12. Kapitel

Der Weg und der Bhakta

12.1
Arjuna sprach:
Wer hat das höhere Wissen vom Yoga: Jene Dir in Liebe Ergebenen, die so durch ein immerwährendes Einssein nach Dir suchen, oder jene, die nach dem ungeoffenbarten Unwandelbaren trachten?

Im elften Kapitel der Gita ist der ursprüngliche Zweck der Belehrung erreicht und bis zum gewissen Grad vollständig dargestellt worden. Der Befehl zum göttlichen Handeln ist dem Vibhuti erteilt und von ihm angenommen worden. Er soll zum Nutzen der Welt und in Einung mit dem Geist handeln, der ihr und allen Geschöpfen innewohnt und in dem all ihr Wirken geschieht. Der Schüler wurde weggeführt von der früheren Haltung des gewöhnlichen Menschen und den Maßstäben, Motiven, der Anschauung und dem egoistischen Bewusstsein seiner Unwissenheit; weg von alledem, was ihn schließlich in der Stunde seiner spirituellen Krise im Stich gelassen hat. Er ist dazu gebracht worden, gerade jene Tat, die er aufgrund jener Standpunkte zurückgewiesen hatte, jene schreckliche Funktion, jene entsetzliche Arbeit, zu bejahen und auf einer neuen inneren Basis zu übernehmen. Dies ist das neue innere Prinzip des Wirkens, das die alte unwissende Tätigkeit umwandeln soll: eine höhere, die Gegensätze versöhnende Erkenntnis, ein göttlicheres Bewusstsein, ein hohes apersonales Motiv, ein spiritueller Maßstab des Geeintseins mit dem Willen des Gottes, der aus dem Urquell des Lichts, mit der Motivkraft der spirituellen Natur auf die Welt einwirkt. Die dem befreiten Menschen angebotene Grundlage für seine Aktivitäten sind: ein Wissen, das das Einssein mit dem Göttlichen umfasst und durch dies Einssein mit Gott zu einem bewussten Einssein mit allen Dingen und Wesen gelangt; ein Wille, der bar ist des Egoismus und nur auf das Gebot des verborgenen Gebieters des Wirkens und als dessen Werkzeug handelt; eine göttliche Liebe, deren einzige Sehnsucht auf innige Gemeinschaft mit der höchsten Seele allen Seins gerichtet ist, vollendet durch die Vereinigung dieser drei vervollkommneten Mächte: eine innere, alles umfassende Einung mit dem transzendenten und universalen Geist, mit der Natur und mit allen Geschöpfen. Denn von dieser Grundlage aus kann die Seele im Menschen ihrer instrumentalen Natur erlauben, in Sicherheit zu handeln, wird der Mensch emporgehoben über alle Fehlerquellen, befreit vom Egoismus und seinen Beschränkungen, gerettet von aller Furcht vor der Sünde und dem Bösen und seinen Folgen, emporgehoben aus jener Gebundenheit an die äußere Natur und das eingeengte Handeln, dessen Fessel die Unwissenheit ist. Er kann nun in der Macht des Lichts handeln. Er ist nicht mehr im Zwielicht oder in der Finsternis. Eine göttliche Zustimmung billigt jeden Schritt seines Verhaltens. Durch lichtvolle Aussöhnung des Geistes mit der Natur ist die Schwierigkeit überwunden, die durch die Antinomie zwischen der Freiheit des Geistes und der Gebundenheit der Seele in der Natur entstanden war. Diese Antinomie existiert für das Mental in der Unwissenheit. Für den Geist in seinem Wissen hört sie auf zu existieren.

