7. Kapitel

Hingabe und Wissen

Die zwei Naturen

7.1
Der Erhabene sprach:
Höre, O Partha, wie du Mich durch die Praxis des Yoga, das Mental fest an Mich gebunden und mit Mir als āśraya (der alleinigen Grundlage, Stütze und Zuflucht für dein bewusstes Wesen und Wirken), vollständig und ohne eine Spur von Zweifel erkennen wirst.

Die tiefere Bedeutung dieses Satzes ist, dass das Göttliche Wesen alles ist, vāsudevaḥ sarvam. Wenn Gott also vollständig in allen seinen Mächten und Prinzipien erkannt ist, dann ist alles erkannt, nicht nur das reine Selbst, sondern die Welt, das Wirken und die Natur. Dann bleibt hier nichts mehr übrig, das man erkennen kann, da alles dieses Göttliche Sein ist. Unsere mentale Wahrnehmung der Dinge ist deshalb Unwissenheit, weil unser Schauen hier nicht auf solche Weise integral ist, weil es auf dem zerteilenden Mental, der Vernunft und der sondernden Idee des Ego beruht. Von dieser mentalen und egoistischen Schau müssen wir wegkommen, hin zur wahren einenden Erkenntnis. Diese hat zwei Aspekte: den wesentlichen, jñāna, und den umfassenden, vijñāna: Die unmittelbare spirituelle Wahrnehmung des höchsten Wesens und die richtige innere Erkenntnis der Prinzipien seines Seins: Prakriti, Purusha und das Übrige, durch das alles, was ist, in seinem göttlichen Ursprung und in der höchsten Wahrheit seiner Natur erkannt werden kann. Die Gita sagt, dies integrale Wissen ist etwas Seltenes und Schwieriges. (266)

7.2
Nennen will ich dir – und nichts dabei auslassen oder offenlassen – das essentielle Wissen, das gestützt ist auf allumfassende Erkenntnis. Wenn du es weißt, bleibt nichts Wissenswertes mehr übrig.

7.3
Unter Tausenden von Menschen ringt nur hier und da einer nach Vollkommenheit. Und von denen, die ringen und zur Vollkommenheit gelangen, erkennt nur hier und da einer Mich in all den Prinzipien Meines Daseins.

7.4
Die fünf Elemente (Zustandsformen des materiellen Daseins), das Mental, die Vernunft und das Ego, dies ist Meine achtfach geteilte Natur.

Um mit diesem integralen Wissen zu beginnen und es zu stützen, trifft die Gita jene tiefe und bedeutungsvolle Unterscheidung, die praktisch die Grundlage ihres ganzen Yoga ist, die Unterscheidung zwischen den zwei Arten der Natur: Der phänomenalen und der spirituellen Natur… Hier ist der erste neue metaphysische Gedanke der Gita, der ihr hilft, von den Begriffen der Sankhya-Philosophie auszugehen und dadurch über sie hinauszukommen, dass sie ihren Begriffen, die sie beibehält und ausweitet, eine vedantische Bedeutung beilegt. Eine achtfache Natur, von den fünf bhūtas gebildet –, den Elementen, wie man übersetzt, aber eigentlich den elementaren oder wesentlichen Zustandsformen materiellen Seins, denen man die konkreten Namen gegeben hat: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther –, ferner vom Mental mit seinen verschiedenen Sinnen und Organen, vom Vernunft-Willen und vom Ego –, diese achtfache Natur ist die Sankhya-Beschreibung der Prakriti. Hier macht das Sankhya halt. Und weil es hier haltmacht, muss es eine unüberbrückbare Trennwand zwischen der Seele und der Natur errichten. Es muss die beiden als zwei ganz verschiedene primäre Wesenheiten darstellen. Auch die Gita hätte, wenn sie hier haltmachen würde, die gleiche unüberwindbare Antinomie zwischen dem Selbst und der kosmischen Natur behaupten müssen. Letztere wäre nur die Maya der drei Gunas. Alles kosmische Sein wäre dann einfach das Ergebnis dieser Maya; es könnte nichts anderes sein. Es gibt aber etwas darüber hinaus, ein höheres Prinzip, eine Natur des Geistes, parā prakṛtir me. (266-67)

7.5
Doch ist dies nur die niedere Natur. Erkenne nun, O Starkarmiger, auch Meine andere Natur, die von dieser verschieden ist, Mein Erhabenes Wesen. Dieses wird zum Jiva, durch den diese Welt getragen und erhalten wird.

Meine andere Natur: Dieses „Ich“ hier ist der Purushottama, das höchste Wesen, die erhabene Seele, der transzendente und universale Geist. Die ursprüngliche und ewige Natur des Geistes und seine erhabene hervorbringende Shakti ist das, was mit Para Prakriti gemeint ist. Denn wenn Krishna zuerst vom Ursprung der Welt unter dem Gesichtspunkt der aktiven Macht der Natur spricht, versichert er: „Dies ist der Schoß aller Wesen“, etad-yonīni bhūtāni. Und in der nächsten Zeile des Doppelverses stellt er wiederum dieselbe Tatsache dar, diesmal unter dem Gesichtspunkt der hervorbringenden Seele, und fährt fort: „Ich bin die Geburt der gesamten Welt und ebenso ihre Auflösung. Es gibt nichts Erhabenes jenseits von Mir.“ Hier werden also die erhabene Seele, Purushottama, und die erhabene Natur, Para Prakriti, gleichgesetzt: sie werden als die beiden Wege dargestellt, auf denen ein und dieselbe Wirklichkeit zu betrachten ist. Denn wenn Krishna erklärt, „Ich bin die Geburt der Welt und ihre Auflösung“, ist es offensichtlich Para Prakriti, die höchste Natur seines Wesens, die diese beiden Dinge ist. Der Geist ist das höchste Wesen in seinem unendlichen Bewusstsein, und die höchste Natur ist die Unendlichkeit von Macht oder Wille des Wesens des Geistes –, sie ist sein unendliches Bewusstsein in der innewohnenden göttlichen Energie und in seiner erhabenen göttlichen Aktivität. Die Geburt ist die Bewegung von Evolution dieser bewussten Energie aus dem Geist, parā prakṛtir jīvabhūtā, seine Aktivität im veränderlichen Universum. Die Auflösung geschieht, wenn sich diese Aktivität zurückzieht indem sich die Energie dem unveränderlichen Sein und der in sich gesammelten Macht des Geistes involviert. Das ist also das, was eigentlich mit der höchsten Natur gemeint ist.

