Kapitel 3
Demut
Worte der Mutter
Demut ist die Erkenntnis, dass man nichts weiß, überhaupt nichts, und dass es etwas anderes geben kann als das, was uns im Augenblick als das Wahrste, das Edelmütigste und das Selbstloseste erscheint: die wahre Demut, die darin besteht, sich stets auf den Herrn zu beziehen, Ihm alles vorzulegen.

Worte der Mutter
Eines ist immer gesagt, aber missverstanden worden, nämlich wie notwendig Demut ist. Es wird falsch aufgenommen, missverstanden und falsch angewendet. Sei demütig, wenn du es auf die wahre Weise sein kannst, vor allem aber sei es nicht auf die falsche Weise, denn das führt zu gar nichts. Es gibt nur eine Sache: Wenn du den Samen jenes Unkrauts ausmerzen kannst, das Eitelkeit heißt, hast du etwas geleistet. Doch wenn du wüsstest, wie schwer das ist! Du kannst nichts wirklich gut machen, keine gute Idee, keine gute Regung haben, keinen Fortschritt machen, ohne dich innerlich selbstgefällig aufzublasen – dessen du dir selbst gar nicht bewusst bist. Du musst schon mit dem Hammer draufschlagen, damit das zerbricht. Und dann bleiben immer noch Stücke übrig, und diese Stücke fangen dann wieder an zu sprießen. Man hat das ganze Leben damit zu tun: Nie darf man vergessen, fleißig dies Unkraut zu jäten, das immer wieder nachwächst, und zwar derart tückisch, dass du schon glaubst, frei davon zu sein, und du ganz demütig sagst: „Nicht ich habe das getan, ich fühle, es war das Göttliche. Ohne das Göttliche bin ich gar nichts.“ Und gleich darauf bist du so selbstzufrieden, nur weil du das gedacht hast!
Was ist die wahre und was die falsche Weise, demütig zu sein?
Ganz einfach: Wenn man den Leuten sagt: „Seid demütig“, denken sie sofort daran, gegenüber anderen Menschen demütig zu sein, und diese Demut ist schlecht. Die wahre Demut ist die Demut gegenüber dem Göttlichen, das heißt die präzise, die konkrete Wahrnehmung, dass man ohne das Göttliche nichts ist, nichts kann und nichts versteht, dass selbst wenn man außerordentlich intelligent und begabt ist, dies nichts ist im Vergleich zum göttlichen Bewusstsein. Und diese Demut muss man immer beibehalten, denn dadurch nimmt man die wahre Haltung der Empfänglichkeit ein, einer demütigen Empfänglichkeit, die dem Göttlichen keinen persönlichen Anspruch entgegenstellt.

Worte der Mutter
Demütig zu sein bedeutet für das Mental, das Vital und den Körper, niemals zu vergessen, dass sie ohne das Göttliche nichts wissen, nichts sind und nichts zu tun vermögen. Ohne das Göttliche sind sie nichts außer Unwissenheit, Chaos und Unfähigkeit. Das Göttliche allein ist Wahrheit, Leben, Macht, Liebe und Glückseligkeit.
Deshalb müssen das Mental, das Vital und das Physische ein für allemal lernen und fühlen, dass sie gänzlich unfähig sind, das Göttliche zu verstehen und es beurteilen zu können – und das nicht nur in seinem eigentlichen Wesen, sondern auch in seinem Wirken und seiner Manifestation.
Das ist die einzig wahre Demut, und mit ihr kommen Ruhe und Frieden.
Das ist gleichzeitig der sicherste Schutz gegen alle feindlichen Angriffe. Denn stets ist der Stolz die Eingangspforte ins menschliche Wesen, an die der Widersacher klopft, weil es diese Tür ist, die ihm Einlass gewährt.

