satz, ein betrachteter Gegenstand, eine Beobachtung von dem, was ein anderer tut, und auch der Wille des Nachbarn… Und alle diese Willensregungen, wenn man sie sieht, sind untereinander vermischt (die Mutter macht Bewegungen mit ineinander verschränkten Fingern), und jede versucht, die Oberhand zu gewinnen und verursacht eine Art ständiger innerer und äußerer Auseinandersetzung… Das geht bei den Menschen ein und aus, wie elektrische Stromstöße. Man merkt es überhaupt nicht, und es ist ein immerwährender Streit aller Willen, die sich auszudrücken versuchen; und der stärkste hat Erfolg. Aber da es viele sind und man allein gegen eine große Zahl kämpft, ist es nicht leicht.
So wird man wie ein Korken auf den Wellen des Meeres hin- und hergeworfen… Heute will man dies, morgen will man das; im einen Augenblick wird man nach dieser Seite gestoßen, im nächsten wird man dorthin geschubst; bald streckt man die Nase gen Himmel, bald sitzt man in einem Loch. Und das ist dann das Leben, das man führt!
Zunächst muss man ein bewusstes, zusammenhängendes, individualisiertes Wesen werden, das in sich selbst, durch sich selbst besteht, unabhängig von seiner ganzen Umgebung, das alles mögliche hören, alles mögliche lesen, alles mögliche sehen kann, ohne sich zu ändern. Es empfängt von außen nur, was es empfangen will; es weist automatisch alles ab, was mit seinem Plan nicht übereinstimmt, und nichts kann eine Spur bei ihm hinterlassen, es sei denn, die Spur wird angenommen. So beginnt man eine Individualität zu werden. Wenn man eine Individualität ist, kann man eine Darbringung daraus machen.
Denn man kann nicht geben, was man nicht besitzt. Zuerst muss man sein, danach kann man sich dann geben.
Solange man nicht ist, kann man nichts geben. Und damit das gesonderte Ego, wie du sagst, verschwindet, muss man sich ganz geben können, total, uneingeschränkt. Und um sich geben zu können, muss man zuerst existieren. Und um zu existieren, muss man individualisiert sein.
Wäre dein Körper nicht aus einer festen Form, so wie er ist – denn er ist schrecklich starr und fest, nicht wahr –, nun, wenn all das nicht so unveränderlich wäre, wenn du keine Haut hättest, solide, wenn du äußerlich der Ausdruck dessen wärst, was du vital und mental bist, wäre es schlimmer als gallertartige Quallen! Alles würde miteinander verschmelzen… Oh, was wäre das für ein Tohuwabohu! Deswegen war zunächst eine feste Form nötig. Später aber beklagen wir uns darüber. Wir sagen: „Das Physische ist starr, es ist lästig; ihm fehlt Plastizität, ihm fehlt Geschmeidigkeit, ihm fehlt gerade jenes Fließende, durch das man im Göttlichen aufgehen kann.“ Aber das war einfach notwendig. Könntest du aus deinem Körper herausgehen (die meisten könnten es nicht, weil das vitale Wesen kaum individualisierter ist als das Physische) und in die vitale Welt gehen, könntest du sehen, wie sich alles miteinander vermischt, sich teilt, wie alle Arten von Schwingungen, von Kraftströmen kommen, gehen, kämpfen, sich zu vernichten suchen, an sich reißen, sich absorbieren, sich zurückweisen und all das… Es ist jedoch sehr schwer, eine Persönlichkeit darin zu finden. Es sind Kräfte, es sind Bewegungen, es sind Wünsche, es sind Schwingungen.
Es gibt Individualitäten, es gibt Persönlichkeiten. Aber das sind Mächte. Leute, die individualisiert sind in jener Welt, sind entweder Helden oder Teufel.