Die höchste Natur, parā prakṛtiḥ, ist somit die unendliche, zeitlose, bewusste Macht des selbst-seienden Wesens, aus der alles Seiende im Kosmos manifestiert wird, um aus der Zeitlosigkeit in die Zeit hervorzutreten. Um aber für dieses vielfältige universale Werden im Kosmos eine spirituelle Grundlage zu schaffen, formuliert sich die erhabene Natur als der Jiva. Mit anderen Worten: Die ewige vielfältige Seele des Purushottama erscheint als individuelles spirituelles Sein in allen Gestaltungen des Kosmos. Alles Seiende wird durchdrungen vom Leben des einen unteilbaren Geistes. Alles wird in seiner Personalität, seinen Handlungen und Gestaltungen von der ewigen Vielfalt des einen Purusha gefördert und erhalten. Wir müssen uns vor dem Fehler hüten, diese höchste Natur für identisch zu halten mit dem in der Zeit manifestierten Jiva in dem Sinn, dass wir meinen, es gebe sonst nichts, oder es existiere nur die Art des Werdens und nicht die Art des Seins. Das könnte nicht die erhabene Natur des Geistes sein. Sogar in der Zeit ist sie mehr als nur das. Denn sonst wäre ihre einzige Wahrheit im Kosmos die Art der Vielfalt, und es gäbe keine Art der Einheit in der Welt. Das ist aber nicht das, was die Gita sagt: Sie sagt nicht, die höchste Prakriti sei in ihrem Wesen der Jiva, jīvātmikām, sondern dass sie zum Jiva geworden ist, jīvabhūtām. In diesem Ausdruck ist sinngemäß enthalten, dass es hinter ihrer Manifestation als Jiva ursprünglich etwas anderes und Höheres gibt; das ist die Natur des einen höchsten Geistes. Der Jiva ist, wie wir später erfahren, der Herr, īśvara, jedoch in seiner partiellen Manifestation, mamaivāṁśaḥ. Sogar die unendlich vielfältigen Wesen im Weltall oder in zahllosen Universen könnten in ihrem Werden nicht das integrale Göttliche sein, sondern nur eine partielle Manifestation des unendlichen Einen. In ihnen residiert Brahman, das eine unteilbare Sein so, als sei er zerteilt, avibhaktaṁ ca bhūteṣu vibhaktam iva ca sthitam. Die Einheit ist die höhere Wahrheit, die Vielfalt ist die niedere Wahrheit, wenn auch beide eine einzige Wahrheit sind und keine von ihnen eine Illusion ist.

Durch die Einheit dieser spirituellen Natur wird die Welt getragen, yayedaṁ dhāryate jagat, ebenso ist sie der Ursprung ihres Entstehens mit all ihren Werdegestaltungen, etad-yonīni bhūtāni sarvāṇi. Und sie ist es auch, die die ganze Welt und alles, was in ihr existiert, in der Stunde der Auflösung in sich zurücknimmt, ahaṁ kṛtsnasya jagataḥ prabhavaḥ pralayas tathā. Aber in der Manifestation, die auf diese Weise im Geist hervorgebracht, in ihrem Wirken gefördert und zu ihrem periodischen Ausruhen vom Handeln zurückgezogen wird, ist der Jiva die Grundlage des vielfältigen Seins. Er ist die vielfältige Seele, wenn wir ihn so nennen wollen, oder wenn wir ihn lieber so nennen, die Seele der Vielfalt, die wir hier erfahren. Er ist in seinem Wesen immer eins mit dem Göttlichen, von ihm nur in der Macht seines Wesens unterschieden –, verschieden nicht in dem Sinne, dass er nicht in allem dieselbe Macht wäre, sondern in dem Sinne, dass er nur die eine Macht in einer partiell vielfältig individualisierten Aktion trägt und erhält. Darum sind auch alle Dinge in ihrem Anfang, an ihrem Ende und im Prinzip ihres fortdauernden Bestehens der Geist. Der fundamentale Charakter aller Wesen ist die Art des Geistes, und nur in ihren niederen, verschiedenartigen Erscheinungsformen scheinen sie etwas anderes zu sein: Art von Körper, Leben, Mental, Vernunft, Ego und Sinnen. Das sind aber phänomenale Ableitungen. Sie sind nicht die wesenhafte Wahrheit unserer Natur und unseres Seins.

Die höchste Natur des spirituellen Wesens gibt uns also beides: eine ursprüngliche Wahrheit und Seins-Macht jenseits des Kosmos, und ferner eine erste Grundlage spiritueller Wahrheit für die Manifestation im Kosmos. Wo ist aber die Verknüpfung zwischen dieser höchsten Natur und der niederen phänomenalen Natur? (268-71)

7.6
Erkenne diese höhere Natur als den Schoß aller Wesen. Ich bin die Geburt der gesamten Welt und ebenso ihre Auflösung.

7.7
Es gibt nichts Erhabenes jenseits von Mir, O Dhananjaya. Auf Mir ist alles, was es gibt, aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur.

