Kapitel 4

Der erste Ausdruck der Liebe und der Gipfel ihres Aufstiegs

Worte der Mutter

Es heißt, dass das Bedürfnis des Tigers, zu verschlingen, eine der ersten Ausdrucksformen der Liebe in der Welt ist. Ich denke, dass es schon lange vor dem Tiger auf dem Meeresgrund primitive Wesen gegeben haben muss, die nur diese Funktion hatten: einen Magen. Sie existierten nur als Magen. Und so verschlangen sie – das war ihre einzige Beschäftigung. Das war natürlich eine der ersten Folgen der Macht der Liebe, die sich in die Materie hineinbegab, denn vorher war nichts: Es herrschte vollkommene Unbewusstheit, vollständige Bewegungslosigkeit, nichts regte sich. Mit der Liebe begann die Bewegung: das Erwachen des Bewusstseins und die Bewegung der Transformation. Man kann also sagen, dass die ersten Formen der erste Ausdruck der Liebe in der Materie sind. Vom Bedürfnis zu verschlingen, dem einzigen Bewusstsein – ein Bedürfnis zu verschlingen, sich zu vereinigen – können wir gehen bis … Pardon! Wir sagen, die Liebe ist die Macht der Welt – das ist eine primitive Art, sich mit den Dingen zu vereinigen, aber es ist eine sehr direkte Art: Man verschlingt und absorbiert die Sache; nun, der Tiger seinerseits hat eine große Freude daran. Er hat also schon eine Freude, das ist schon eine sehr hohe Form der Liebe. Du kannst noch höher hinauf und kommst schließlich zu einer der höchsten Ausdrucksformen der Liebe in den Menschen: die totale Selbsthingabe an das, was man liebt, das heißt, sich für sein Vaterland opfern oder sein Leben zur Verteidigung einer Person geben, solche Sachen. Das ist schon … das ist recht hoch. Es ist immer noch mit Schmutz vermischt. Es ist noch nicht die höchste Form, aber es ist schon etwas. Und du siehst alle Sprossen, nicht wahr. Also, von da aus muss man noch weit aufsteigen, um zum wahrhaften Ausdruck zu gelangen, zu dem, was ich gesagt habe, was sich am Gipfel des Aufstiegs befindet – ich möchte meine Worte nicht falsch wiedergeben. (Die Mutter nimmt ihr Buch „Die vierfache Selbstzucht“ und liest):

„In ihrer Essenz ist Liebe die Freude an der Identität; sie findet ihren höchsten Ausdruck in der Glückseligkeit der Einung.“

Zunächst gibt es etwas – vor der Aussendung der Liebe –, das wir sehr unbeholfen mit „Freude der Identität“ ausdrücken können. Das ist schwer vorstellbar, denn das menschliche Denken kann sich die Dinge nur in Gegensätzen vorstellen, wohingegen die höchste Phase kommt, wenn die Liebe den ganzen Kreis im Universum durchlaufen hat, um zu ihrem Ursprung aufzusteigen; dann hat sie das Ergebnis ihrer ganzen Erfahrung und kehrt zum Ausgangspunkt zurück. Sie kehrt zum Ausgangspunkt mit etwas mehr zurück, das sie vor dem Start nicht hatte: Das ist die Erfahrung des Universums. Und im Grunde ist das der Zweck der Schöpfung. Denn das Bewusstsein wäre nicht, was es ist, wenn es sich nicht in einer Schöpfung ausgedrückt hätte. Also, die Rückkehr der Schöpfung – dabei muss man bedenken, dass sich das nicht in der Zeit abspielt –, das ist sehr, sehr schwer vorstellbar, denn wir stellen uns Zeit und Raum vor, und für uns sind die Dinge aufeinanderfolgend, nacheinander. Könnte man sich aber eine Gesamtbewegung vorstellen, die alles umfasste und die Anfang und Ende zugleich wäre und alles enthielte, dann wäre diese Rückkehr, die nicht eine Rückkehr in der Zeit wäre, die eine Rückkehr im Bewusstsein wäre… – wie soll ich dir das erklären? Die Rückkehr der Liebe in ihren Ursprung wird, statt nur die Freude der Identität zu sein, zur Ekstase der Vereinigung – und wenn man sich den rein psychologischen Standpunkt zu eigen macht, geht aus der Erfahrung im Universum offensichtlich eine Bereicherung des Bewusstseins hervor, das heißt, es ist ein Reichtum an Inhalt und an Fülle des Bewusstseins da, die nicht vorhanden wären, wenn es kein manifestiertes Universum gegeben hätte. Und das ist natürlich die logischste Erklärung, der logischste Grund für die Schöpfung.

