Kapitel 9
Wie man im Körper die Aspiration nach dem Göttlichen erweckt
Worte der Mutter
Liebe Mutter, am Freitag hast du als Meditationsthema „Wie man im Körper die Aspiration nach dem Göttlichen weckt“ gegeben. Wie soll man es machen, liebe Mutter?
Es gibt natürlich viele Weisen es zu tun, und tatsächlich muss jeder die seinige finden. Der Ausgangspunkt aber kann bei jedem ein ganz anderer sein, scheinbar fast entgegengesetzt.
Zu der Zeit, als Yoga eine Flucht aus dem Leben war, war es allgemein üblich, dass die Menschen, abgesehen von einigen Auserwählten, an Yoga erst dachten, wenn sie alt waren, wenn sie viel erlebt hatten, wenn sie alle Wechselfälle des Lebens, seine Freuden, seine Sorgen, seine Wonnen, seine Leiden, seine Verantwortung, seine Enttäuschungen kennengelernt hatten, kurz alles, was das Leben im allgemeinen den Menschen bringt, und natürlich hatte es ihnen ein wenig die Augen geöffnet über die Illusion der Freuden des Daseins, sie waren also reif, um an etwas anderes zu denken, und ihr Körper war auf jeden Fall kein Hindernis, wenn er nicht voll jugendlicher Begeisterung war (!), denn da er gesättigt war, verlangte er nicht mehr viel… Die Dinge von diesem Ende her anzusprechen, ist sehr gut, wenn man das Leben spirituell verlassen will und wenn man von ihm keine Mitarbeit bei der Umwandlung erwartet. Es ist offensichtlich das leichteste Mittel. Klar ist aber auch: Wenn man will, dass dieses materielle Dasein am göttlichen Leben teilhat, dass es das Feld für das Wirken und die Verwirklichung ist, ist es besser, nicht darauf zu warten, dass der Körper mit dem Verschleiß hinreichend … ruhig wird, um den Yoga nicht zu behindern. Es ist im Gegenteil besser, ihn zu nehmen, wenn er noch ganz jung und voll all seiner Energien ist und wenn er genug Inbrunst und Intensität in seine Aspiration hineinlegen kann. In diesem Fall, statt dass man sich auf Erschöpfung stützt, die nichts mehr verlangt, sollte man sich auf eine Art innerer Begeisterung für das Unbekannte, das Neue stützen – für das Vollkommene. Und wenn man das Glück hat, in Verhältnissen zu leben, in denen man von Kindheit an Hilfe und Führung empfangen kann, schon als ganz kleines Kind versuchen kann, zu unterscheiden zwischen den flüchtigen Freuden und oberflächlichen Vergnügungen, die das Leben zu bieten hat, und diesem Wunderbaren, das ein Leben, Wirken und Wachsen in einer Welt der Vollkommenheit und Wahrheit wäre, wo alle gewöhnlichen Grenzen, alle gewöhnlichen Unfähigkeiten aufgehoben wären.
