15. Kapitel

Die drei Purushas

15.1
Der Erhabene sprach:
In seinem eigentlichen Ursprung oben (im Ewigen) verwurzelt und mit seinen Ästen ausgestreckt nach unten, sagt man von dem Aswattha-Baum, er sei ewig und unvergänglich. Seine Blätter sind die Hymnen des Veda. Wer ihn kennt, ist der Veda-Kenner.

Das ist die Beschreibung des kosmischen Seins im vedantischen Bild des Aswattha-Baumes… Die Erkenntnis, die uns der Veda gibt, ist eine Erkenntnis der Götter, der Prinzipien und Mächte des Kosmos. Ihre Früchte sind die Früchte eines Opfers, das dargebracht wird im Verlangen nach den Früchten der Vergnügen, nach Herrschaft in der Natur über die drei Welten auf der Erde, im Himmel und zwischen Himmel und Erde. Die Zweige des kosmischen Baumes wachsen sowohl nach unten wie nach oben: nach unten in die materiellen, nach oben in die supraphysischen Bereiche. Sie wachsen durch die Gunas der Natur, denn das dreifache Guna ist durchweg das Subjekt der Veden, traiguṇya-viṣayā vedāḥ. Die vedischen Rhythmen, chandāṁsi, sind die Blätter. Die sinnlichen Gegenstände des Begehrens, die in höchstem Maß durch den rechten Vollzug des Opfers gewonnen werden, sind das ständige Sprießen des Blattwerks. Darum ist der Mensch, solange er sich am Spiel der Gunas erfreut und dem Begehren nachhängt, in den Umschlingungen von Pravritti, in den Bewegungen des Geborenwerdens und Wirkens festgehalten. Er bewegt sich ständig im Kreis zwischen der Erde, den mittleren Ebenen und dem Himmel. Er ist unfähig, zu seinen höchsten spirituellen Unendlichkeiten zurückzukehren. Das wurde von den Weisen wahrgenommen. Um zur Befreiung zu gelangen, befolgten sie den Weg von Nivritti. Sie brachten den ursprünglichen Drang nach Aktion zu Ende. Und der Höhepunkt dieses Weges ist die Beendigung des Geborenwerdens und ein erhabener Zustand im höchsten suprakosmischen Bereich des Ewigen. (443-44)

15.2
Die Äste dieses kosmischen Baumes strecken sich nach unten und oben (nach unten in die materiellen, nach oben in die supraphysischen Ebenen). Sie wachsen durch die Gunas der Natur. Die sinnlich erfassbaren Gegenstände sind sein Laubwerk. Herunter in die Welt der Menschen senkt er seine Wurzeln des Gebundenseins und des Verlangens mit der Folge endlos sich entwickelnden Handelns.

15.3-4
Seine wirkliche Gestalt kann von uns in dieser materiellen Welt der Verkörperung des Menschen nicht wahrgenommen werden, auch nicht sein Anfang und sein Ende und nicht sein Wurzelgrund. Wenn man aber diesen fest verwurzelten Aswattha-Baum mit dem scharfen Schwert des Freiseins von jeglicher Bindung abgehauen hat, sollte man nach jenem höchsten Ziel trachten. Wenn man dies erlangt hat, gibt es keinen Zwang mehr, in das sterbliche Leben zurückzukehren. „Ich mache mich auf den Weg“ (sagt der vedantische Vers), „um jene ursprüngliche Seele zu suchen, aus der jener uralte Drang zum Handeln hervorgeht.“

15.5
Und dies sind die Stufen auf dem Weg zum erhabenen Unendlichen: Frei sein von der Verwirrung durch die niedere Maya, frei sein vom Egoismus, den großen Fehler der Bindung überwunden, jegliches Verlangen zur Ruhe gebracht, den Gegensatz von Freude und Leid ausgetrieben haben und immer fest verankert sein in einem reinen spirituellen Bewusstsein.

15.6
Dort finden wir das zeitlose Sein, das nicht erleuchtet wird durch Sonne, Mond und Feuer (sondern selbst das Licht der Gegenwart des ewigen Purusha ist). Dorthin gelangt, kehren sie nicht zurück. Jenes ist der höchste ewige Status Meines Seins.