Und dann, mental… (Schweigen) Wenn man sich nur seines physischen Mentals bewusst würde… Einige haben es einen Marktplatz genannt, weil da ein dauerndes Kommen, Gehen, Durchqueren und Vorbeigleiten ist… Alle Gedanken sind in Bewegung, sie kommen hier herein und gehen dort hinaus, hier sind welche, da sind welche, und es ist ein öffentlicher Platz, der in keiner sehr guten Ordnung ist, weil Gedanken meist aufeinandertreffen, sich stoßen, es gibt Unfälle aller Art. Doch da wird es einem klar: „Was kann ich mein Mental nennen?“ oder: „Was ist mein Mental?“
Man braucht jahrelange Arbeit und Organisation und Auswahl und Aufbau, und sie müssen sehr aufmerksam, sehr sorgfältig, sehr vernünftig und sehr koordiniert sein, damit sich einfach, oh einfach nur diese Kleinigkeit ausbilden kann: seine eigene Art zu denken.
Man glaubt, man habe seine eigene Art zu denken. Überhaupt nicht. Es kommt ganz auf die Menschen an, mit denen man spricht, oder auf die Bücher, die man gelesen hat, oder auf die Stimmung, in der man gerade ist. Es kommt auch darauf an, ob man eine gute oder eine schlechte Verdauung hat, es kommt darauf an, ob man in einem Zimmer eingeschlossen ist, das nicht genug gelüftet ist, oder ob man sich im Freien aufhält, es kommt darauf an, ob man eine schöne Landschaft vor sich hat, es kommt darauf an, ob die Sonne scheint oder ob es regnet! Man macht sich das nicht klar, aber man denkt alle möglichen Sachen, haufenweise an Dinge, die nichts mit einem zu tun haben!
Und damit das ein koordiniertes, zusammenhängendes, logisches Denken wird, braucht es eine lange, minutiöse Arbeit. Und das beste an der Sache ist, wenn einem eine schöne mentale Konstruktion gelungen ist, eine wohlgestaltete, recht starke und machtvolle, dann ist das erste, was einem gesagt wird: „Das musst du zerbrechen, damit du dich mit dem Göttlichen vereinigen kannst!“ Aber solange man das nicht getan hat, kann man sich nicht mit dem Göttlichen vereinen, weil man dem Göttlichen nichts zu geben hat als eine Masse von Dingen, die man nicht selbst ist. Und ich sage noch einmal: Man muss zuerst existieren, um sich geben zu können.
Das einzige, was man im gegenwärtigen Zustand der Welt dem Göttlichen wirklich geben kann, ist der eigene Körper. Aber den gibt man dem Göttlichen nicht. Ja, man kann versuchen, seine Arbeit zu weihen. Aber auch da sind so viele Elemente, die nicht wahr sind!
Du willst deinen Körper im Göttlichen aufgehen lassen? Probiere es mal! Wie willst du das machen? Du kannst dein Mental auflösen, du kannst dein Vital auflösen, du kannst all deine Gemütsbewegungen auflösen, du kannst deine sehnsuchtsvollen Bestrebungen auflösen, du kannst all das auflösen; aber deinen Körper – wie willst du das machen? Du wirst ihn nicht in einem Kochtopf schmelzen lassen! Und doch ist er das einzige, von dem man mit Sicherheit sagen kann: „Es ist“, und man kann ihn mit einem Namen versehen, und auch der Name ist wiederum eine Übereinkunft, nun freilich, du bist daran gewöhnt, einen bestimmten Namen zu tragen… Du setzt darunter: „Ja, das bin ich.“ Du betrachtest dich in einem Spiegel, und obwohl das, was du vor zwanzig Jahren warst und was du jetzt bist, sehr verschieden ist, kaum wiederzuerkennen, ist doch etwas da, das sagt: „O ja, das bin ich.“ Ja? „Ich bin Soundso, Peter, Ludwig, Jakob, Andreas, wer auch immer es sein mag…“
Und doch, schaut man sich alle sieben Jahre an, haben sich alle Zellen verändert. Nur durch eine Art Gewohnheit bleibt es das gleiche. Bleibt es tatsächlich das gleiche? Hast du Fotografien aus der Zeit, als du noch ganz jung warst? Und die Fotografien, als du zehn Jahre, zwanzig Jahre, dreißig Jahre alt warst – der Grund ist, man möchte sich gern wiedererkennen; ansonsten ist man wirklich nicht der gleiche… Als du so groß warst und nun so groß, das ist ein erheblicher Unterschied!