Wenn man sehr jung und „wohlgeboren“ ist, wie ich es nenne, nämlich mit einem bewussten seelischen Wesen in sich, lebt in den Kinderträumen immer diese Art Aspiration, die für das kindliche Bewusstsein gleichsam ein Streben nach einer Schönheit ohne Hässlichkeit ist, einer Gerechtigkeit ohne Ungerechtigkeit, einer Güte ohne Grenzen, und nach einem bewussten, ständigen Erfolg, einem immerwährenden Wunder. Man träumt von Wundern, wenn man klein ist, man will, dass alle Bosheit verschwindet, dass alles immer licht, schön und glücklich ist, man mag Geschichten, die gut ausgehen. Auf das sollte man sich stützen. Wenn der Körper seine Leiden, seine Grenzen spürt, da muss man diesen Traum in ihm begründen – von einer Stärke, die keine Grenzen hat, von einer Schönheit, die keine Hässlichkeit hat, und von wunderbaren Fähigkeiten: Man träumt davon, sich in die Luft erheben zu können, überall da zu sein, wo es notwendig ist, die Ordnung wiederherzustellen, wenn die Dinge schlecht gehen, die Kranken zu heilen; kurz, man hat alle möglichen Träume, wenn man sehr jung ist… Meist verbringen Eltern und Lehrer ihre Zeit damit, kaltes Wasser darüber zu schütten, und sagen einem: „Ach, das ist doch nur ein Traum, das ist nicht die Wirklichkeit.“ Aber gerade das Gegenteil sollten sie tun! Man sollte den Kindern beibringen: „Ja, das musst du zu verwirklichen versuchen, und es ist nicht nur möglich, sondern es ist auch sicher, wenn du mit dem, was in dir dazu imstande ist, in Verbindung trittst. Das muss dein Leben leiten, es gestalten, dich in die Richtung der wahren Wirklichkeit, die die gewöhnliche Welt Illusion nennt, entwickeln lassen.“
So sollte es sein, statt die Kinder durchschnittlich zu machen, mit diesem platten, gewöhnlichen Alltagsverstand, der zu einer unverbesserlichen Beschaffenheit wird, und der, wenn etwas gut geht, im Wesen sofort den Gedanken hervorbringt: „Ach, das dauert nicht lange!“, wenn etwas nett ist, den Eindruck: „Ach, das wird sich ändern!“, wenn man zu etwas imstande ist: „Ach, morgen werde ich es nicht mehr so gut können.“ Das ist wie eine Säure, eine zersetzende Säure im Wesen, die die Hoffnung, die Gewissheit, das Vertrauen in künftige Möglichkeiten wegnimmt.
Wenn ein Kind voll Begeisterung ist, schütte nie kaltes Wasser darauf, sage nie zu ihm: „Du weißt ja, das Leben ist nicht so!“ Du solltest ihm immer Mut machen, zu ihm sagen: „Ja, gegenwärtig sind die Dinge nicht immer so, sie erscheinen hässlich, aber dahinter ist eine Schönheit, die man versuchen muss zu verwirklichen. Das solltest du lieben, das an dich ziehen; das solltest du zum Thema deiner Träume, deiner Pläne machen.“
Und wenn du dies als ganz kleines Kind tust, hast du viel weniger Schwierigkeiten, als wenn du nachher die ganze schlechte Arbeit, die eine schlechte Erziehung geleistet hat, wieder rückgängig machen musst, diesen so platten und gewöhnlichen Alltagsverstand, der dazu führt, dass du vom Leben nichts Gutes erwartest, dass es fade und langweilig ist, dass alle Hoffnungen, alle sogenannten Illusionen der Schönheit sich widerlegt sehen. Du solltest im Gegenteil dem Kind sagen – oder dir selbst, wenn du nicht mehr ganz ein Baby bist: „Alles, was in mir unwirklich, unmöglich, illusorisch erscheint, dies ist das Wahre, dies muss ich weiterentwickeln.“ Wenn du diese Sehnsüchte hast: „Oh, nicht die ganze Zeit von einer Unfähigkeit begrenzt werden, nicht die ganze Zeit von einem bösen Willen gestoppt werden!“, du musst in dir diese Gewissheit weiterentwickeln, dass dies das essentiell Wahre ist, dass dies verwirklicht werden muss.
Dann erwacht der Glaube in den Körperzellen. Und du wirst sehen, dass du eine Antwort in deinem Körper selbst finden wirst. Er selbst wird es spüren, dass, wenn der innere Wille hilft, stärkt, leitet und führt, nun, dann die Begrenzungen allmählich verschwinden werden.
