Kapitel 4

Die Systeme des Yoga

In den fundamentalen Prinzipien und Methoden der verschiedenen Yoga-Schulen werden wir die Beziehungen zwischen den verschiedenen psychologischen Teilbereichen des menschlichen Wesens und den unterschiedlichen Verwendungszwecken und Zielen der auf sie gegründeten Disziplin wiederfinden, die wir in unserem kurzen Überblick über die natürliche Evolution gesehen haben. Wenn wir ihre zentralen Praktiken und vorherrschenden Ziele miteinander zu kombinieren und zu harmonisieren suchen, entdecken wir, dass die von der Natur dargebotene Basis immer noch unsere natürliche Grundlage und die Grundbedingung für ihre Synthese ist.

In einer Beziehung geht der Yoga über das normale Verfahren der kosmischen Natur hinaus und erhebt sich in Bereiche jenseits von ihr. Das Ziel der Universalen Mutter ist es, in dem Spiel ihrer eigenen Kräfte und Schöpfungen das Göttliche zu umfangen und es hier zu realisieren. In den äußersten Höhenflügen des Yoga gelangt sie aber über sich selbst hinaus und realisiert das Göttliche Wesen in Ihm selbst, höher als das Universum und sogar außerhalb des kosmischen Spieles. Darum nehmen manche an, das sei nicht nur der höchste, sondern auch der einzig wahre oder ausschließlich zu bevorzugende Zweck des Yoga.

Die Natur kommt jedoch über ihre eigene Evolution immer nur durch das hinaus, was sie schon vorher innerhalb ihrer eigenen Evolution geformt hatte. So erlangt das individuelle Herz dadurch die transzendente Seligkeit oder das unaussprechliche Nirvana, dass es seine höchsten und reinsten Gefühle sublimiert. Das individuelle Mental weiß um sein Einssein mit dem Unausdrückbaren und verschmilzt seine abgesonderte Existenz in jene transzendente Einheit, indem es seine gewöhnlichen Funktionsweisen in ein Wissen umwandelt, das jenseits des mentalen Wesens liegt. Immer gelangt dabei das Individuum, das Selbst, das in seiner Erfahrung durch die Natur bedingt ist und durch ihre Gestaltungen wirkt, hin zu jenem Selbst, das keinen Bedingungen unterworfen, sondern frei und transzendent ist.

In der Praxis sind drei Grundgegebenheiten nötig, bevor ein Yoga überhaupt möglich ist. Es müssen sozusagen drei Parteien für dieses Bemühen in Übereinstimmung miteinander gelangen: Gott, die Natur und die menschliche Seele, oder, abstrakt gesprochen: das Transzendente, das Universale und das Individuelle. Wenn das Individuum und die Natur sich selbst überlassen bleiben, ist das eine an die andere gebunden, und das Individuum kann nicht irgendwie merkbar über den dahinschleichenden Gang der Natur hinauskommen. Etwas Transzendentes ist nötig, das frei von der Natur und größer ist als sie, damit es auf uns und auf sie einwirkt, uns nach oben zu sich selbst hinzieht und von ihr, freiwillig oder erzwungen, die Zustimmung dazu erlangt, dass das Individuum höher emporkommen darf.

