Kapitel 3

Das dreifache Leben

So ist also die Natur eine Evolution oder eine progressive Selbst-Manifestation eines ewigen, verborgenen Seins in drei aufeinanderfolgenden Formen als ihren drei Stufen des Aufstiegs. Darum haben wir als die Voraussetzung und Grundbedingung für unser gesamtes Wirken diese drei gegenseitig voneinander abhängigen Möglichkeiten: das körperliche Leben, das mentale Dasein und das verhüllte spirituelle Wesen, das in der Involution die Ursache der anderen und in der Evolution ihr Ergebnis ist. Das Ziel der Natur ist es, das körperliche Wesen zu beschützen und vollkommen zu machen und das mentale zu seiner Erfüllung zu bringen. Unser Ziel sollte es sein, im vollkommen gewordenen Körper und Mental die transzendenten Wirkensweisen des Geistes zu enthüllen. So wie das mentale Leben das körperliche nicht außer Kraft setzt, sondern seine vollkommenere Gestaltung und bessere Verwendungsmöglichkeit herausarbeitet, so sollte auch das spirituelle Leben unsere intellektuellen, emotionalen, ästhetischen und vitalen Wirkensarten nicht beseitigen sondern zum Höheren umgestalten.

Der Mensch, das Haupt der irdischen Natur und die einzige irdische Gestaltung, in der ihre vollständige Evolution möglich wird, durchläuft also eine dreifache Geburt. Er hat eine lebendige Gestalt empfangen, in der sein Körper der Träger und das Leben das dynamische Mittel für die göttliche Manifestation ist. Sein Wirken geschieht vom Mittelpunkt eines immer weiter sich entwickelnden Mentals aus, das sich selbst und auch das Haus, das es bewohnt, ebenso wie die Mittel des Lebens, die es verwendet, zu vervollkommnen strebt. Er hat die Befähigung, durch eine fortschreitende Selbst-Realisation zu seiner eigenen wahren Natur als einer Form des Geistes zu erwachen. Die höchste Vollkommenheit des Menschen liegt in dem, was er in Wirklichkeit immer gewesen ist: in seinem erleuchteten seligen Geist, dessen Bestimmung es ist, schließlich das Leben und das Mental mit seinen jetzt noch verborgenen Herrlichkeiten zu durchleuchten.

Da dieses der Plan der göttlichen Energie in der Menschheit ist, muss die ganze Methode und das Ziel unseres Daseins in einem Aufeinanderwirken dieser drei Elemente im Wesen bestehen. Infolge ihrer abgesonderten Ausgestaltung in der Natur steht dem Menschen die Wahl zwischen drei Arten des Lebens offen: die gewöhnliche materielle Existenz, ein Leben mentaler Betätigung und mentalen Fortschritts und die unwandelbare spirituelle Seligkeit. Je weiter er vorwärtskommt, desto besser kann er aber diese drei Formen miteinander kombinieren. Er kann so ihre Missklänge in einen harmonischen Rhythmus auflösen und dadurch in sich selbst die volle Göttlichkeit, den vollkommenen Menschen erschaffen.

In der gewöhnlichen Natur besitzt jedes dieser drei Elemente seinen eigenen, für es charakteristischen und es beherrschenden Impuls.

Die für das körperliche Leben charakteristische Energie wirkt sich nicht so sehr im Fortschritt als vielmehr in der Beharrlichkeit aus, nicht so sehr in der individuellen Selbst-Ausweitung als vielmehr in der Selbst-Wiederholung. Es gibt zwar in der physischen Natur eine Progression von Typus zu Typus: von der Pflanze zum Tier und vom Tier zum Menschen. Das Mental ist selbst in der unbelebten Materie am Werk. Wenn aber einmal ein Typus körperlich festgelegt ist, erscheint es als das wichtigste Anliegen der Erden-Mutter, diesen durch seine ständige Reproduktion im Dasein zu erhalten. Das Leben erstrebt immer die Unsterblichkeit. Da aber die individuelle Form unbeständig ist und da nur die Idee einer Form in dem Bewusstsein, welches das Universum erschafft, dauernd weiterbesteht – denn hier geht sie nicht zugrunde –, ist eine solche ständige Reproduktion die einzig mögliche materielle Unsterblichkeit. Selbsterhaltung, Selbstwiederholung und Selbstvermehrung müssen also die vorherrschenden Instinkte aller materiellen Existenz sein.

