Kapitel 5
Die Abschaffung des Ego-Sinns
Worte Sri Aurobindos
Bevor diese Arbeit zur Ausrottung der Begierde und Eroberung des Gleichmuts der Seele zur absoluten Vollkommenheit und Erfüllung gelangen kann, muss jene Wende in der spirituellen Bewegung vollendet werden, die zur Abschaffung des Ego-Sinns führt. Doch dem Arbeiter ist in diesem Wandel der Verzicht auf den Egoismus im Handeln das wichtigste Element. Denn selbst wenn wir uns vom Egoismus des rajasischen Begehrens durch das Abgeben der Früchte und das Ablegen der Begierde nach den Früchten an den Meister des Opfers gelöst haben, können wir immer noch den Egoismus des Arbeiters behalten haben. Wir sind dann immer noch der Empfindung unterworfen, dass wir selbst die Ausführenden der Tat sind, dass wir selbst ihr Ursprung sind und wir selbst sie auch sanktionieren. Es ist immer noch das „Ich“, das wählt und bestimmt, immer noch das „Ich“, das die Verantwortung übernimmt und Schwäche oder Wert der Tat empfindet.
Die völlige Beseitigung dieses trennenden Ego-Sinns ist ein wesentliches Ziel unseres Yogas. Wenn irgendeine Form des Egos noch eine Weile in uns bestehen sollte, ist es nur eine Form, die sich selbst als Form versteht und bereit ist zu verschwinden, sobald ein wahres Bewusstseins-Zentrum in uns manifestiert und aufgebaut ist. Dieses wahre Zentrum ist eine leuchtende Formulierung des einen Bewusstseins und ein reiner Kanal, ein reines Instrument der einen Existenz. Als unterstützende Kraft für die individuelle Manifestation und Aktion der universalen Kraft bringt es nach und nach die wahre Person in uns zum Vorschein, das zentrale ewige Wesen, ein unvergängliches Wesen des Höchsten, einer Macht und eines Teils der transzendenten Shakti.
Der Sadhaka muss nicht nur denken und wissen, sondern konkret und intensiv spüren und sehen, auch im Moment der Arbeit, in ihrem Anfang und während des gesamten Prozesses, dass seine Werke keineswegs seine eigenen sind, sondern durch ihn vom Höchsten Sein kommen. Er muss sich immer einer Kraft, einer Präsenz, eines Willens bewusst sein, die durch seine individuelle Natur handeln. Beim Einnehmen dieser Sicht besteht jedoch die Gefahr, dass er vielleicht sein eigenes verstecktes oder sublimiertes Ego oder eine niedere Macht mit dem Herrn verwechselt und die höchsten Befehle durch deren Forderungen ersetzt. Er kann in einen üblichen Hinterhalt seiner niederen Natur geraten und seine vermeintliche Hingabe an eine höhere Macht in eine Entschuldigung für eine überhöhte und unkontrollierte Einlassung in seinen eigenen Selbst-Willen verfälschen oder sogar in seine Begierden und Leidenschaften. Große Aufrichtigkeit ist notwendig, die nicht nur dem bewussten Mental, sondern noch viel mehr dem unterbewussten Teil von uns auferlegt werden muss, der voller versteckter Regungen ist. Denn dort, besonders in unserer unbewussten vitalen Natur, gibt es einen unverbesserlichen Scharlatan und Schauspieler. Der Sadhaka muss weit fortgeschritten sein im Ausräumen von Begierden und im festen Gleichmut seiner Seele gegenüber allen Tätigkeiten und Geschehnissen, bevor er die Last seiner Werke voll und ganz beim Göttlichen ablegen kann. In jedem Moment muss er mit wachsamem Auge auf die Täuschungen des Egos und die Hinterhalte der irreführenden Mächte der Dunkelheit voranschreiten, da sich diese immer wieder als die eine Quelle des Lichts und der Wahrheit ausgeben und das Scheinbild göttlicher Formen annehmen, um die Seele des Suchenden zu kapern.

Worte Sri Aurobindos
Wenn der Egoismus des Arbeiters verschwindet, kann der Egoismus des Instruments ihn ersetzen oder aber in versteckter Form verlängern. Das Leben der Welt war voller Beispiele für Egoismus dieser Art, und er kann vereinnahmender und gewaltiger sein als jeder andere…
Unsere Natur muss die kosmische Kraft in sich aufnehmen, doch nicht in ihrem niederen Aspekt oder in ihrer rajasischen oder sattwischen Bewegung. Sie muss dem universalen Willen dienen, aber im Licht eines größeren, befreienden Wissens. Es darf keinerlei Egoismus in der Haltung des Instrumentes geben, selbst wenn wir uns der Größe der Kraft in uns vollkommen bewusst sind. Jeder Mensch ist bewusst oder unbewusst das Instrument einer universalen Macht. Doch abgesehen von der Gegenwart im Inneren gibt es keine so wesentliche Unterscheidung zwischen der einen und einer anderen Aktion, zwischen der einen Art von Instrumentation und einer anderen, dass sie einen Schutz garantieren könnte gegen die Torheit eines egoistischen Hochmuts. Das Unterscheidungsvermögen zwischen Wissen und Unwissenheit ist eine Gnade des Geistes. Der Atem der göttlichen Macht weht, wo er will. Er erfüllt heute den Einen und morgen den Anderen mit dem Wort oder der Macht. Wenn der Töpfer das eine Gefäß vollkommener formt als das andere, liegt der Verdienst dafür nicht beim Topf, sondern beim Schöpfer. Darum darf es keine solche mentale Haltung in uns geben: „Das ist meine eigene Stärke“, oder: „Schau, wie Gottes Macht in mir wirkt!“ Vielmehr muss unsere Haltung so sein: „Eine Göttliche Macht wirkt in diesem Mental und Körper, und sie ist dieselbe, die am Werk ist in allen Menschen, im Tier, in der Pflanze und im Metall, in bewussten, lebendigen Wesen und Geschöpfen ebenso wie in denen, die unbewusst und unbelebt zu sein scheinen.“ Diese weite Sicht auf den Einen, der in allen und auf die ganze Welt wirkt als das gleichmäßige Werkzeug einer göttlichen Handlung und eines allmählichen Selbstausdrucks, wird – wenn sie zu unserer ganzen Erfahrung wird – dazu beitragen, jeden rajasischen Egoismus aus uns zu eliminieren, und selbst der sattwische Ego-Sinn wird beginnen, aus unserer Natur zu verschwinden.