Diese Wahrheit erfordert in jeder Yoga-Philosophie den Begriff des Ishwara, des Herrn, der höchsten Seele oder des höchsten Selbst, auf das hin das Bemühen gerichtet ist, das erleuchtend einwirkt und die Stärke verleiht, das Ziel zu erlangen. In gleicher Weise ist aber auch die so oft vom Yoga der Herzenshingabe, bhakti, hervorgehobene ergänzende Idee wahr, dass ebenso, wie das Transzendente für das Individuum notwendig ist und von diesem gesucht wird, in gewissem Sinne das Transzendente das Individuum braucht und dieses sucht. So wie der Bhakta, der Gottergebene und Gottliebende, den Bhagavan, den Herrn der Liebe und der Seligkeit, sucht und ersehnt, so sucht der Bhagavan den Bhakta und verlangt nach ihm. (Der dritte Begriff in dieser Trinität ist Bhagavat, die göttliche Offenbarung der Liebe.) Es kann auch keinen Yoga des Wissens ohne einen menschlichen Sucher nach dem Wissen geben, ohne einen höchsten subjektiven Herrn des Wissens und ohne die göttliche Verwendung der universalen Kräfte und Fähigkeiten des Wissens durch das Individuum. Ein Yoga der Herzenshingabe ist unmöglich ohne den menschlichen Gottliebenden, ohne den höchsten objektiven Inbegriff der Liebe und Seligkeit und ohne dass der Einzelne die universalen Fähigkeiten zur spirituellen, emotionalen und ästhetischen Freude in göttlicher Weise anwendet. Auch ein Yoga des Wirkens ist undenkbar ohne einen menschlichen Wirkenden, ohne den höchsten Willen, den Meister aller Werke und der Opfer und ohne den göttlichen Gebrauch der universalen Befähigungen zur Macht und zum Handeln durch das Individuum. Wie monistisch auch unser intellektueller Begriff der höchsten Wahrheit der Dinge sein mag, in der Praxis sind wir doch gezwungen, diese allgegenwärtige Trinität anzuerkennen.

Der Kontakt des menschlichen individuellen Bewusstseins mit dem göttlichen Bewusstsein ist der wesenhafte Inbegriff des Yoga. Yoga ist das Einswerden dessen, was sich in dem Kräftespiel des Universums abgesondert hatte, mit seinem eigenen wahren Selbst, Ursprung und universalen Sein. Dieser Kontakt kann an jedem Punkt des komplexen, verschlungen organisierten Bewusstseins stattfinden, das wir unsere Personalität nennen. Er kann im Physischen durch den Körper bewirkt werden. Er kann auch im Vital durch das Wirken jener Funktionsweisen stattfinden, die den Zustand und die Erfahrungen unseres nervlichen Wesens bestimmen. Er kann durch das mentale Wesen geschehen, entweder mittels des emotionalen Herzens, des aktiven Willens, des verstehenden Mentals oder, noch umfassender, durch eine allgemeine Umwandlung des mentalen Bewusstseins in allen seinen aktiven Äußerungen. Ebenso mag dieser Kontakt dadurch erlangt werden, dass man direkt durch die Umwandlung des zentralen Egos im Mental zu der universalen oder transzendenten Wahrheit und Seligkeit erwacht. Dem Punkt des Kontakts, den wir wählen, wird auch der Typus des Yoga entsprechen, den wir praktizieren.

Wenn wir nun bei den hauptsächlichen Yoga-Schulen, die heute noch in Indien vorherrschen, die Vielfalt ihrer besonderen Methoden beiseite lassen und unser Augenmerk allein auf ihr zentrales Prinzip richten, finden wir, dass sie sich in einer aufsteigenden Ordnung aufbauen, die von der untersten Sprosse der Leiter, vom Körper, ausgeht und bis zum direkten Kontakt zwischen der individuellen Seele und dem transzendenten und universalen Selbst emporsteigt. Der Hatha-Yoga wählt den Körper und die vitalen Funktionen als seine Instrumente zur Vervollkommnung und Realisation. Sein Hauptinteresse gilt dem grobstofflichen Körper. Der Raja-Yoga bevorzugt als seine Hebelmacht das mentale Wesen in seinen verschiedenen Teilen. Er konzentriert sich auf den subtilen Körper. Der Dreifache Pfad der Werke, der Liebe und des Wissens verwendet gewisse Seiten des mentalen Wesens, den Willen, das Herz und den Intellekt als Ausgangspunkte und sucht durch deren Umwandlung zur befreienden Wahrheit, Seligkeit und Unendlichkeit zu gelangen, in denen die Natur des spirituellen Lebens besteht. Seine Methode ist ein direkter Umgang zwischen dem menschlichen Purusha im individuellen Körper und dem göttlichen Purusha, der in jedem Körper wohnt und doch jede Form und jeden Namen transzendiert.