Die charakteristische Energie des reinen Mentals ist Wandlung. Je mehr es seine höhere Entfaltung und Organisation erwirbt, desto mehr nimmt dieses Gesetz des Mentals den Aspekt einer ständigen Ausweitung, Vervollkommnung und besseren Anordnung dessen an, was es bisher gewann. So geht es ständig von einer kleineren und einfacheren zu einer größeren und komplexeren Vollkommenheit weiter. Ganz anders als das körperliche Leben ist das Mental in seinem Bereich unendlich, in seiner Ausweitung elastisch und in seinen Gestaltungen leicht wandelbar. Seine ihm eigentümlichen Grundtriebe sind also Verwandlung, Selbst-Ausweitung und Selbst-Verbesserung. Sein Glaube ist auf die Befähigung zur Perfektion gerichtet; sein Losungswort heißt Fortschritt.

Das charakteristische Gesetz des Geistes ist die aus dem Selbst existierende Vollkommenheit und die unwandelbare Unendlichkeit. Er besitzt immer und aus eigener Vollmacht die Unsterblichkeit, die das Ziel des Lebens ist, und die Vollkommenheit, nach der das Mental trachtet. Die Herrlichkeit des spirituellen Lebens liegt darin, dass es das Ewige erlangt und dass realisiert, was in allen Dingen und jenseits aller Dinge das Selbe – das Selbst – ist. So ist es innerhalb des Universums und außerhalb von ihm in gleicher Weise selig und bleibt von den Unvollkommenheiten und Begrenztheiten der Gestaltung und Aktivitäten, in denen es lebt, unberührt.

In jeder dieser Formen wirkt die Natur sowohl individuell wie kollektiv. Denn der Ewige setzt sich in gleicher Weise in der einzelnen Gestaltung wie in der Gruppenexistenz durch: in der Familie, im Stamm, in der Nation, in Gruppenbildungen, die sich auf weniger physische Prinzipien gründen, oder in der allerhöchsten Gruppe, in unserer kollektiven Menschheit. So kann auch der Mensch das Gute für sein eigenes individuelles Leben aus einer einzelnen oder aus allen diesen Sphären der Wirksamkeit zu erlangen suchen. Er kann sich in diesen mit der kollektiven Gesamtheit identifizieren und für sie leben. Er kann auch zum wahren, höheren Verstehen des komplexen Universums gelangen und die individuelle Verwirklichung mit dem kollektiven Ziel in Einklang bringen. Die richtige Beziehung der Seele zum Höchsten besteht ja während ihres Verbleibens im Universum darin, dass sie weder auf egoistische Weise ihr Sonderdasein durchsetzt, noch sich im Undefinierbaren auslöscht. Vielmehr soll sie ihr Einssein mit dem Göttlichen und mit der Welt realisieren und beide im individuellen Leben einswerden lassen. Darum ist das die richtige Beziehung zwischen dem Individuum und dem Kollektiv, dass es einerseits weder in egoistischer Weise nur auf seinen eigenen materiellen oder mentalen Fortschritt oder auf seine eigene spirituelle Erlösung ohne Rücksicht auf seine Mitmenschen bedacht ist, dass es andererseits aber auch nicht um der Gemeinschaft willen seine eigene Entwicklung unterdrückt oder verkümmern lässt sondern dass der einzelne Mensch seine besten und vollkommensten Möglichkeiten in sich selbst zusammenfasst und sie durch Denken, Handeln und alle anderen Mittel auf seine Umgebung so ausströmen lässt, dass die ganze Menschheit dem, was ihre höchsten Persönlichkeiten erlangt haben, immer näher kommt.

Daraus folgt, dass es das Ziel des materiellen Lebens sein muss vor allem die vitale Absicht der Natur ganz zu erfüllen. Das Trachten des materiellen Menschen ist allein darauf gerichtet, zu leben und auf seinem Weg von der Geburt bis zum Tod so viel Bequemlichkeit und Vergnügen wie möglich zu bekommen, jedenfalls aber zu leben. Er kann dieses Ziel wohl hintanstellen, er kann es aber nur den anderen Trieben der physischen Natur unterordnen: der Fortpflanzung und der Erhaltung der Art in der Familie, der Klasse oder der Gemeinschaft. Die egoistischen Interessen, häusliches Leben, die herkömmliche Ordnung der Gesellschaft und der Nation sind die konstituierenden Elemente der materiellen Existenz. Ihre außerordentliche Bedeutung für die Ökonomie der Natur ist offensichtlich, und entsprechend groß ist auch die Bedeutung dieses menschlichen Typus, der sie darstellt. Er gewährleistet der Natur die sichere Festigkeit der Struktur, die sie erschaffen hat, und die geordnete Dauer und Erhaltung ihrer früheren Gewinne.