Aber es muss noch mehr gesagt werden, um die volle Bedeutung der großen spirituellen Umwandlung klarzumachen. Das zwölfte Kapitel führt hin zu dieser noch verbleibenden Erkenntnis, und die letzten sechs darauf folgenden Kapitel entwickeln sie zu einem großartigen Abschluss. Was jetzt noch gesagt werden muss, dreht sich um den Unterschied zwischen der geläufigen vedantischen Ansicht über die spirituelle Befreiung und die größere umfassende Freiheit, die die Lehre der Gita dem Geist eröffnet. Hier kommt es nun zu einer deutlich wiederholten Betonung dieses Unterschieds. Der geläufige vedantische Weg führte durch das Tor strenger und exklusiver Erkenntnis. Der Yoga, das Einssein, das er als die Methode und das alles in sich einbeziehende Wesentliche spiritueller Befreiung anerkennt, war ein Yoga reinen Wissens und stillen Einsseins mit einem höchsten Unwandelbaren, mit einem absoluten Undefinierbaren – dem nicht-manifestierten Brahman, das unendlich, schweigend, ungreifbar, abseits und weit über diesem Universum der Beziehungen ist. Bei dem von der Gita vorgeschlagenen Weg ist Wissen ganz gewiss die unentbehrliche Grundlage, aber nur integrale Wissen. Apersonales integrales Wirken ist das erste unentbehrliche Mittel. Die stärkste und höchste Macht für die Befreiung und spirituelle Vollkommenheit und für das unsterbliche Ananda ist aber tiefe und umfassende Liebe und Anbetung, auf die ein beziehungsloses Ungeoffenbartes, ein abseitiges und unbewegliches Brahman keine Antwort geben kann, da diese Dinge eine Beziehung, intime persönliche Nähe erfordert. Dieser Gott, mit dem die Seele des Menschen dieses engste Einssein eingehen muss, ist gewiss in seinem höchsten Zustand ein transzendentes Unausdenkbares, das zu erhaben ist für irgendeine Manifestation, Parabrahman. Er ist aber zugleich auch die lebendige höchste Seele aller Dinge. Er ist der höchste Herr, der Meister des Wirkens und der universalen Natur. Zugleich überragt und bewohnt er als deren Selbst die Seele, das Mental, den Körper der Kreatur. Er ist Purushottama, Parameshvara und Paramatman, und in allen diesen einander gleichen Aspekten ist er dieselbe, einzige und ewige Gottheit. Das weit offene Tor zur äußersten Befreiung der Seele und zu einer unvorstellbaren Vervollkommnung der Natur ist ein Erwachen zu diesem integralen, versöhnenden Wissen. An diesen Gott in der Einheit all seiner Aspekte müssen wir unsere Werke, unsere Anbetung und unser Wissen als ein ständiges inneres Opfer richten. Diese höchste Seele, Purushottama, ist es, die erhaben über dem Universum waltet, aber auch dessen Geist, Bewohner und Besitzer ist, wie das so machtvoll in der Vision von Kurukshetra dargestellt wird, in den die befreite Seele eingehen muss, sobald sie die Vision und die Erkenntnis von ihm in allen Prinzipien und Mächten seines Seins erlangt hat und fähig ist, sein vielfältiges Einssein zu begreifen und sich dessen zu erfreuen, jñātuṁ draṣṭuṁ tattvena praveṣṭuṁ ca.

Die Befreiung nach der Gita ist keine selbst-vergessene Aufhebung des persönlichen Wesens der Seele beim Aufgehen in dem Einen, sāyujya mukti. Sie ist alle Arten von Einung zugleich. Es gibt eine völlige Vereinigung mit der erhabenen Gottheit in der Wesenhaftigkeit des Seins, in der Vertrautheit des Bewusstseins und in der Gleichheit der Seligkeit, sāyujya –, denn eines der Ziele dieses Yoga ist es, Brahman zu werden, brahmabhūta. Es gibt ein immerwährendes begeistertes Sich-aufhalten im höchsten Sein des Erhabenen, sālokya –, denn es heißt: „Du sollst in Mir wohnen, nivasiṣyasi mayyeva.“ Es gibt eine ewige Liebe und Anbetung in einender Nähe. Es gibt eine Umarmung des befreiten Geistes durch seinen göttlichen Liebhaber und das einhüllende Selbst seiner Unendlichkeit, sāmīpya. Es gibt eine Gleichheit des befreiten Wesens der Seele mit dem göttlichen Wesen, sādṛśya mukti –, denn die Vollkommenheit des freien Geistes besteht darin, ebenso zu werden wie das Göttliche, madbhāvam āgataḥ, und eins zu sein mit ihm im Gesetz seines Seins und im Gesetz seines Wirkens und seiner Art, sādharmyam āgataḥ. Der orthodoxe Yoga des Wissens erstrebt ein bodenloses Aufgehen in dem einen unendlichen Sein, sāyujya. Er betrachtet dies allein als die völlige Befreiung. Der Yoga der Anbetung hält ein ewiges Innewohnen oder ein Nahe-sein für die höhere Befreiung, sālokya, sāmīpya. Der Yoga des Wirkens führt zum Einssein in der Macht des Wesens und der Natur, sādṛśya. Die Gita bezieht all diese Formen in ihre allumfassende Vollständigkeit ein und verschmilzt sie zu der einen höchsten und reichsten göttlichen Freiheit und Vollkommenheit.