Worte der Mutter
Mutter, wenn wir uns anstrengen, ist etwas in uns, das sehr selbstzufrieden wird, sich rühmt und sich mit dieser Bemühung zufrieden gibt – und das verdirbt alles. Wie können wir uns davon befreien?
Ach, das ist das, was sich beim Handeln zusieht! Immer ist da einer, der beobachtet, wenn man etwas tut. Nun, manchmal wird er stolz. Natürlich nimmt das der Bemühung viel von ihrer Kraft. Das ist es wohl: die Gewohnheit, sich beim Tun zuzusehen, sich leben zu sehen. Es ist notwendig, sich zu beobachten, doch ich glaube, es ist noch notwendiger zu versuchen, völlig aufrichtig und spontan, sehr spontan zu sein bei dem, was man tut – sich doch nicht dauernd zu beobachten, sich doch nicht beim Tun zuzuschauen, sich doch nicht zu beurteilen, und das manchmal streng. Denn eigentlich ist das fast genauso schlecht, wie sich mit Selbstzufriedenheit zu hätscheln. Beides ist gleich schlecht. Man müsste in seiner Aspiration, in seinem sehnsuchtsvollen Streben, so aufrichtig sein, dass man selbst die Aspiration wird. Wenn das verwirklicht werden kann, erreicht man tatsächlich eine außerordentliche Stärke.
Eine Minute, eine Minute davon, und du kannst Jahre der Verwirklichung vorbereiten. Wenn man nicht mehr ein Wesen, ein Ego ist, das sich beim Tun zusieht, wenn man das Handeln selbst wird, vor allem in der Aspiration, ist das sehr gut. Wenn es nicht mehr eine Person ist, die strebt, wenn es eine Aspiration ist, die sich mit einem ganz konzentrierten Impuls aufschwingt, reicht das wirklich sehr weit. Im anderen Fall mischt sich immer etwas Eitelkeit, etwas Selbstgefälligkeit, auch ein wenig Selbstmitleid ein, alle möglichen Kleinigkeiten, die alles verderben.

Kapitel 4
Dankbarkeit
Worte der Mutter
Es gibt eine Regung, die man als Ergänzung zur Ergebenheit immer haben sollte: diese Art Dankbarkeitsgefühl, dass es das Göttliche gibt, diese Empfindung bewundernder Dankbarkeit, dass das Göttliche existiert, die einen wirklich mit erhabener Freude erfüllt, dass es etwas im Universum gibt, das das Göttliche ist, dass es nicht nur diese Ungeheuerlichkeit ist, die wir sehen, sondern dass es das Göttliche gibt, dass das Göttliche vorhanden ist. Und jedes Mal, wenn die kleinste Sache einen direkt oder indirekt mit dieser erhabenen Wirklichkeit göttlicher Existenz in Berührung bringt, wird das Herz von einer so starken, so wunderbaren Freude erfüllt, von einer Dankbarkeit, die von allen Dingen am allerköstlichsten schmeckt.
Nichts kann einem dieselbe Freude geben wie Dankbarkeit. Man hört einen Vogel singen, man sieht eine hübsche Blume, man schaut einem kleinen Kind zu, man wird Zeuge einer selbstlosen Tat, man liest einen schönen Satz, man betrachtet einen Sonnenuntergang – ganz gleich: Plötzlich überkommt einen diese tiefe und intensive Gefühlsregung, dass die Welt das Göttliche offenbart, dass es hinter der Welt etwas gibt, das das Göttliche ist.

Worte der Mutter
Nur sehr wenige Menschen, sehr wenige, eine sehr geringe Zahl von Menschen, geht mit einem wirklich religiösen Gefühl in die Kirche oder in den Tempel, das heißt nicht etwa um von Gott etwas zu erbitten, zu erbetteln, sondern um sich darzubringen, um zu danken, um ihre Aspiration auszudrücken, um sich zu geben. Das tut nicht einer unter einer Million.

