Kapitel 2

Was geschieht nach dem Tod?

Worte Sri Aurobindos

Jedes Mal, wenn die Seele in eine Geburt eintritt, wird ein Mental, Leben und Körper aus den Substanzen der universalen Natur geformt, die der vergangenen Evolution der Seele sowie ihrem Erfordernis für die Zukunft entsprechen.

Sobald der Körper sich auflöst, wandert das Vital zur vitalen Ebene, um dort eine Zeitlang zu bleiben, dann fällt die vitale Hülle ab. Schließlich zieht sich die Seele oder das seelische Wesen in die seelische Welt zurück, um dort zu ruhen, bis eine neue Geburt naht.

Das ist der allgemeine Verlauf für ein normal entwickeltes menschliches Wesen. Es gibt jedoch Abweichungen, die der individuellen Natur und ihrer Entwicklungsstufe entsprechen. So kann zum Beispiel das mentale Wesen, wenn das Mental stark entwickelt ist, bei der Seele bleiben und ebenso das Vital, vorausgesetzt sie sind um das wahre seelische Wesen geordnet und um dieses zentriert – sie teilen dann die Unsterblichkeit der Seele.

Die Seele sammelt die essentiellen Elemente ihrer Erfahrungen im Leben und macht sie zur Grundlage ihres Wachsens in der Evolution. Sobald sie in das Leben zurückkehrt, nimmt sie mit ihren mentalen, vitalen und physischen Hüllen so viel Karma auf, wie sie im neuen Leben zur weiteren Erfahrung braucht.

Es ist eigentlich der vitale Teil des Wesens, für den sraddha und Riten abgehalten werden, und dies geschieht, um dem Wesen zu helfen, sich von den vitalen Schwingungen zu befreien, die es noch an die Erde oder die vitalen Welten binden, so dass es rasch zu seiner Ruhe im seelischen Frieden gelangen kann.

Worte Sri Aurobindos

Nach dem Tode durchwandert man die vitale Welt und lebt dort eine gewisse Zeit. Nur der erste Teil dieses Durchgangs ist möglicherweise gefährlich oder schmerzhaft. Im übrigen Teil arbeitet man in einer bestimmten Umgebung die Reste vitaler Wünsche und Instinkte des Körpers aus. Sobald man ihrer überdrüssig und fähig ist weiterzugehen, wird die vitale Hülle abgestreift, und die Seele tritt nach einer bestimmten Zeit, die nötig ist, sich von einigen mentalen Überresten zu befreien, in einen Zustand der Ruhe in der seelischen Welt ein, wo sie bis zum nächsten Erdenleben bleibt.

Worte der Mutter

Wir haben in uns viele Seinszustände, und jeder Seinszustand hat sein Eigenleben. Dies alles ist in einem einzigen Körper vereinigt, solange man einen Körper hat und durch diesen einen Körper handelt. Dadurch bekommt man dann den Eindruck, das sei eine einzige Person, ein einziges Wesen. Doch sind es viele, und vor allem gibt es Konzentrationen auf verschiedenen Ebenen: Ebenso wie man ein physisches Wesen hat, hat man ein vitales Wesen, hat man ein mentales Wesen, hat man ein seelisches Wesen, hat man viele andere und alle möglichen Zwischenstufen. Doch ist das etwas kompliziert, du kannst es nicht verstehen. Angenommen, du lebst ein Leben voller Begierden, Leidenschaften und Trieben: Dann überwiegt in dir das vitale Wesen. Lebst du aber mit einer spirituellen Bemühung, mit einem starken guten Willen, mit dem Wunsch, Gutes in einer selbstlosen Weise zu tun, und einem Willen zum Fortschritt, dann überwiegt in dir das seelische Wesen. Wenn du nun deinen Körper verlässt, zerstreuen sich alle diese Wesen. Erst wenn man ein sehr fortgeschrittener Yogi und fähig ist, sein Wesen um das göttliche Zentrum zu vereinigen, bleiben diese Wesen miteinander verbunden. War man zu dieser Einung nicht imstande, wird das alles im Augenblick des Todes auseinandergehen: Jedes Wesen kehrt in seinen Bereich zurück. Was zum Beispiel das vitale Wesen betrifft, so werden sich deine verschiedenen Wünsche trennen, und jeder eilt seiner Verwirklichung zu, ganz unabhängig, denn kein physisches Wesen hält sie mehr zusammen. Hast du aber dein Bewusstsein mit dem seelischen Bewusstsein vereint, dann bleibst du dir deines seelisches Wesens bewusst, wenn du stirbst, und das seelische Wesen kehrt in die seelische Welt zurück, die eine Welt der Glückseligkeit, der Freude, des Friedens, der Ruhe und eines wachsenden Wissens ist. Wenn du das dann einen Himmel nennen willst, ist es sehr gut. Denn es ist tatsächlich so: Je stärker du dich mit deinem seelischen Wesen identifizierst, umso bewusster wird es dir und umso enger bist du mit ihm verbunden. Es ist unsterblich, und es geht in seinen Bereich der Unsterblichkeit, um sich an einem Leben oder einer Ruhe vollkommenen Glücks zu erfreuen. Wenn du das als Paradies bezeichnen möchtest, so tue dies. Bist du gut, bist du dir des seelischen Wesens bewusst geworden und lebst du in ihm, nun, dann wirst du, wenn dein Körper stirbt, mit deinem seelischen Wesen in der seelischen Welt im Zustand der Glückseligkeit ausruhen.