Das Ziel des Hatha-Yoga ist die volle Beherrschung des Lebens und des Körpers, also dessen Kombination der „Nahrungs-Hülle“ mit dem „vitalen Träger (Gefäß)“, die, wie wir gesehen haben, den grobstofflichen Körper ausmacht; ihr Gleichgewicht ist die Grundlage für alle Wirkensweisen der Natur im menschlichen Wesen. Das von der Natur hergestellte Gleichgewicht der Kräfte reicht wohl für das normale, vom Ego bestimmte Leben aus. Es genügt aber nicht für den Zweck des Hatha-Yogins. Es ist nämlich aufgrund der Menge vitaler oder dynamischer Kraft berechnet, die zum Antrieb der Körpermaschine während der normalen Spanne des menschlichen Lebens notwendig ist. Mit ihr sollen wir die verschiedenartigen Betätigungen mehr oder weniger zureichend durchführen, die das in dieser Menschengestalt wohnende individuelle Leben und die äußerlich bestimmende Umwelt von ihr fordern. Darum sucht der Hatha-Yoga die Natur zu berichtigen und ein anderes Gleichgewicht der Kräfte herzustellen, durch das der physische Körper das starke Einströmen einer immer stärker werdenden vitalen oder dynamischen Kraft, des Prana, aushalten kann, das in seiner Menge und Intensität fast unbegrenzt und unendlich ist. In der Natur ist die Basis des Gleichgewichts die Individualisierung einer begrenzten Menge und Kraft des Prana. Mehr als diese kann der individuelle Mensch aufgrund seiner persönlichen oder ererbten Gewöhnung nicht ertragen, verwenden oder beherrschen. Im Hatha-Yoga wird vom gegenwärtigen Gleichgewicht her ein Tor zur Universalisierung der individuellen Vitalität dadurch geöffnet, dass er eine viel weniger im voraus bestimmte und begrenzte universale Energie in den Körper zu dessen Verfügung und Beherrschung einwirken lässt.

Die beiden Haupt-Disziplinen des Hatha-Yoga sind Asana und Pranayama. Durch seine zahlreichen Asana, die vorgeschriebenen Körperhaltungen, heilt er zunächst den Körper von jener Ruhelosigkeit, die ein Zeichen für seine Unfähigkeit ist, die vitalen Kräfte, die aus dem universalen Lebens-Ozean in ihn einströmen, in sich festzuhalten, ohne sie gleich in Aktion und Bewegung zu verarbeiten. Dadurch gibt der Hatha-Yoga dem Körper eine außerordentliche Gesundheit, Kraft und elastische Feinheit. Er will ihn von jenen Gewohnheiten befreien, durch die er der gewöhnlichen physischen Natur unterworfen ist und in den engen Grenzen ihrer normalen Abläufe festgehalten wird. In der alten Tradition hat man immer vom Hatha-Yoga angenommen, er könne so weit getrieben werden, dass er großenteils sogar die Schwerkraft überwindet. Durch verschiedene genau ausgearbeitete Hilfsprozesse strebt der Hatha-Yogin zunächst danach, den Körper von jeglicher Unreinheit zu befreien und das Nervensystem für jene Atemübungen unbelastet zu halten, die seine allerwichtigsten Hilfsmittel sind. Man nennt sie Pranayama, die Beherrschung des Atems oder der Vitalkraft. Das Atmen ist das hauptsächliche physische Funktionsmittel der vitalen Kräfte. Der Hatha-Yogin verwendet das Pranayama zu einem doppelten Zweck. Zunächst hilft es weiter zur Vervollkommnung des Körpers. Die Vitalität wird von manchen der gewöhnlichen Bedürfnisse der physischen Natur befreit. Man erlangt eine robuste Gesundheit, erhält sich die Jugendkraft länger und gewinnt oft auch eine außergewöhnliche Lebensdauer. Außerdem erweckt das Pranayama die „zusammengerollte Schlange“ der Prana-Dynamik im vitalen System und eröffnet dem Yogin Ebenen des Bewusstseins Bereiche der Erfahrung und abnorme Befähigungen, die dem gewöhnlichen Menschenleben versagt bleiben. Zugleich intensiviert der Hatha-Yoga die normalen Kräfte, die der Yogin bereits besitzt. Solche Errungenschaften kann er sich durch weitere Hilfsprozesse, die ihm offenstehen, darüber hinaus sichern und verstärken.