Worte der Mutter
Es gibt jene, die eine angeborene Fähigkeit zur Dankbarkeit haben, jene, die ein glühendes Bedürfnis haben zu antworten, mit Herzlichkeit, Ergebenheit und Freude auf etwas zu reagieren, das sie wie ein Wunder fühlen, das hinter dem ganzen Leben verborgen ist, hinter dem winzigsten Element, dem kleinsten Ereignis des Lebens. Sie fühlen diese souveräne Schönheit oder diese unendliche Gnade, die hinter allem steht.
Ich kannte Leute, die sozusagen nichts wussten, die kaum gebildet waren, deren Verstand von dieser völlig alltäglichen Qualität war und die in sich diese Wesensart der Dankbarkeit, der Herzlichkeit hatten, die sich gibt, die versteht und dankt.
Nun, bei ihnen war die Berührung mit dem Seelischen sehr häufig, fast beständig, und soweit sie dazu fähig waren, war sie bewusst – nicht sehr bewusst, doch ein wenig bewusst –, so dass sie sich getragen, unterstützt, über sich selbst hinausgehoben fühlten.

Worte der Mutter
Unter allen Regungen ist spontane Dankbarkeit vielleicht diejenige, die am meisten Freude gibt, unvermischte Freude, frei von dieser Färbung des Egoismus.
Sie ist etwas ganz Besonderes. Sie ist nicht Liebe, sie ist nicht Selbsthingabe. Sie ist eine volle, sehr volle Freude. Sie ist eine ganz besondere Schwingung, die nichts anderem außer sich selbst gleicht. Sie ist etwas, das einen weitet, erfüllt – etwas so Glühendes!
Unter allen Regungen, die dem menschlichen Bewusstsein zugänglich sind, ist es gewiss diejenige, die dich am meisten aus deinem Ego herausholt…
Wenn du in diese Schwingung in ihrer Reinheit eintreten kannst, wirst du sofort bemerken, dass sie von der gleichen Beschaffenheit ist wie die Schwingung der Liebe: Sie hat keine Richtung… Im Grunde ist Dankbarkeit nur eine sehr leichte Schattierung der eigentlichen Schwingung der Liebe.

Kapitel 5
Beharrlichkeit
Worte der Mutter
Je weiter du vorankommst, desto wachsamer musst du werden. Und die notwendigste Eigenschaft ist Beharrlichkeit, Ausdauer und eine …, wie soll ich sagen …, eine Art innerer Humor, der einem hilft, nicht den Mut sinken zu lassen, nicht traurig zu werden und allen Schwierigkeiten mit einem Lächeln zu begegnen. Es gibt ein englisches Wort, das dies sehr gut ausdrückt: cheerfulness, Heiterkeit, Fröhlichkeit. Wenn du das in dir bewahren kannst, kämpfst du viel besser gegen diese schlechten Einflüsse, die den Fortschritt zu verhindern versuchen, und du leistest ihnen viel besser Widerstand, im Licht.

Worte der Mutter
Man muss seine Gewissheit in sich selbst finden, sie trotz allem bewahren und seinen Weg zu Ende gehen, koste es, was es wolle. Dem Ausdauerndsten gehört der Sieg.
Um seine Ausdauer trotz aller Widerstände zu bewahren, muss der Rückhalt unerschütterlich sein, und unerschütterlich ist nur ein einziger Rückhalt: die höchste Wirklichkeit, die Höchste Wahrheit.
Es ist unnötig, nach einem anderen Rückhalt zu suchen. Dieser ist der einzige, der nicht versagt.