All das sage ich dir nicht, damit du darin untergehst. Ich möchte dir damit nur sagen, dass man, bevor man davon sprechen kann, sein Ego im Göttlichen aufzulösen, zuerst ein wenig wissen muss, was man selbst ist. Das Ego ist da. Seine Notwendigkeit besteht darin, dass du ein bewusstes, unabhängiges, individualisiertes Wesen wirst – ich meine, im unabhängigen Sinn –, dass du nicht der Marktplatz bist, wo sich alles kreuz und quer bewegt, dass du in dir selbst existieren kannst. Deshalb gibt es ein Ego. Deshalb gibt es auch so etwas wie eine Haut … obwohl tatsächlich auch die physischen Kräfte durch die Haut dringen. Es gibt eine Schwingung, die in eine gewisse Entfernung reicht. Und doch schützt uns die Haut davor, dass wir nicht mit anderen verschmelzen. Aber auch alles andere muss so sein.
Und später bringt man dann also all das dem Göttlichen dar. Es bedarf Jahre der Arbeit. Es ist nicht nur nötig, sich seiner selbst in allen Einzelheiten bewusst zu werden, sondern man muss, was man „sich selbst“ nennt, um das seelische Zentrum anordnen, um das göttliche Zentrum seines Wesens, damit das ein einziges, zusammenhängendes, voll bewusstes Wesen wird. Und da dieses göttliche Zentrum schon selbst (die Mutter macht eine Geste der Darbringung) ganz dem Göttlichen geweiht ist – wenn alles harmonisch um es herum organisiert ist –, ist alles dem Göttlichen geweiht. Und wenn das Göttliche es dann für gut befindet, wenn die Zeit gekommen ist, wenn die Arbeit der Individualisierung abgeschlossen ist, dann gibt das Göttliche die Erlaubnis, dass man sein Ego in Ihm aufgehen lässt, dass man nur noch für das Göttliche existiert.
Doch diese Entscheidung trifft das Göttliche. Man muss erst diese ganze Arbeit getan haben: ein bewusstes Wesen werden, einzig und ausschließlich um das Göttliche zentriert und vom Göttlichen geleitet. Und danach gibt es immer noch ein Ego; denn das Ego dient dazu, dass man eine Individualität ist. Ist diese Arbeit aber einmal perfekt, ist sie rundherum vollendet, dann – in diesem Moment –, kann man zum Göttlichen sagen: „Hier bin ich. Ich bin bereit. Willst du mich?“ Und meistens sagt das Göttliche: „Ja.“ Alles ist fertig, alles ist vollendet. Und man wird ein wahrhaftes Instrument für das Werk des Göttlichen. Aber zuerst muss das Instrument gebaut werden.