Die Erfolge des Hatha-Yoga sind also augenfällig und machen auf das gewöhnliche physische Mental der Menschen leicht einen tiefen Eindruck. Wir müssen uns aber schließlich doch fragen, was wir am Ende all dieser ungeheuren Mühe gewonnen haben. Das Ziel der physischen Natur ist in einem abnormen Ausmaß erreicht worden: die Erhaltung des rein physischen Lebens, seine höchste Vervollkommnung, in gewissem Sinne sogar die Befähigung, sich des körperlichen Lebensgenusses noch mehr zu erfreuen. Die Schwäche des Hatha-Yoga liegt jedoch darin, dass seine mühsamen und schwierigen Prozesse an die Zeit und Energie eine so große Anforderung stellen und eine so völlige Loslösung aus dem gewöhnlichen Leben der Menschen verlangen, dass die Verwendbarkeit seiner Resultate für das Leben der Welt entweder praktisch gar nicht infrage kommt oder in einem außerordentlichen Maße eingeschränkt ist. Wenn wir zum Ausgleich für diesen Verlust ein Leben in einer anderen, in der inneren mentalen dynamischen Welt gewinnen wollen, könnten wir solche Resultate durch andere Systeme, durch den Raja-Yoga oder den Tantra-Yoga mit viel weniger anstrengenden Methoden erlangen und unter weniger mühevollen Bedingungen festhalten. Auch sind die körperlichen Erfolge: die vermehrte Vitalität, die länger erhaltene Jugendkraft, die Gesundheit und die Ausdehnung unserer Lebensdauer für uns von geringem Nutzen, wenn wir sie wie Geizhälse nur für uns selbst, abseits vom gemeinschaftlichen Leben und um ihrer selbst willen festhalten müssen und nicht der Summe der gemeinsamen Aktivitäten in der Welt hinzufügen können. Der Hatha-Yoga gewinnt bedeutende Resultate für einen unverhältnismäßig hohen Preis und zu einem sehr geringen Zweck.

Der Raja-Yoga fliegt zu einem höheren Ziel. Er strebt nach der Befreiung und Vervollkommnung nicht nur des körperlichen sondern auch des mentalen Wesens, nach der Beherrschung des emotionalen und des sinnlichen Lebens und nach der Meisterschaft über den ganzen Apparat des Denkens und des Bewusstseins. Er richtet sein Augenmerk auf das citta, auf jenen Stoff des mentalen Bewusstseins in dem alle diese Wirkensweisen ihren Ursprung haben. Ebenso, wie es der Hatha-Yoga mit seinem physischen Material tut, sucht er das citta zunächst zu läutern und zu beruhigen. Der normale Zustand des Menschen ist der einer Verwirrung und Unordnung; es ist ein Reich, das entweder im Krieg mit sich selbst liegt oder schlecht regiert wird. Der Herr, der Purusha, ist hier seinen Ministern, seinen Befähigungen und selbst seinen Untertanen, den Instrumenten der Sinnesempfindungen, der Gefühle, des Handelns und des Genießens hörig. Darum muss zuerst das Svarajya, die Herrschaft des Selbst, diese Abhängigkeit ersetzen. Der Raja-Yoga muss zuerst den Mächten der Ordnung helfen, die Gewalten der Unordnung zu überwinden. Am Anfang des Raja-Yoga steht eine sorgfältige Selbst-Disziplin, mit der die ordnungswidrigen Abläufe, in denen sich das niedere nervliche Wesen gefällt, durch gute Gewohnheiten des Mentals ersetzt werden. Durch die praktische Übung in der Wahrhaftigkeit, die Absage an alle Formen egoistischen Strebens, durch Verzicht darauf, anderen ein Leid zuzufügen, durch ein reines Leben, durch ständige Meditation und die Hinwendung zum göttlichen Purusha, dem wahren Herrn des mentalen Reiches, wird ein reiner, froher und lichter Zustand des Mentals und des Herzens hergestellt.