Nun könnte es so aussehen, als ob man dieses Ziel sehr gut, ja in hervorragender Weise unmittelbar durch den Quietismus von Sannyasa erreichen kann. Der von ihm vorgeschlagene Weg könnte als der Pfad des Akshara erscheinen: Völliges Verzichten auf Wirken und Leben, asketisches Einsiedlertum, asketische Ablehnung allen Handelns. Wo bleibt aber hier Raum, wo ist zumindest Berufung, wo die Notwendigkeit für den Befehl zur Aktion? Und was hat dies alles zu tun mit der Aufrechterhaltung des kosmischen Seins, lokasaṅgraha, mit der Schlacht von Kurukshetra, mit den Wegen des Geistes in der Zeit, mit der Schau des Herrn mit seinen Millionen Körpern und seiner gebietenden Aufforderung: „Steh auf, erschlage den Feind, erfreue dich eines reichen Königtums!“ Und was ist dann die Seele in der Natur? Auch dieser Geist, auch dieses Kshara, das sich an unserem wandelbaren Sein erfreut, ist der Purushottama. Er ist es in seiner ewigen Vielfalt –, das ist die Antwort der Gita. (444-45)

15.7
Es ist ein ewiger Wesensteil von Mir, der in der Welt der lebendigen Geschöpfe zum Jiva wird. Er entfaltet und hegt die subjektiven Kräfte von Prakriti, das Mental und die fünf Sinne.

ein ewiger Wesensteil von Mir, der in der Welt der lebendigen Geschöpfe zum Jiva wird: Dies ist eine Bezeichnung, eine Feststellung von unendlicher Tragweite und Folge. Denn es bedeutet, dass jede Seele, jedes Wesen in seiner spirituellen Wirklichkeit in Wahrheit das Göttliche ist, wie begrenzt auch seine aktuelle Manifestation in der Natur sein mag. Und das bedeutet auch, wenn Worte überhaupt einen Sinn haben, dass jeder sich manifestierende Geist, ein jeglicher der Vielen, ein ewiges Individuum ist, eine ewige, ungeborene, unsterbliche Macht des einen Seins. Wir nennen diesen sich manifestierenden Geist den Jiva, weil er hier wie ein lebendes Geschöpf in einer Welt von lebenden Geschöpfen erscheint. Und wir sprechen von diesem Geist im Menschen als von der menschlichen Seele und denken von ihm nur in den Begriffen des Menschseins. In Wahrheit ist er aber etwas Größeres als seine gegenwärtige äußere Erscheinung. Er ist nicht gebunden an sein Menschsein. Er war in der Vergangenheit eine tieferstehende Manifestation als die menschliche, und er kann in der Zukunft etwas viel Größeres werden als der mentale Mensch. Und wenn diese Seele sich über alle Beschränkung durch Unwissenheit erhebt, kleidet sie sich in ihre göttliche Natur, der gegenüber Menschsein nur eine vorübergehende Verhüllung ist, etwas Partielles, von geringer Bedeutung. Der individuelle Geist existiert; er hat immer existiert im Jenseitigen, im Ewigen, denn er ist selbst ewig fortdauernd, sanātana. Offensichtlich ist es diese Idee vom ewigen Individuum, die die Gita dazu veranlasst, jeden Ausdruck zu vermeiden, der auf eine vollständige Auflösung, laya, hinweisen würde. Sie spricht lieber von einem höchsten Stand der Seele, davon, dass sie im Purushottama wohnt, nivasiṣyasi mayyeva. (445)

15.8
Wenn der Herr diesen Körper annimmt (bringt er das Mental und die Sinne mit sich) und wenn Er überdies noch weitergeht (indem er den Körper wieder ablegt), nimmt Er sie beim Weggehen wieder mit, so wie der Wind den Duft aus einer Blumenvase davonträgt.

