Kapitel 3

Dies wird von uns gefordert

Worte Sri Aurobindos

Dies wird von uns gefordert: Wir sollen unser ganzes Leben in ein bewusstes Opfer umwandeln. Jeder Augenblick und jede Regung unseres Wesens sollen entschieden zu einer ständigen und aufrichtigen Selbst-Hingabe an den Ewigen gemacht werden. All unsere Handlungen – die kleinsten, gewöhnlichsten und unbedeutendsten nicht weniger als die größten, außergewöhnlichen und edelsten –, sollen als Werke opfernder Darbringung getan werden. Unsere individualisierte Natur soll in dem alleinigen Bewusstsein leben, dass jede innere und äußere Regung dem größeren Wesen jenseits von unserem Ego geweiht ist. Welche Gabe es auch sei und wem immer wir sie darbringen mögen, es soll uns beim Tun bewusst werden, dass wir sie dem einen göttlichen Wesen in allen Wesen weihen. Unsere gewöhnlichsten und gröbsten materiellen Handlungen müssen diesen verfeinerten Charakter annehmen. Wenn wir essen, sollten wir dessen eingedenk sein, dass wir unsere Nahrung jener Gegenwart in uns darbringen. Das soll wie ein heiliges Opfer in einem Tempel sein. Das Empfinden, dass wir dabei nur unser körperliches Bedürfnis sättigen oder uns durch einen Genuss befriedigen, soll von uns abfallen. Bei jeder großen Arbeit, in jeder hohen Disziplin und in jedem schwierigen oder edlen Unternehmen dürfen wir, auch wenn wir es um unseretwillen, für andere oder für die Menschheit leisten, nicht bei der Vorstellung „wir selbst“, „die Menschheit“, „die anderen“ stehen bleiben. Was wir da tun, soll bewusst als ein Opfer des Wirkens nicht an diese, sondern entweder durch sie oder unmittelbar der Einen Gottheit dargebracht werden. Der Göttliche Einwohner, der durch diese Gestaltungen verhüllt war, soll nicht länger verborgen bleiben, sondern unserer Seele, unserem Mental und unseren Sinnen gegenwärtig sein. So sollen unsere Taten und ihre Ergebnisse in die Hand dieses Einen gelegt werden, weil wir fühlen, dass der Unendliche und Erhabene jene Gegenwart ist, durch die allein unser Arbeiten und Streben möglich ist. Denn in seinem Wesen findet alles statt. Für ihn nimmt die Natur all unser Wirken und Streben entgegen und bringt es auf seinem Altar dar. Auch dort, wo die Natur allein ganz deutlich die Wirkende ist und wo wir ihr Wirken nur beobachten und dessen Gefäß und Träger sind, sollten wir ständig an den göttlichen Meister denken und uns ihn als den Wirkenden nachdrücklich bewusst machen. Sogar unser Einatmen und Ausatmen, ja unser Herzschlag kann und soll als der lebendige Rhythmus des universalen Opfers in uns bewusst gemacht werden.

Es ist klar, dass eine solche Auffassung und deren praktische Verwirklichung drei Ergebnisse enthalten müssen, die für unser spirituelles Ideal von zentraler Bedeutung sind. Zunächst ist offensichtlich, dass eine solche Disziplin selbst dann, wenn sie ohne innige Hingabe begonnen wurde, doch direkt und unvermeidlich zur höchstmöglichen Verehrung des Göttlichen führt. Denn sie muss sich ganz natürlich in die denkbar vollkommenste Anbetung und innigste Gottesliebe vertiefen. Verbunden damit ist ein wachsendes Empfinden für das Göttliche in allen Dingen, eine immer tiefer werdende Kommunion mit dem Göttlichen in all unserem Denken, Wollen und Handeln. Ferner kommt es in jedem Augenblick unseres Lebens zu einer immer tiefer motivierten Darbringung der Gesamtheit unseres Wesens an das Göttliche. Nun sind aber diese Begleiterscheinungen des Yoga der Werke auch das Wesen eines integralen und absoluten Bhakti-Yoga. Der Sucher, der sie praktiziert, handelt dadurch stetig, aktiv und effektiv im Geiste der Hingabe des eigenen Selbst. So ist es unvermeidlich, dass daraus die innigste Verehrung des Höchsten hervorgeht, dem dieser Dienst dargebracht wird, in dem Gott geweihten Wirkenden wächst eine immer mehr verzehrende Liebe zur Göttlichen Gegenwart, der er sich immer inniger verbunden fühlt. Zugleich mit dieser Liebe, oder in ihr enthalten, entsteht auch eine universale Liebe zu all jenen Wesen, lebendigen Formen und Geschöpfen, welche die Wohnung des Göttlichen sind. Das sind nicht die kurzen, unruhigen, begehrenden Gefühle des abgesonderten Daseins, sondern die fest gegründete unegoistische Liebe, die tiefere Schwingung des Geeintseins. In allem begegnet der Suchende immer mehr der einen Sache seiner Anbetung und seines Dienstes. Der Weg der Werke führt durch den Weg des Opfers dorthin, wo er sich mit dem Weg der Hingabe trifft. Er selbst kann eine Hingabe sein, die so vollständig, alles in sich verzehrend und integral ist, wie das Verlangen des Herzens sie nur wünschen oder die Leidenschaft des Mentals sie sich nur vorstellen kann.