Hast du aber im Vital gelebt mit all seinen Trieben, wird jeder Trieb versuchen, sich hier oder dort zu verwirklichen… Der Geizige zum Beispiel, der nur an sein Geld dachte. Wenn er stirbt, setzt sich der Teil seines Vitals, der am Geld interessiert war, dort fest und bleibt dort, um über das Geld zu wachen, damit es keiner nimmt. Die Leute sehen ihn nicht, dennoch ist er da und sehr unglücklich, wenn seinem geliebten Geld etwas zustößt. Eine Dame, mit der ich sehr gut bekannt war, besaß ein gewisses Vermögen und hatte Kinder. Es waren fünf Kinder, eines verschwenderischer als das andere. So sehr sie darauf geachtet hatte, sich ein Vermögen zu schaffen, so sehr schienen sie für dessen Vergeudung zu sorgen. Sie warfen damit um sich. Und als nun diese arme alte Dame starb, suchte sie mich auf und sagte: „Ach, jetzt verschwenden sie mein ganzes Geld!“ Und sie war ganz unglücklich. Ich tröstete sie etwas, hatte aber große Mühe, sie davon abzubringen, ihr Geld zu bewachen, dass es nicht verschwendet würde.

Und wenn du nun ausschließlich in deinem physischen Bewusstsein lebst (das ist schwer, denn du hast ja Gedanken und Gefühle, wenn du jedoch ausschließlich im Physischen lebst), verschwindest du, sobald das Physische verschwindet, es ist aus… Es gibt einen Geist der Form, der noch sieben Tage nach dem Tod weiterbesteht. Die Ärzte erklären einen für tot, aber der Geist deiner Form ist lebendig, und nicht nur lebendig, sondern in den meisten Fällen auch bewusst. Doch das dauert sieben bis acht Tage, danach löst auch er sich auf – ich meine nicht Yogis, ich spreche von gewöhnlichen Menschen. Yogis haben keine Gesetze, da ist es ganz anders. Für sie ist die Welt anders. Ich rede von Durchschnittsmenschen, die ein alltägliches Leben führen. Bei denen ist es so.

Worte der Mutter

Macht das innere Wesen nach dem Tod noch Fortschritte?

Das hängt ganz vom einzelnen Fall ab. Bei jedem ist es anders. Manche Leute – zum Beispiel Schriftsteller, Musiker, Künstler –, Leute, die auf intellektuellen Höhen lebten, haben das Gefühl, sie hätten noch etwas zu erledigen, ihr Unternehmen sei noch nicht beendet, ihr gestecktes Ziel sei noch nicht erreicht – die sind bereit, in der irdischen Atmosphäre zu bleiben, solange sie können, mit dem größtmöglichen Zusammenhalt, und sie versuchen, sich in anderen menschlichen Formen zu manifestieren und Fortschritte zu machen. Ich habe viele solcher Fälle erlebt. Ich erlebte den sehr interessanten Fall eines Musikers, der Pianist war (ein ganz ausgezeichneter). Seine Hände waren ein Wunder an Geschicklichkeit, Exaktheit, Präzision, Kraft, Schnelligkeit der Bewegung, also, es war ganz hervorragend. Dieser Mann starb relativ jung mit dem Gefühl, dass er in seinem musikalischen Ausdruck hätte noch weiterkommen können, wenn er am Leben geblieben wäre. Und seine Sehnsucht war so stark, dass seine feinstofflichen Hände in ihrer Bildung erhalten blieben, ohne sich aufzulösen, und jedes Mal, wenn er jemanden antraf, der etwas passiv und empfänglich und ein guter Musiker war, schlüpften seine Hände in die Hände des Spielenden – die Person, die in diesem Moment spielte, mochte ihre Sache gut machen, aber auf die normal übliche Art, und in diesem Augenblick wurde sie nicht nur eine Virtuosin, sondern eine wunderbare Künstlerin, solange sie spielte. Die Hände des anderen bedienten sich ihrer. Das ist ein mir gut bekanntes Phänomen. Das Gleiche erlebte ich bei einem Maler. Auch bei ihm waren es die Hände. Und das Gleiche bei gewissen Schriftstellern. Bei ihnen war es das Gehirn, das eine ziemlich genaue Form beibehielt und das Gehirn dessen durchdrang, der empfänglich genug war, und ihn plötzlich außerordentliche Sachen schreiben ließ, unendlich viel schöner als alles, was er vorher geschrieben hatte. Ich habe erlebt, wie es jemanden ergriff. Ich erlebte es bei einem Komponisten – nicht bei jemandem, der spielte, sondern der komponierte, wie Beethoven, wie Bach, César Franck (César Franck spielte auch). Musik zu komponieren ist eine äußerst starke zerebrale Tätigkeit. Nun, auch hier nahm das Gehirn eines großen Musikers mit demjenigen Verbindung auf, der gerade dabei war, eine Oper zu schreiben. Er ließ ihn wunderbare Sachen komponieren und ordnete auf dem Papier alle Stimmen und Partien an. Er arbeitete gerade an einer Oper – das ist äußerst kompliziert für die Ausführenden, denn sie müssen in der Musik die Gedankenwelt des Komponisten anklingen lassen. Dieser mir bekannte Mann hatte, als er diese Formation empfing, ein weißes Papier vor sich liegen und machte sich dann ans Schreiben. Und so sah ich ihn Notenzeilen schreiben, dann einige Zahlzeichen, eine große, große Seite voll, und als er unten ankam, war die Orchestrierung der Ouvertüre, zum Beispiel eines bestimmten Aktes, fertig (Orchestrierung bedeutet die Verteilung der Stimmen einer musikalischen Komposition auf die einzelnen Instrumente). Und er führte das lediglich auf dem Papier aus, einfach durch diese wunderbare mentale Macht.