Aber gerade durch ihre große Nützlichkeit sind solche Menschen und das von ihnen geführte Leben zu einem beschränkten, unvernünftig konservativen und erdgebundenen Leben verurteilt. Die gewohnte Routine, die hergebrachten Institutionen und die ererbten oder gewohnheitsmäßigen Formen des Denkens sind der wahre Lebensatem ihres Daseins. Sie erkennen wohl die Veränderungen an, die durch das fortschrittliche Mental in der Vergangenheit erzwungen wurden, und verteidigen sie eifersüchtig. Mit gleichem Fanatismus bekämpfen sie aber die Umwandlungen, die von den fortschrittlich Gesinnten in der Gegenwart unternommen werden. In den Augen des materiellen Menschen ist der lebende fortschrittliche Denker ein Ideologe, ein Träumer oder ein Verrückter. Die alten Semiten, die ihre Propheten mitunter steinigten und die Erinnerung an sie heilig hielten, wenn sie tot waren, waren die eigentliche Verkörperung dieses instinktiven, unintelligenten Prinzips in der Natur. Im alten Indien machte man die Unterscheidung zwischen dem nur einmal und dem zweimal geborenen Menschen; auf diesen materiellen Menschen kann die erste Bezeichnung angewandt werden. Er verrichtet die niederen Werke der Natur. Er sichert ihr die Grundlage für ihre höheren Wirkensweisen. Ihm stehen jedoch nicht so leicht die Herrlichkeiten ihrer zweiten Geburt offen.

Dennoch lässt er so viel Spiritualität gelten, wie seinen gewohnheitsmäßigen Ideen durch die großen religiösen Durchbrüche der Vergangenheit aufgezwungen worden sind. In seiner Gesellschaftsordnung räumt er dem Priester oder dem gelehrten Theologen einen geehrten, wenn auch selten einen einflussreichen Platz ein, wenn er sich darauf verlassen kann, dass dieser ihn mit einer ungefährlichen und gewöhnlichen spirituellen Nahrung versorgt. Wenn aber jemand für sich die Freiheit eigener spiritueller Erfahrung und spirituellen Lebens beanspruchen will, billigt der materielle Mensch ihm, falls er ihn überhaupt duldet, nicht das Ornat des Priesters, sondern das Gewand des heimatlosen Asketen, des Sannyasin, zu. Außerhalb der Gesellschaft soll er seine gefährliche Freiheit praktizieren. So kann er vielleicht sogar als ein menschlicher Blitzableiter dienen, der die elektrischen Schläge des Geistes auffängt und vom Gebäude der Gesellschaft wegleitet.

Trotzdem kann man den materiellen Menschen und sein Leben in bescheidenem Maße dadurch fortschrittlich machen, dass man seinem materiellen Mental die Angewöhnung an den Fortschritt, die Bereitwilligkeit zur bewussten Umwandlung und die feste Idee einprägt, dass die fortschrittliche Entwicklung ein Gesetz des Lebens ist. Es ist einer der größten Triumphe des Mentals über die Materie, dass auf diese Weise in Europa fortschrittliche Gesellschaften geschaffen wurden. Aber die physische Natur nimmt dafür Rache. Denn der errungene Fortschritt hat immer die Tendenz zu einer vergröberten, mehr äußeren Art. Die Versuche, eine höhere, raschere Fortschrittsbewegung zu bewirken, führten oft zu großen Ermüdungen, raschen Erschöpfungszuständen und erschütternden Rückschlägen.

