Das psychische Wesen und der individuelle innere Fortschritt

Die irdische evolutionäre Entwicklungsarbeit der Natur, vom Zustand der Materie bis hin zum Denken und darüber hinaus, folgt einem zweifachen Prozess: zum Einen, dem äußeren sichtbaren Prozess der physischen Evolution mit der Geburt als ihrem Mechanismus – denn jede evolvierte Form eines Körpers, die ihre eigene entwickelte Kraft des Bewusstseins enthält, wird durch Vererbung in ihrem Fortbestand erhalten. Gleichzeitig gibt es einen unsichtbaren Prozess der Seelen-Entwicklung mit der Wiedergeburt in aufsteigenden Stufen von Bewusstsein und Form. Der erste Prozess, für sich allein genommen, würde nur eine kosmische Evolution bedeuten, denn das Individuum wäre ein schnell vergehendes Instrument dieser Entwicklung und die menschliche Rasse als kollektive Ausdrucksform, die länger bestehen bleibt, wäre der eigentliche Schritt in der progressiven Manifestation des universalen spirituellen Geistes: die Wiedergeburt ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Fortbestand und die Evolution des individuellen Wesens in seiner Existenz auf der Erde. Jede Stufe der kosmischen Schöpfung, jede Art von Form, die den innewohnenden spirituellen Geist beherbergt, wird durch die Wiedergeburt für die individuelle Seele, das psychischen Wesen, zu einem Mittel, um mehr und mehr von seinem verborgenen Bewusstsein auszudrücken; jedes Leben wird zu einem Sieg über die Materie, durch ein größeres Fortschreiten der Entwicklung des Bewusstseins in ihr, das schließlich die Materie selbst zu einem Mittel für die volle Manifestation des göttlichen Geistes umwandeln wird.

SRI AUROBINDO, Das Göttliche Leben

Das ist schwer zu verstehen, süße Mutter.

Ah!…

Wenn du die Geschichte der Erde anschaust, sind darin nacheinander alle Formen der Entstehung des Lebens nach einem allgemeinen Plan erschienen, einem umfassenden Programm, immer mit der Ergänzung einer neuen Perfektion und eines größeren Bewusstseins. Nimm die körperlichen Formen der Tiere – denn das ist am leichtesten zu verstehen, sie sind die letzten, bevor der Mensch entstand – jedes Tier, das in der Evolution erschien, besaß in seiner Natur eine zusätzliche Perfektion – nicht in allen Details, meine ich – eine größere Vollkommenheit als die vorherigen Tiere und der krönende Punkt dieser aufsteigenden Entwicklung war die menschliche Form, die vom Standpunkt des Bewusstseins aus gesehen für den Moment am besten dazu geeignet ist, Bewusstsein sichtbar zu machen. Das heißt, die menschliche Form ist auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung fähig, mehr Bewusstsein auszudrücken, als alle tierischen Formen, die ihr vorausgehen.

Das ist einer der Wege, den die Evolution der Natur nimmt.