Arjuna soll die Frage nach dem Unterschied stellen. Wir erinnern uns daran, dass zwischen dem apersonalen, unveränderlichen Akshara Purusha und der höchsten Seele, die zugleich Apersonalität und göttliche Person und noch mehr als beides ist, noch nicht ausdrücklich und definitiv unterschieden worden war. Diese grundlegende Unterscheidung ist in den späteren Kapiteln und in dem göttlichen „Ich“ enthalten, von dem Krishna dauernd gesprochen hat, aham, mām. Wir haben sie bisher durchweg vorweggenommen, damit wir von Anfang an den vollen Sinn der Botschaft der Gita verstehen und nicht, wozu wir sonst gezwungen wären, wieder zurückkehren müssen, um zu besprechen, was nun neu gesehen und durchschaut wird im Licht der höheren Wahrheit. Zuerst ist Arjuna nahegelegt worden, seine gesonderte Persönlichkeit untergehen zu lassen in der stillen Apersonalität des einen ewigen und unwandelbaren Selbsts. Diese Lehre passte sehr wohl zu seinen früheren Auffassungen und machte ihm keine Schwierigkeit. Nun steht er aber der Vision dieser größten transzendenten, dieser weitest umfassenden Gottheit gegenüber und erhält das Gebot, Einssein mit ihr durch Wissen, Wirken und Verehrung zu suchen. Darum fragt er, ob es nicht besser sei, einen Zweifel auszuräumen, der sonst aufkommen könnte: „Wer hat das höhere Wissen vom Yoga: Jene Dir in Liebe Ergebenen, die so durch ein immerwährendes Einssein nach Dir suchen, oder jene, die nach dem ungeoffenbarten Unwandelbaren trachten?“ Das erinnert an die Unterscheidung, die am Anfang getroffen wurde, durch Sätze wie „In dem Selbst, dann in Mir“, ātmani atho mayi. Arjuna weist auf den Unterschied hin: tvām, akṣaram avyaktam. Er sagt dem Sinne nach: Du bist höchste Quelle und Ursprung aller Wesen, eine allen Dingen immanente Gegenwart, eine Macht, die das Universum mit ihren Gestaltungen durchdringt, eine Person, die sich in ihren Vibhutis manifestiert; geoffenbart in deinen Geschöpfen; geoffenbart in der Natur; du thronst als der Herr der Werke durch deinen mächtigen Welt-Yoga in der Welt und in unseren Herzen. Als solchen soll ich dich erkennen, anbeten und mich mit dir in meinem ganzen Herzen, Bewusstsein, Denken, Fühlen und Handeln einen, satata-yukta. Was ist aber dann dieses Unwandelbare, das sich niemals manifestiert, das nie eine Gestalt annimmt, das im Hintergrund und losgelöst von allem Wirken bleibt, das in keine Beziehung eintritt mit dem Universum oder mit irgendetwas darin, das ewig schweigend und in sich geeint ist, apersonal und unbeweglich? Dieses ewige Selbst ist nach allen geläufigen Auffassungen das höhere Prinzip, die Gottheit in der Manifestation ist demgegenüber eine niedrigere Gestalt: Das Unmanifestierte, nicht das Manifestierte, wäre also der ewige Geist? Wie denn kommt es dazu, dass die Einung, die die Manifestation, also die niedrigere Sache zulässt, dennoch das höhere Yoga-Wissen ist? (396-400)

