Kapitel 4
Glaube und Vorstellung
Worte Sri Aurobindos
Suggestionen, die eine Krankheit oder ungesunde Verfassung des physischen Wesens hervorrufen, treten im Allgemeinen über das Unterbewusste auf – denn ein großer Teil des physischen Wesens, der stofflichste Teil, ist unterbewusst; das heißt, er hat ein eigenes, dunkles Bewusstsein, und zwar so dunkel und in sich selbst eingeschlossen, dass das Mental von seinen Bewegungen oder dem, was dort vorgeht, nichts weiß. Immerhin ist es ein Bewusstsein und kann Suggestionen von äußeren Kräften empfangen, genauso wie das Mental und Vital. Wäre das nicht der Fall, könnte es für die (Yoga-) Kraft weder geöffnet noch durch diese Kraft geheilt werden, und ohne dieses Bewusstsein wäre es (das physische Wesen) nicht fähig zu reagieren. In Europa und Amerika wird diese Tatsache jetzt von vielen Menschen erkannt, die ihre Krankheit in der Weise behandeln, dass sie auf den Körper durch bewusste mentale Suggestionen einwirken, welche den dunklen, geheimen Suggestionen der Krankheit im Unterbewussten entgegenwirken. Ein berühmter französischer Arzt kurierte Tausende von Menschen, indem er sie veranlasste, auf den Körper ständig solche Gegensuggestionen einwirken zu lassen. Das beweist, dass Krankheit nicht nur rein stoffliche Ursachen hat, sondern durch eine Störung des verborgenen Bewusstseins im Körper ausgelöst wird.

Worte Sri Aurobindos
Mit Suggestion [der Krankheit] meine ich nicht nur Gedanken und Worte. Wenn der Hypnotiseur sagt „schlafe“, dann ist das eine Suggestion, wenn er aber nichts sagt, sondern nur seinen schweigenden Willen einsetzt, um Schlaf zu vermitteln, oder mit seinen Händen über dem Gesicht Bewegungen ausführt, dann ist das auch eine Suggestion.
Wenn eine Kraft oder die Vibration einer Krankheit in dich eindringt, wird dem Körper diese Suggestion übermittelt. Eine Welle dringt in den Körper ein und mit ihr eine bestimmte Vibration; der Körper erinnert sich der „Erkältung“ oder fühlt die Vibration der Erkältung und beginnt zu husten, zu niesen oder zu frösteln; die Suggestion tritt in das Mental ein in der Form „ich bin schwach, ich fühle mich nicht wohl, ich bekomme eine Erkältung“.

Worte Sri Aurobindos
Das Körper-Bewusstsein reagiert auf die Suggestion der Arznei, und man wird für eine bestimmte Zeit geheilt – oder es reagiert nicht, und es gibt keine Heilung. Wie ist es möglich, dass die gleiche Arznei für die gleiche Krankheit bei dem einen Menschen zum Erfolg führt und bei einem anderen nicht, oder das eine Mal bei einem Menschen eine Wirkung hat und später gar nicht mehr?

Worte Sri Aurobindos
Eine Suggestion ist nicht ein eigener Gedanke oder ein eigenes Gefühl, sondern ein Gedanke oder ein Gefühl, das von außen kommt, von anderen, aus der allgemeinen Atmosphäre oder der äußeren Natur – wenn sie angenommen werden, klammem sie sich an dem Wesen fest, wirken auf es ein und werden für den eigenen Gedanken, das eigene Gefühl gehalten. Wenn sie als Suggestion erkannt werden, kann man sich leichter von ihnen befreien. Dieses Gefühl des Zweifels, des mangelnden Selbstvertrauens und der Hoffnungslosigkeit hinsichtlich der eigenen Person ist etwas, das in der Atmosphäre umherwandert und versucht, in die Menschen einzudringen und angenommen zu werden; ich möchte, dass du es zurückweist, denn es verursacht nicht nur Störung und Niedergeschlagenheit, sondern steht der Wiederherstellung der Gesundheit und der Rückkehr zur inneren Aktivität der Sadhana im Weg.

Worte Sri Aurobindos
Was die medizinische Behandlung anbelangt, so ist sie manchmal unumgänglich. Wenn man durch die (Yoga-) Kraft zu heilen vermag, wie du es oft getan hast, ist es das Beste – wenn aber der Körper aus irgendeinem Grund nicht fähig ist, auf diese Kraft zu reagieren (zum Beispiel aufgrund von Zweifel, Abgespanntheit, Entmutigung oder aus Unvermögen, der Krankheit zu widerstehen), wird die Unterstützung durch eine medizinische Behandlung notwendig. Es ist aber nicht so, dass die Kraft deshalb zu wirken aufhören und alles dem Medikament überlassen würde – sie wirkt weiterhin über das Bewusstsein, nimmt aber die (medizinische) Behandlung zu Hilfe, um so dem Widerstand im Körper direkt zu begegnen, da der Körper in seinem gewöhnlichen Bewusstsein bereitwilliger auf physische Mittel reagiert.