Das ist nur der erste Schritt. Danach müssen die gewöhnlichen Funktionsweisen des Mentals und der Sinne völlig zur Ruhe gebracht werden, damit die Seele frei werden kann, sich in die höheren Bewusstseinszustände zu erheben und in ihnen die Grundlage für eine völlige Unabhängigkeit und Meisterschaft aus dem Selbst zu erlangen. Der Raja-Yoga vergisst auch nicht, dass die Behinderungen des gewöhnlichen Mentals in großem Maße davon herrühren, dass es den Reaktionen des Nervensystems und des Körpers unterworfen ist. Darum übernimmt er vom Hatha-Yoga dessen Methode von Asana und Pranayama, beschränkt jedoch deren vielfältige und komplizierte Formen auf einen einzigen, einfach und unmittelbar wirksamen Prozess der für sein eigenes Ziel ausreicht. So vermeidet er die Schwerfälligkeit des Hatha-Yoga und verwendet doch dessen rasche, erfolgreiche Methoden zur Beherrschung des Körpers und der vitalen Funktionen. Er erweckt damit jene inneren dynamischen Kräfte, die reich sind an jener verborgenen übernormalen Befähigung, die mit dem Yoga-Begriff der Kundalini versinnbildlicht wird, jener zusammengerollt schlafenden Schlange der Energie in unserem Inneren. Danach geht der Raja-Yoga dazu über, das ruhelose Mental stillzulegen und durch Konzentration der mentalen Kraft in Stufen, die bis zum Samadhi führen, auf eine höhere Ebene emporzuheben.

Durch Samadhi erlangt das Mental die Befähigung, sich aus den begrenzten Wirkensweisen seines Wachzustandes in freiere und höhere Zustände des Bewusstseins zurückzuziehen. Dadurch erfüllt der Raja-Yoga einen doppelten Zweck. Er erzielt ein geläutertes mentales Wirken, das von den Verwirrungen des äußeren Bewusstseins befreit ist. Von da geht er zu den höheren supramentalen Ebenen über, auf denen die individuelle Seele in ihre wahre spirituelle Existenz eingeht. Er erlangt aber auch die Befähigung, das Bewusstsein mit jener freien, konzentrierten Kraft auf seinen Gegenstand einwirken zu lassen, von der unsere Philosophie des Integralen Yoga versichert, sie sei die ursprüngliche kosmische Energie und die Methode der göttlichen Einwirkung auf die Welt. Der Yogin, der schon im Zustand der Trance im Besitz des höchsten suprakosmischen Wissens und der Erfahrung ist, kann nun im Wachzustand unmittelbar jedes Wissen erwerben und jede Meisterschaft ausüben, die ihm für sein Handeln in der objektiven Weit nützlich oder notwendig erscheinen. Das alte System des Raja-Yoga erstrebte nicht nur das Svaraiya, die Herrschaft aus dem Selbst oder die subjektive Macht und völlige Beherrschung aller Zustände und Betätigungen, die dem eigenen Bereich angehören, durch das subjektive Bewusstsein. Vielmehr umfasste er auch das Samrajya, die Herrschaft über die Außenwelt, also die Macht des subjektiven Bewusstseins über sein Wirken nach außen und über die Umwelt.