12.2
Der Erhabene sprach:
Jene, die ihr Mental fest in Mir gegründet haben und, von höchstem Glauben erfüllt, durch immerwährendes Einssein zu Mir zu gelangen suchen, die halte Ich für die Vollkommensten in der Einung des Yoga.

Der höchste Glaube ist jener, der Gott in allem erkennt und für dessen Schau Manifestation und Nicht-Manifestation die eine Gottheit sind. Die vollkommene Einung ist jene, mit der dem Göttlichen in jedem Augenblick, bei jeglichem Handeln und mit der ganzen Vollständigkeit der Natur begegnet wird. (400)

12.3-4
Aber auch jene, die nach dem unerklärbaren und ungeoffenbarten Unwandelbaren trachten, das allgegenwärtig, unvorstellbar, in sich ausgeglichen, unbeweglich und beständig ist, auch sie gelangen zu Mir, wenn sie all ihre Sinne bezähmen, ihr Verstehen gelassen ist, wenn sie das eine Selbst in allen Dingen erkennen und von ruhiger Freundlichkeit stillen Wohlwollens für alle Wesen sind.

Denn sie irren sich nicht in ihrem Ziel; sie verfolgen aber einen schwierigeren, weniger vollkommenen Weg. Am leichtesten können sie das ungeoffenbarte Absolute erreichen, wenn sie durch das hier geoffenbarte Unwandelbare hindurch emporklimmen. Dies manifestierte Unwandelbare ist meine eigene, alles durchdringende Apersonalität, mein Schweigen. Es ist unermesslich, unausdenkbar, unbeweglich, beständig, allgegenwärtig. Damit trägt es das Handeln der Persönlichkeit, nimmt aber keinen Anteil daran. Es bietet dem mentalen Wesen keinen Halt. Man kann es nur durch bewegungslose spirituelle Apersonalität und Schweigen gewinnen. Wer diesen Pfad allein befolgt, muss sich aller Aktivität des Mentals und der Sinne enthalten, ja, diese völlig in sich zurückziehen. (400)

12.5
Doch ist der Weg derer, die sich dem Suchen nach dem ungeoffenbarten Brahman weihen, viel schwerer. Verkörperte Seelen können hier nur durch ständige Abtötung ihres Körpers zum Ziel gelangen, durch Leiden all ihrer unterdrückten Wesensteile, durch harte Disziplin und Qual ihrer Natur.

Nun soll man nicht denken, dass dieser Weg darum auch ein höherer und wirksamerer Vorgang sei, weil er der mühevollere ist. Der leichtere Weg der Gita führt rascher, natürlicher und normaler zur gleichen absoluten Befreiung. Denn wenn wir auf diesem Weg die Gottheit als Person annehmen, bedeutet das nicht, dass wir an die mentalen und sinnenhaften Begrenzungen der verkörperten Natur gebunden sind. Im Gegenteil, es führt dazu, dass die Ketten der phänomenalen Gebundenheit von Tod und Geburt rasch und wirksam gelöst werden. Der Yogin, der ausschließlich den Weg des Wissens geht, legt sich ein schmerzvolles Ringen mit den damit verbundenen mannigfaltigen Anforderungen auf. Er versagt ihnen auch ihre höchste Befriedigung und entledigt sich sogar der aufwärts gerichteten Impulse, des Geistes, sobald diese zu Beziehungen führen oder nicht nach dem Absoluten streben, das uneingeschränkt alles negiert. Im Gegensatz dazu verwendet der Lebensweg der Gita die stärkste aufwärts gerichtete Tendenz unseres ganzen Wesens und benutzt die auf Gott gerichteten Funktionen des Wissens, des Willens und Gefühls sowie den Drang nach Vollkommenheit, um aus ihnen Flügel zu machen, die uns zur Befreiung emportragen. (400-01)