Dies ist aber nur ein Bild, das wir nicht zu sehr ausdeuten dürfen. Denn durch die Schnur werden die Perlen nur in äußerer Beziehung zueinander gehalten; sie haben kein anderes Einssein, keine andere Beziehung zur Perlenschnur, außer dass sie von ihr abhängig sind für ihre gegenseitige Verbundenheit. Wir wollen also vom Bild weitergehen zu dem, was hier bildlich ausgedrückt werden soll. Es ist die höchste Natur des Geistes, die unendliche bewusste Macht seines Wesens, selbst-bewusst, all-bewusst, all-weise, die diese phänomenalen Seienden in Beziehung zueinander erhält, sie durchdringt, in ihnen verbleibt, sie fördert und in das System seiner Manifestation verwebt. Diese eine höchste Macht manifestiert sich nicht nur in allen Wesen als der Eine, sondern in jedem Einzelnen als der Jiva, als die individuelle spirituelle Gegenwart. Sie manifestiert sich auch als das Wesentliche aller Eigenschaften der Natur. Darum sind diese die verborgenen spirituellen Mächte hinter allen Phänomenen. Diese höchste Eigenschaft ist nicht das Wirken der drei Gunas, das eine Erscheinungsform der Eigenschaft, nicht aber ihre spirituelle Wesenheit ist. Sie ist vielmehr die eingeborene, einzige, jedoch veränderliche innere Macht all der vordergründigen Variationen. Sie ist die fundamentale Wahrheit des Werdens, eine Wahrheit, die alle ihre Erscheinungsformen fördert und ihnen spirituelle und göttliche Bedeutung verleiht. Die Wirkensweisen der Gunas sind nur die vordergründigen unsicheren Werdeerscheinungen von Vernunft, Mental, Sinne, Ego, Leben und Materie, sāttvikā bhāvā rājasās tāmasāś ca. Diese indessen ist die wesentliche stabile ursprüngliche innerste Macht des Werdens, svabhāva. Sie ist das, was das ursprüngliche Gesetz allen Werdens und jedes Jiva bestimmt. Sie bildet das Wesentliche und entfaltet die Bewegung der Natur. Sie ist ein Prinzip in jedem Geschöpf, das sich ableitet aus einem transzendenten göttlichen Werden und unmittelbar damit verbunden ist, aus dem des Ishvara, madbhāvaḥ. Die Verknüpfung zwischen jenem höchsten und diesem niederen Sein finden wir in dieser Beziehung des göttlichen bhāva zum svabhāva und des svabhāva zum äußeren bhāva, der göttlichen Natur zur individuellen Selbst-Natur und der Selbst-Natur in ihrer reinen, ursprünglichen Seinsweise zur phänomenalen Natur in all ihrem vermischten und verworrenen Spiel der Gunas. Die Mächte und Werte niederen Grades der unteren Prakriti leiten sich her aus den absoluten Mächten und Werten der erhabenen Shakti. Sie müssen wieder zu diesen zurückgehen, um dort ihren eigenen Ursprung, ihre Wahrheit und das wesentliche Gesetz ihrer Wirkensweise und Bewegung zu finden. So muss auch die Seele oder der Jiva, der hier in das gehemmte, armselige und niedere Spiel der phänomenalen Seinsweisen involviert ist –, wenn er dem entkommen, göttlich und vollkommen werden will –, durch ein Zurückgreifen auf die reine Wirksamkeit seiner wesenhaften Qualität des Swabhava zu jenem höheren Gesetz seines eigenen Wesens zurückkehren, in dem er den Willen, die Macht, das dynamische Prinzip, die höchste Wirkensweise seiner göttlichen Natur entdecken kann.

Das wird aus der unmittelbar darauffolgenden Stelle klar, in der die Gita eine Reihe von Beispielen aufzählt, um zu zeigen, wie sich das Göttliche in der Macht seiner höchsten Art offenbart und in den beseelten und sogenannten unbeseelten Daseinsformen im Weltall handelt. (271-72)

7.8
Ich bin der Geschmack in den Wassern, O Sohn der Kunti, Ich bin das Licht von Sonne und Mond, Ich bin Pranava (die Silbe OM) in allen Veden, der Klang im Äther und die Männlichkeit in den Männern.

Das Göttliche selbst ist in seiner Para Prakriti die den verschiedenen sensorischen Beziehungen zugrunde liegende Energie. Von dieser sind nach dem alten Sankhya-System die ätherischen, strahlenden, elektrischen, gasförmigen, flüssigen und anderen elementaren Zustandsformen der Materie das physikalische Medium. Die fünf elementaren Zustandsformen der Materie sind das quantitative oder materielle Element in der niederen Natur und die Basis der materiellen Formen. Die fünf Tanmatras, die Sinne des Schmeckens, Tastens, Riechens und die anderen, sind das qualitative Element. Diese Tanmatras sind die subtilen Energien, deren Wirksamkeit das sensorische Bewusstsein zu den gröberen Formen der Materie in Beziehung bringt –, sie sind die Grundlage für alle phänomenale Erkenntnis. Vom materiellen Standpunkt aus ist die Materie die Wirklichkeit; die sensorischen Beziehungen sind etwas Abgeleitetes. Vom spirituellen Standpunkt aus ist aber das Gegenteil wahr: Materie und materielle Media sind selbst abgeleitete Mächte. Sie sind im Grunde nur die konkrete Art und die Umstände, in denen sich das Wirken der Qualität der Natur in den Dingen für das sensorische Bewusstsein des Jiva manifestiert. Die einzige ursprüngliche und ewige Tatsache ist die Energie der Natur, die Macht und Eigenschaft des Wesens, das sich so der Seele durch die Sinne offenbart. Was aber in den Sinnen essentiell, am meisten spirituell und subtil ist, das ist selbst Stoff dieser ewigen Qualität und Macht. Diese Energie oder Macht des Wesens in der Natur ist jedoch das Göttliche selbst in seiner Prakriti. Darum ist jeder Sinn in seiner Reinheit jene Prakriti; jeder Sinn ist das Göttliche in seiner dynamischen bewussten Kraft.

In jedem Fall ist es die Energie der essentiellen Qualität, von der jede dieser Werde-Formen um derentwillen abhängt, zu dem sie geworden ist, was hier als das charakteristische Zeichen angegeben ist, das die göttliche Macht in ihrer Natur anzeigt.

Die zugrunde liegende Silbe OM ist das Fundament aller machtvollen schöpferischen Klänge des geoffenbarten Wortes. OM ist die eine universale Formulierung der Energie von Klang und Sprache. Es ist das, was die ganze spirituelle Kraft und alle Machtmöglichkeiten von Vak und Shabda enthält, ihre Summe und Synthese ausmacht und alles aussendet. Aus diesem werden die anderen Klänge und aus ihrem Stoff die Worte der Sprache gewoben, von denen man annimmt, sie seien die entfalteten Evolutionen. Das macht die Sache klar. Die Eigenschaften der höchsten Prakriti sind nicht die phänomenalen Entwicklungen der Sinne oder des Lebens, des Lichts, der Intelligenz, der Energie, Stärke, Männlichkeit, asketischen Kraft, es ist vielmehr die essentielle Qualität in ihrer spirituellen Macht, die das Swabhava bildet. Es ist die spirituelle Macht, die sich so manifestiert; es ist das Licht ihres Bewusstseins und die Macht ihrer Energie in den Dingen, die hier in einem reinen, ursprünglichen Zeichen geoffenbart sind, das die Selbst-Natur ist. Diese Kraft, dieses Licht, diese Macht sind der ewige Keim, aus dem alle anderen Dinge Entfaltungen, Abwandlungen, Ableitungen und plastische Umstände sind. Darum fügt die Gita als die allgemeinste Erklärung in die Aufzählung ein: „Erkenne Mich als den ewigen Keim von allem Seienden, O Sohn Prithas.“ Dieser ewige Keim ist die Macht des spirituellen Wesens, der bewusste Wille im Wesen, der Keim, von dem an anderer Stelle gesagt wird, dass ihn das Göttliche in das große Brahman, in die supramentale Weite hineinstreut, aus dem alles in das phänomenale Sein hineingeboren wird. Es ist die Saat des Geistes, der sich als die wesenhafte Art in allen Werdeerscheinungen offenbart und deren Swabhava bildet. (272-74)

7.9
Ich bin der reine Wohlgeruch der Erde, die Leuchtkraft im Feuer. Ich bin das Leben in jeglichem Sein. Ich bin die asketische Kraft in denen, die Askese üben.