Wir sehen also, dass in gleicher Weise, wie der Hatha-Yoga in seinem Umgang mit dem Leben und Körper die supranormale Vervollkommnung des physischen Lebens und seiner Befähigungen erstrebt und darüber hinaus in den Bezirk des mentalen Lebens eindringt, der Raja-Yoga die Kräfte des Mentals verwendet, auf eine supranormale Vervollkommnung und Ausweitung der Befähigungen des mentalen Lebens abzielt und darüber hinaus weiter in den Bereich der spirituellen Existenz vorstößt. Die Schwäche dieses Systems liegt darin, dass es sich in übergroßem Maße auf die abnormen Zustände der Trance verlässt. Diese Einschränkung führt zuerst zu einer gewissen Zurückhaltung dem physischen Leben gegenüber, das unser Fundament und die Sphäre ist, in die wir unsere mentalen und spirituellen Gewinne herniederbringen sollen. Besonders das spirituelle Leben wird in diesem System zu sehr mit dem Zustand des Samadhi verknüpft. Dagegen ist es unser Ziel, das spirituelle Leben und seine Erfahrungen im Wachzustand und sogar im normalen Gebrauch unserer Funktionen völlig aktiv und verwendbar zu machen. Im Raja-Yoga tendiert es dazu, sich auf eine Ebene zweiten Ranges in den Hintergrund unserer normalen Erfahrungen zurückzuziehen, statt herniederzukommen und unsere ganze Existenz in Besitz zu nehmen.

Der Dreifache Pfad der Herzenshingabe, des Wissens und der Werke (Bhakti-Yoga, Jnana-Yoga und Karma-Yoga) führt in jenes Gebiet, das der Raja-Yoga nicht einnimmt. Er unterscheidet sich vom Raja-Yoga darin, dass er sich nicht mit dem komplizierten Training des gesamten mentalen Systems als der Voraussetzung für die Vollkommenheit befasst sondern nur gewisse zentrale Prinzipien, den Intellekt, das Herz und den Willen herausgreift und ihr normales Funktionieren dadurch umzuwandeln versucht, dass er sie von ihren üblichen nach außen gerichteten Interessen und Betätigungen abkehrt und auf das Göttliche konzentriert. Der Dreifache Pfad unterscheidet sich also darin vom Hatha-Yoga, dass er der Vervollkommnung des Mentals und des Körpers gleichgültig gegenübersteht und nur nach deren Läuterung als einer Voraussetzung für die göttliche Verwirklichung strebt. Ein zweiter Mangel liegt darin, dass er so, wie er tatsächlich praktiziert wird, nur einen einzelnen der drei parallelen Pfade wählt und ihn den anderen geradezu entgegenstellt, statt dass er eine synthetische Harmonie zwischen dem Intellekt, dem Herzen und dem Willen in einer integralen göttlichen Realisation bewirkt.

Der Pfad des Wissens (Jnana-Yoga) strebt nach der Realisation des einzigen und höchsten Selbst. Er geht von der Methode der intellektuellen Reflexion, vicara, hin zur richtigen Unterscheidung, viveka. Er beobachtet und unterscheidet die verschiedenen Elemente in unserem äußerlich erscheinenden Wesen, lehnt die Identifikation mit jedem von ihnen ab und gelangt dazu, sie auszuschließen und in einem gemeinsamen Begriff als die konstituierenden Elemente der Prakriti, der phänomenalen Natur, und als die Schöpfungen der Maya, des phänomenalen Bewusstseins auszusondern. So kann dieser Yoga des Wissens schließlich zu seiner richtigen Identifikation mit dem reinen, allein wirkenden Selbst kommen, das nicht veränderlich oder vergänglich ist und durch kein Phänomen und keine Kombination von Phänomenen bestimmt werden kann. Von diesem Punkt aus führt der Weg, wie er gewöhnlich begangen wird, dazu, dass man die phänomenalen Welten als eine Illusion aus dem Bewusstsein zurückweist und dass die individuelle Seele zuletzt ohne Wiederkehr in den Höchsten versinkt.

