Kapitel 4
Gleichmut im Mental und in der Seele
Worte Sri Aurobindos
Der Verzicht auf ein Verhaftetsein an die Arbeit und ihre Früchte ist der Anfang einer weiten Bewegung hin zu einem absoluten Gleichmut im Mental und in der Seele, der all-umschließend werden muss, um im Geist vollkommen zu sein. Denn die Verehrung des Meisters der Werke verlangt ein klares Erkennen und ein freudiges Bekenntnis zu ihm in uns selbst, in allen Dingen und in allen Geschehnissen. Gleichmut ist das Zeichen dieser Anbetung, die Grundlage der Seele, auf der wirkliches Opfer und Verehrung stattfinden können. Der Herr ist gleichermaßen anwesend in allen Wesen, und wir sollen keine grundlegenden Unterschiede zwischen uns und anderen machen, zwischen dem Weisen und dem Unwissenden, zwischen Freund und Feind, Mensch und Tier, dem Heiligen und dem Sünder. Wir sollen niemanden hassen, niemanden verachten, uns von niemandem abgestoßen fühlen, denn in allen sollen wir den Einen sehen, verkleidet oder manifest, ganz wie es ihm gefällt. Er offenbart sich ein wenig in dem einen und ist verborgen oder völlig entstellt in wieder anderen, ganz nach seinem Willen und seinem Wissen um das, was am besten ist für die Form, die er in ihnen anzunehmen gedenkt, und für die Werke, die er in ihrer Natur zu tun beabsichtigt. Alles ist unser Selbst, das eine Selbst, das viele Formen angenommen hat. Hass und Abneigung und Verachtung und Verabscheuung, Sich-Klammern und Verhaftetsein und Vorlieben sind in einem gewissen Stadium allesamt natürlich, notwendig und unvermeidlich: Sie dienen oder helfen, die Wahl der Natur in uns auszuführen und aufrechtzuerhalten. Die Kind-Seele benötigt sie für ihr Wachstum, doch sie fallen von einem in der göttlichen Kultur Erwachsenen ab. In der Gott-Natur, zu der wir aufsteigen müssen, kann es eine diamantharte, sogar zerstörerische Strenge geben, doch keinen Hass, eine göttliche Ironie, doch keine Verachtung, eine ruhige, klar sehende und kraftvolle Zurückweisung, doch keine Abscheu und keine Abneigung. Sogar das, was wir zerstören müssen, dürfen wir nicht verabscheuen oder versagen, es als eine maskierte und vorübergehende Bewegung des Ewigen zu sehen…
In der Tat muss alles verändert, darf Hässlichkeit nicht akzeptiert werden, sondern göttliche Schönheit, darf Unvollkommenheit nicht zum Ruheplatz werden, sondern ist Vollkommenheit anzustreben, muss das höchste Gute zum universellen Ziel gemacht werden und nicht das Böse. Doch was wir tun, muss mit spirituellem Verständnis und Wissen getan werden, und es sind das göttliche Gute, die göttliche Schönheit, Vollkommenheit und Freude, die wir verfolgen müssen, und nicht ihre menschlichen Maßstäbe. Wenn wir keinen Gleichmut besitzen, ist das ein Zeichen dafür, dass uns immer noch die Unwissenheit auf den Fersen ist, wir nichts wirklich verstehen und es mehr als wahrscheinlich ist, dass wir die alte Unvollkommenheit nur zerstören, um eine andere zu erschaffen: Denn wir ersetzen die göttlichen Werte durch die Würdigungen unseres menschlichen Mentals und unserer Wunsch-Seele.
Gleichmut bedeutet nicht eine neue Unwissenheit oder Blindheit. Er verlangt nicht nach einem Grau in Grau in der Sichtweise und dem Einstampfen aller Farbnuancen und muss dazu auch keinen Anstoß geben. Unterschiede existieren, Variation im Ausdruck besteht, und diese Unterschiede sollten wir zu schätzen wissen – auf sehr viel angemessenere Weise als wir das konnten, solange das Auge verschleiert war durch teilweise und irrtümliche Liebe und Hass, durch Bewunderung und Verachtung, Sympathie und Antipathie, Anziehung und Abneigung. Doch hinter der Variation sollen wir immer das Vollständige und Unwandelbare sehen, das darin lebt, und wir werden den weisen Zweck und die göttliche Notwendigkeit einer bestimmten Manifestation spüren und kennen oder – wenn sie uns verborgen bleiben – ihnen wenigstens vertrauen, ob sie unseren menschlichen Maßstäben nun harmonisch und vollkommen erscheinen oder unvollendet oder sogar falsch und böse.
