Kapitel 6
Sport und Körperübungen
Über den Hatha-Yoga
Worte der Mutter
Unserer Erfahrung nach kann kein bestimmtes System von Übungen als einzige Art yogischer Übungen bezeichnet werden und wir können nicht mit Bestimmtheit sagen, dass allein das Praktizieren solcher Übungen helfen wird, Gesundheit zu erlangen, nur weil es Yoga-Übungen sind.
Jedes vernünftige Übungssystem, das dem eigenen Bedürfnis und der eigenen Fähigkeit angepasst ist, wird die Gesundheit verbessern. Außerdem ist es die innere Haltung, die das wichtigere dabei ist. Alle gut geplanten und wissenschaftlich aufgebauten Übungsprogramme, die in einer yogischen Haltung ausgeführt werden, werden zu Yoga-Übungen und die Person, die sie praktiziert, wird im Hinblick auf ihre körperliche Gesundheit und auf ihre moralische und spirituelle Erhebung den vollen Nutzen aus ihnen ziehen.

Worte der Mutter
Eine richtige Organisation räumt jeder Sache den Platz ein, der für sie benötigt wird. Du weißt sehr gut, dass du mit zehn oder fünfzehn Minuten gut aufeinander abgestimmten Übungen deinem Körper das ganze notwendige Training geben könntest. Das hast du hier gelernt, und es ist dir bewiesen worden. Für das Gleichgewicht des Körpers genügt das.

Worte der Mutter
Mutter, sind sportliche Wettkämpfe für unseren Fortschritt wesentlich?
Von der moralischen Erziehung her gesehen sind sie sehr wichtig, denn wenn man im wahren Geist daran teilnehmen kann, ist es eine sehr gute Gelegenheit, sein Ego zu meistern. Wenn man daran teilnimmt, ohne den Versuch zu unternehmen, seine Schwächen und niederen Regungen zu überwinden, kann man selbstverständlich keinen Nutzen daraus ziehen und es bringt nichts Gutes; aber wenn man den Willen hat, im rechten Geist zu spielen, ohne eine Regung niederer Art, ohne Eifersucht oder Ehrgeiz, mit einer Haltung, die man „Fairplay“ nennen könnte, das heißt, sein Bestes zu geben, ohne sich um das Ergebnis zu kümmern; wenn man die höchste Anstrengung unternehmen kann, ohne enttäuscht zu sein, weil einem der Erfolg nicht beschieden war oder der Ausgang nicht zum eigenen Gunsten war, dann sind die Wettkämpfe sehr nützlich. Man kann aus all diesen Wettkämpfen mit einer größeren Selbstbeherrschung und einem Gleichmut gegenüber dem Erfolg hervorgehen, was sehr zur Bildung eines außergewöhnlichen Charakters beiträgt. Wenn man es natürlich in einer gewöhnlichen Art und Weise tut und mit all den gewöhnlichen Reaktionen und hässlichen Regungen, hilft es überhaupt nicht; es ist doch immer dasselbe, was man auch tut; sei es auf dem Gebiet des Sports oder im intellektuellen Bereich, ganz gleich, auf welchem Gebiet, wenn man in der gewöhnlichen Art und Weise handelt, nun, dann verschwendet man Zeit. Wenn man aber beim Spiel und bei der Teilnahme an Turnieren und Wettkämpfen den rechten Geist bewahrt, dann ist das eine sehr gute Ausbildung, denn es zwingt einen dazu, sich besonders anzustrengen und seine gewöhnlichen Grenzen ein wenig zu überschreiten. Dies ist sicher eine gute Gelegenheit, viele Reaktionen bewusst zu machen, die sonst für immer unbewusst bleiben würden.
Aber natürlich darfst du nicht vergessen, dass sie eine Gelegenheit und ein Mittel zum Fortschritt sein sollen. Wenn du dich gehen lässt und in einer ganz gewöhnlichen Weise spielst, verschwendest du deine Zeit; es ist bei allem dasselbe, nicht nur beim Spiel: beim Lernen und bei allem anderen. Es hängt immer von der Art und Weise ab, mit der man die Dinge tut, nicht so sehr von dem, was man tut, sondern es hängt vom Geist ab, in dem man es macht.