12.6-7
Jene jedoch, die ihr gesamtes Wirken an Mich überantworten, die, Mir völlig hingegeben, Mich verehren, indem sie über Mich in einem unerschütterlichen Yoga meditieren, die ihr ganzes Bewusstsein auf Mich richten, diese, O Partha, befreie Ich schnell aus dem Meer des an den Tod gebundenen Daseins.

Das undefinierbare Einssein nimmt alles, was zu ihm emporklimmt, an, bietet aber dazu keine Hilfe der Beziehung und gibt dem Emporklimmenden keinen Halt. Alles muss mit strenger Askese und in hartem, einsamem, individuellem Ringen geleistet werden. Wie anders ist es für jene, die nach der Methode der Gita den Purushottama suchen! Wenn sie über ihn in einem Yoga meditieren, der auf sonst niemanden schaut, weil er alles als Vasudeva erkennt, dann begegnet jener ihnen allerorten, in jedem Augenblick, zu allen Zeiten, mit unzähligen Gestalten und Gesichtern, hält er in ihrem Inneren die Lampe der Erkenntnis hoch, überflutet er mit ihrem göttlichen, frohen Leuchten das Ganze des Seins. In dieser Erleuchtung erkennen sie den erhabenen Geist in jeder Gestalt und Erscheinung. Sie gelangen sogleich, die ganze Natur durcheilend, hin zum Herrn der Natur. Durch alle Wesen hindurch kommen sie zur Seele von allem, was ist, zum Selbst von allem, was sie durch sich selbst sind: Unaufhaltsam brechen sie durch Hunderte sich öffnender Ausgänge zugleich in jenes, aus dem alles seinen Ursprung nimmt. Die andere Methode mit der schwierigen beziehungslosen Stille versucht, von allem Handeln loszukommen, obwohl das für die verkörperten Geschöpfe unmöglich ist. Hier werden alle Handlungen dem höchsten Herrn des Handelns abgegeben. Er, als der höchste Wille, kommt dem Willen des Opfernden entgegen. Er nimmt ihm seine Bürde ab und übernimmt die Verantwortung für die göttliche Natur in uns selbst. Und wenn noch dazu der Verehrende des Liebenden, des Freundes der Menschen und aller Geschöpfe ihm in der glühenden Leidenschaft der Liebe sein ganzes Herz, sein Bewusstsein und alles Sehnen nach Seligkeit schenkt, dann kommt der Erhabene schnell zu ihm als Retter und Befreier und hebt ihn durch eine beseligende Umarmung seines Mentals, Herzens und Körpers heraus aus den Wogen des Meeres von Tod in dieser sterblichen Natur und birgt ihn an der sicheren Brust des Ewigen. Dies also ist der rascheste, umfassendste und großartigste Weg. (401-02)

12.8
Lass all dein Denken in Mir ruhen und gründe dein ganzes Verstehen in Mir. Zweifle nicht daran, dass du in Mir, oberhalb dieses sterblichen Daseins wohnen wirst.

12.9
Und wenn du nicht fähig bist, das Bewusstsein ständig auf Mich zu richten, O Dhananjaya, dann trachte nach Mir durch den Yoga praktischer Disziplin.