Man kann dem materiellen Menschen und seinem Leben auch dadurch eine gewisse spirituelle Einstellung geben, dass man ihn daran gewöhnt, alle Einrichtungen des Lebens und seine eigenen gewohnten Betätigungen mit religiösem Geist zu betrachten. Im Osten ist die Bildung solcher spiritueller Gemeinschaften einer der größten Triumphe des Geistes über die Materie gewesen. Aber auch hier besteht ein Defekt: es zeigt sich oft die Tendenz, nur ein religiöses Gefühlsleben, also die äußerlichste Form der Spiritualität, hervorzubringen. Ihre höheren, selbst ihre glänzendsten und machtvollsten Offenbarungen vermehren indessen nur die Zahl der Seelen, die sich aus dem Leben der Gesellschaft zurückziehen und dieses verarmen lassen, oder sie bringen durch momentanen Aufschwung große Erschütterung in die Gesellschaft. In Wahrheit kann weder die mentale Bemühung noch der spirituelle Impuls für sich allein ausreichen, um den Widerstand der materiellen Natur zu überwinden. Sie verlangt, dass sich diese beiden in einem vollkommenen Krafteinsatz miteinander verbünden, bevor sie eine völlige Umwandlung in der Menschheit zulässt. Gewöhnlich sind jedoch diese beiden großen Wirkungsmächte nicht willens, einander die nötigen Zugeständnisse zu machen.

Das mentale Leben konzentriert sich auf die ästhetischen, ethischen und intellektuellen Betätigungen. Seinem Wesen nach ist das Mental idealistisch und strebt nach Vollkommenheit. Das subtile Selbst ist immer ein Träumer. Es ist der „brillante Atman“, von dem es in der Mandukya Upanishad 4, heißt: „Er wohnt im Traum, der innerlich Bewusste, der sich an den Abstraktionen erfreut, der Brillante …“ Die eigentliche Seele des reinen mentalen Wesens lebt in einem Traum von vollkommener Schönheit, vollkommener Lebensführung, vollkommener Wahrheit, ob sie dabei neue Gestaltungen des Ewigen sucht oder die alten zu neuem Leben erweckt. Sie weiß aber nicht, wie sie mit dem Widerstand der Materie fertigwerden soll. Auf diesem Gebiet ist das Mental behindert und untüchtig. Es arbeitet mit ungeschickten Experimenten und muss sich entweder aus dem Kampf zurückziehen oder sich der öden Tatsächlichkeit unterwerfen. Es mag zwar durch die Erforschung des materiellen Lebens und die Annahme der Bedingungen des Wettstreits mit ihm einen gewissen Erfolg erzielen. Das Mental kann dann aber der unendlichen Natur nur zeitweilig ein gewisses künstliches System auferlegen, das sie entweder bald wieder zerreißt und wegwirft oder bis zur Unkenntlichkeit entstellt oder dem sie ihre Zustimmung entzieht, um es als Leichnam eines toten Ideals zurückzulassen. Die Welt hat nur wenige dieser Realisationen des Träumers im Menschen gern angenommen, und dann nur in weiten Zeitabständen voneinander. Auf sie schaut sie nun mit einer liebevollen Erinnerung zurück und sucht sie, wenigstens in ihren Elementen, hochzuhalten.

Wenn die Kluft zwischen dem aktuellen Leben und dem Temperament des Denkers eine zu große ist, zieht sich schließlich das Mental irgendwie vom Leben zurück, um in größerer Freiheit in seiner eigenen Sphäre wirken zu können. Dann lebt der Dichter inmitten seiner brillanten Schauungen; der Künstler geht völlig in seiner Kunst auf; der Philosoph denkt einsam in seinem Studierzimmer die Probleme des Intellekts durch; die Wissenschaftler und Gelehrten kümmern sich nur um ihre Studien und Experimente. In früheren Zeiten waren das – und sind es vielfach heute noch – die Sannyasins des Intellekts. Von ihrem Werk, das sie für die Menschheit geleistet haben, legt deren ganze Vergangenheit Zeugnis ab.

Eine solche Zurückgezogenheit ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn sie für eine besondere Tätigkeit notwendig ist. Das Mental entdeckt seine Kraft und sein Wirken nur dann völlig, wenn es sich dem Leben aufprägt und in gleicher Weise dessen positive Möglichkeiten wie seine Widerstände als die Mittel zu einer größeren Selbstvervollkommnung annimmt. Die ethische Entwicklung des einzelnen Menschen wird stark geformt durch seinen Kampf gegen die Schwierigkeiten der materiellen Welt; hierfür haben sich die großen Schulen sittlicher Lebensführung gebildet. Die Kunst erlangt durch ihre Berührung mit den Tatsachen des Lebens ihre Vitalität. Das Denken gibt seinen Abstraktionen auf diese Weise eine sichere Begründung. Die Verallgemeinerungen des Philosophen verwenden die Wissenschaft und die Erfahrung als ihr sicheres Fundament.