7.10
Erkenne Mich als den ewigen Keim von allem Seienden, O Sohn Prithas. Ich bin die Intelligenz des Intelligenten, die Energie des Energetischen.

7.11
Ich bin die Stärke des Starken, der frei ist von Begehren und Neigung. Ich bin, O Herr der Bharatas, in den Wesen jenes Begehren, das nicht im Gegensatz zum Dharma steht.

Sehr klar wird am Ende der Reihe der praktische Unterschied angedeutet zwischen dieser ursprünglichen essentiellen Qualität und den phänomenalen Ableitungen niederer Art, zwischen dem Ding an sich in seiner Reinheit und dem Ding in seinen niederen Erscheinungsformen.

Wie kann es aber im Göttlichen ein Begehren, kāma, geben? Es wurde doch erklärt, dies Begehren, kāma, sei unser einziger großer Feind, der erschlagen werden muss. Jenes Begehren war aber das Begehren der niederen Art der Gunas, das seinen eigentlichen Ursprung im rajasischen Wesen hat, rajoguṇa-samudbhavaḥ. Dies niedere Begehren meinen wir gewöhnlich, wenn wir von Begehren sprechen. Jenes andere spirituelle Begehren ist ein Wille, der nicht im Widerspruch zum Dharma steht. Meint hier die Gita, dies spirituelle kāma sei ein tugendhaftes Begehren, seiner Art nach ethisch, ein sattwische Begehren –, denn Tugend ist immer sattwisch in ihrem Ursprung und ihrer Motiv-Kraft? Dann bestünde aber hier ein offensichtlicher Widerspruch, da schon in der unmittelbar folgenden Zeile von allen sattwischen Neigungen erklärt wird, sie seien nicht das Göttliche, sondern nur dessen niedere Ableitungen. Zweifellos soll Sünde aufgegeben werden, wenn man irgendwie der Gottheit nahekommen will. Aber ebenso müssen wir auch über die Tugend hinauskommen, wenn wir in das Göttliche Wesen eingehen wollen. Wir müssen die sattwische Natur erlangen, sollen aber über sie hinauskommen. Das ethische Wirken ist nur ein Mittel zur Läuterung, durch das wir uns zur göttlichen Art erheben können. Unsere Art muss aber noch höher, über die Gegensatzpaare hinaus, emporsteigen. In Wirklichkeit könnte es anders keine reine göttliche Gegenwart oder göttliche Kraft im starken Menschen geben, wenn er den rajasische Leidenschaften unterworfen ist. Dharma im spirituellen Sinn ist keine Moralität oder Ethik. Dharma, so sagt die Gita an anderer Stelle, ist ein von Swabhava d. h. vom wesenhaften Gesetz unserer Art regiertes Wirken. Dies Swabhava ist in seinem Kern die reine Qualität des Geistes in seiner charakteristischen Kraft des Handelns. Das hier gemeinte Begehren ist also der absichtsvolle Wille des Göttlichen in uns, das nicht die Lust der niederen Prakriti sucht und findet, sondern das Ananda seines eigenen Spiels und seiner Selbst-Erfüllung. Es ist das Begehren, das Trachten nach der göttlichen Wonne des Daseins, das seine eigene bewusste Kraft des Handelns im Einklang mit dem Gesetz des Swabhava entrollt. (274-75)

7.12
Und auch die zweitrangigen subjektiven Werdeformen der Natur, bhāvāḥ, (die mentalen Zustandsformen, die Gefühle des Verlangens, die Regungen der Leidenschaft, die Reaktionen der Sinne, das begrenzte, in Gegensätzen verlaufende Spiel der Vernunft und die Wandlungen der Gefühle und des moralischen Sinnes), die sattwisch, rajasisch und tamasisch sind, rühren in Wahrheit von Mir her. Aber Ich bin nicht in ihnen; sie sind es, die in Mir sind.

Was ist aber damit gemeint, wenn gesagt wird, das Göttliche sei nicht in den Werdeformen, den Gestaltungen und Neigungen der niederen Art, auch nicht im Sattwa, obwohl diese alle doch in seinem Wesen sind? In gewissem Sinn muss Gott offensichtlich in ihnen sein, sonst könnten sie nicht existieren. Gemeint ist aber, dass die wahre und höchste spirituelle Natur des Göttlichen in sie nicht eingeschlossen ist. Jene sind nur Phänomene innerhalb seines Wesens, die aus ihm durch die Wirksamkeit des Ego und die Unwissenheit erschaffen sind. Die Unwissenheit stellt uns alles in umgekehrter Sicht und in einer zumindest partiell verfälschten Erfahrung dar. Wir stellen uns vor, die Seele sei im Körper; sie sei beinahe ein Ergebnis, ein Derivat des Körpers. So fühlen wir es auch. Doch ist es der Körper, der in der Seele ist. Er ist ein Ergebnis der Seele und von ihr hergeleitet. Wir denken, der Geist sei ein kleiner Teil von uns („der Purusha, der nicht größer als der Daumen ist“), der in dieser ungeheuren Masse von materiellen und mentalen Phänomenen enthalten sei. In Wirklichkeit ist diese letztere bei all ihrer imponierenden Erscheinung doch nur ein winziges Ding in der Unendlichkeit des Wesens des Geistes. So ist es auch hier: In genau dem gleichen Sinn befinden sich die Dinge mehr im Göttlichen, als dass das Göttliche in diesen Dingen wäre. Diese niedere Art der drei Gunas, die eine so falsche Sicht der Dinge bewirkt und ihnen einen niederen Charakter auferlegt, ist Maya, eine Macht der Illusion. Hierdurch ist aber nicht gemeint, dass das alles nicht-seiend sei oder dass wir es mit Unwirklichkeiten zu tun hätten, vielmehr dass Maya unsere Erkenntnis verwirrt, falsche Werte erschafft, uns in Ego, Mentalität, Sinnlichkeit, Körperlichkeit, begrenzte Intelligenz hüllt. Dadurch verbirgt sie vor uns die höchste Wahrheit unseres Seins. Diese Maya, die solche Illusionen hervorruft, verhindert, dass wir das Göttliche erkennen, das wir selbst sind, den unendlichen und unzerstörbaren Geist… Wenn wir sehen könnten, dass dieses Göttliche die wirkliche Wahrheit unseres Seins ist, würde sich auch alles Übrige für unsere Betrachtung verändern. Es würde seinen wahren Charakter annehmen. Unser Leben und Handeln würde die göttlichen Werte gewinnen und sich innerhalb des Gesetzes der göttlichen Natur bewegen. (275-76)

7.13
Durch diese drei Formen des Werdens, die von der Art der Gunas sind, wird diese ganze Welt verwirrt. Sie erkennt Mich nicht, der Ich erhaben jenseits von ihnen bin und unvergänglich.