Worte der Mutter
Wenn du nicht imstande bist, mit Schwierigkeiten fertig zu werden, ohne den Mut zu verlieren und ohne aufzugeben, weil es zu schwer ist, und wenn du es nicht schaffst, nun, Schläge zu erhalten und doch weiterzumachen, sie einzustecken, wie man sagt – man also als Folge seiner Fehler Schläge bekommt, man die Schläge einsteckt und man weiter vorwärts geht, ohne aufzugeben –, kommt man nicht sehr weit. An der ersten Biegung, wo man sein kleines gewohntes Leben aus den Augen verliert, verzweifelt man und gibt auf.
Die materiellste Form der Ausdauer ist Beharrlichkeit. Beharrlichkeit ist, wenn du entschlossen bist, tausendmal, wenn es sein muss, dasselbe noch einmal von vorn anzufangen. Die Leute suchen mich ganz verzweifelt auf und sagen: „Aber ich dachte, es wäre getan, und jetzt muss ich nochmal ganz von vorn anfangen!“ Ich sage ihnen: „Aber das ist noch gar nichts, du wirst wahrscheinlich hundertmal, zweihundertmal, tausendmal wieder von vorn anfangen müssen…“ Du machst einen Schritt vorwärts und denkst, du stehst auf festem Grund, doch da wird immer etwas sein, um dieselbe Schwierigkeit ein wenig weiter vorn wieder auftreten zu lassen. Du denkst, du hast das Problem gelöst, du wirst es noch einmal lösen müssen. Es wird sich noch einmal stellen und nur ein ganz klein wenig anders aussehen, aber es wird dasselbe Problem sein. Und wenn du nicht entschlossen bist und dir sagst: „Selbst wenn es sich eine Million Mal wieder stellt, werde ich es eine Million Mal machen, doch ich werde bis zum Ende gehen“, nun, wenn du diese Entschlossenheit nicht hast, wirst du nicht Yoga praktizieren können. Dies ist ganz und gar unerlässlich.
Die Leute haben ein schönes Erlebnis und sagen: „Ah, jetzt bin ich soweit…“ Und dann kommt es zur Ruhe, lässt nach, verhüllt sich, und plötzlich taucht etwas ganz Unerwartetes, absolut Alltägliches und scheinbar vollkommen Uninteressantes vor einem auf und versperrt einem den Weg. Dann sagt man sich: „Ach, wozu habe ich nun diesen Fortschritt gemacht, wenn das wieder ganz von vorn anfängt! Wozu das alles? Ich habe mich angestrengt, ich hatte Erfolg, ich habe etwas erreicht, und jetzt ist es, als hätte ich nichts getan! Es ist wirklich hoffnungslos.“ Weil man keine Ausdauer hat.
Wenn man Ausdauer hat, sagt man: „Gut. In Ordnung. Ich werde von vorn anfangen, so oft es nötig ist, tausendmal, zehntausendmal, hunderttausendmal, wenn es sein muss, werde ich von vorn anfangen – aber ich werde zum Ziel kommen, und keine Macht wird mich auf meinem Weg aufhalten.“…
Eine Form der Ausdauer ist Treue, Treue zu seinem Entschluss: treu sein. Man hat einen Entschluss gefasst, man bleibt seinem Entschluss treu: Das ist Ausdauer.
So ist das.
Wenn man nicht nachgibt, kommt eine Zeit, wo man den Sieg in Händen hält.
Der Sieg gehört dem Unbeugsamsten.

Worte der Mutter
Durch Beharrlichkeit überwindet man Schwierigkeiten und nicht dadurch, dass man vor ihnen davonläuft. Jemand, der ausdauernd ist, kann sich des Sieges sicher sein. Der Sieg gehört dem Ausdauerndsten. Tue immer dein Bestes, und der Herr kümmert sich um den Rest.

Kapitel 6
Aspiration
Worte Sri Aurobindos
Was bedeutet Aspiration?
Aspiration ist der Ruf des Wesens nach Höherem – nach dem Göttlichen, nach all dem, was zum höheren oder Göttlichen Bewusstsein gehört.

