Kapitel 2

Der Schlüssel zur wahren Liebe

Worte Sri Aurobindos

Suche die Göttliche Liebe durch die einzige Pforte, durch die sie einzutreten bereit ist: die Pforte des seelischen Wesens – und lege das niedere vitale Irren ab.

Worte Sri Aurobindos

Die Liebe, die sich dem Göttlichen zuwendet, sollte nicht das übliche vitale Gefühl sein, das die Menschen so nennen; denn das ist nicht Liebe, sondern lediglich ein vitales Begehren, ein Instinkt der Aneignung, ein Impuls zu besitzen und zu monopolisieren. Nicht nur, dass dies nicht die Göttliche Liebe ist, sondern man sollte diesem Gefühl auch keinesfalls erlauben, sich irgendwie mit dem Yoga zu vermengen. Die wahre Liebe zum Göttlichen ist ein Selbstgeben, frei von Forderung, voller Unterwerfung und Hingabe; sie erhebt keinen Anspruch, stellt keine Bedingungen und trifft kein Abkommen, sie gibt sich nicht dem Ungestüm der Eifersucht, des Stolzes oder des Ärgers hin, denn diese Dinge sind in ihrem Wesen nicht enthalten. Als Entgegnung gibt auch die Göttliche Mutter sich, doch uneingeschränkt – und dies drückt sich in einem inneren Geben aus –, ihre Gegenwart in deinem Mental, in deinem Vital, in deinem physischen Bewusstsein, ihre Macht in dir und die göttliche Natur wiedererstehen lassend, alle Bewegungen deines Wesens aufnehmend und sie der Vollendung und Erfüllung zuführend, ihre Liebe, die dich einhüllt und in ihren Armen zu Gott hinträgt. Dies in all deinen Teilen bis hinab zum eigentlichen Stofflichen zu fühlen und zu besitzen, muss dein Streben sein, und hier gibt es weder eine Begrenzung der Zeit noch der Vollkommenheit. Wenn man es wahrhaft erstrebt und auch erhält, darf es keine andere Forderung, kein enttäuschtes Begehren mehr geben. Und wenn man wahrhaft strebt, erhält man es unweigerlich, und zwar in dem Maße wie die Läuterung voranschreitet und die menschliche Natur sich der erforderlichen Wandlung unterzieht.

Halte deine Liebe von jedem selbstsüchtigen Anspruch und Begehren frei und du wirst erkennen, dass du als Entgegnung all die Liebe erhältst, die du ertragen und aufnehmen kannst.

Erkenne ebenfalls, dass zuerst die Verwirklichung zu erfolgen hat, die zu geschehene Arbeit, und nicht die Befriedigung von Forderung und Begehren. Erst wenn das Göttliche Bewusstsein in seinem supramentalen Licht und seiner supramentalen Macht herabgekommen ist und das Physische umgewandelt hat, kann man auch anderen Dingen einen wichtigen Platz einräumen – und auch dann wird es nicht die Befriedigung des Begehrens sein, sondern die Erfüllung der Göttlichen Wahrheit in jedem und allen und in dem neuen Leben, das sie ausdrücken wird. Im göttlichen Leben geschieht alles um des Göttlichen und nicht um des Ego willen.

Ich sollte vielleicht noch ein, zwei Dinge hinzufügen, um Missverständnisse zu vermeiden. Erstens, die Liebe zum Göttlichen, von der ich spreche, ist nicht allein eine seelische Liebe; es ist die Liebe des ganzen Wesens, einschließlich des Vitals und des Vital-Physischen – alle Teile sind des gleichen Selbstgebens fähig. Es ist falsch anzunehmen, dass die Liebe des Vitals eine fordernde Liebe zu sein habe und die Befriedigung ihrer Wünsche erzwingt; es ist falsch anzunehmen, dass es entweder so sein müsse oder aber das Vital, um seinem „Verhaftetsein“ zu entkommen, ganz und gar von dem Ziel seiner Liebe ablassen muss. Das Vital kann in seinem fraglosen Selbstgeben so absolut sein wie irgendein anderer Teil der menschlichen Natur; nichts ist hochherziger als seine Bewegung, wenn es sich um des Geliebten willen vergisst. Sowohl das Vital als auch das Physische sollten sich auf die wahre Art geben – die Art der wahren Liebe, nicht des egoistischen Begehrens.

Worte der Mutter

Wie wird man sich der göttlichen Liebe bewusst und ein Instrument für ihr Wirken?

Zunächst, um sich irgendeiner Sache bewusst zu werden, muss man sie wollen. Und mit „wollen“ meine ich nicht, den einen Tag zu sagen: „Oh, ich möchte es gerne“, und zwei Tage später es wieder völlig zu vergessen.