Man kann allein um des eigenen individuellen Mentals willen eine solche enge Verbindung mit dem Leben eingehen und den Gestaltungen der materiellen Existenz der Menschheit oder der Förderung ihres Aufstiegs völlig gleichgültig gegenüberstehen. Diese Gleichgültigkeit sieht man am deutlichsten in der Lebensmethode der Epikuräer; sie fehlte aber auch bei den Stoikern nicht ganz. Selbst die Nächstenliebe tut die Werke des Mitleids öfter aus eigenem Interesse als für die Welt, der sie helfen will. Aber auch das ist nur eine beschränkte Erfüllung. Man erkennt das sich höher entwickelnde Mental dann in seinem edelsten Wesen, wenn es die ganze Menschheit auf seine eigene Stufe emporzuheben versucht: entweder dadurch, dass es die Saat des Abbildes seines eigenen Denkens und der eigenen Erfüllung ausstreut oder dass es versucht, das materielle Leben der Menschheit in neue religiöse, intellektuelle, soziale oder politische Formen umzugestalten, die besser das Ideal der Wahrheit, Schönheit, Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit darstellen sollen, von denen die eigene Seele des Menschen erleuchtet ist. Ein Rückschlag auf solch einem Gebiet ist von geringer Bedeutung. Der reine Versuch als solcher ist schon dynamisch und schöpferisch. Das Ringen des Mentals, das Leben auf eine höhere Stufe emporzuheben, ist die Verheißung und Vorbedingung dafür, dass das Leben von jener Macht erobert wird, die höher ist selbst als das Mental.

Jene allerhöchste Stufe, das spirituelle Dasein, befasst sich mit dem Ewigen, das deshalb doch nicht so völlig über das Vergängliche erhaben zu sein braucht. Für den spirituellen Menschen wird der Traum des Mentals vom vollkommenen Schönen in einer ewigen Liebe, Schönheit und Seligkeit erfüllt, die von nichts abhängig ist und gleichmäßig hinter allen objektiven Erscheinungen wirkt. Sein Traum einer vollkommenen Wahrheit wird in der höchsten, aus dem Selbst existierenden und aus diesem sichtbar hervortretenden ewigen wahren Wirklichkeit realisiert, die sich nie verändert, sondern alle Verschiedenartigkeiten erklärt, ihr Geheimnis ist und das Ziel jeglichen Fortschritts bildet. Sein Traum eines vollkommenen Handelns wird zur Wirklichkeit in dem allmächtigen, vom Selbst gelenkten Gesetz, das allen Erscheinungen ewig eingeboren ist und sich hier in den Rhythmus der Welten überträgt. Alles, was in unserem „brillanten Selbst“ nur eine flüchtige Vision oder ein dauerndes schöpferisches Ringen ist, wird in jenem Selbst, das den Herrn erkennt und Er Selbst ist, zu einer ewig existierenden Wirklichkeit (Mandukya Upanishad, 5, 6: „Der Geeinte, auf den das bewusste Denken konzentriert ist, der die All-Seligkeit ist und sich ihrer erfreut, der Weise … Er ist der Herr über alles, der Allwissende, der innere Lenker.“).

Ist es aber oft schon für das mentale Leben schwierig, sich an die dumpf widerstrebende materielle Aktivität anzupassen, wie viel schwerer muss es dann dem spirituellen Dasein erscheinen, immer in einer Welt zu leben, die erfüllt zu sein scheint: nicht von Wahrheit sondern von Lüge und Illusion, nicht von Liebe und Schönheit sondern von alles durchdringendem Missklang und Hässlichem nicht Gesetz der Wahrheit sondern von dieses unterdrückender Selbstsucht und Sünde? Darum strebt das spirituelle Leben im Heiligen und im Sannyasin so leicht danach, sich aus dem materiellen Dasein zurückzuziehen und dieses entweder völlig zurückzuweisen oder im Geist zu verneinen. Es sieht in dieser Welt das Reich des Bösen oder einer Unwissenheit. Das Ewige und Göttliche schaut es entweder in einem weit entlegenen Himmel oder jenseits von Welt und Leben. Darum sondert es sich von dieser Unreinheit ab. Es sichert sich die spirituelle Wirklichkeit in einer fleckenlosen Selbst-Isolierung. Dennoch leistet diese Abgeschiedenheit dem materiellen Leben einen unschätzbaren Dienst, weil sie es dazu zwingt, etwas anzuerkennen und sich sogar davor zu beugen, was die direkte Verneinung seiner eigenen armseligen Ideale, seiner niedrigen Sorgen und egoistischen Selbstzufriedenheit ist.