Worte der Mutter

Was die Seele tut, wo sie hingeht? Es kommt ganz darauf an, was sie vor dem Verlassen des Körpers beschlossen hat. Und diese Fähigkeit, um sich herum das Wesen beizubehalten, das im physischen Leben voll organisiert und geeint wurde, wird es ihr tatsächlich erlauben zu wählen, was sie tun will – dies stellt auch einen ganz anderen Bereich von Möglichkeiten dar, nach dem bewussten Übergang von einem Körper in einen anderen, auf dem direkten Weg (Es gibt Fälle, wo eines dieser voll bewussten und voll entwickelten Wesen langsam ein anderes Wesen vorbereitet hat, das fähig ist, es zu empfangen und es zu assimilieren, und um seine materielle Arbeit beim Verlassen eines Körpers nicht aufgeben zu müssen, gesellt es sich gleich zu einem anderen seelischen Wesen, verschmilzt mit ihm, schließt sich ihm in einem anderen physischen Körper an. Das ist der Extremfall, äußerst selten, doch gehört er durchaus auch zum traditionellen okkulten Wissen), bis zu dem Fall, am anderen Ende, wo die Seele nach Beendigung ihrer körperlichen Erfahrung den Wunsch hat, sie in Ruhe zu assimilieren und sich auf eine andere spätere, manchmal sehr viel spätere physische Existenz vorzubereiten. Und dann geschieht unter vielen anderen Möglichkeiten folgendes: Sie lässt in jedem Bereich – im Bereich des Feinstofflichen, im vitalen Bereich, im mentalen Bereich – die entsprechenden Wesen zurück. Sie lässt sie zurück mit einer Art Band zwischen ihnen, aber jedes Wesen behält eine unabhängige Existenz, und sie selbst taucht in den Bezirk, die Realität, die eigentliche Welt des Seelischen ein und kommt in eine beseligende Ruhe der Assimilation, bis sie (lachend), wie es auf diesem Blatt beschrieben ist, all ihre guten Werke assimiliert, all ihre guten Werke verdaut hat und bereit ist, wieder eine neue Erfahrung zu beginnen. Und dann, wenn sie ihre Arbeit gut gemacht hat und wenn ihre Wesensteile oder die Hülle ihres Wesens, die sie in den verschiedenen Bereichen zurückließ, sich dabei richtig verhalten haben, wird sie, wenn sie wieder herabkommt, all diese Teile, die mit ihr in einem vergangenen Leben zusammenlebten, neu anlegen, und mit diesem Reichtum an Wissen und Erfahrung wird sie den Eintritt in einen neuen Körper vorbereiten… Das wird vielleicht nach Hunderten oder Tausenden von Jahren sein, weil in diesen Bereichen alles, was gestaltet ist, nicht mehr zwangsläufig der Verwesung unterworfen ist, die wir hier „Tod“ nennen. Sobald ein vitales Wesen voll harmonisiert ist, wird es unsterblich. Was es auseinanderbricht und auflöst, sind all die inneren Unordnungen und all die Tendenzen der Zerstörung und der Verwesung. Doch wenn es voll harmonisiert und geordnet und sozusagen vergöttlicht ist, wird es unsterblich. Beim Mental ist es dasselbe. Und selbst im Feinstofflichen lösen sich die Wesen, die sich voll entwickelt haben und mit spirituellen Kräften durchtränkt wurden, nach dem Tod nicht notwendigerweise auf. Sie können weiterwirken oder eine heilsame Ruhe in bestimmten Elementen der Natur wie dem Wasser einlegen – meistens in etwas Flüssigem, im Wasser oder im Saft der Bäume –, oder es kann auch, wie es hier beschrieben ist (lachend), in den Wolken sein. Sie können aber auch tätig bleiben und weiterhin auf die materiellsten Elemente der physischen Natur einwirken.