Und dann, wenn die erste Erfahrung kommt, die manchmal beginnt, wenn man sehr jung ist, der erste Kontakt mit der inneren Freude, mit der inneren Schönheit, mit dem inneren Licht, der erste Kontakt mit dem, was dich plötzlich fühlen lässt: „Oh, das will ich“ , dann musst du es weiterentwickeln, es nie vergessen, immer wieder vor dich hinstellen, dir sagen: „Ich habe es einmal gefühlt, also kann ich es noch spüren. Das war für mich wahr, wenn auch nur für die Dauer einer Sekunde, aber das will ich wieder zu mir zurückbringen.“… Und den Körper ermutigen, es zu suchen – es zu suchen, im Vertrauen, dass er in sich selbst diese Möglichkeit trägt und dass sie wiederkommt, sich noch verwirklichen wird, wenn er sie ruft.
Das sollte man tun, wenn man jung ist. Das muss man jedes mal tun, wenn man Gelegenheit hat, sich zu sammeln, zu sich zu kommen, sich selbst zu suchen.
Und dann wirst du sehen. Wenn man normal ist, das heißt, nicht verdorben durch schlechte Lehren und schlechte Beispiele, wenn man in einem gesunden und verhältnismäßig ausgeglichenen und normalen Milieu geboren wird und lebt, hat der Körper, ohne dass man mental oder vital eingreifen muss, spontan die Gewissheit, dass wenn etwas nicht stimmt, es heilen wird. Der Körper trägt in sich die Gewissheit der Heilung, dass die Krankheit oder die Störung sicher verschwindet. Nur durch die falsche Erziehung durch das Umfeld wird dem Körper allmählich beigebracht, dass es unheilbare Krankheiten, nicht wiedergutzumachende Unfälle gibt, und dass er altern wird, und alle diese Geschichten, die ihm seinen Glauben und sein Vertrauen nehmen. Aber normalerweise spürt der Körper eines normalen Kindes – der Körper, ich spreche nicht vom Denken –, der Körper selbst spürt, dass alles wieder gut wird, wenn etwas nicht stimmt. Und wenn es nicht so ist, bedeutet das, dass er schon verfälscht wurde. Es erscheint ihm normal, gesund zu sein, es erscheint ihm als völlig anormal, dass etwas in Unordnung gerät und dass er krank wird; und in seinem Instinkt, in seinem spontanen Instinkt ist er sicher, dass alles wieder in Ordnung kommen wird. Nur durch die Perversion des Denkens wird ihm das geraubt; je größer man wird, desto mehr verfälscht sich das Denken, da ist die ganze kollektive Suggestion, und dann verliert der Körper allmählich das Vertrauen in sich selbst, und wenn er sein Selbstvertrauen verliert, verliert er natürlich auch diese spontane Fähigkeit, das Gleichgewicht wiederherzustellen, wenn dies gestört wurde.
Wenn aber damit angefangen wurde, einen von ganz klein auf, von der frühsten Kindheit an, allerhand Dinge zu lehren, die täuschen und deprimieren – Dinge, die Zersetzung verursachen, Auflösung, möchte ich sagen –, dann tut dieser arme Körper sein möglichstes, aber man hat ihn pervertiert, man hat ihn in Unordnung gebracht, er hat nicht mehr das Gefühl seiner inneren Stärke, seiner inneren Kraft, seiner Macht zu reagieren.
Wenn man dafür sorgt, den Körper nicht zu verfälschen, trägt er in sich die Gewissheit des Sieges. Es ist nur der falsche Gebrauch, den man vom Denken und von seinem Einfluss auf den Körper macht, der ihn seiner Siegesgewissheit beraubt. So muss man als erstes diese Gewissheit weiterentwickeln, statt sie zu zerstören; und mit ihr ist keine Anstrengung mehr nötig, um zu streben, es ist ganz einfach ein Aufblühen, eine Entfaltung dieser inneren Siegesgewissheit.
Der Körper trägt in sich selbst das Gefühl seiner Göttlichkeit. So. Das musst du versuchen in dir wiederzufinden, wenn du es verloren hast.
Wenn ein Kind dir einen schönen Traum erzählt, in dem es viele Kräfte besaß und die Dinge sehr gut waren, sage ihm nur ja nie: „Ach, das Leben ist nicht so“, denn dann tust du etwas schlechtes. Du musst im Gegenteil sagen: „So soll das Leben sein, und es wird so sein!“