Aber ein solches, die phänomenale Wirklichkeit ausschließendes höchstes Ziel ist nicht das einzige, unvermeidliche Ergebnis des Pfades des Wissens. Wenn man nämlich die Methode des Wissens in einer umfassenderen Weise und mit einem weniger individuellen Ziel befolgt, kann sie dazu führen, dass man die kosmische Existenz ebenso aktiv für das Göttliche erobert, wie sie zu einer Transzendenz von ihr führt. Der Punkt, wo sich beide Wege innerhalb dieses Jnana-Yoga trennen, ist die Erkenntnis, dass das höchste Selbst nicht nur im eigenen, sondern in allen Wesen ist. Schließlich erkennt man, dass in Wirklichkeit gerade die phänomenalen Aspekte der Welt ein Kräftespiel des göttlichen Bewusstseins und nicht etwas seiner wahren Natur völlig Fremdes sind. Auf der Basis dieser Realisation ist eine noch höhere, umfassendere Erkenntnis möglich: alle Formen des Wissens, so weltlich sie auch sein mögen, können in Wirkensweisen des göttlichen Bewusstseins umgewandelt und dazu verwendet werden, dass man das einzige Ziel und den alleinigen Gegenstand des Wissens sowohl an sich als auch durch das Spiel seiner Formen und Symbole wahrnimmt. Eine solche Methode kann sehr wohl dazu führen, dass man den ganzen Bereich des menschlichen Intellekts und seine Wahrnehmung auf die göttliche Ebene emporhebt, ihn spiritualisiert und das kosmische Ringen der Menschheit um das Wissen dadurch rechtfertigt.

Der Bhakti-Yoga, der Pfad der Herzenshingabe, strebt danach, die höchste Liebe und Seligkeit zu erfahren. Er verwendet normalerweise den Begriff des höchsten Herrn in Seinem personalen Aspekt als des göttlichen Liebenden, der am Universum seine Freude hat. So wird die Welt als ein Spiel des Herrn im Kosmos wahrgenommen, dessen höchster Schauplatz unser menschliches Leben ist, das er durch die verschiedenen Phasen spielt, in denen er sich einmal verbirgt und dann wieder offenbart. Das Prinzip des Bhakti-Yoga will alle normalen Beziehungen des menschlichen Lebens verwenden, in denen sich das Gefühl ausdrückt. Er richtet das tiefe Empfinden aber nicht mehr nur auf die vorübergehenden weltlichen Beziehungen, sondern auf die Freude am All-Liebenden, All-Schönen und All-Beseligenden. Religiöse Verehrung und Meditation werden allein für die Vorbereitung dieser Beziehung zum Göttlichen und für die Erhöhung ihrer Intensität verwendet. In seiner Inanspruchnahme aller emotionalen Beziehungen ist dieser Yoga so allumfassend, dass sogar die Feindschaft und Opposition gegen Gott als eine intensive, ungeduldige und umgekehrte Form der Liebe aufgefasst wird und als ein Mittel gilt, möglicherweise zur Realisation Gottes und zur Erlösung zu gelangen. Aber auch dieser Pfad führt so, wie er gewöhnlich begangen wird, von der Welt-Existenz weg und dahin, dass der Liebende – wenngleich in anderer Weise als der Monist – im Transzendenten und Suprakosmischen aufgeht.