Weiterhin verlangt die Praxis dieses Yoga, dass wir uns ständig an das eine zentrale Wissen erinnern. Wenn wir dieses Wissen dann stetig nach außen hin im Wirken aktivieren, wird unsere Erinnerung daran immer mehr intensiviert: In allem ist das eine Selbst, das eine Göttliche ist alles; alles ist im Göttlichen, alles ist das Göttliche und es gibt nichts anderes im Universum –, dieser Gedanke oder dieser Glaube ist so lange unser tragender Grund, bis er vollends zur Substanz im Bewusstsein des Wirkenden wird. Das Eingedenksein und eine das Selbst dynamisierende Meditation dieser Art führen am Ende mit Notwendigkeit zu einer tiefen ununterbrochenen Schau und einem lebendigen allumfassenden Bewusstsein dessen, woran wir uns mit einer solchen Macht erinnern oder worüber wir so beständig meditieren. Denn wir werden gezwungen, jeden Augenblick mit dem Ursprung allen Seins, Wollens und Handelns in enger Beziehung zu stehen. Zugleich umfassen wir in Jenem, das ihre Ursache und ihr Erhalter ist, alle besonderen Formen und Erscheinungen und kommen doch über sie hinaus. Dieser Weg kann nicht zu seinem Ende gelangen, ohne dass wir das Wirken des universalen Geistes überall so lebendig und vital, auf seine Weise so konkret schauen wie beim physischen Sehen. Auf seiner höchsten Höhe erhebt sich dieser Yoga dazu, dass wir ständig in der Gegenwart des Supramentals und des Transzendenten leben, denken, wollen und handeln. Wir sollen dann alles, was wir sehen und hören, berühren und empfinden oder dessen wir bewusst werden, als Jenes wissen und fühlen, das wir innig verehren und dem wir dienen. So wandelt sich alles in ein Ebenbild der Divinität um, es wird als eine Wohnung der Gottheit wahrgenommen und ist in die ewige Allgegenwart eingehüllt. Dieser Pfad des Wirkens verwandelt sich an seinem Ende, wenn nicht schon lange vorher, durch die Kommunion mit der Göttlichen Gegenwart, dem Göttlichen Willen und der Göttlichen Kraft in einen Pfad des Wissens, das vollständiger und integraler ist, als natürliche Intelligenz es konstruieren oder der forschende Intellekt es entdecken könnte.

Letztlich zwingt uns die Praxis dieses Yoga des Opfers dazu, allem zu entsagen, was des Egoismus fördert. Wir wollen ihn aus unserem Mental, Wollen und Handeln ausmerzen und seine Saat, seine Gegenwart, seinen Einfluss aus unserer Natur ausschalten. Alles soll für das Göttliche allein getan werden. Alles soll auf das Göttliche gerichtet sein. Wir dürfen nichts für uns selbst als für eine abgesonderte Existenz unternehmen. Wir sollen nicht nur deshalb für andere, für unsere Nachbarn, Freunde, Familie, für unser Land, die Menschheit oder andere Geschöpfe etwas tun, weil sie mit unserem persönlichen Leben, Denken und Empfinden verbunden sind oder weil unser Ego Interesse an ihrem Wohlergehen hat. Wenn wir so handeln und denken, wird alles Wirken und Leben zur täglichen dynamischen Verehrung und zum Dienst am Göttlichen im grenzenlosen Tempel seiner kosmischen Existenz. Das Leben wird immer mehr zu einem Opfer, das der Ewige im Individuum ständig der ewigen Transzendenz darbringt. Das Opfer geschieht auf dem weiten Opferplatz des ewigen kosmischen Geistes. Die Kraft, die das Opfer darbringt, ist die ewige Kraft, die allgegenwärtige Mutter. Darum ist dieser Weg ein Weg des Einswerdens und der Kommunion mit Gott durch das Wirken. Durch den Geist und das Wissen im Wirken ist er so vollständig und integral wie irgendein Weg, den unser auf Gott gerichteter Wille als gangbar erhoffen oder als die Kraft unserer Seele leisten kann.

Er enthält in sich, integral und absolut, alle Macht des Yoga der Werke. Da ihm aber das Gesetz des Opfers und der Hingabe an das Göttliche Selbst und an den Göttlichen Meister zugrundeliegt, begleitet ihn auf der einen Seite die volle Macht des Yoga der Liebe und auf der anderen Seite die volle Macht des Yoga des Wissens. Am Ende wirken alle drei göttlichen Mächte zusammen. Sie sind ineinander verschmolzen und geeint; sie vervollkommnen und ergänzen sich gegenseitig.