7.14
Dies ist Meine göttliche Maya der Gunas, und sie ist kaum zu überwinden. Über sie hinaus gelangen nur jene, die Meine Nähe suchen.

Warum ist es so schwer, diese Maya zu überwinden, māyā duratyayā, da es doch schließlich das Göttliche gibt und die göttliche Natur sich an der Wurzel gerade dieser verwirrenden Ableitungen vorfindet; da wir doch Jiva sind; da der Jiva jenes ist? Weil dies noch die Maya des Göttlichen ist, daivī hyeṣā guṇamayī mama māyā. „Dies ist Meine göttliche Maya der Gunas.“ Maya selbst ist göttlich und eine Entfaltung aus der Art des Göttlichen, aber des Göttlichen in der Art der Götter. Es ist daivī, von der Art der Gottheiten oder, wenn man so will, der Gottheit, jedoch von der Art der Gottheit in ihren zerteilten subjektiven und niederen kosmischen Aspekten des Sattwa, Rajas und Tamas. Die Gottheit hat um unser Verstehen einen kosmischen Schleier gesponnen. Brahma, Vishnu und Rudra haben ihre komplexen Gespinste gewoben. Die Shakti, die Erhabene Natur ist dort verborgen in dem Grundmuster des Gewebes und in all seinen Fäden. Wir müssen diese Gewebe in uns selbst verarbeiten und uns durch es hindurch- und aus ihm herauswinden. Wir müssen es hinter uns lassen, wenn sein Verwendungszweck erfüllt ist. Wir sollen uns, weg von den Göttern, hinwenden zu der ursprünglichen und höchsten Gottheit. In diesem Gott werden wir zugleich auch den eigentlichen Sinn der Götter erkennen, ihr Wirken und die innersten spirituellen Wahrheiten unseres eigenen unvergänglichen Seins verstehen. „Die sich Mir zuwenden und zu Mir kommen, sie allein schreiten über diese Maya hinaus.“ (276-77)

Die Synthese von Hingabe und Wissen

Die Gita ist keine Abhandlung über metaphysische Philosophie, obwohl gelegentlich auf ihren Seiten eine Menge metaphysischer Gedanken auftaucht. Aber hier wird keine metaphysische Wahrheit um ihrer selbst willen zum Ausdruck gebracht. Die Gita sucht die höchste Wahrheit um ihrer höchsten praktischen Verwendbarkeit willen, nicht zur intellektuellen, auch nicht zur spirituellen Befriedigung. Vielmehr forscht sie nach der Wahrheit, die uns errettet und uns den Übergang aus unserer gegenwärtigen sterblichen Unvollkommenheit in die unsterbliche Vollkommenheit eröffnet. Nachdem sie uns in den ersten vierzehn Versen dieses Kapitels eine wegweisende philosophische Wahrheit mitgeteilt hat, deren wir bedürfen, beeilt sie sich nun in den nächsten sechzehn Versen, diese sofort praktisch anzuwenden. Sie macht sie zum wichtigen Ausgangspunkt für die Vereinigung von Wirken, Wissen und Hingabe –, denn die einleitende Synthese von Wirken und Wissen an sich ist bereits vollzogen worden.

Drei Mächte haben wir vor uns: den Purushottama als die höchste Wahrheit dessen, in das wir emporwachsen müssen, das Selbst und den Jiva. Wir können das auch so sagen: Es gibt den Erhabenen, es gibt den apersonalen Geist, und es gibt die vielfältige Seele, die zeitlose Grundlegung unserer spirituellen Persönlichkeit, das wahre ewige Individuum, mamaivāṁśaḥ sanātanaḥ. Alle drei sind göttlich; alle drei sind das Göttliche. Die höchste spirituelle Natur des Wesens, Para Prakriti, ist die Natur des Purushottama, der frei ist von jeder Eingrenzung durch die beschränkende Unwissenheit. Im apersonalen Selbst gibt es die gleiche göttliche Natur, doch ist sie hier im Zustand ewiger Ruhe, Ausgewogenheit, Inaktivität, Nivritti. Schließlich wird Para Prakriti, um aktiv, Pravritti, zu sein, zur vielfältigen spirituellen Persönlichkeit, zum Jiva. Aber die wesentliche Aktivität dieser höchsten Natur ist immer das spirituelle, göttliche Wirken. Diese Kraft der höchsten göttlichen Natur, der bewusste Wille des Wesens des Erhabenen, verströmt sich in verschiedenartiger wesenhafter und spiritueller Begabtheit (Seinsmacht) im Jiva: Diese wesenhafte Macht des Jiva ist sein Swabhava. Alles Handeln und Werden, das unmittelbar aus dieser spirituellen Kraft hervortritt, ist göttliches Werden und reine spirituelle Wirksamkeit. Daraus folgt, dass das menschliche Individuum im Handeln mit seinem Bemühen zu seiner wahren spirituellen Persönlichkeit zurückgehen und danach trachten muss, all sein Wirken der Macht ihrer erhabenen Shakti entströmen zu lassen. Der Mensch soll sein Handeln durch die Seele entfalten, durch sein innerstes, eigentliches Wesen, nicht durch die mentale Idee und das vitale Begehren. So soll er all seine Handlungen in ein reines Ausströmen des Willens des Erhabenen umwandeln und aus seinem ganzen Leben ein dynamisches Symbol der Göttlichen Natur machen. (278-79)

7.15
Die Übeltäter gelangen nicht zu Mir, jene verwirrten Seelen auf niederer menschlicher Stufe. Denn ihr Wissen wird ihnen weggerissen von Maya, und sie nehmen ihre Zuflucht in der Wesensart des Asura.