Kein Zweifel, auch auf diesem Weg gibt es Schwierigkeiten. Denn auch hier zieht immer noch die niedere Natur mit ihrem wilden oder dumpfen Hang nach unten, mit dem sie der Bewegung des Aufstiegs Widerstand und Kampf bietet und die Flügel der Begeisterung und des Aufschwungs lähmt. Das göttliche Bewusstsein kann aber nicht sofort festgehalten oder willkürlich zurückgerufen werden, auch wenn es anfangs im Wunder erhabener Augenblicke oder in friedvoller und herrlicher Dauer gefunden worden ist. Oft fühlen wir unsere Unfähigkeit, unser persönliches Bewusstsein ständig im Göttlichen fest gegründet zu halten. Es gibt die Nächte langer Vertreibung aus dem Licht. Es gibt die Stunden oder Augenblicke der Revolte, des Zweifels und Versagens. Dennoch wächst durch die Praxis der Vereinigung und durch ständige Wiederholung der Erfahrung dieser höchste Geist in uns und ergreift dauerhaft Besitz von unserer Natur. (402)

12.10
Und wenn du auch dies nicht kannst, Mich durch Praxis zu suchen, dann sei es dein höchstes Ziel, Mein Werk zu tun. Wenn du all deine Handlungen um Meinetwillen tust, wirst du Vollkommenheit erlangen.

Finden wir auch dies zu schwer angesichts der Macht und Hartnäckigkeit des nach außen strebenden Mentals, dann gibt es den einfachen Ausweg, dass wir alle Handlungen um des Herrn des Handelns willen vollbringen, so dass jede nach außen gerichtete Bewegung des Mentals eng verbunden ist mit der inneren spirituellen Wahrheit des Wesens und gerade bei dieser Bewegung in die ewige Wirklichkeit zurückgerufen und so wieder mit ihrem Ursprung verbunden wird. Dann wird die Anwesenheit des Purushottama im Menschen zunehmen, bis dieser davon erfüllt ist und zu etwas Göttlichem und Geist wird. (402)

12.11
Aber wenn selbst dies ständige Gedenken an Mich und die Erhebung deines gesamten Wirkens empor zu Mir du als jenseits deiner Kraft empfindest, dann verzichte mit beherrschtem Selbst auf alle Früchte deines Handelns.

Das begrenzte Mental wendet sich in seiner Vergesslichkeit immer wieder dem Wirken nach äußeren Zielen zu und denkt nicht daran, nach innen zu schauen und all unsere Regungen auf dem Altar des göttlichen Geistes darzubringen. Dann haben wir unser niederes Selbst im Handeln zu beherrschen und ohne Verlangen nach den Früchten zu wirken. Auf alle Frucht soll verzichtet werden, sie soll der Macht übergeben werden, die unser Werk lenkt, und doch soll das Werk, das durch Sie unserer Natur auferlegt ist, getan werden. Denn durch dieses Mittel wird das Hindernis ständig verkleinert, es verschwindet leicht. So wird das mentale Wesen frei, um des Herrn zu gedenken und sich selbst fest in der Freiheit des göttlichen Bewusstseins zu gründen. Hier bietet die Gita eine aufsteigende Skala machtvoller Möglichkeiten und verleiht die Palme der Auszeichnung diesem Yoga des Handelns, das frei ist von Verlangen. (403)

12.12
Wissen ist wahrlich besser als Praxis, Meditation ist besser als Wissen, Verzicht auf die Früchte des Handelns ist besser als Meditation. Auf Verzicht folgt Friede.

Abhyāsa, das Praktizieren einer Methode, die Wiederholung eines Bemühens und die daraus gewonnene Erfahrung sind etwas Großes und Machtvolles. Besser als dies ist Wissen, die erfolgreiche und erleuchtete Hinwendung unseres Denkens zur Wahrheit hinter den Dingen. Diese Denk-Wissen wird aber übertroffen durch schweigende vollkommene Konzentration auf die Wahrheit, so dass unser Bewusstsein schließlich in ihr leben und immer eins mit ihr sein wird. Doch noch machtvoller ist es, wenn wir die Frucht unseres Wirkens ganz aufgeben, da dies sofort alle Ursachen von Unruhe vernichtet und automatisch innere Ruhe, inneren Frieden hervorbringt und bewahrt. Ruhe und Frieden sind die Grundlage, auf der alles andere vollkommen und gesicherter Besitz wird durch den gelassenen Geist. Dann kann das Bewusstsein ruhig sein, sich beglückt auf das Göttliche festlegen und ungestört zur Vollendung emporsteigen. Dann können auch Wissen, Wille und liebende Hingabe ihre Gipfel vom festen Boden gewichtiger Stille aus in den Äther der Ewigkeit erheben.