Wenn ihr alles Yogis wärt und alles, was ihr tut, mit höchster Anstrengung und eurem höchsten Können tun würdet, so gut ihr es könnt und immer mit dem Gedanken, es noch besser machen zu können, dann brauchte man selbstverständlich keinen Wettbewerb, keinen Preis und keine Belohnungen; aber, wie Sri Aurobindo schreibt, man kann von kleinen Kindern nicht verlangen, dass sie Yogis sind, und während der Vorbereitungszeit ist ein Anreiz nötig, damit das äußerst materielle Bewusstsein eine Bemühung zum Fortschritt aufbringt… Und diese kindliche Phase kann viele Jahre dauern!
Das Ideal wäre genau das, was ich in der letzten Ausgabe des Bulletin, geschrieben habe, ich weiß nicht, ob du es gelesen hast, aber ich habe ungefähr folgendes geschrieben:
Habe keinen Ehrgeiz,
vor allem täusche nichts vor,
aber sei in jedem Augenblick
das Höchste, das du sein kannst.
Das ist der ideale Zustand in einem ganzheitlichen Leben – was immer man auch tut. Und wenn man das verwirklicht, nun, dann ist man offensichtlich sehr weit auf dem Weg der Vollkommenheit… Aber dazu braucht man natürlich eine gewisse innere Reife, um das alles aufrichtig zu tun. Das kannst du für dich zum Programm machen.

Worte der Mutter
Mutter, im Allgemeinen sieht man, dass viele von uns sich für solche Spiele und Aktivitäten interessieren, bei denen es etwas aufregend zugeht, und dass sie sich weniger für ernste Betätigungen, für ernste Übungen interessieren. Was ist der Grund?
Weil in den weitaus meisten Fällen die vitale Befriedigung den interessanten Reiz ausmacht. Damit man sich für jenes Trainingsprogramm interessiert, das nicht den Anreiz der Spiele bietet, muss die Vernunft das Wesen regieren. Im gewöhnlichen Menschen ist die Vernunft der Gipfel des menschlichen Bewusstseins, und dies ist der Teil des Wesens, der das übrige regieren soll, denn es ist der geordnete und vernünftige Teil, das heißt, er macht die Dinge mit einem Sinn für Ordnung, Qualität, Nützlichkeit und in Übereinstimmung mit einem Plan, einem speziellen Plan, der von jedem anerkannt und benutzt wird. Der vitale Teil des Wesens liebt dagegen die Erregung, das Unerwartete und das Abenteuer – alles, was Spiele attraktiv macht – vor allem den Wettkampf, die Anstrengung zu gewinnen, den Sieg über den Gegner, alle diese Dinge; es ist der vitale Impuls, und da das Vitale im Menschen der Sitz des Enthusiasmus, des Eifers und der normalen Energie ist, schläft es ein, wenn die Anziehung des Unerwarteten, des Kampfes und Sieges nicht da ist; es sei denn, es ist daran gewöhnt, regelmäßig und spontan dem Willen der Vernunft zu gehorchen. Und das ist sogar eines der ersten Dinge, wofür das ganze Körpertraining nützlich ist: es kann nichts wirklich gut gemacht werden, wenn der Körper nicht daran gewöhnt ist, eher der Vernunft als dem vitalen Impuls zu gehorchen. Zum Beispiel die ganze Entwicklung der körperlichen Vollkommenheit, der Körperübungen mit Hanteln und jene Übungen, die nichts besonders Aufregendes an sich haben und eine Disziplin und Gewohnheit erfordern, die regelmäßig und vernünftig sein muss, um der Leidenschaft, der Begierde und dem Impuls keine Entfaltungsmöglichkeit zu geben – man muss sein Leben nach einer sehr strengen und ganz regelmäßigen Disziplin einrichten – nun, um sie wirklich gut zu machen, muss man daran gewöhnt sein, sein Leben von der Vernunft regieren zu lassen.