Das Wirken einer solchen höchsten Macht in der Welt, wie es die spirituelle Kraft ist, darf aber nicht auf eine solche Weise eingeschränkt werden. Auch das spirituelle Leben kann sich dem materiellen zuwenden und es als Mittel zu seiner eigenen größeren Erfüllung gebrauchen. Es kann den Zwang zurückweisen, durch die Gegensätzlichkeiten und den äußeren Schein der Dinge blind gemacht zu werden. Vielmehr kann es in allen Erscheinungen überhaupt die Schau desselben Herrn, derselben ewigen Wahrheit, Schönheit, Liebe und Seligkeit suchen. Der Schlüssel zu diesem reicheren, allumfassenden Yoga ist die vedantische Formel: „Das Selbst ist in allen Dingen, alle Dinge sind in dem Selbst, und alle Dinge sind die Werdeformen des Selbst.“

Wie das mentale so könnte aber auch das spirituelle Leben versuchen, dieses äußere Dasein allein zum Nutzen des Individuums zu verwenden, und dabei völlig gleichgültig jede kollektive Höherentfaltung der nur als symbolisch verstandenen Welt, die es doch gebraucht, ablehnen. Es könnte sich damit rechtfertigen, der Ewige sei stets in allen Dingen derselbe, und dem Ewigen seien alle Dinge gleich bedeutungsvoll. Darum sei die exakte Art des Handelns und dessen Ergebnis völlig unwichtig gegenüber dem, dass man in sich selbst die einzige große Realisation ausarbeitet. Eine solche spirituelle Gleichgültigkeit akzeptiert dann jegliche Art Umgebung und jegliches Handeln völlig unparteiisch und leidenschaftslos. Sie ist bereit, sich sofort zurückzuziehen, sobald ihr eigenes höchstes Ziel verwirklicht ist. In diesem Sinne verstehen viele das Ideal der Gita. Oder es mag sich die innere Liebe und Seligkeit wohl in guten Taten, im Dienen und Mitleiden in die Welt ergießen und die innere Wahrheit sich dadurch ausdrücken, dass man das Wissen von ihr vermittelt. In keinem Falle macht man dabei aber den Versuch, diese Welt umzuwandeln, da sie ja ihrer Natur nach unveränderlich sei und darum ein Kampffeld zwischen den Gegensatzpaaren bleiben müsse: zwischen Sünde und Tugend, Wahrheit und Irrtum, Freude und Leid.

Wenn aber der Fortschritt einer der Hauptbegriffe des Weltdaseins und wenn es der wahre Sinn der Natur ist, dass das Göttliche fortschreitend aus sich heraus in Erscheinung tritt, dann hat eine solche Beschränkung keine Gültigkeit mehr. Das spirituelle Leben in der Welt kann das materielle in sein eigenes Ebenbild, in das Ebenbild des Göttlichen umwandeln, und das ist seine wirkliche Sendung. Darum haben wir neben den großen Einsiedlern, die nach der eigenen Selbst-Befreiung gesucht und sie erlangt haben, die großen spirituellen Lehrer, die auch andere befreiten. Erhaben über diesen allen stehen die großen dynamischen Seelen, die sich in der Macht des Geistes stärker wussten als alle gegen sie vereinigten Kräfte des materiellen Lebens und sich darum der Welt entgegenwarfen, mit ihr in einem liebenden Ringen kämpften und sie zu zwingen suchten, ihrer eigenen Umgestaltung zuzustimmen. Gewöhnlich konzentriert sich dieses Bemühen auf eine mentale und moralische Umwandlung in der Menschheit. Es mag sich aber darüber hinaus auch auf die Veränderung der Formen unseres Lebens und seiner Institutionen erstrecken, damit auch sie ein besseres Gefäß für das Einströmen des Geistes werden. Diese Versuche sind die erhabenen Marksteine bei der fortschreitenden Entfaltung der menschlichen Ideale und die göttliche Zubereitung der Menschheit gewesen. Jeder dieser spirituellen Führer hat – einerlei, was er äußerlich erreichte – die Erde aufnahmefähiger für den Himmel zurückgelassen und auf diese Weise den evolutionären Yoga der Natur in seinen langsam zögernden Bewegungen beschleunigt.