Sri Aurobindo sagte uns letzte Woche, dass die Natur einer aufsteigenden Entwicklung folgt, um das göttliche Bewusstsein zu offenbaren, das in allen lebendigen Formen enthalten ist. Mit jeder neuen Form des Lebens, welche die Natur produziert, entwickelt sie eine weitere Art, die den göttlichen Geist, den sie enthält, vollständiger zum Ausdruck bringen kann. Wäre es jedoch nur so, dass eine Form entsteht, sich entwickelt, ihren Höhepunkt der Entwicklung erreicht und eine andere Form ihr folgt, während die anderen, die ihr vorausgehen, nicht aus der Evolution verschwinden, könnte das einzelne Individuum in seiner Entwicklung keine Fortschritte mehr machen. Der individuelle Hund oder Affe zum Beispiel gehört zu einer Spezies mit ihren eigenen besonderen Eigenschaften; wenn der Affe oder der Mensch den Höhepunkt der Entwicklung seiner Möglichkeiten erreicht hat, das heißt, wenn ein menschliches Individuum zum besten Typ der Menschheit wird, ist seine Entwicklung fertig; der individuelle Mensch wird sich dann nicht mehr weiter entwickeln können. Er gehört zur menschlichen Gattung und wird weiterhin dazu gehören. Vom Standpunkt der gesamten irdischen Entwicklung aus gesehen ist das ein Fortschritt, denn jede Spezies stellt einen Fortschritt dar, verglichen mit der Spezies, die ihr in der Entwicklung voranging; aber vom Standpunkt des einzelnen menschlichen Individuums ist es kein Fortschritt: der Mensch wird geboren, er folgt seiner Entwicklung, er stirbt und verschwindet. Deshalb, um den Fortschritt des einzelnen Individuums zu gewährleisten, war es notwendig, andere Wege zu finden, diese Methode seiner Entwicklung war nicht ausreichend. Aber in jedem Individuum, in jeder lebendigen Form existiert eine Organisation ihres Bewusstseins, die näher an der inneren göttlichen Präsenz ist und direkter unter ihrem Einfluss steht. Und die Form, die unter diesem Einfluss steht – diese Art der inneren Konzentration von Energie – hat ein Leben, das von der körperlichen Form unabhängig ist, sie ist es, die allgemein als „Seele“ oder „psychisches Wesen“ bezeichnet wird – und da sie um das göttliche Zentrum geordnet ist, ist sie Teil der göttlichen Natur, die unsterblich und ewig ist. Der äußere Körper fällt weg mit dem Tod, aber dieser innere Teil bleibt bestehen. Durch alle Erfahrungen, die er in jedem Leben hat, macht er Fortschritte von Leben zu Leben und das ist der Fortschritt im selben Individuum. Und diese Bewegung der Evolution ergänzt die andere Methode, anstatt dass eine Spezies relativ zu anderen Spezies Fortschritte macht, ist es hier das Individuum, das durch alle Stufen des Fortschritts dieser Spezies hindurchgeht und sich auch in Zukunft weiter entwickeln kann, selbst wenn die Spezies die Grenze ihrer Möglichkeiten erreicht hat und dann weiter besteht oder verschwindet, je nachdem – es hängt vom einzelnen Fall ab – aber die Spezies können sich nicht weiter entwickeln, wohingegen das Individuum von einer Form in die andere übergehen kann und seinen Fortschritt unbegrenzt fortsetzen kann, weil es ein inneres Leben hat, das unabhängig von der rein materiellen Form besteht. Das ergibt eine zweifache Bewegung der Evolution, die sich ergänzt. Und deshalb hat jeder einzelne Mensch die Möglichkeit, die höchste Verwirklichung zu erlangen, unabhängig von Geschlecht und Rasse, zu der er momentan gehört.

Es gibt Menschen – ich glaube, es gibt sie immer noch –, die sagen, dass sie sich an ihre vergangenen Leben erinnern, und daran was geschah, als sie Hunde oder Elefanten oder Affen waren, und sie erzählen sehr ausführlich, was ihnen passiert ist. Nun, ich werde nicht mit ihnen streiten, aber egal, es verdeutlicht die Tatsache, dass man ein Affe gewesen sein kann, bevor man zum Menschen wurde, vielleicht hat man nicht die Fähigkeit sich daran zu erinnern – das ist eine andere Sache –, aber sicherlich hat dieser innere göttliche Funke aufeinander folgende Formen durchlaufen, um sich seiner selbst immer bewusster zu werden. Und wenn es bewiesen ist, dass man sich an die Form erinnern kann, die man hatte, bevor man zu einem psychischen Wesen wurde, wie es im menschlichen Wesen zu finden ist, gut, dann ist es auch möglich, dass man sich daran erinnert, wie man auf Bäume geklettert ist und Kokosnüsse gegessen hat und sogar daran, wie man alle möglichen Scherze mit den Reisenden getrieben hat, die unter den Bäumen vorbeigegangen sind!

In jedem Fall ist es eine Tatsache. Später werden wir sehen, dass eine bestimmte Stufe der inneren Organisation nötig ist, damit das psychische Wesen Erinnerungen haben kann, so wie sie der mentale denkende Teil hat – wir werden später darüber sprechen, wenn wir im Buch dazu kommen –, aber in jedem Fall steht diese Tatsache fest: Eine zweifache Bewegung der Evolution, die sich überkreuzt und gegenseitig ergänzt, gibt jedem Menschen die allergrößte Möglichkeit der Verwirklichung des göttlichen Lichts in sich selbst. Das hat Sri Aurobindo erklärt. (Sie wendet sich an das Kind) Das heißt, dass du in deinem äußeren Körper zu der tierischen Spezies gehörst, während du deiner Entwicklung folgst, zur supramentalen Spezies zu werden – du bist es noch nicht! Aber in dir lebt ein psychisches Wesen, das schon vorher in vielen, vielen, zahllosen Arten gelebt hat und eine Erfahrung von tausenden von Jahren in sich trägt, und das wird weiter bestehen, während dein menschlicher Körper menschlich bleibt und schließlich zerfallen wird.

DIE MUTTER, CWM 7:214