Worte der Mutter

Damit es das Gefühl der Trennung nicht mehr gibt, muss man im Grunde in sich selbst eine vollkommene Identität mit dem Göttlichen verwirklicht haben. Ist die vollkommene Identität einmal verwirklicht, nun, dann hat die Geschichte ein Ende, es gibt nichts mehr zu erzählen. Deshalb heißt es, wenn die Welt, wenn die Schöpfung die vollkommene Identität mit dem Göttlichen verwirklichte, gäbe es keine Schöpfung mehr…

Deshalb besteht die Lösung darin, das Ananda zu finden, selbst im Spiel, in diesem Austausch, wo man gibt und empfängt, wo man zwei zu sein scheint; und darum behalten sie die Dualität bei.

Im anderen Fall bleibt in der Identität nur die Identität. Wenn die Identität vollständig und vollkommen ist, gibt es keine Objektivierung mehr.

Ich habe das aber irgendwo gesagt, als ich von der Geschichte der Liebe sprach… Ich sagte, das beginne mit dem Ananda der Identität, und nach dem ganzen Kreislauf der Schöpfung münde das im Ananda der Einswerdung.1 Nun, wenn es diesen Kreislauf nicht gegeben hätte, gäbe es auch nie das Ananda der Einswerdung, es gäbe nur das Ananda der Identität. Ohne Kreislauf gäbe es keine Einswerdung.

Das ist vielleicht etwas spitzfindig, aber es ist eine Tatsache: Und vielleicht ist der ganze Kreislauf gerade deswegen in Gang gesetzt worden, damit dieses Ananda der Identität sein Ergebnis und, man könnte sagen, seine Krönung im Ananda der Einung findet.

Wenn es aber vollkommene Identität gibt, kann es keine Einswerdung geben, das Gefühl der Einswerdung besteht nicht, denn es setzt zwangsläufig etwas anderes voraus als die vollkommene Identität. Es kann vollkommene Einswerdung geben, aber es gibt keine vollkommene Identität.

Versuche nicht, durch die Worte und mit dem Kopf zu verstehen, denn diese beiden Wörter [„vollkommene Identität“ und „vollkommene Einung“] drücken zwei ganz verschiedene Erfahrungen aus. Und doch ist das Ergebnis identisch; aber die eine ist reich an allem, was in der anderen nicht war, der Reichtum der ganzen Erfahrung – der ganzen Welt-Erfahrung.

Worte Sri Aurobindos

Unserer eigenen Philosophie zufolge ging die ganze Welt aus Ananda hervor und wird zu Ananda zurückkehren, und der dreifache Begriff, durch den sich Ananda ausdrücken lässt, ist Freude, Liebe, Schönheit. Göttliche Schönheit überall in der Welt, im Menschen, im Leben und in der Natur zu sehen, das Gesehene zu lieben und durch jene Liebe und jene Schönheit reine, ungetrübte Seligkeit zu erfahren – das ist die der Menschheit zugewiesene Route, entlang der sie als Art zu Gott aufsteigen muss.

1 Später fragte jemand die Mutter: „Was ist dieses ‚das‘? Das Universum?“ Worauf die Mutter antwortete: „Ich habe absichtlich ‚das‘ gesagt, um unbestimmt bleiben zu können. Ich mag das Wort ‚Schöpfung‘ nicht, man hat sofort den Eindruck einer speziellen Schöpfung, als wäre sie aus nichts entstanden – aber es ist Er selbst! Und es ist nicht das Universum, ‚das beginnt‘; das Universum ‚wurde begonnen‘. Wie soll ich das sagen? Nicht das Universum ergreift die Initiative zur Bewegung! Und wenn man sagt, der Herr hat das Universum begonnen, wird das falsch. All das sind starre Vorstellungen! Wenn ich sage: ‚Der Herr hat das Universum angefangen‘, sieht man sofort einen persönlichen Gott, der sich entschließt, das Universum anzufangen – das ist es nicht! Ich habe das wegen der Liebe gesagt, wegen der Manifestation der Liebe, die das höchste Ananda ist. Sri Aurobindo hat es auch gesagt: Jenseits des Seins und des Nicht-Seins gibt es etwas, das sich als höchste Liebe manifestiert und das zugleich das Sein und das Nicht-Sein ist. Und Dessen erste Offenbarung ist das Ananda der Identität – im Grunde wird sich die Identität im Ananda ihrer selbst bewusst, und dann geht das den ganzen Weg durch die ganze Manifestation und alle Formen, die die Liebe annimmt, und das kehrt zum Einssein durch die Einswerdung zurück. Und das fügt diesem Ananda das Ananda der Einswerdung hinzu, das niemals vorhanden gewesen wäre, wenn der Kreislauf nicht gemacht worden wäre.“