Worte Sri Aurobindos
Aspiration sollte nicht die Form von Begehren annehmen. Sie sollte vielmehr das Erfordernis der inneren Seele sein, ein ruhiger, gefestigter Wille, sich dem Göttlichen zuzuwenden und das Göttliche zu suchen. Es ist bestimmt nicht einfach, sich gänzlich von dieser Beimengung des Begehrens zu befreien – es ist für niemanden einfach, doch wenn man den Willen hat, kann auch dies durch die helfende Kraft erreicht werden.

Worte Sri Aurobindos
Für den raschen Erfolg, die Weite, Intensität und Macht ihrer Ergebnisse wird die Entfaltung der Erfahrung zunächst – am Anfang des Weges und noch lange danach – von der Aspiration und dem persönlichen Bemühen des Sadhaka bestimmt. Der Prozess des Yoga besteht darin, dass sich die menschliche Seele vom egoistischen Zustand des Bewusstseins, das von den äußeren Erscheinungen und der Anziehungskraft der Dinge gefangengenommen wird, loslöst und sich einem höheren Zustand zukehrt, wo das Transzendente und Universale sich selbst in die individuelle Gestaltung ergießen und sie umformen kann. Das erste bestimmende Element der Siddhi ist darum die Intensität der Umkehrung, also die Kraft, welche die Seele nach innen lenkt. Der Maßstab für diese Intensität ist die Macht der Aspiration des Herzens, die Kraft des Willens, die Konzentration des Mentals sowie die Ausdauer und Entschlossenheit der eingesetzten Energie. Der ideale Sadhaka sollte mit dem Bibelwort sagen können: „Mein Eifer für den Herrn hat mich aufgefressen.“ Dieser Eifer für den Herrn, utsaha, das eifrige Ringen der ganzen Natur, um zu ihrer göttlichen Vervollkommnung, vyakulata, zu kommen, und die unablässige Sehnsucht des Herzens, das Göttliche zu erreichen – das verzehrt das Ego und zerbricht die Begrenzungen seiner kleinlichen engen Form für das volle und weite Empfangen dessen, was es sucht: was selbst über das umfassendste und höchste individuelle Selbst und dessen Natur hinausgeht, da es universal ist, und was sie hinter sich zurücklässt, da es selbst transzendent ist.

Worte Sri Aurobindos
Das spirituelle Streben ist dem Menschen eingeboren. Denn er ist, darin dem Tier ungleich, sich seiner Unvollkommenheit und Begrenztheit bewusst und fühlt, dass es jenseits von dem, was er jetzt ist, etwas gibt, das er erreichen muss. Wahrscheinlich wird in der Menschheit dieser Drang, über sich hinauszukommen, nie völlig aussterben. Zwar wird es den menschlichen Mental-Zustand immer geben, doch wird er nicht nur als Stufe auf der Stufenleiter der Wiedergeburt nötig sein, sondern auch als Stufe, die den Zugang zum spirituellen und supramentalen Zustand öffnet.
Es ist zu beachten, dass das Erscheinen des menschlichen Mentals und Körpers auf der Erde einen folgenschweren Schritt, eine entscheidende Wandlung im Verlauf und Prozess der Evolution darstellt. Sie ist nicht nur ein Weiterführen der alten Linien. Bis zum Hervortreten eines entwickelten denkenden Mentals in der Materie war die Evolution nur unterbewusst oder subliminal durch das automatische Wirken der Natur vollzogen worden, nicht aber durch die des Selbstes bewusste Aspiration, Intention, nicht durch den Willen oder das Suchen des lebenden Wesens. Das war so, weil die Evolution mit der Nichtbewusstheit begonnen hat und das verborgene Bewusstsein noch nicht genügend aus ihr hervorgetreten war, um aktiv durch den des Selbstes bewussten teilnehmenden individuellen Willen ihres lebenden Geschöpfes mitzuarbeiten. Aber im Menschen hat diese notwendige Umwandlung stattgefunden, das Wesen ist zu seinem Selbst erwacht und seiner innegeworden. Im Mental ist sein Wille offenbar geworden, sich zu entwickeln, an Erkenntnis zu wachsen, das innere Dasein zu vertiefen und das äußere auszuweiten sowie die Fähigkeiten der Natur zu vermehren. Der Mensch hat eingesehen, dass es einen höheren Bewusstseins-Status gibt als seinen eigenen. In den Schichten seines Mentals und Lebens sind der leidenschaftliche Trieb und das sehnsuchtsvolle Streben, über sich hinauszukommen, entbunden worden. Das ist nun deutlich ausgedrückt: Er ist einer Seele bewusst geworden und hat das Selbst und den Geist entdeckt. So wurde in ihm denkbar und praktisch durchführbar, dass eine unbewusste Evolution durch eine bewusste ersetzt werden kann. Daraus darf man wohl schließen, dass das Bestreben, das Drängen und beharrliche Ringen in ihm ein sicherer Hinweis der Natur darauf ist, dass sie einen höheren Weg zu seiner Erfüllung will und ein höherer Zustand hervortreten soll.