Worte der Mutter
Coué war Arzt. Er pflegte durch psychologische Behandlung zu behandeln, Auto-Suggestion, und er nannte dies die wahre Arbeit der Vorstellungskraft; und was er als Vorstellung definierte, war Glaube. Und so behandelte er alle seine Patienten auf diese Weise: Sie hatten eine Art schöpferische Formation zu bilden, die daraus bestand, dass sie sich selbst geheilt vorstellten oder in jedem Fall auf dem Wege der Besserung, und darin, dass sie sich diese Formation mit genügender Beharrlichkeit wiederholten, damit sie ihre Wirkung hätte. Er hatte beachtliche Erfolge. Er heilte viele Menschen; nur, er hatte auch Misserfolge, und vielleicht waren das auch keine sehr andauernden Heilungen, ich weiß es nicht. Aber in jedem Fall hat es viele Menschen über etwas zum Nachdenken gebracht, was ganz richtig und von großer Bedeutung ist: dass das Mental ein schöpferisches Instrument ist und dass man, wenn man es auf die richtige Weise zu benutzen weiß, gute Erfolge erzielt. Er stellte fest – und ich glaube, das ist wahr, meine Beobachtung stimmt mit seiner überein –, dass die Menschen ihre Zeit damit verbringen, falsch zu denken. Ihre mentale Aktivität ist fast immer halb pessimistisch, und sogar halb zerstörerisch. Sie denken die ganze Zeit an schlechte Dinge, die passieren können, und sehen sie voraus, verhängnisvolle Folgen von dem, was sie getan haben, und sie konstruieren alle Arten von Katastrophen mit einer lebendigen Einbildungskraft, die, wenn sie in anderer Weise eingesetzt worden wäre, natürlich gegenteilige und befriedigendere Ergebnisse gebracht hätte.
Wenn du dich selbst beobachtest, wenn du …, wie soll ich es sagen …, wenn du dich selbst beim Denken ertappst – nun, wenn du es plötzlich tust, wenn du dich plötzlich, spontan, unerwartet denken siehst, wirst du bemerken, dass du neun von zehn Malen etwas Beunruhigendes denkst. Es ist sehr selten, dass du über etwas Harmonisches, Schönes, Aufbauendes, glückliche Dinge voller Hoffnung, Licht und Freude denkst; du wirst sehen, probiere es aus. Halte plötzlich an und sieh dich selbst denken, geradeso: halte eine Leinwand vor deine Gedanken und sieh dich selbst denken, so auf Anhieb, du wirst es mindestens neun Mal von zehn Malen sehen, und vielleicht öfter. (Es ist sehr selten, sehr selten, dass man während eines ganzen Tages, plötzlich, einen blendenden Gedanken hat, darüber, was geschehen wird, oder über den Zustand, in dem man ist, oder darüber, was man tun möchte, oder über den Verlauf seines Lebens oder über weltliche Umstände – es hängt von deiner Beschäftigung ab.). Nun, du wirst sehen, man sieht fast immer eine größere oder kleinere, mehr oder weniger schwere Katastrophe voraus.
Sagen wir, du hast eine ganz unbedeutende Sache, die nicht ganz gut läuft; wenn du an deinen Körper denkst, da ist immer etwas Unangenehmes, das ihm zustößt – denn wenn alles gut geht, denkst du nicht an ihn! Du wirst das feststellen: dass du handelst, du tust alles, was du zu tun hast, ohne einen Gedanken an deinen Körper zu haben, und wenn du dich plötzlich wunderst, ob da nichts ist, das falsch läuft, oder ob da eine Unannehmlichkeit oder Schwierigkeit ist, irgend etwas, dann fängst du an, an deinen Körper zu denken, und du denkst dann an ihn mit Besorgnis und fängst an, deine verheerenden Gestaltungen zu bilden.
So hat Coué seine Patienten geheilt; er war Arzt, er sagte ihnen: „Sie wiederholen laufend zu sich selbst: ‚Ich werde geheilt, schrittweise werde ich geheilt,‘ und noch einmal: ‚Ich bin stark, ich bin ganz gesund und ich kann dieses tun, ich kann jenes tun‘.“

Worte der Mutter
Die Vorstellungskraft ist ein Gestaltungsvermögen. Tatsächlich sind Leute, die keine Vorstellungskraft haben, mental nicht gestalterisch, sie können ihrem Denken keine konkrete Kraft mitteilen. Die Vorstellungskraft ist ein sehr starkes Hilfsmittel für das Handeln. Wenn du zum Beispiel irgendwo einen Schmerz hast und du kannst dir vorstellen, dass du den Schmerz verschwinden lässt oder dass du ihn beseitigst oder dass du ihn austilgst – alle möglichen derartigen Bilder –, nun, es wird dir vollkommen gelingen.
Man erzählt sich die Geschichte von jemand, der seine Haare auf so unwahrscheinliche Art verlor, dass er in einigen Wochen eine Glatze hatte, und dann sagte jemand zu ihm: „Wenn Sie sich kämmen, stellen Sie sich vor, dass Ihre Haare wachsen und dass sie sehr schnell wachsen.“ Und beim Kämmen sagte er immer: „Oh, meine Haare wachsen, sie wachsen sehr schnell.“ Und es kam so! Was machen dagegen die Leute meistens? Sie sagen sich: „Ach, nun fallen mir auch noch die Haare aus und ich bekomme eine Glatze, das kommt bestimmt!“
Selbstverständlich kommt das!