Wollen ist eine beständige, ausdauernde, gesammelte Aspiration, eine fast ausschließliche Beschäftigung des Bewusstseins. Das ist der erste Schritt. Es gibt noch viele andere: ein aufmerksames Beobachten, ein fortgesetztes Untersuchen, ein schärfstes Unterscheiden zwischen dem, was rein ist an einer Regung und was nicht. Verfügst du über einige Vorstellungskraft, so kannst du es damit versuchen und sehen, ob deine Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Manche bilden sich ein, es genüge, eines Tages in einer bestimmten Laune aufzuwachen und zu sagen: „Oh, wie gern ich der Göttlichen Liebe bewusst wäre, wie sehr ich die Göttliche Liebe offenbaren möchte“... Und wie oft spürt man in sich eine kleine Erregung menschlichen Instinkts und stellt sich vor, was für große Dinge getan werden könnten, wenn einem die Göttliche Liebe zu Gebote stünde; man sagt sich: „Ich versuche, die Göttliche Liebe zu finden, und dann werden wir das Ergebnis sehen.“ Das ist die allerschlechteste Weise. Denn schon bevor du den ersten Anfang einer Verwirklichung zu fassen bekommst, hast du das Ergebnis verdorben. Du musst deine Suche mit einer Reinheit der Aspiration und der Hingabe angehen, die an sich schon schwer zu erlangen ist. Du musst schon viel an dir gearbeitet haben, um auch nur bereit zu sein, zur Liebe aufzustreben. Wenn du dich ganz aufrichtig betrachtest, ganz gerade, so siehst du, dass dein kleiner innerer Wirbel in Gang kommt, sobald du an die Liebe zu denken beginnst. Alles, was in dir aufstrebt, sehnt sich nach bestimmten Schwingungen. Es ist fast unmöglich – außer man ist auf dem Pfad des Yoga weit fortgeschritten –, die vitale Essenz, die vitale Schwingung von deiner Vorstellung der Liebe zu trennen. Was ich sage, gründet sich auf eingehende Erfahrung mit den Menschen. Würdest du in dem Zustand, in dem du dich befindest – so wie du jetzt bist –, mit der reinen Göttlichen Liebe in Verbindung kommen, dann erschiene sie dir kälter als Eis oder so fern, so schroff, dass du kaum atmen könntest; sie wäre wie ein Berggipfel, wo du frieren und um Atem ringen müsstest – so abgelegen wäre sie von dem, was du normalerweise fühlst. Die Göttliche Liebe ist für einen Menschen schwer wahrzunehmen, wenn sie nicht in eine seelische oder vitale Schwingung gekleidet ist. Man mag den Eindruck von einer Gnade haben, einer so fernen, so hohen, so reinen, so unpersönlichen Gnade, dass ... ja, von einer Gnade, aber nur schwer von der Liebe.

Lässt sich denn sagen, die seelische Schwingung sei die Schwingung der Göttlichen Liebe?

Jeder sollte fähig sein, zu seinem seelischen Wesen in Beziehung zu treten, das ist nichts Unerreichbares. Du hast ein seelisches Wesen, damit du mit den göttlichen Kräften in Berührung kommst. Und wenn du mit deinem seelischen Wesen in Fühlung stehst, beginnst du zu spüren, auf gewisse Weise wahrzunehmen, was die Göttliche Liebe sein kann. Wie ich schon sagte, genügt es nicht, eines Morgens aufzuwachen und zu seufzen: „Oh, ich möchte mit der Göttlichen Liebe in Verbindung stehen!“ – So ist es nicht. Wenn du – durch eine ausdauernde Bemühung, durch eine tiefe Konzentration, durch ein starkes Selbstvergessen – dahin gelangst, mit deinem seelischen Wesen in Verbindung zu stehen, dann kommt es dir nicht in den Sinn zu denken: „Oh, ich möchte zu der Göttlichen Liebe in Beziehung treten“ – du befindest dich in einem Zustand, wo dir alles als diese Göttliche Liebe erscheint und als nichts anderes. Und auch dann ist es noch eine Umhüllung, aber eine Umhüllung mit einer schönen Textur.

Man soll also nicht versuchen, die Göttliche Liebe außerhalb des seelischen Wesens zu erkennen?

Nein. Finde dein seelisches Wesen, und du begreifst, was die Göttliche Liebe ist. Suche nicht mit der Göttlichen Liebe unmittelbar Verbindung aufzunehmen, weil das, was dich drängt, noch ein vitales Begehren wäre; du wärest dir dessen vielleicht nicht bewusst, aber es wäre ein vitales Begehren.

Du musst dich bemühen, mit deinem seelischen Wesen in Fühlung zu treten, um im seelischen Bewusstsein bewusst und frei zu werden, und dann, ganz natürlich, spontan, wirst du wissen, was die Göttliche Liebe ist.

Worte der Mutter

Nicht durch menschliche Liebe kann man lernen, das Göttliche zu lieben, denn die Liebe ist von ganz anderer Art. Lerne zuerst, dich ganz und gar aufrichtig dem Göttlichen hinzugeben, und dann wird die Freude der Liebe kommen. Dadurch, dass du dich aufrichtig hingibst, werden all deine Schwierigkeiten verschwinden.

Worte der Mutter

Solange das Ego vorhanden ist, kann man nicht lieben.

Allein die Liebe kann lieben, Liebe allein kann das Ego besiegen.

Worte der Mutter

Es gibt nur eine Liebe – die Liebe des Göttlichen; ohne diese Liebe würde es keine Schöpfung geben. Alles existiert aufgrund dieser Liebe, und versuchen wir, unsere eigene Liebe zu finden, die nicht existiert, dann fühlen wir nicht die Liebe, die einzige Liebe, die Liebe des Göttlichen, die das ganze Dasein durchdringt.

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