Diese Verwirrung kommt daher, dass das irreführende Ego die Seele in der Natur narrt. Der Übeltäter kann deshalb nicht zum Erhabenen gelangen, weil er immer wieder versucht, seinen Götzen, das Ego, auf der niedersten Stufe der menschlichen Art zu befriedigen. Sein wirklicher Gott ist dies Ego. Fortgerissen von den Unternehmungen der Maya der drei Gunas, sind sein Mental und sein Wille nicht Werkzeug des Geistes, sondern willige Sklaven oder sich selbst betrügende Werkzeuge seiner Begehrlichkeiten. (280)

Von Anfang an hat die Gita als allererste Voraussetzung für die göttliche Geburt, für das höhere Sein, das Abtöten des rajasischen Begehrens und seiner Abkömmlinge verlangt; und das bedeutet die Ausmerzung der Sünde. Sünde ist die Wirksamkeit der niederen Art zur groben Befriedigung ihrer eigenen unwissenden, dumpfen oder heftigen Neigungen, die dem Rajas oder Tamas entstammen, in Auflehnung gegen jede hohe Selbst-Kontrolle und Selbst-Beherrschung der Natur durch den Geist. Damit wir diesen groben Zwang auf unser Wesen durch die niedere Prakriti mit ihren niederen Erscheinungsformen loswerden, müssen wir unsere Hilfe bei der höchsten Erscheinungsform dieser Prakriti, beim Sattwa, suchen, das immer ein harmonisches Licht der Erkenntnis und eine rechte Ordnung des Handelns sucht. Der Purusha, die Seele in uns, die in der Natur dem verschiedenartigen Antrieb der Gunas zustimmt, muss dem sattwischen Impuls und dem sattwischen Willen und Temperament in unserem Wesen, das nach einer solchen Lenkung sucht, seine Sanktion erteilen. Der sattwische Wille in unserem Wesen muss uns regieren, nicht der Wille von Rajas und Tamas. Darin liegt die Bedeutung aller hohen Vernunft im Handeln wie auch aller wahren ethischen Kultur. Das ist das Gesetz der Natur in uns, die danach ringt, sich aus ihrer niederen, ungeordneten Wirkensweise zu ihrer höheren, geordneten zu entwickeln. Eigentlich wollen wir nicht in Leidenschaft und Unwissenheit mit dem Ergebnis von Kummer und Unruhe handeln, sondern im Wissen und mit erleuchtetem Willen, woraus dann inneres Glück, Ausgeglichenheit und Friede folgen. Wir können nicht über die drei Gunas emporkommen, wenn wir nicht zuerst in uns selbst die Vorherrschaft der höchsten Guna, des Sattwa, entfalten. (280)

Darum soll der Mensch zuerst sittlich werden, sukṛtī, und danach weiter emporsteigen zu Höhen, die jenseits einer nur sittlichen Lebensordnung liegen, zum Licht, zur Weite und Macht der spirituellen Art, wo er über den Zugriff der Gegensatzpaare und ihre Irreführung hinauskommt, dvandva-moha. Dort sucht er nicht mehr seinen persönlichen Vorteil oder sein Vergnügen, dort weicht er nicht mehr vor persönlichem Leid und Schmerz zurück. Denn er wird davon nicht mehr berührt und sagt auch nicht mehr „ich bin tugendhaft“ oder „ich bin sündig“. Vielmehr handelt er durch den Willen des Göttlichen in seiner eigenen erhöhten spirituellen Art für das allgemeine Wohl. Wir haben schon gesehen, dass für dieses Ziel Selbsterkenntnis, Gelassenheit, Apersonalität die ersten notwendigen Voraussetzungen sind und dass dies der Weg des Ausgleichs zwischen Wissen und Wirken, zwischen Spiritualität und dem Wirken in der Welt, der Synthese zwischen dem immer unbeweglichen Quietismus des zeitlosen Selbsts und dem ewigen Spiel der pragmatischen Energie in der Natur ist. Aber die Gita weist jetzt noch auf etwas anderes hin, das für den Karmayogin noch unumgänglicher notwendig ist, wenn er seinen Yoga des Wirkens mit dem Yoga des Wissens in Einklang gebracht hat. Jetzt werden von ihm nicht allein Wissen und Wirken erwartet, sondern auch bhakti, Ergebenheit dem Göttlichen gegenüber, Liebe, Anbetung und das Verlangen der Seele nach dem Höchsten. (281-82)

7.16
Unter den Tugendhaften, die sich Mir mit Hingabe zuwenden, O Arjuna, gibt es vier Arten von Bhaktas: die Zuflucht suchenden Verzweifelten, die nach dem Guten in der Welt Strebenden, die Erkenntnis Suchenden, und, O Herrscher der Bharatas, die Mich mit Wissen anbeten.

Wir können sagen, diese Wege sind in ihrer Aufeinanderfolge das Bhakti der vital-emotionalen Natur und der tieferen Gefühle, das der praktischen und dynamischen Art, das logisch denkender und intellektueller Art, schließlich das des höchsten intuitiven Wesens, das alle übrigen Seiten der Natur in die Einung mit dem Göttlichen empornimmt. Unter praktischen Gesichtspunkten können die anderen als vorbereitende Bewegungen angesehen werden. Denn die Gita sagt selber, man könne nur am Ende vieler Lebensabläufe, wenn man das integrale Wissen besitzt und im Verlauf von zahlreichen Leben in sich selbst ausgearbeitet hat, zum Transzendenten gelangen. Denn die Erkenntnis, dass das Göttliche alle Dinge ist, die es gibt, sei schwer zu erlangen, und selten ist auf Erden die große Seele, mahātmā, die fähig ist, ihn so in seiner Fülle zu schauen und mit ganzem Wesen in ihn, in jede Seite seiner Natur, durch die große Macht dieser allumfassenden Erkenntnis einzugehen, sarvavit sarvabhāvena. (284-85)

7.17
Der Beste von ihnen ist der Wissende, der in stetem Einssein mit Gott und dessen Bhakti ganz auf Ihn konzentriert ist. Denn er liebt Mich in vollkommener Weise und wird von Mir geliebt.