In Indien haben während der letzten tausend Jahre und länger das spirituelle und das materielle Leben Seite an Seite miteinander gewirkt und das progressive Mental ausgeschaltet. Die Spiritualität hat ihrerseits mit der Materie einen Pakt geschlossen, demzufolge sie auf den Versuch zu einem allgemeinen Fortschritt verzichtete. Sie hat sich von der Gesellschaft das Recht zu einer freien spirituellen Entwicklung für alle geben lassen, die irgendein sie besonders auszeichnendes Symbol, etwa das Gewand des Sannyasin, annehmen wollten. Dadurch wurde von der Gesellschaft anerkannt, dass ein solches Leben ein Ziel für den Menschen sein könne und dass die danach Lebenden einer absoluten Verehrung würdig seien. Der Gesellschaft wurde ein religiöses Gepräge dadurch gegeben, dass selbst ihre allergewöhnlichsten Handlungen von einer formellen Erinnerung an die spirituelle Symbolbedeutung des Lebens und an seine letzte Bestimmung begleitet sein sollten. Andererseits wurde der Gesellschaft das Recht zur Trägheit und unbewegten Selbst-Konservierung zugestanden. Diese Konzession zerstörte viel von dem Wert jenes Paktes. Denn nachdem das religiöse Gepräge zur festen Form geworden war, zeigten die formellen Erinnerungen an den Geist immer mehr die Tendenz, zur Routine zu werden und ihre lebendige Bedeutung zu verlieren. Die ständigen Versuche, diese äußeren Formen durch neue Sekten und Religionen zu verändern, endeten nur in einer neuen Routine oder in einer Variation der alten. Man hatte das rettende Element eines freien aktiven Mentals verbannt. So wurde das materielle Leben, das der Unwissenheit, Ziellosigkeit und den endlosen Gegensätzlichkeiten überantwortet war, zu einem bleischweren, leidvollen Joch, von dem man sich nur noch durch die Flucht aus der Welt befreien konnte.

Die indischen Yoga-Schulen gingen selbst diesen Kompromiss ein. Individuelle Vervollkommnung oder Befreiung wurde zum Ziel, eine gewisse Absonderung von den gewöhnlichen Betätigungen zur Bedingung und Entsagung zur höchsten Vollkommenheit erhoben. Der Lehrer teilte sein Wissen nur einem kleinen Kreis seiner Schüler mit. Selbst dann, wenn man eine umfassendere Bewegung anstrebte, blieb doch die Erlösung der individuellen Seele das Ziel. Dieser Pakt mit der stagnierenden Gesellschaft wurde meistens gewahrt.

Man kann nicht bezweifeln, dass dieser Kompromiss im damaligen Zustand der Welt, wie er tatsächlich war, von Nutzen gewesen ist. Er bewahrte für Indien eine Gesellschaft, die sich für die Erhaltung und Verehrung der Spiritualität einsetzte, und machte aus ihm ein abgesondertes Land, in dem sich, wie in einer Festung, das höchste spirituelle Ideal in seiner absolutesten Reinheit erhalten konnte, ohne von dem Ansturm der Kräfte ringsum überwältigt zu werden. Das war aber ein Kompromiss und kein absoluter Sieg. Das materielle Leben verlor den göttlichen Impuls zu weiterem Wachsen; das Spirituelle bewahrte sich durch seine Abgeschlossenheit zwar seine Höhe und Reinheit, es opferte aber seine volle Macht und Brauchbarkeit zum Dienst an der Welt. Darum wurde durch die göttliche Vorsehung dieses Land der Yogins und Sannyasins zu einem unausweichlichen, zwingenden Kontakt gerade mit dem Element gezwungen, das es zurückgewiesen hatte, mit dem Element des fortschrittlichen Mentals, damit Indien das neu erlangen konnte, was ihm jetzt fehlte.