Dies ewige Individuum ist von keiner anderen Art als der Göttliche Purusha, oder in keiner Weise wirklich von ihm getrennt. Es ist der Herr selbst, der Ishwara, der dank der ewigen Vielfalt seines Einsseins – ist nicht alles Dasein eine Wiedergabe jener Wahrheit des Unendlichen? – immer als die unsterbliche Seele in unserem Inneren lebt, die diesen Körper angenommen hat und aus diesem vergänglichen Gebilde weitergeht, wenn es abgeworfen wird, damit es wieder in die Elemente der Natur verschwindet. Er bringt die subjektiven Mächte von Prakriti mit sich und pflegt sie, damit das Mental und die fünf Sinne ihre Gegenstände genießen. Er nimmt auch, wenn er weitergeht, das Mental und die fünf Sinne in ähnlicher Weise mit sich wie der Wind die Wohlgerüche aus einem Salbgefäß. Aber die Identität des Herrn und der Seele in der veränderlichen Natur wird vor uns verborgen durch die äußere Erscheinung. Diese Identität geht in der Masse der einstürmenden schnellen Täuschungen jener Natur verloren. Die Menschen, die es zulassen, dass sie von den Gestaltungen der Natur beherrscht werden, von einer Menschengestalt oder irgendeiner anderen Form, werden sie nie sehen. Vielmehr werden sie das Göttliche, das im menschlichen Körper seinen Sitz hat, unbeachtet lassen oder gar verachten. (446)

15.9
Das Ohr, das Auge, den Tastsinn, den Geschmack und das Riechen – diese Sinne verwendet Er und ebenso den Verstand. Er erfreut sich der Gegenstände des Verstandes und der Sinne als die im Inneren oder darüber wohnende Seele.

15.10
Die Verblendeten nehmen Ihn nicht wahr bei seinem Kommen und Gehen, bei seinem Verharren in den Seins-Bestimmungen, bei deren Genuss und Abneigung. Nur jene nehmen Ihn wahr, die das Auge des Wissens besitzen.

In ihrer Unwissenheit können sie Gott nicht wahrnehmen, wie er kommt und wie er weitergeht, wie er verbleibt und sich erfreut und Eigenschaften annimmt. Diese Unwissenheit sieht vielmehr nur, was für das Mental und die Sinne hier wahrnehmbar ist, jedoch nicht die höhere Wahrheit, die man nur mit dem Auge des Wissens ergreifen kann. (446)

15.11
Die Yogins, die sich bemühen, erkennen den Herrn in sich selbst. Die Unwissenden aber, auch wenn sie danach streben, nehmen Ihn nicht wahr, da sie nicht durch die spirituelle Natur geprägt sind.

Die Unwissenden können ihn niemals schauen, selbst wenn sie darum ringen. Sie erkennen ihn erst, wenn sie lernen, die Beschränktheit des äußeren Bewusstseins abzulegen und ihr spirituelles Wesen in sich aufzubauen, für dieses sozusagen eine Form in ihrem Wesen zu erschaffen. Um sich selbst erkennen zu können, muss der Mensch spirituell geformt und vollkommen, kṛtātmā, in spiritueller Schau erleuchtet sein. Die Yogins, die dies Auge des Wissens haben, sehen das Göttliche Wesen, das wir sind, in ihrer eigenen nie endenden Wirklichkeit, in ihrer Ewigkeit des Geistes. Erleuchtet, schauen sie den Herrn in sich selbst und werden so von der groben materiellen Beschränktheit, von der Form ihrer mentalen Persönlichkeit und der Gestaltung vergänglichen Lebens befreit. Sie wohnen nun unsterblich in der Wahrheit des Selbstes und des Geistes. Aber sie schauen ihn nicht nur in sich selbst, sondern im ganzen Kosmos. (446)

15.12
Das Licht der Sonne, das diese ganze Welt erleuchtet, und das Licht, das im Mond ist und im Feuer –, erkenne dieses Licht als das Meinige!

15.13
Ich bin in diese irdische Form eingetreten (und bin der Geist ihrer materiellen Kraft) und erhalte durch Meine Macht diese Vielfalt an Formen. Ich bin die Gottheit des Soma, die durch rasa (den aufsteigenden Saft in der Erden-Mutter) alle Pflanzen und Bäume ernährt.

15.14
So bin Ich zur Flamme des Lebens geworden und erhalte den physischen Körper der lebendigen Geschöpfe, und vereinigt mit Prana und Apana verdaue Ich die vier Arten der Nahrung (die gekaute, die eingesaugte, die geleckte und die getrunkene Nahrung, d.Ü.)