Diese einzige hingebungsvolle Verehrung ist sein ganzes Lebensgesetz. Er ist über alle Dogmen religiösen Glaubens hinausgekommen, über alle Verhaltensregeln und persönlichen Lebensziele. Er hat keine Kümmernisse, die geheilt werden müssten, denn er ist im Besitz des Allseligen. Er hat keine sehnsüchtigen Wünsche, nach deren Erfüllung er hungert, denn er besitzt das Höchste und das All und ist nahe bei der All-Macht, die alle Erfüllung bringt. Ihm bleiben auch nicht Zweifel oder vergebliches Suchen, denn alles Wissen strömt auf ihn hernieder aus dem Licht, in dem er lebt. Er liebt in vollkommener Weise das Göttliche und ist dessen Geliebter. Denn er findet seine Freude im Göttlichen, und das Göttliche erfreut sich auch an ihm. Das ist der Gott-Liebende, der das Wissen besitzt, jñānī bhakta. (287-88)

7.18
Edel sind all diese Bhaktas, ohne Ausnahme. Aber der Wissende ist wahrlich Mein Selbst. Denn als sein oberstes Ziel hat er Mich angenommen, den Purushottama, mit dem er eins ist.

7.19
Am Ende von vielen Geburten gelangt der Wissende zu Mir. Wie wirklich selten ist doch die große Seele, die weiß, dass Vasudeva, das allgegenwärtige Wesen, all das ist, was ist!

Und von diesem Wissenden sagt die Gottheit in der Gita: Er ist mein Selbst. Die anderen erfassen nur Motivkräfte und Aspekte in der Natur. Er aber erfasst das eigentliche Selbst-Sein und das All-Wesen des Purushottama, mit dem er vereint ist. Ihm wird die göttliche Geburt in die höchste Natur zuteil, integral im Wesen, vervollständigt im Willen, absolut in Liebe, vollendet im Wissen. In einem solchen Menschen findet das kosmische Sein des Jiva seine volle Rechtfertigung, denn er ist über sich selbst hinausgekommen und hat so die eigene ganze und höchste Wahrheit seines Wesens gefunden. (288)

7.20
Irregeleitet werden die Menschen durch verschiedene äußere Begehren, die sie der Wirkung der inneren Erkenntnis berauben. Sie halten sich dann an andere Gottheiten und stellen diese oder jene Regel auf, die das Bedürfnis ihrer Natur befriedigt.

7.21
Den Glauben, mit dem ein hingebungsvoller Verehrer Mich in irgendeiner Gestalt anzubeten wünscht, diesen seinen Glauben mache Ich stark und behüte ihn vor dem Abirren.

7.22
Mit solchem Glauben begabt, betet er diese Gestalt an; und durch die Kraft eines solchen Glaubens in Kult und Anbetung erlangt er die Erfüllung seiner Begehren. Denn Ich selbst bin es, der (in jener Gestalt) ihm diese Früchte zuteil werden lässt.

7.23
Aber die Früchte sind vorübergehender Natur, nach ihnen streben jene von geringer Intelligenz und ungebildeter Vernunft. Zu den Göttern kommen die, die die Götter verehren. Doch zu Mir gelangen jene, die Mir hingegeben sind.

Insoweit man auf diesem Weg überhaupt ein spirituelles Ziel erreicht, endet der Weg bei den Göttern. Was man in Wirklichkeit erkennt und verwirklicht, ist das Göttliche in Gestaltungen von veränderlicher Art, deren Gaben er ihnen gewährt. Jene aber, die die erhabene und integrale Gottheit verehren, umfassen mit ihrer Liebe dies alles und wandeln es um, heben die Götter zu ihren höchsten Eigenschaften und die Natur zu ihren höchsten Gipfeln empor und schreiten über diese hinweg, weiter fort zur wahren Gottheit. Sie erkennen die Wirklichkeit des Transzendenten und gelangen zu ihm, devān deva-yajo yānti mad-bhaktā yānti mām api. Dennoch weist die erhabene Gottheit die Verehrer der unvollkommenen Schau keineswegs zurück. Denn das Göttliche, der Ungeborene, durch nichts zu Mindernde, der all diesen partiellen Manifestationen Überlegene, kann in seinem höchsten transzendenten Wesen nicht leicht von einem lebenden Geschöpf erkannt werden. (286)

7.24
Die mit kleinem Verstand denken von Mir, dem Ungeoffenbarten, Ich sei durch Meine Offenbarung beschränkt; denn sie kennen nicht Meine erhabene Wesensart, die unvergängliche, höchst vollkommene.

7.25
Auch bin Ich nicht allen offenbar, da Ich in Meine Yoga-Maya eingehüllt bin. Die verwirrte Welt kennt Mich, den Ungeborenen, den Unvergänglichen, nicht.

Er hat sich in diesen weltweiten Mantel seiner Maya, in diese Maya seines Yoga, selbst eingehüllt, durch den er eins ist mit der Welt und dennoch über ihr steht. Er ist immanent, jedoch verborgen. Er hat seinen Sitz in allen Herzen, ist aber nicht allem und jedem Wesen offenbar. Der Mensch in der Natur denkt, diese Manifestationen in der Natur sind allesamt das Göttliche, während sie doch nur seine Werke, seine Mächte und seine Verhüllungen sind. Alles vergangene, alles gegenwärtige und alles künftige Seiende kennt er; aber niemand hat ihn je erkannt. Könnten die Menschen, die er so durch seine Wirkensweisen in der Natur verwirrt hat, ihm nicht in diesen allen begegnen, dann gäbe es für Mensch oder Seele, die in Maya sind, nirgends eine göttliche Hoffnung. Wenn sie sich ihm deshalb im Einklang mit ihrer Art nahen, nimmt er ihr Bhakti an und antwortet mit göttlicher Liebe und göttlichem Mitleid. Letztlich sind diese Gestaltungen eine gewisse Art von Manifestation, durch die die unvollkommene menschliche Intelligenz mit ihm in Verbindung treten kann. Diese Wünsche sind das erste Mittel, durch das sich unsere Seele zu ihm hinwenden können. Darum ist keine Verehrung des Göttlichen wertlos oder unwirksam, wie groß auch ihre Begrenztheit sein mag. Sie bedarf aber der einen großen, notwendigen Sache: Des Glaubens. „Den Glauben, mit dem ein hingebungsvoller Verehrer Mich in irgendeiner Gestalt anzubeten wünscht, diesen seinen Glauben mache Ich stark und behüte ihn vor dem Abirren.“ Durch die Kraft dieses Glaubens erlangt er in seinem Kultus und Gottesdienst die Erfüllung seines Begehrens und die spirituelle Verwirklichung, zu der er im Augenblick fähig ist. Indem er alles Gute vom Göttlichen ersucht, wird er zuletzt dazu gelangen, dass er im Göttlichen all sein höchstes Gut sucht. Indem er wegen seiner Freude vom Göttlichen abhängig ist, wird er lernen, all seine Freude fest im Göttlichen zu gründen. Indem er das Göttliche in seinen Gestaltungen und Seinsweisen erkennt, wird er dahin gelangen, das Göttliche als das All und als den Transzendenten zu erkennen, der der Ursprung aller Dinge ist.