Worte der Mutter
Hinter den Worten, über den Gedanken muss immer die Flamme einer intensiven Aspiration brennen, unauslöschbar und hell.

Worte der Mutter
Was genau ist mit einer aufrichtigen Aspiration gemeint?
Eine Aspiration, die nicht mit irgendwelchem Interesse und egoistischer Berechnung vermischt ist.

Worte der Mutter
Wenn du dich in einem Zustand bewusster Aspiration befindest und sehr aufrichtig bist, wird sich alles um dich herum so anordnen, dass es dir bei deiner Aspiration hilft, sei es direkt oder indirekt, das heißt entweder um dich einen Fortschritt machen zu lassen und dich mit etwas Neuem in Verbindung zu bringen oder um in deiner Natur etwas zu eliminieren, was verschwinden soll. Das ist etwas sehr Bedeutsames. Wenn du wirklich in einem Zustand intensiver Aspiration bist, gibt es keinen Umstand, der dir nicht helfen würde, diese Aspiration zu verwirklichen. Alles kommt – alles! –, als ob ein vollkommenes und absolutes Bewusstsein um dich herum alles organisierte. Und du selbst, in deiner äußeren Unwissenheit, magst es nicht erkennen und lehnst dich zunächst auf gegen die Umstände, wie sie sich dir darstellen. Du magst dich beklagen und versuchst, sie zu ändern, doch nach einiger Zeit, wenn du weiser geworden bist und Abstand zu dem Ereignis gewonnen hast, wird dir klar, dass es gerade das war, was du tun musstest, um den notwendigen Fortschritt zu machen. Und, weißt du, es ist ein Wille, ein höchster guter Wille, der alles um dich herum anordnet, und selbst wenn du dich beklagst und auflehnst, statt zu akzeptieren, ist es gerade in solchen Momenten, dass er am wirksamsten handelt.

Kapitel 7
Empfänglichkeit
Worte Sri Aurobindos
Empfänglichkeit ist die Macht, die Göttliche Kraft zu empfangen und ihre Gegenwart zu fühlen sowie die Gegenwart der Mutter darin und ihrem Wirken zuzustimmen sowie die Sicht und den Willen und die Taten von ihr lenken zu lassen.