Mit anderen Worten: Das Göttliche ist zugleich die Seele der Materie und die Seele des Lebens, die Seele des Mentals und auch die Seele des supramentalen Lichts, das jenseits des Mentals und seiner begrenzten logisch denkenden Vernunft leuchtet. (447)

15.15
Ich wohne im Herzen aller. Aus Mir stammen das Gedächtnis und das Wissen und deren Abwesenheit. Und das, was von allen Veden (und in allen Formen des Wissens) gewusst wird, das bin Ich. Und Ich bin in der Tat der Kenner des Veda und der Verfasser des Vedanta.

15.16
Es gibt zwei Purushas (spirituelle Wesen) in dieser Welt: den Akshara (den Unwandelbaren und Unpersönlichen) und den Kshara (den Wandelbaren und Persönlichen). Der Wandelbare ist zu all diesen Daseinsformen geworden. Der Kutastha (das hocherhabene Bewusstsein des Zustands des Brahman) wird der Unwandelbare genannt.

Wir haben also zweierlei Geist, den wir in der Welt sehen. Der eine tritt in seinem Wirken an der Außenseite hervor; der andere verbleibt dahinter, in jenem ständigen Schweigen verharrend, aus dem alles Wirken hervortritt und in das alle Handlungen wieder einmünden, um im zeitlosen Sein, Nirvana, zu verschwinden. Dvāv imau puruṣau loke kṣaraś cākṣara eva ca.

Unsere Intelligenz wird durch die Schwierigkeit verwirrt, dass beide uns als unvereinbarer Gegensatz erscheinen. Es besteht keine wirkliche Verknüpfung zwischen ihnen, kein Übergang vom einen zum anderen, mit Ausnahme des unduldsamen Sich-Trennens. Kshara handelt, zumindest motiviert es ein Handeln, das für sich gesondert im Akshara abläuft. Akshara steht beiseite, in sich selbst konzentriert, in seiner Untätigkeit von Kshara losgelöst. (437-38)

Leben wir in der Bewegung des Werdens, können wir wohl der Unsterblichkeit zeitlosen Selbst-Seins bewusst sein, aber kaum darin leben. Und wenn wir uns ganz einsetzen im zeitlosen Wesen, fallen Zeit und Raum und die Umstände von uns ab und erscheinen uns mehr und mehr als ein lästiger Traum im Unendlichen. Der überzeugendste Schluss daraus wäre auf den ersten Blick, dass die Bewegung des Geistes in der Natur eine Illusion ist, wirklich nur, insofern wir in ihr leben, aber nicht wesenhaft wirklich. Darum fällt sie von unserer unbestechlichen Wesenheit ab, wenn wir in das Selbst zurücktreten. Das ist die vertraute Art, in der der Knoten des Rätsels durchhauen wird, brahma satyaṁ jagan mithyā.

Die Gita nimmt nicht Zuflucht zu dieser Erklärung, die ihre enormen Schwierigkeiten hat, abgesehen davon, dass sie für die Illusion keine plausible Erklärung geben kann, denn sie sagt nur, dass nicht alles eine mysteriöse und unverständliche Maya ist. Aber dann könnten wir ebenso gut sagen: Alles ist eine mysteriöse und unverständliche Wirklichkeit. Geist verbirgt sich selbst vor dem Geist. Die Gita spricht von Maya, aber nur als von einem verwirrenden partiellen Bewusstsein, das seinen Halt an der vollständigen Wirklichkeit verliert. Es lebt in der Erscheinung der bewegten Natur und hat keinen Blick für den Geist, dessen aktive Macht sie ist, me prakṛtiḥ. Wenn wir über diese Maya hinauskommen, verschwindet die Welt nicht. Sie verändert nur völlig ihre innerste Bedeutung. In der spirituellen Schau finden wir nicht, dass dies alles nicht wirklich existiert, vielmehr dass alles ist. Es existiert jedoch mit einer anderen Bedeutung als der gegenwärtigen irrtümlichen: Alles ist das Selbst, die Seele und die Natur der Gottheit; alles ist Vasudeva. Die Welt ist für die Gita real. Sie ist eine Schöpfung des Herrn, eine Macht des Ewigen, eine Manifestation aus dem Parabrahman. Und auch diese niedere Natur der dreifachen Maya ist eine Ableitung aus der höchsten göttlichen Natur. In dieser Unterscheidung können wir auch nicht mehr Zuflucht zu der Auffassung nehmen, es gebe eine doppelte, eine niedere aktive und vergängliche und eine höhere, ruhige, stille und ewige Wirklichkeit jenseits allen Wirkens, und unsere Befreiung liege darin, dass wir aus diesem Teil-Sein hinüberkommen in jenes hohe Sein, aus dem Handeln ins Schweigen. Denn die Gita betont, dass wir, solange wir leben, im Selbst und dessen Schweigen bewusst sein können und sollten, dass wir dennoch mit Macht in der Welt der Natur handeln. Und sie weist auf das Vorbild Gottes hin, der selbst nicht durch die Notwendigkeit der Geburt gebunden, sondern frei und über den Kosmos erhaben ist und doch ewig in der Aktivität verharrt, varta eva ca karmaṇi. Darum können wir die Einheit dieser doppelten Erfahrung in ihrer Vollendung dann verwirklichen, wenn wir uns mit der Ebenbildlichkeit der göttlichen Natur bekleiden. Aber was ist das Prinzip dieses Einsseins?