Im Allgemeinen ist das nicht so. Meistens sind es die Impulse – die Impulse der Begierden –, die Begeisterung und die Leidenschaften mit all ihren Reaktionen, die Herren des menschlichen Lebens sind, außer man hätte dafür Sorge getragen, dass es anders wäre. Man muss schon so etwas wie ein Weiser sein, um eine strenge Körperdisziplin durchführen zu können und von seinem Körper die geordnete und regelmäßige Anstrengung zu erhalten, die ihn vervollkommnen kann. Für all die Launen der Begierden ist da kein Platz mehr. Nicht wahr, sobald man sich irgendwelchen Ausschweifungen, Maßlosigkeiten und einem ungeordneten Lebenswandel hingibt, ist es ganz unmöglich, seinen Körper zu beherrschen und ihn normal zu entwickeln; abgesehen davon natürlich, dass man seine Gesundheit ruiniert und infolgedessen der wichtigste Teil eines vollkommenen Körperideals wegfällt, denn mit einer schlechten Gesundheit, einer erschütterten Gesundheit ist man zu nichts Gescheitem fähig. Und sicher ist es die Befriedigung der Begierden und Impulse des Vitals oder die unvernünftigen Forderungen gewisser Ambitionen, die den Körper leiden und krank werden lassen.
Natürlich ist da die ganze Unwissenheit derer, die nicht einmal die elementarsten Lebensregeln kennen; aber das weiß jeder, dass man leben lernen muss und dass einen zum Beispiel das Feuer verbrennt und man im Wasser ertrinken kann! Das braucht man den Menschen nicht zu sagen, das lernen sie nach und nach, wenn sie größer werden; aber die Tatsache, dass die Kontrolle der Vernunft über das Leben absolut unerlässlich ist, schon allein um der Gesundheit willen, wird von der einfachen Menschheit, die nur Geschmack am Leben findet, wenn sie ihre Leidenschaften leben kann, nicht immer anerkannt.
Ich erinnere mich an einen Mann, der hierherkam, es ist schon sehr lange her, um für das Abgeordnetenamt zu kandidieren; es ergab sich, dass er mir vorgestellt wurde, weil man meine Meinung über ihn hören wollte, und da stellte er mir Fragen über den Ashram und das Leben, das wir hier führen, und darüber, was ich als unerlässliche Disziplin für das Leben begriff. Das war ein Mann, der den ganzen Tag rauchte und viel mehr trank als notwendig war, und dann beklagte er sich, dass er Erschöpfungszustände habe und sich manchmal nicht beherrschen könne. Ich sagte zu ihm: „Wissen Sie, zuerst müssen sie aufhören zu rauchen und dann müssen Sie aufhören zu trinken.“ Da schaute mich dieser Mann unglaublich verblüfft an und sagte mir: „Ja aber, wenn man weder raucht noch trinkt, dann ist das Leben nicht lebenswert!“ Ich habe zu ihm gesagt: „Wenn Sie noch auf dieser Stufe sind, ist es nutzlos weiterzureden.“…
Es ist recht gut, wenn man jung anfängt zu lernen, dass die Vernunft Herr im Hause sein muss, wenn man ein effizientes Leben führen und von seinem Körper das Höchstmaß dessen, was er geben kann, bekommen will. Das ist keine Frage des Yoga oder der höheren Verwirklichung, das ist etwas, das überall gelehrt werden sollte, in allen Schulen, in allen Familien, in allen Häusern: Der Mensch ist dazu gemacht, ein mentales Wesen zu sein und um bloß ein Mensch zu sein – wir sprechen von nichts anderem, wir sprechen nur vom Menschsein –, muss im Leben die Vernunft dominieren, und nicht die vitalen Impulse. Dies sollte man allen Kindern schon von klein auf lehren.