Was wird dann die göttliche Art sein? Was wird der höhere Zustand des Bewusstseins und Wesens des Bhakta sein, der diesen Weg befolgt und sich der Verehrung des Ewigen zugewandt hat? Die Gita bringt in einer Anzahl von Versen die Umwandlung in Zusammenhang mit ihrer ersten dringenden Forderung nach Gelassenheit, Freisein von Verlangen, Freiheit des Geistes. Sie sollen stets die Basis sein –, deshalb wurde darauf am Anfang so großes Gewicht gelegt. Und in dieser Gelassenheit muss Bhakti, die Liebe zum und Verehrung des Purushottama, den Geist erheben zu einer größten und höchsten Vollkommenheit, deren weites Fundament diese stille Gelassenheit sein wird. Hier werden einige Rezepte dieses grundlegenden gelassenen Bewusstseins angegeben. (403-04)

12.13-14
Wer frei ist von Egoismus, von „ich“ und „mein“, wer Freundschaft und Mitleid mit allen Wesen hat und keinem lebendigen Geschöpf mit Hass begegnet, wer von ruhigem Gleichmut erfüllt ist gegenüber Freude und Leid, wer geduldig ist und vergibt, wer wunschlos zufrieden ist und sich ständig selbst beherrscht, wer den festen, unerschütterlichen Willen und die Entschlossenheit des Yogin hat und solche Liebe und Verehrung, dass er sein ganzes Gemüt und seine Vernunft an Mich hingibt, der ist Mir lieb.

12.15
Wer die Welt nicht quält und plagt und sich auch nicht quälen und plagen lässt vonseiten der Welt, wer befreit ist von der geplagten, aufgeregten niederen Natur, von ihren Wellen der Freude und Furcht, der Angst und des Unwillens, der ist Mir lieb.

12.16
Wer nichts mehr begehrt, rein ist, sachkundig in allem Handeln, neutral gegenüber allem, was kommt, nicht geplagt oder beunruhigt wird durch das, was eintritt oder geschieht, wer allen Antrieb zum Handeln aufgegeben hat, der Mich Verehrende –, der ist Mir lieb.

Er wird ein Mensch sein, der alles Verlangen und Handeln an den Herrn seines Wesens hingegeben hat, einer, der rein und still lebt, ohne Angst vor jeglichem, das kommen mag, den weder Schmerz noch Kummer bei einem Ergebnis oder Ereignis anrühren, der jegliche egoistische, persönlichem oder mentalem Interesse dienende Initiative zu innerem oder äußerem Wirken von sich gewiesen hat, der den göttlichen Willen und das göttliche Wissen ohne Ablenkung durch eigene Entschlüsse, Bevorzugungen und Wünsche durch sich hindurchströmen lässt, der gerade aus diesem Grund seiner Art nach stets rasch und geschickt handelt, weil die ungetrübte Geeintheit mit dem höchsten Willen, dieser reine Werkzeugcharakter, Voraussetzung ist für höchstes Können im Wirken. (404)

12.17
Wer weder das Erfreuliche begehrt, noch jubelt, wenn es ihm zufällt, wer vor dem Unerfreulichen nicht zurückschreckt und nicht Leid empfindet, wenn es ihn befällt, wer keinen Unterschied mehr macht zwischen glücklichen und unglücklichen Ereignissen (weil er in seiner Gott-Ergebenheit alle Dinge gleichmütig als gut entgegennimmt aus den Händen seines ewigen Geliebten und Meisters) –, der ist Mir lieb.

