Kapitel 1
Lerne zu lieben
Die Sprossen der Liebe
Worte der Mutter
Zuerst liebt man nur, wenn man geliebt wird.
Dann liebt man spontan, will jedoch wiedergeliebt werden.
Später liebt man, auch wenn man nicht geliebt wird, doch liegt einem daran, dass die Liebe angenommen werde.
Und schließlich liebt man rein und einfach, ohne ein anderes Bedürfnis und ohne eine andere Freude als nur zu lieben.

Worte der Mutter
Es heißt, um der göttlichen Liebe bewusst zu werden, muss man jede andere Liebe aufgeben. Welches ist das beste Mittel, die andere Liebe zurückzuweisen, die sehr hartnäckig ist (Gelächter) und uns nicht leicht verlässt?
Oh! Hindurchgehen!
Hindurchgehen, sehen, was hinter ihr ist, nicht bei der Erscheinung stehenbleiben, sich nicht mit der äußeren Form zufriedengeben, das Prinzip suchen, das hinter dieser Liebe ist, und sich erst zufriedengeben, wenn man den Ursprung des Gefühls in sich gefunden hat. Dann fällt die äußere Form von selbst ab und du wirst mit der Göttlichen Liebe, die hinter allem ist, in Berührung kommen.
Das ist die beste Art.
Das eine zurückweisen, um das andere zu finden, ist sehr schwierig. Es ist fast unmöglich, weil die menschliche Natur so begrenzt ist, so voll von Widersprüchen und so ausschließlich in ihren Regungen, dass man meistens die ganze Fähigkeit, Liebe zu empfinden, zurückweist und wie ein Stein wird, wenn man die Liebe in ihrer menschlichen Form ablehnt, das heißt die menschliche Liebe, so wie die Menschen sie empfinden. Und dann muss man manchmal Jahre oder Jahrhunderte warten, damit in einem die Fähigkeit erwacht, die Liebe zu empfangen und zu offenbaren.
Also ist es das beste Mittel, wenn die Liebe kommt, in welcher Form auch immer, zu versuchen, durch ihre äußere Form hindurchzustoßen, um das göttliche Prinzip zu finden, das dahintersteht und das ihre Existenz bewirkt. Natürlich ist dieser Weg voll von Fallen und Schwierigkeiten, doch ist er wirksamer. Das heißt, statt mit Lieben aufzuhören, weil man schlecht liebt, muss man aufhören, schlecht zu lieben, und den Willen haben, gut zu lieben.
Zum Beispiel ist die Liebe unter Menschen in allen Formen, die Liebe der Eltern zu den Kindern, der Kinder zu den Eltern, der Geschwister, der Freunde und Liebenden, ganz mit Unwissenheit, Egoismus und allen anderen Fehlern behaftet, die die normalen Fehler des Menschen sind; anstatt da nun vollständig mit der Liebe aufzuhören – was übrigens sehr schwierig ist, wie Sri Aurobindo sagt, und was das Herz einfach austrocknen würde und keinen Wert hätte –, muss man lernen, besser zu lieben: lieben in der Hingabe, im Sich-selbst-geben, in der Selbstverleugnung, und kämpfen, nicht gegen die Liebe selbst, sondern gegen ihre entstellten Formen: gegen alle Arten des Inbeschlagnehmens, des Verhaftetseins, des Besitzes, der Eifersucht und gegen alle Gefühle, die diese Haupteigenschaften begleiten. Nicht besitzen, nicht beherrschen und seinen Willen, seine Launen, seine Wünsche nicht aufzwingen wollen, nicht nehmen, nicht empfangen, sondern geben wollen, nicht auf der Erwiderung des anderen bestehen, sondern mit seiner eigenen Liebe zufrieden sein, nicht sein eigenes Interesse und seine persönliche Freude und die Erfüllung seines persönlichen Wunsches suchen, sondern im Geben seiner Liebe und seiner Zuneigung Genüge finden und keine Erwiderung verlangen. Einfach glücklich sein, dass man liebt, mehr nicht.
Wenn man dies tut, ist man einen großen Schritt vorwärtsgekommen, und man kann durch diese innere Haltung ganz allmählich in dem Gefühl selbst weiter vorankommen und eines Tages inne werden, dass die Liebe nichts Persönliches ist, dass die Liebe ein allumfassendes göttliches Gefühl ist, das sich durch uns mehr oder weniger gut offenbart, das aber in seinem Wesen etwas Göttliches ist.
Der erste Schritt ist aufzuhören, egoistisch zu sein. Es ist für jedermann dasselbe, nicht nur für die, die Yoga praktizieren wollen, sondern ebenso im gewöhnlichen Leben: Wenn man die richtige Liebe erfahren will, darf man nicht zuerst sich selbst lieben und auch noch auf eine egoistische Art; man muss sich dem Gegenstand der Liebe geben, ohne etwas dafür zu fordern. Diese Disziplin ist grundlegend dafür, dass man über sich selbst hinauswächst und ein Leben führt, das nicht allzu unedel ist.
Für den Yoga können wir noch etwas anderes hinzufügen: Wie ich am Anfang sagte, ist das der Wille, durch diese beschränkte und menschliche Form der Liebe hindurchzustoßen, um das Prinzip der Göttlichen Liebe zu entdecken, das dahintersteht. Dann ist man sicher, zu einem Ergebnis zu kommen. Das ist mehr wert, als sein Herz zu verhärten. Es ist vielleicht etwas schwieriger, aber es ist auf alle Fälle besser, weil man so die anderen, anstatt ihnen egoistisch Leid zuzufügen, nun, sie in ihrer eigenen Gangart in Ruhe lassen kann und sich nur für seine eigene Umwandlung anzustrengen braucht – ohne seinen Willen anderen aufzuzwingen, was auch im gewöhnlichen Leben ein Schritt auf etwas hin ist, das ein wenig höher und harmonischer ist.

Worte der Mutter
Jedes Mal, wenn ein Mensch die engen Grenzen sprengt, in denen sein Ego ihn gefangen hält, um in das Freie auszubrechen, indem er sich selbst hingibt, sei es an einen anderen Menschen oder an seine Familie, an sein Vaterland oder an seinen Glauben, empfindet er, indem er sich selbst vergisst, einen Vorgeschmack der wunderbaren Freuden der Liebe, und dadurch gewinnt er den Eindruck, dass er sich mit dem Göttlichen verbindet. Doch ist das meistens nur eine flüchtige Berührung, denn im Menschenwesen wird die Liebe sofort mit den niederen Regungen vermischt, die sie herabwürdigen und ihr die Kraft ihrer Reinheit nehmen.

Worte der Mutter
Du fühlst dich einsam, weil du das Bedürfnis hast, geliebt zu werden. Lerne lieben, ohne etwas zu verlangen, lieben um der Freude des Liebens willen (der wunderbarsten Freude der Welt!), und du wirst dich nie mehr einsam fühlen.

Worte der Mutter
Selbstliebe ist das große Hindernis.
Göttliche Liebe ist das große Heilmittel.