Jedoch kann auch hier ein den Kosmos so ganz ausschließendes Ergebnis des Bhakti-Yoga durchaus vermieden werden. Er selbst liefert dadurch ein wichtiges Korrektiv, dass er das Spiel der göttlichen Liebe nicht auf die Beziehung zwischen der höchsten Seele und dem Individuum einschränkt, sondern es auf ein gemeinschaftliches Fühlen und eine gemeinsame Gottesverehrung der Anhänger ausweitet, die durch die gleiche Realisation der höchsten Liebe und Seligkeit geeint sind. Er korrigiert seine Ausschließlichkeit in einer noch allgemeineren Weise dadurch, dass der göttliche Geliebte in allen Wesen, nicht nur in den Menschen, sondern auch im Tier, wahrgenommen wird; diese Realisation wird dann leicht auf alle Gestaltungen überhaupt ausgedehnt. Wir können verstehen, wie diese umfassendere Anwendung des Bhakti-Yoga dazu führen kann, dass der gesamte Bereich der menschlichen Gefühle, Empfindungen und ästhetischen Erfahrungen auf die göttliche Ebene emporgehoben, spiritualisiert und so die kosmische Arbeit zur Verwirklichung von Liebe und Freude in der Menschheit gerechtfertigt wird.

Der Karma-Yoga, der Pfad der Werke, will, dass jede menschliche Betätigung dem höchsten Willen geweiht wird. Er beginnt mit einer Absage an jede egoistische Zielsetzung für unser Wirken. Kein Werk soll aus einem egoistischen Interesse oder um eines weltlichen Resultats willen unternommen werden. Durch diese Entsagung reinigt der Karma-Yoga das Mental und den Willen so sehr, dass wir leicht der großen universalen Energie, die der wahre Täter all unseres Handelns ist, bewusst werden können und den Herrn dieser Energie als seinen Regenten und Lenker anerkennen. Das Individuum ist nur der Schauspieler, der die Rolle spielt, ein Instrument dieses Herrn oder – positiver ausgedrückt – bewusster Mittelpunkt seines Wirkens und seiner Beziehung zur Erscheinungswelt. Die Entscheidung und Lenkung des Handelns wird immer mehr und bewusst diesem höchsten Willen und dieser universalen Energie überlassen. Ihm werden unsere Werke ebenso wie die Ergebnisse unseres Wirkens letztlich überantwortet. Das Ziel besteht darin, dass die Seele von ihrer Gebundenheit an äußere Erscheinungen und an ihre Reaktion auf äußere Aktivitäten befreit wird. Der Karma-Yoga wird, ebenso wie die anderen Yoga-Pfade, zur Befreiung aus der weltlichen Existenz und zum Eingehen in den Höchsten verwendet. Aber auch hier braucht der Weg nicht in einem das Diesseits ausschließenden Ergebnis zu enden. Dieser Pfad kann ebenso gut dahin führen, dass man das Göttliche in allen Energien, in allen Ereignissen und Tätigkeiten wahrnimmt und dass die Seele in einer freien und unegoistischen Weise an der kosmischen Aktion teilnimmt. Wenn man diesen Pfad so geht, wird er auch allen menschlichen Willen und alles Wirken auf die göttliche Ebene emporheben, wo sie spiritualisiert werden und wo das kosmische Ringen um Freiheit, Macht und Vollkommenheit im menschlichen Wesen seine Rechtfertigung findet.

Wir erkennen auch hier, dass die drei Pfade, integral betrachtet, ein einziger Pfad sind. Normalerweise sollte die göttliche Liebe zur vollkommenen Erkenntnis des Geliebten durch inniges Einssein führen und so zum Pfad des Wissens werden. Ebenso sollte die Liebe zum göttlichen Dienst treiben und zu einem Weg der Werke werden. In gleicher Weise sollte auch ein vollkommenes Wissen die vollkommene Liebe und Freude erwecken, in der man die Werke des Göttlichen, das man erkennt, vollzieht. Werke, die dem Göttlichen geweiht sind, sollten in der völligen Liebe zum Meister des Opfers und in der tiefsten Erkenntnis Seiner Wege und Seines Wesens ihre Vollendung finden. Auf diesem Dreifachen Pfad gelangen wir am besten zum absoluten Wissen, zur Liebe und zum Dienst an dem Einen in allen Wesen und in aller Manifestation.