Kapitel 2

Das große Geheimnis der Gita: Das Opfer an das Göttliche

Worte der Mutter

„Das Gesetz des Opfers ist die allgemeine göttliche Tat, die am Anfang als ein Symbol der Solidarität des Universums in die Welt hineingegeben wurde. Durch die Anziehungskraft dieses Gesetzes steigt eine vergöttlichende, eine rettende Kraft herab, um den Fehlern einer egoistischen und in sich selbst geteilten Schöpfung Grenzen zu setzen, sie zu korrigieren und allmählich auszumerzen. Diese Herabkunft, dieses Opfer des Purusha, bei dem sich die göttliche Seele der Kraft und Materie unterwirft, um sie zu erfüllen und zu erleuchten, bildet die Saat der Erlösung dieser Welt der Nichtbewusstheit und Unwissenheit. Denn ‘mit dem Opfer als ihrem Gefährten’, sagt die Gita, ‘schuf der All-Vater diese Völker’. Durch die Annahme des Opfergesetzes anerkennt das Ego praktisch, dass es in der Welt weder allein noch an oberster Stelle steht. Damit erkennt es an, dass es auch in dieser so fragmentierten Existenz jenseits von ihm selbst und dahinter das, was nicht seine eigene egoistische Person ist, etwas Größeres und Vollständigeres gibt, ein göttlicheres Ganzes, das Unterordnung und Dienst von ihm verlangt.“ (Sri Aurobindo, The Synthesis of Yoga, SABCL, Vol. 20, p. 98)

Liebe Mutter, was bedeutet „Opfer an das Göttliche“?

Es ist Selbsthingabe. Es ist das Wort, das die Gita für die Selbsthingabe benutzt.

Nur, das Opfer ist gegenseitig, das sagt Sri Aurobindo am Anfang: Das Göttliche hat sich in die Materie hineingeopfert, um in der Materie, die unbewusst geworden war, das Bewusstsein zu erwecken. Und dieses Opfer, diese Selbsthingabe des Göttlichen in der Materie, das heißt, Sein Sich-ausstreuen in die Materie, rechtfertigt das Opfer der Materie an das Göttliche und macht es obligatorisch; denn es ist ein und dieselbe wechselseitige Bewegung. Weil das Göttliche sich in die Materie gegeben hat und sich überall in der Materie ausbreitete, um sie zum göttlichen Bewusstsein zu erwecken, steht die Materie automatisch unter der Verpflichtung, sich dem Göttlichen hinzugeben. Es ist ein beiderseitiges Opfer.

Und das ist das große Geheimnis der Gita: die Bejahung der göttlichen Gegenwart inmitten der Materie. Und darum muss sich die Materie dem Göttlichen opfern, automatisch, sogar unbewusst – ob man es will oder nicht, das geschieht.

Nur, wenn man es unbewusst tut, hat man die Opferfreude nicht. Verrichtet man dagegen das Opfer bewusst, hat man die Opferfreude, die die höchste Freude ist.

Das Wort „Opfer“ hat im Französischen [und im Deutschen] eine etwas zu enge Bedeutung, die es im ursprünglichen Sanskrit nicht hat; denn im Französischen schließt Opfer eine Art Leiden, beinahe ein Leid mit ein. Im Sanskrit dagegen ist das überhaupt nicht der Fall. Dort ist Opfer gleichbedeutend mit „Selbsthingabe“.

Aber wie kann das Opfer erbracht werden, wenn man unbewusst ist?

Es wird automatisch erbracht.

Ob du es weißt oder nicht, ob du es willst oder nicht, du bist mit allem durch die göttliche Gegenwart vereint, die, obwohl sie aufgeteilt erscheint, doch Eine ist. Das Göttliche ist eine Einheit, es erscheint nur fragmentiert in Dinge und Wesen. Und weil diese Einheit eine Tatsache ist, ändert es an der Tatsache nichts, ob sie einem zum Bewusstsein kommt oder nicht. Und ob du es willst oder nicht, du bist dieser Einheit unterworfen.

Dies habe ich dir schon ich weiß nicht wie oft erklärt; du glaubst, du bist von allem getrennt, aber es ist eine einzige, für alle gleiche Substanz, die in allem ist, trotz der Unterschiede im Aussehen; und eine Schwingung an einer Stelle ruft automatisch eine Schwingung an einer anderen hervor.

Dann muss man sich also nicht anstrengen, um das Opfer zu verbessern, es ist nicht nötig, sich anzustrengen?

Ich verstehe die Schlussfolgerung überhaupt nicht.

Wenn du glücklich darüber bist, unglücklich zu sein, nun gut, das ist deine Sache; wenn dich das befriedigt, unglücklich zu sein, zu leiden und im Stand der Unwissenheit und Unbewusstheit zu verharren, in dem du steckst, bleib da! Aber wenn dir das nicht genügt, wenn du bewusst sein willst und möchtest, dass das Leiden aufhört, dann musst du dich ständig anstrengen, um dir des Opfers bewusst zu werden und das Opfer bewusst zu erbringen statt unbewusst.

Alles dreht sich um das Bewusstsein, um die Tatsache, ob man bewusst oder nicht bewusst ist. Und nur im höchsten Bewusstsein kann man zum vollkommenen Ausdruck seiner selbst gelangen.

Aber dass die Einheit vorhanden ist, auch wenn man genau das Gegenteil empfindet, ist eine Tatsache, für die man nichts kann, weil es eine göttliche Tat und eine göttliche Tatsache ist – es ist ein göttliches Wirken und eine göttliche Tatsache. Wenn du dir des Göttlichen bewusst bist, wird dir auch diese Tatsache bewusst. Bist du dir des Göttlichen nicht bewusst, ist die Tatsache vorhanden, aber du bist sie dir einfach nicht bewusst – das ist alles…

Strebt das Nichtbewusste danach, bewusst zu werden?

Nein. Das Göttliche im Nichtbewussten strebt nach dem Göttlichen im Bewusstsein. Das heißt, ohne das Göttliche gäbe es keine Aspiration, kein sehnsuchtsvolles Streben; ohne das im Nichtbewusstsein verborgene Bewusstsein gäbe es keine Möglichkeit, das Nichtbewusstsein in Bewusstsein zu verwandeln. Weil jedoch im Herzen des Nichtbewussten das göttliche Bewusstsein ist, strebst du und wird das Opfer notwendigerweise – das sagt er – automatisch und mechanisch erbracht. Und deshalb sind es nicht bloß Worte, sondern eine Tatsache, wenn es heißt: Nicht du strebst, sondern das Göttliche, nicht du machst den Fortschritt, sondern das Göttliche, nicht du bist bewusst, sondern das Göttliche. Und du merkst es nur nicht, weil dir deine Unwissenheit und deine Unbewusstheit im Weg stehen.