Glaubst du, man schickt dich in die Schule, glaubst du, man lässt dich Übungen machen, und das alles nur zu dem Vergnügen, dich zu ärgern? O nein! Es geschieht deshalb, weil es unerlässlich ist, dass du einen Rahmen hast, in dem du lernen kannst, dich selbst zu formen. Würdest du deine Arbeit der Individualisierung, der Gesamtausbildung aus dir selbst, ganz allein in einer Ecke tun, würde man überhaupt nichts von dir verlangen. Aber du tust sie nicht, du würdest sie nicht tun. Es gibt kein Kind, das diese Arbeit tun würde. Es wüsste nicht einmal, wie, und wo es anfangen sollte. Würde man ein Kind nicht lehren, wie man lebt, könnte es nicht leben, es könnte nichts tun, nichts. Ich will nicht von ekelerregenden Einzelheiten reden, aber die elementarsten Dinge würde es nicht ordentlich machen, wenn man sie ihm nicht beibringen würde. … Das heißt, wenn jeder alle notwendigen Erfahrungen für die Bildung einer Individualität noch einmal selbst machen müsste, würde er sterben, lange bevor er angefangen hat zu existieren. Das ist der Nutzen, seit Jahrhunderten gespeichert, von denen, die Erfahrungen gemacht haben und einem sagen: „Also, wenn du schnell vorangehen willst, wenn du in einigen Jahren wissen willst, wozu Jahrhunderte des Lernens nötig waren, mache dies: Lies, lerne, studiere, und dann wirst du im materiellen Bereich lernen, dies so zu machen, jenes so und jenes so (Handbewegungen). Wenn du dann etwas Wissen gesammelt hast, kannst du deine eigene Methode finden, insofern du Verstand hast.“ Doch zuerst musst du dich auf den Beinen halten und laufen können. Es ist sehr schwierig, das ganz allein zu lernen. Bei allem ist es so. Man muss sich heranbilden. Folglich braucht man Erziehung. So ist das…
Mutter, das letzte Mal hattest du gesagt, dass in uns oft ein dunkles Element ist, das … das uns suggeriert … das uns Dummheiten machen lässt. Du hast dann gesagt, sobald uns dieses Element bewusst sei, müssen wir es herausreißen. Aber bedeutet herausreißen … wenn uns zum Beispiel bewusst ist, dass dieses Element kommt, um uns eine Dummheit machen zu lassen, wenn wir sie dann durch eine Willensanstrengung unterlassen, kann man dann sagen, dass man es herausgerissen hat?
Dass man die Dummheit nicht macht…?
Durch Willensanstrengung. Man tut zum Beispiel die Tat nicht, die man nicht tun sollte.
Ja, ja.
Kann man dann sagen, man hat das Element, das die Ursache war, herausgerissen?
Man hat sich darüber hinweggesetzt.
Wie soll man es dann herausreißen?
Dazu muss es einem zuerst bewusst werden, nicht wahr, man muss es vor sich hinstellen und die Verbindungen durchschneiden, die es mit deinem Bewusstsein verknüpfen. Das ist eine Arbeit der inneren Psychologie, nicht wahr.
Man kann sehen, wenn man sich sehr aufmerksam studiert… Wenn man sich zum Beispiel beobachtet, sieht man, dass man an einem Tag sehr großherzig ist. Nehmen wir einmal das an, denn es ist leicht zu verstehen. Man ist sehr edel und großherzig! Edel in seinen Gefühlen, edel in seinen Empfindungen, nobel in seinen Gedanken und sogar materiell großherzig; das heißt, man versteht die Fehler der anderen, ihre Absichten, ihre Schwächen, sogar ihre hässlichen Regungen – man sieht das alles, und man ist voll guter Gefühle, voll Edelmut. Man sagt sich: „Schön … jeder macht es, so gut er kann!“ – in dieser Art.
An einem anderen Tag – oder vielleicht sogar im nächsten Moment – bemerkt man dann in sich eine Art Nüchternheit, Starrheit, etwas Herbes, das streng urteilt, ja, das übelnimmt, das Groll hegt, das den bestraft sehen möchte, der wehtut, das beinahe Rachegefühle hat: gerade das Gegenteil vom anderen. An einem Tag tut man dir weh, du sagst: „Na gut, er wusste nicht…“ oder: „Er konnte nicht anders…“ oder: „Es war seine Natur…“ oder: „Er konnte nicht verstehen!“ Am nächsten Tag – oder vielleicht eine Stunde später – sagst du wütend: „Er muss bestraft werden! Er muss dafür bezahlen! Er muss spüren, dass er wehgetan hat!“ …und man hat all die Gefühle der Eifersucht, des Neides, der Engherzigkeit, nicht wahr, gerade das Gegenteil von dem anderen Gefühl.