So wird durch spirituelle Entwicklung die Hingabe eins mit dem Wissen. Der Jiva erlebt immer mehr seine Seligkeit in der einen Gottheit –, in dem Göttlichen, das erkannt wird als alles Sein, alles Bewusstsein und alle Wonne, als alle Dinge, Wesen und Geschehnisse in der Natur, die im Selbst erkannt und als das erkannt werden, was über das Selbst und die Natur hinausgeht. (286-87)

Vor uns haben wir nun drei eng miteinander verbundene Bewegungen zu unserer Befreiung aus der gewöhnlichen menschlichen Natur und unser Hineinwachsen in das göttliche und spirituelle Wesen. (282)

7.26
Ich weiß um alles vergangene, alles gegenwärtige und alles zukünftige Seiende, O Arjuna, aber Mich kennt noch keiner.

7.27
Durch die Täuschung der Gegensätze, die ihren Ursprung in Wunsch und Abneigung haben, O Bharata, werden alle Wesen der Schöpfung in die Verwirrung geführt.

Das ist die Unwissenheit, der Egoismus, der versagt, das Göttliche überall zu sehen und zu ergreifen, weil er nur auf die Gegensätze in der Natur sieht und sich ständig mit seiner eigenen gesonderten Persönlichkeit und mit dem beschäftigt, was diese sucht und wovor sie zurückschreckt. Wenn wir aus diesem Teufelskreis herauskommen wollen, ist es für unser Wirken zuallererst nötig, dass wir uns fernhalten von der Sünde des vitalen Ego, vom Feuer der Leidenschaft, vom Tumult des Begehrens der rajasischen Natur. Das soll durch den beruhigenden Impuls des Sattwa des ethischen Wesens geschehen. (282)

7.28
Doch standhaft in ihrem Gelübde, sich Mir zu weihen, verehren Mich die Menschen edlen Handelns, in denen die Sünde zu Ende gekommen ist und die frei geworden sind von der Täuschung der Gegensätze.

Wenn das getan ist, yeṣāṁ tvantagataṁ pāpaṁ janānāṁ puṇyakarmaṇām –, oder vielmehr während das getan wird, denn nach einem gewissen Punkt bewirkt alles Wachsen in der sattwischen Art zunehmende Fähigkeit zur tiefen Ruhe, Gelassenheit und Erhabenheit –, wird es nötig, dass wir uns über die Gegensatzpaare erheben und apersonal, ausgeglichen, ein einziges Selbst mit dem Unwandelbaren und ein einziges Selbst mit allem Seienden werden. Dieser Prozess des Wachsens in den Geist vollendet unsere Läuterung. Aber während das geschieht und die Seele sich in die Erkenntnis des Selbstes ausweitet, soll sie auch an Hingabe zunehmen. Denn sie soll nicht nur in einem umfassenden Geist der Gelassenheit handeln, sondern auch dem Herrn Opfer darbringen, jener Gottheit in allen Wesen, die die Seele noch nicht vollkommen erkennt, die sie aber dann integral erkennen kann, samagraṁ mām, wenn sie kraftvoll und sicher die Schau des einen Selbsts überall und in allen Seienden besitzt. Wenn die Gelassenheit und die Schau der Einheit vollkommen gewonnen sind, te dvandva-moha-nirmuktāḥ, wird höchstes Bhakti, eine allumfassende Hingabe an das Göttliche, zum ganzen und einzigen Gesetz des Menschen. Jede andere Verhaltensregel wird eingeschmolzen in diese Überantwortung, sarva-dharmān parityajya. Die Seele wird dann stark in diesem Bhakti und in dem Gelübde, all ihr Wesen, Wissen und Wirken als Opfer darzubringen. Denn jetzt hat sie als gesicherten Grund, als absolutes Fundament für ihr Dasein und Handeln, das vollkommene, integrale, vereinigende Wissen der alles verursachenden Gottheit, te bhajante māṁ drṛḍha-vratāḥ. (282-83)

Die erste Bedingung für die wirkungsstarke Kraft dieser Liebe ist integrales Wissen bei unserer Selbst-Hingabe. Deshalb sollen wir zuerst den Purusha in allen Mächten und Prinzipien seines göttlichen Seins erkennen, tattvataḥ, in seiner vollkommenen Harmonie, seiner ewigen Wesenheit und seinem lebendigen Prozess. Für das Denken des Altertums lag aber der ganze Wert dieser Erkenntnis, tattvajñāna, in ihrer Macht, uns aus unserer sterblichen Geburt in die Unsterblichkeit höchsten Seins zu erlösen. Darum fährt die Gita zunächst damit fort, uns zu zeigen, wie diese Befreiung, auch in ihrem höchsten Grad, letztlich das Ergebnis ihrer eigenen Bewegung zur spirituellen Selbst-Erfüllung ist. Die Erkenntnis des Purushottama, so sagt sie im wesentlichen, ist die vollkommene Erkenntnis des Brahman. (290-91)

7.29
Jene, die ihre Zuflucht ganz zu Mir nehmen, jene, die sich Mir zuwenden in ihrem spirituellen Bemühen um Befreiung von Alter und Tod (vom sterblichen Wesen und dessen Beschränkungen), gelangen dahin, jenen Brahman zu erkennen und die Vollständigkeit der spirituellen Natur und die Ganzheit des Karma.

7.30
Weil sie Mich erkennen, gleichzeitig um die materielle und die göttliche Natur des Seins wissen und die Wahrheit über den Herrn des Opfers kennen, darum behalten sie das Wissen über Mich auch im kritischen Augenblick ihres Abscheidens aus dem körperlichen Sein und in jenem Augenblick ihr ganzes Bewusstsein fest mit Mir geeint.

Darum gelangen sie zu Mir (dem Purushottama). Nicht mehr an das sterbliche Sein gebunden, erlangen sie den allerhöchsten Zustand des Göttlichen ebenso vollkommen wie jene anderen, die ihre gesonderte Persönlichkeit im apersonalen und bewegungslosen Brahman verlieren. Damit beschließt die Gita das wichtige und entscheidende siebente Kapitel. (291)