Die Gita findet es in ihrer erhabenen Schau des Purushottama. Denn das ist nach ihrer Lehre die Art vollkommener und höchster Erfahrung, die Erkenntnis dessen, der das Ganze erkennt, kṛtsnavidaḥ. (439-40)

15.17
Aber ein anderer als diese beiden ist jener höchste Purusha (Geist), der das erhabene Selbst, Paramatman, genannt wird. Er geht in die drei Welten ein und trägt und erhält sie, der unvergängliche Herr.

Akshara ist para, erhaben in Beziehung zu den Elementen und zur Aktion der kosmischen Natur. Es ist das unwandelbare Selbst aller. Und das unwandelbare Selbst aller ist der Purushottama. Er ist das Akshara in der Freiheit seines Selbst-Seins, unbeeinträchtigt durch die Aktion seiner eigenen Macht in der Natur, nicht negativ beeinflusst durch das Drängen seines eigenen Werdens, ungestört durch das Spiel seiner Eigenschaften. Aber das ist nur der eine, wenn auch wichtige Aspekt integraler Erkenntnis. Der Purushottama ist zugleich größer als das Akshara, da er mehr ist als die Unwandelbarkeit. Er ist nicht einmal durch den höchsten ewigen Zustand seines Seins begrenzt, paraṁ dhāma. Doch gelangen wir durch das, was in uns unwandelbar und ewig ist, zu jenem höchsten Stand, aus dem es keine Rückkehr mehr in die Geburt gibt. Das war die Befreiung, die von den Weisen der Alten Zeiten gesucht wurde. Wenn aber dieser Versuch, die Befreiung allein durch das Akshara zu erlangen, unternommen wird, wird er zu einem Suchen nach dem Unbestimmbaren. Das ist etwas, das für unsere verkörperte Natur, die wir hier in der Materie sind, harte Mühe bedeutet. Das Unbestimmbare, zu dem sich hier in uns das Akshara, das reine unberührbare Selbst, in seinem sich absondernden Drängen erhebt, ist ein höchstes Nicht-Manifestiertes, paro avyaktaḥ –, und jenes höchste ungeoffenbarte Akshara ist doch der Purushottama. Darum hat die Gita gesagt: Auch die den Weg zum Unbestimmbaren gehen, kommen zu Mir, zur ewigen Gottheit. Dennoch ist der Purushottama mehr als selbst das höchste ungeoffenbarte Akshara, mehr als irgendein negatives Absolutes, neti neti, weil er, der Purushottama, auch erkannt werden muss als der erhabene Purusha, der das ganze Universum innerhalb seines eigenen Seins ausbreitet. Er ist das erhabene mysteriöse All, ein unbeschreibliches positives Absolutes aller Dinge hier. Er ist der Herr in Kshara, der Purushottama nicht nur dort, sondern hier im Herzen jedes Geschöpfes, der Ishwara. Und auch dort ist er, gerade in seinem höchsten ewigen Zustand, paro avyaktaḥ, der erhabene Herr, Parameshwara, nicht ein fernes, beziehungsloses Unbestimmbares, vielmehr Ursprung, Vater und Mutter, erste Grundlegung und ewige Zuflucht von Selbst und Kosmos, Herr alles Seienden, der sich erfreut an Askese und Opfer. Wenn die Seele ihn zugleich als Akshara und Kshara erkennt, wenn sie von ihm weiß, dass er der Ungeborene ist, der sich, partiell in jeder Geburt manifestiert und der sogar als der ständige Avatar selbst herniederkommt, wenn die Seele ihn in seiner ganzen Seinsfülle erkennt, samagraṁ mām, wird sie leicht von den äußeren Erscheinungen der niederen Natur erlöst und kehrt durch plötzliches gewaltiges Wachstum und einen weiten unermesslichen Aufstieg in das göttliche Wesen und die höchste Natur zurück. Denn auch die Wahrheit des Kshara ist eine Wahrheit des Purushottama. Der Purushottama ist im Herzen jeglicher Kreatur und wird in seinen zahllosen Vibhutis geoffenbart. Der Purushottama ist der kosmische Geist in der Zeit. Er ist es, der den Befehl zur göttlichen Aktion des befreiten menschlichen Geistes erteilt. Er ist beides, Akshara und Kshara, und doch ist er auch etwas anderes, da er mehr und größer ist als diese beiden gegensätzlichen Prinzipien. Uttamaḥ puruṣas tvanyaḥ paramātmetyudāhṛtaḥ, yo lokatrayam āviśya bibhartyavyaya īśvaraḥ. „Aber ein anderer als diese beiden ist jener höchste Purusha (Geist), der das erhabene Selbst, Paramatman, genannt wird. Er geht in die drei Welten ein und trägt und erhält sie, der unvergängliche Herr.“ Dieser Vers ist das Schlüsselwort der Gita zur Aussöhnung dieser zwei scheinbar entgegengesetzten Aspekte unseres Seins. (440-42)