Das ist die Schattenseite. Und in dem Moment, wo man sie dann sieht, sie anschaut und nicht sagt: „Das bin ich“, sondern: „Nein, das ist der Schatten von mir, das ist dieses Wesen, das ich aus mir hinauswerfen muss“, da stellt man das Licht der anderen Seite auf und versucht, sie einander gegenüberzustellen; und mit diesem Wissen und diesem Licht der anderen Seite ist man zwar nicht sehr überzeugend, weil das sehr schwierig ist, aber man zwingt den Schatten, sich still zu verhalten … zunächst weit entfernt zu bleiben, und dann ihn weit zu vertreiben, damit er nicht mehr zurückkehren kann –, das Licht hell auf ihn gerichtet. Es gibt Fälle, wo es möglich ist, sich zu ändern, aber sie sind sehr selten. Es gibt Fälle, wo man auf dieses Wesen oder auf diesen Schatten ein so starkes Licht richten kann, dass ihn das umwandelt und ihn in das verwandelt, was die Wahrheit deines Wesens ist.
Aber das ist etwas Seltenes. Es kann geschehen, aber es ist selten. Doch normalerweise sagt man am besten: „Nein, das bin ich nicht. Ich will davon nichts wissen! Mit dieser Regung habe ich nichts zu tun, sie existiert nicht für mich, sie steht im Widerspruch zu meiner Natur.“ Und durch nachdrückliches Zurückweisen trennt man sich dann endlich von dieser.
Zunächst aber muss man klar und aufrichtig genug sein, um die Gegenpartei in sich zu sehen. Im Allgemeinen schenkt man diesen Dingen keine Aufmerksamkeit. Man geht von einem Extrem in das andere. Man kann es in ganz einfachen Worten sagen: An einem Tag bin ich gut, am nächsten bin ich böse. Und das erscheint ganz selbstverständlich. Manchmal bist du sogar in der einen Stunde gut und in der nächsten böse; oder manchmal bist du auch den ganzen Tag gut, und plötzlich wirst du böse, eine Minute sehr böse, um so böser, je mehr du gut warst! Nur beobachtet man es nicht, man hat Gedanken, die einem durch den Kopf gehen, gewalttätige, schlechte, gehässige, von der Art… Man achtet meistens nicht darauf. Aber gerade das muss man zu fassen bekommen! Sobald sich das zeigt, muss man es so packen (Mutter macht eine Handbewegung), mit einer sehr kräftigen Faust, und es dann halten, es vor das Licht halten und sagen: „Nein! Du, ich-will-dich-nicht! Ich-will-dich-nicht! Ich habe nichts mit dir zu tun! Mach, dass du von hier weggehst, und komm ja nicht wieder!“
Und das ist eine Sache, eine Erfahrung, die man täglich haben kann, fast… Wenn man jene Regungen großer Begeisterung, großer Sehnsucht hat, wenn einem das göttliche Ziel plötzlich bewusst wird, der Drang zum Göttlichen, dieser Wunsch, am göttlichen Werk teilzuhaben, wenn man aus sich herausgeht in großer Freude und großer Kraft, und einige Stunden später geht es einem miserabel aufgrund einer winzigen Sache; man gibt nach und verfolgt nur Eigeninteressen, wird kleinlich, eng, gewöhnlich, man hat dumpfe Begierden… Und all das andere, das ist verpufft, als gäbe es das nicht. An Widersprüche ist man sehr gewöhnt; man achtet nicht darauf, und deswegen lebt das alles in so bequemer Nachbarschaft. Man muss sie zuerst entdecken und eben verhindern, dass sie sich im Bewusstsein vermischen: zwischen ihnen unterscheiden, den Schatten vom Licht trennen. Danach kann man sich von dem Schatten befreien…
Liebe Mutter… was ist am gefährlichsten für den Yoga, die Vorlieben des Mentals oder das beharrliche Drängen des Vitals?
Das, was man hat!
28. Juli 1954
