Kapitel 7

Zweifel

Die ganze Welt, sowohl der spirituelle Denker als auch der Materialist, weiß, dass dieses Leben in der Unwissenheit oder der Unbewusstheit der Natur für das erschaffene oder natürlich [in der Evolution] entwickelte Wesen weder ein Bett aus Rosen ist noch ein Pfad in heiterem Licht. Es ist eine schwierige Reise, ein Kampf, ein Gefecht, ein oft schmerzhaftes und wechselvolles Wachsen, ein Leben, das von Finsternis und Falschheit und Leid umgeben ist. Es hat seine mentalen, vitalen und physischen Freuden und Vergnügungen, doch diese haben einen sehr vergänglichen Geschmack – den dennoch das vitale Selbst nicht missen will - und sie enden in Ekel, Ermüdung und Desillusionierung. Und was dann? Zu sagen, es gäbe das Göttliche nicht, ist einfach, doch es führt nirgendwohin, es lässt dich dort, wo du bist, ohne Hoffnung und Ausweg, – weder Russell noch irgendein Materialist kann dir verraten, wohin du gehst oder gar, wohin du gehen sollst. Das Göttliche manifestiert sich bekanntlich nicht derart, dass es in den äußeren Gegebenheiten der Welt erkannt werden kann. Wir haben es nicht mit dem Werk eines unverantwortlichen Herrschers irgendwo zu tun, sondern mit den Gegebenheiten eines Ausarbeitens von Kräften entsprechend einer bestimmten Natur des Seins – man könnte auch sagen, entsprechend einer gewissen Anlage oder eines gewissen Problems des Seins – in etwas, in das einzutreten und mit ihm zusammenzuwirken wir alle bereits zugestimmt haben. Die Arbeit sei schmerzhaft, zweifelhaft, ihre Wechselfälle unmöglich vorherzusehen? Dann gibt es zwei Möglichkeiten, nämlich sich davon abzukehren und das Nirvana zu erlangen, sei es mit Hilfe des buddhistischen oder illusionistischen Weges oder aber sich nach innen zu wenden und dort das Göttliche zu finden, das an der Oberfläche nicht zu entdecken ist. Diejenigen, die den Versuch unternahmen, und es waren ihrer nicht wenige, sondern hunderte und tausende, haben durch alle Zeiten bezeugt, dass dort das Göttliche zu finden sei, und daher gibt es auch den Yoga. Es nähme lange Zeit in Anspruch? Das Göttliche sei hinter dem dichten Schleier seiner Maya verborgen und beantworte weder unseren Ruf sofort noch in einem frühen Stadium der Sadhana? Oder es gewähre nur einen ungewissen oder flüchtigen Blick und ziehe sich dann zurück und warte auf unser Bereitsein? Doch wenn das Göttliche irgendeinen Wert hat, lohnt es dann nicht eine gewisse Mühe und Zeit und Arbeit, ihm zu folgen, und müssen wir wirklich darauf beharren, es ohne Schulung, Opfer, Leiden oder Mühen zu erreichen? Ganz sicher ist es unvernünftig, eine derartige Forderung zu stellen. Soviel steht jedoch fest, wir müssen uns nach innen wenden, hinter den Schleier, damit wir es finden; nur dann können wir es auch außen sehen und der Verstand kann nicht so sehr überzeugt als gezwungen werden, Seine Gegenwart durch die Erfahrung anzuerkennen, – geradeso als würde ein Mensch das erblicken, dessen Vorhandensein er abgestritten hatte, und kann es nun nicht länger leugnen. Doch hierfür müssen die Mittel akzeptiert werden, ein beharrlicher Wille und eine beharrliche Geduld bei der Arbeit.

10. September 1933