Das Göttliche ist weder ganz Kshara noch ganz Akshara. Es ist größer als das unwandelbare Selbst, und es ist viel größer als die Seele in den wandelbaren Dingen. Wenn es fähig ist, beides zugleich zu sein, so deshalb, weil es etwas anderes ist als sie, anyaḥ. Es ist der Purushottama, über den ganzen Kosmos erhaben, und doch ausgebreitet in der Welt und enthalten im Veda, im Wissen um sich selbst und in der kosmischen Erfahrung. (447)

15.18
Da Ich jenseits des Veränderlichen und größer bin als der Unwandelbare selbst, werde Ich in der Welt und im Veda als der Purushottama verkündet (als das erhabene Selbst).

15.19
Wer so, von Täuschungen befreit, das Wissen von Mir als dem Purushottama besitzt, der verehrt Mich (hat Bhakti für Mich) mit all seinem Wissen und jeder Äußerung seines natürlichen Wesens.

Er schaut den ganzen Sinn sowohl des Selbstes wie der Dinge. Er stellt die vollständige Wirklichkeit des Göttlichen wieder her, samagraṁ mām. Er vereint das Kshara mit dem Akshara im Purushottama. Er liebt, verehrt, umklammert und betet an das höchste Selbst seines Seins und alles Seienden; den einen Herrn seiner und aller Kräfte, den nahen und weit entfernten Ewigen in der Welt und jenseits von ihr. Und er tut dies nicht nur mit einer einzigen Seite oder einem Wesensteil von sich, nicht mit ausschließendem spiritualisierten Mental, dem blendenden Licht des Herzens, das zwar stark ist, aber geschieden von der ganzen Weite; und nicht mit einem einzigen Trachten seines Willens im Wirken. Vielmehr tut er es auf allen vollkommen erleuchteten Wegen seines Wesens und seines Werdens, seiner Seele und seiner Natur. Göttlich in der Gelassenheit seines unerschütterlichen Selbst-Seins, eins in ihm mit allen Gegenständen und Geschöpfen, bringt er diesen unbegrenzten Gleichmut, dieses tiefe Einssein in sein Mental, in sein Herz, in sein Leben und in seinen Körper. Darauf gründet er die unteilbare Ganzheit der Trinität von göttlicher Liebe, göttlichem Wirken und göttlichem Wissen. Dies ist der Weg der Gita zur Erlösung. (448)

15.20
So ist dir nun, O Sündenloser, von Mir das allergeheimste Shastra (die höchste Lehre und Wissenschaft) mitgeteilt worden. Es völlig zu kennen heißt, in seinem Verstehen vollendet und erfolgreich zu sein im höchsten Sinne, O Bharata.