Worte Sri Aurobindos
Der Ruf und die Aspiration sind nur erste Voraussetzungen. Zugleich mit ihnen und als Ergebnis ihrer wirksamen Intensität muss eine Öffnung des ganzen Wesens zum Göttlichen und eine absolute Überantwortung an das Göttliche erfolgen.
Diese Öffnung besteht in einem weiten Offenlegen der ganzen Natur auf all ihren Ebenen und in all ihren Wesensteilen. Es ermöglicht ihr, das größere göttliche Bewusstsein, das bereits über und hinter dieser sterblichen, halbbewussten Existenz zugegen ist und sie umfängt, ohne Abschwächungen und Begrenzungen in sich aufzunehmen. Bei dieser Aufnahme darf ihr Fassungsvermögen sich nicht als unzureichend erweisen, darf kein Bestandteil des Systems unter dem Druck der Umwandlung zusammenbrechen, sei es im Mental, in den Nerven oder im Körper. Eine grenzenlose Aufnahmefähigkeit ist erforderlich sowie ein ständig wachsendes Vermögen, das immer stärker und akzentuierter werdende Eingreifen der göttlichen Kraft auszuhalten. Anders kann nichts Großes und Dauerhaftes zustande kommen. Der Yoga würde mit einem Zusammenbruch, einem trägen Anhalten oder einer frustrierenden oder verheerenden Stockung enden – bei einem Vorgang, der absolut und integral zu sein hat, wenn er kein Fehlschlag sein soll.
Da aber kein menschlicher Organismus diese grenzenlose Aufnahmefähigkeit und diese einwandfreie Eignung aufweist, kann der supramentale Yoga nur dann Erfolg haben, wenn die Göttliche Kraft bei ihrer Herabkunft die persönliche Kraft vermehrt und die zur Aufnahme erforderliche Stärke an jene Kraft angleicht, die von oben her in die Natur eindringt, um in ihr zu arbeiten. Dies kann nur geschehen, wenn auf unserer Seite eine fortschreitende Überantwortung in die Hände des Göttlichen erfolgt. Eine vollständige und nie ausbleibende Zustimmung ist vonnöten, eine mutige Einwilligung in alles, was die Göttliche Macht mit uns vornehmen muss, um ihr Werk zu vollbringen.

Worte der Mutter
Meine Liebe ist stets bei dir. Wenn du sie nicht zu fühlen vermagst, dann deshalb nicht, weil du nicht fähig bist, sie anzunehmen. Es mangelt dir an Empfänglichkeit, und diese sollte zunehmen. Dazu musst du dich öffnen, und man öffnet sich nur dann, wenn man sich gibt. Gewiss versuchst du mehr oder weniger bewusst die Kräfte und die göttliche Liebe an dich zu ziehen. Diese Methode ist aber nicht gut. Gib dich ohne Berechnung und ohne Erwartung, dann wirst du fähig zu empfangen.

Worte der Mutter
Es ist nicht deine Aufgabe, das Feuer zu entfachen. Wie ich es dir bereits sagte, immer entfache ich es – du hast dich nur zu öffnen, um es zu empfangen und mit deinem guten Willen zu hüten.

Worte der Mutter
Mutter, wovon hängt Empfänglichkeit ab?
Sie hängt vor allem von Aufrichtigkeit ab – davon, ob man wirklich empfangen will –, denn die Hauptfaktoren sind doch wohl Aufrichtigkeit und Demut. Nichts verschließt einen mehr als Eitelkeit. Wenn man mit sich zufrieden ist, hat man jene Art von Eitelkeit, die nicht zugeben will, dass es einem an etwas fehlt, dass man Fehler macht, dass man unvollständig ist, dass man unvollkommen ist. In der menschlichen Natur ist etwas, das trotzt, das nicht zugeben will – das hindert dich am Empfangen. Du brauchst übrigens nur die Erfahrung zu machen. Wenn du es durch eine Willensanstrengung erreichst, dass sogar ein ganz kleiner Wesensteil zugibt: „Ach ja, ich irre mich, ich sollte nicht so sein, und ich sollte das nicht tun, und ich sollte nicht so fühlen, ja, das ist ein Fehler“, wenn du es erreichst, dass ein Teil deines Wesens das zugibt, fängt es zunächst an, sehr weh zu tun, aber wenn du standhältst, bis er es zugegeben hat, ist er sofort offen – und seltsam, er ist offen, und eine Lichtflut strömt herein, und danach fühlst du dich so froh, so glücklich, dass du dich fragst: „Warum, aus welchem dummen Grund, habe ich so lange Widerstand geleistet?“