12.18-19
Gleichmütig gegenüber Freund und Feind, gleichmütig gegenüber Ehrung und Beschimpfung, Freude und Schmerz, Lob und Tadel, Kummer und Glück, Hitze und Kälte (all den Beunruhigungen mit gegensätzlichen Einflüssen der angeborenen Natur), schweigsam, zufrieden und genügsam mit allem und jeglichem, an keine Person oder Sache gebunden, an keinen Ort und kein Heim gebunden, gefestigt im Mental (weil es ständig im höchsten Selbst ruht und für immer auf das göttliche Ziel seiner Liebe und Verehrung gerichtet ist) –, ein solcher Mensch ist Mir lieb.

Gleichmut, Freisein von Verlangen und Freiheit von der niederen egoistischen Art und ihren Ansprüchen bilden die eine vollkommene Grundlage, die die Gita für die große Befreiung fordert. Am Ende wird noch einmal mit allem Nachdruck die erste grundlegende Lehre und das von Anfang an Geforderte wiederholt: die ruhige Seele des Wissens, welches das eine Selbst in allen Dingen schaut, die stille, vom Ego befreite Gelassenheit, das Ergebnis dieses Wissens; ein Handeln, das, frei von Verlangen, in diesem Gleichmut dem Herrn unseres Wirkens dargebracht wird; die Überantwortung der ganzen mentalen Natur des Menschen an den mächtigeren, innewohnenden Geist. Die Krönung dieses Gleichmuts ist Liebe, die sich auf Wissen gründet, die im instrumentalen Handeln zur Erfüllung kommt, die sich über alle Dinge und Wesen erstreckt, eine alles in sich aufnehmende, alles in sich enthaltende Liebe zum göttlichen Selbst, dem Schöpfer und Meister des Universums, suhṛdaṁ sarva-bhūtānāṁ sarva-loka-maheśvaram. (405)

12.20
Aber über alle Maßen lieb und teuer sind Mir jene Verehrer, die Mich zu ihrem einzigen und höchsten Ziel machen und aus vollkommenem Glauben und mit Sorgfalt dem zur Unsterblichkeit führenden Dharma folgen, das in dieser Lehre dargestellt wird.

Dharma bedeutet in der Sprache der Gita das dem einzelnen Menschen eingeborene Wesens-Gesetz und alles Wirken und eine Tat, die der inneren Natur entspringt und durch sie bestimmt wird, svabhāva-niyataṁ karma. Im niederen, unwissenden Bewusstsein des Mentals, Lebens und Körpers gibt es viele Dharmas, viele Regeln, viele Maßstäbe und Gesetze, weil es so viele unterschiedliche Bestimmungen und Arten der mentalen, vitalen und physischen Natur gibt. Das unsterbliche Dharma ist ein einziges. Es ist das des höchsten, spirituellen, göttlichen Bewusstseins und seiner Mächte, parā prakṛtiḥ. Es steht jenseits der drei Gunas. Wollen wir es erreichen, müssen wir die niederen Dharmas aufgeben, sarva-dharmān parityajya. An ihrer Stelle muss allein das eine, befreiende, vereinende Bewusstsein und die Macht des Ewigen zur unendlichen Quelle unseres Wirkens werden, seine Prägeform, das Bestimmende und Vorbild. So wird es für diesen Yoga zur ersten Notwendigkeit, aus unserem niederen persönlichen Egoismus herauszukommen, in die apersonale gelassene Ruhe des unbeweglichen, ewigen, alles durchdringenden Akshara Purusha einzutreten; aus dieser Ruhe durch völliges überantworten unseres Selbstes und unserer ganzen Natur sowie unseres Seins nach dem zu trachten, was anders und noch höher ist als das Akshara. In der Kraft dieses Strebens können wir zum unsterblichen Dharma emporkommen. Dort kann der befreite Geist, völlig geeint in Sein, Bewusstsein und göttlicher Seligkeit mit dem höchsten Uttama Purusha und eins geworden mit seiner höchsten dynamischen Natur-Kraft, svā prakṛtiḥ, in unendlicher Weise wissen, unbegrenzt lieben und unfehlbar in der verbürgten Macht höchster Unsterblichkeit und vollkommener Freiheit handeln. Der Rest der Gita ist dazu da, mehr Licht auf dieses unsterbliche Dharma zu werfen. (405-06)