Wir müssen uns hier wieder einmal deutlich machen, dass das Individuum nicht für sich allein existiert, sondern dass es im Kollektiv lebt und dass die individuelle Vervollkommnung und Befreiung nicht der ganze Sinn der Absicht Gottes mit der Welt ist. Die uneingeschränkte Verfügung über unsere eigene Freiheit umfasst auch die Befreiung der anderen Menschen und der Menschheit. Unsere eigene Vollkommenheit hat nur dann einen vollkommenen Wert und Nutzen, wenn wir das in uns selbst realisierte göttliche Sinnbild auch in den anderen hervorbringen, vermehren und schließlich universal machen.

Darum gelangen wir bei unserer konkreten Betrachtung des menschlichen Lebens in seinen dreifach möglichen Verwirklichungen zum selben Schluss den wir aus einer Beobachtung der Natur in ihren allgemeinen Wirkensweisen und in den drei Stufen ihrer Evolution gezogen hatten. Dadurch erkennen wir nun immer besser ein vollständiges Ziel für unsere Synthese des Yoga.

Der Geist ist die Krönung des universalen Daseins; die Materie ist sein Fundament; das Mental ist das Verbindungsglied zwischen beiden. Der Geist ist das Ewige; das Mental und die Materie sind seine Auswirkungen. Der Geist ist das Verborgene, das geoffenbart werden muss das Mental und der Körper sind die Mittel, durch die er sich zu offenbaren sucht. Der Geist ist das Ebenbild des Herrn des Yoga; das Mental und der Körper sind die Mittel, die Er dazu bestimmt hat, dieses Ebenbild im sichtbaren Dasein hervorzubringen. Die ganze Natur ist ein Versuch, die verborgene Wahrheit in einer fortschreitenden Entwicklung zu offenbaren und das göttliche Ebenbild immer vollkommener nachzugestalten.

Was die Natur jedoch in einer langsamen Evolution für die Masse anstrebt, bewirkt der Yoga für den einzelnen Menschen durch eine rasche Revolution. Er wirkt durch eine Beschleunigung all ihrer Energien und durch eine Verfeinerung all ihrer Eigenschaften. Während sie das spirituelle Leben nur unter Schwierigkeiten zur Entfaltung bringen kann und ständig um ihrer niederen Realisationen willen wieder aus ihm zurückfallen muss kann die sublimierte Kraft und konzentrierte Methode des Yoga direkt zum Ziel gelangen und dabei die Vollkommenheit des Mentals, ja selbst – wenn sie es will – die Vervollkommnung des Körpers zustande bringen. Die Natur sucht das Göttliche in ihren eigenen Symbolen: Der Yoga geht über die Natur hinaus hin zum Herrn der Natur und über das Universum hinaus zum Transzendenten. So kann der Yoga mit dem transzendenten Licht, der transzendenten Macht und mit der Ermächtigung des Allmächtigen in die Welt zurückkehren.

Beider Ziel ist aber am Ende doch ein und dasselbe. Der letzte Sieg der Natur über ihre eigenen Verzögerungen und verheimlichten Wege muss darin bestehen, dass sich der Yoga in der Menschheit allgemein durchsetzt. So wie die Natur jetzt durch das progressive Mental in der Naturwissenschaft versucht, die ganze Menschheit zur vollen Entwicklung des mentalen Lebens geeignet zu machen, so muss sie auch durch den Yoga unaufhaltsam versuchen, die ganze Menschheit für die höhere Evolution, für die zweite Geburt, für die spirituelle Existenz zuzubereiten. Ebenso wie das mentale Leben das materielle verwendet und vervollkommnet, so wird auch das spirituelle Leben die materielle und die mentale Existenz als die Instrumente für einen göttlichen Selbst-Ausdruck verwenden und vervollkommnen. Die kommenden Zeitalter, wenn das vollendet sein wird, heißen in der Legende das Wahrheits-Zeitalter, Satya Yuga, oder das Zeitalter völliger Verwirklichung, Krita Yuga, die Zeitalter jener Wahrheit, die im Symbol geoffenbart worden war, und des vollbrachten großen Werkes, wenn die Natur im Menschen erleuchtet, im Frieden mit sich selbst ist und selig das höchste Ziel ihres Ringens erreicht hat.

Es ist dem Menschen bestimmt, Sinn und Bedeutung der göttlichen Natur, der universalen Mutter zu erkennen, damit er sie nicht länger missversteht verächtlich behandelt und missbraucht. Darum muss er immer ihre mächtigsten Mittel anzuwenden bestrebt sein, um ihr höchstes Ideal zu verwirklichen.