Kapitel 8
Fragen und Antworten
Worte der Mutter
Liebe Mutter, hier hat Sri Aurobindo gesagt: „Wenn die innerste Seele erwacht ist, wenn es eine neue Geburt ist, durch die man vom einfachen mentalen, vitalen und physischen Bewusstsein zum seelischen Bewusstsein geht, dann kann man diesen Yoga praktizieren.“ Warum hat er gesagt: „…die innerste Seele“? Gibt es eine Oberflächenseele?
Das ist so, weil diese innerste Seele, das heißt, das zentrale seelische Wesen, Oberflächenteile des Bewusstseins beeinflusst (Oberfläche in Bezug auf die Seele: mentale Teile, vitale Teile). Das reinste Mental, das höchste Vital, das emotionale Wesen – die Seele beeinflusst sie, und zwar so sehr, dass man den Eindruck hat, durch diese Wesensteile hindurch mit ihr in Berührung zu kommen. Also halten die Leute diese Teile für die Seele, und aus diesem Grund sagt er „innerste Seele“, das heißt, die zentrale Seele, die wahre Seele.
Wenn man bestimmte Teile des Mentals berührt, die unter dem seelischen Einfluss stehen und voll Licht und voll Freude über dieses Licht sind, oder wenn man bestimmte sehr reine und sehr hohe Teile des emotionalen Wesens berührt, das die großzügigsten, die uneigennützigsten Emotionen hat, dann hat man auch sehr oft den Eindruck, in Berührung mit seiner Seele zu sein. Aber das ist nicht die wahre Seele, das ist nicht die Seele in ihrer eigentlichen Essenz. Es sind Wesensteile, die unter ihrem Einfluss stehen und etwas von ihr offenbaren. Nun, sehr oft kommen die Leute mit diesen Teilen in Berührung, und das gibt ihnen Erleuchtungen, große Freude und Offenbarungen. Sie haben das Gefühl, ihre Seele gefunden zu haben. Aber das ist nur der Wesensteil, der unter ihrem Einfluss steht, ein Teil oder ein anderer. Es kommt eben vor, dass man diese Dinge berührt, dass man Erfahrungen hat, und dann verhüllt sich das wieder und man fragt sich: „Wie kommt es, dass ich meine Seele berührt habe, und jetzt bin ich wieder in diesen Zustand der Unwissenheit und der Unbewusstheit zurückgefallen?“ Der Grund ist aber, dass man nicht seine Seele berührt hat, sondern Wesensteile, die unter dem Einfluss der Seele stehen und etwas von ihr erscheinen lassen, aber diese Wesensteile sind nicht die Seele.

Worte der Mutter
Wenn die Seele einmal nach vorne kommt, kann sie sich wieder zurückziehen?
Ja. Meistens hat man eine Reihe von Erfahrungen der Identifikation, zuerst sehr stark, dann allmählich schwächer werdend, und eines Tages merkt man dann, dass es verschwunden ist. Man braucht sich darüber nicht aufzuregen, denn das passiert sehr oft. Aber das nächste Mal – das zweite Mal – ist der Kontakt viel leichter zu erreichen. Und dann dauert es nicht mehr sehr lange, da erreicht man einen Kontakt, sobald man sich konzentriert und sehnsuchtsvoll strebt. Man mag nicht immer die Kraft haben, den Kontakt aufrechtzuerhalten, aber man erreicht ihn nach Belieben. Von diesem Moment an wird dann alles sehr einfach. Fühlt man eine Schwierigkeit oder ist ein Problem zu lösen oder will man einen Fortschritt machen oder ist eben gerade eine Depression oder ein Hindernis zu überwinden oder ist es einfach die Freude der Identifikation (denn das ist eine Erfahrung, die eine sehr konkrete Freude bringt; im Moment der Identifikation fühlt man wirklich eine sehr sehr große Freude), also in irgendeinem Moment kann man innehalten, sich einen Augenblick konzentrieren und sehnsuchtsvoll streben, und der Kontakt wird ganz natürlich hergestellt, und alle anstehenden Probleme sind gelöst. Sich einfach konzentrieren – sich hinsetzen und sich konzentrieren –, einfach sehnsuchtsvoll streben, und der Kontakt ist sozusagen augenblicklich hergestellt.
Wie ich schon sagte, es kommt eine Zeit, wo es dich nicht mehr verlässt, das heißt, es ist in den Tiefen des Bewusstseins und unterstützt alles, was du tust, und du verlierst die Verbindung nie.

Worte der Mutter
Identifiziert sich das seelische Wesen mit der inneren Wahrheit?
Es ist darum herum angeordnet und nimmt Kontakt damit auf. Die Seele wird durch die Wahrheit bewegt. Die Wahrheit ist etwas ewig Selbstbestehendes, von nichts in Zeit oder Raum abhängig, während das seelische Wesen ein Wesen ist, das wächst, Form annimmt, sich entwickelt, sich mehr und mehr individualisiert. Auf diese Weise wird es immer fähiger, diese Wahrheit zu manifestieren, die ewige Wahrheit, die eins und bleibend ist. Das seelische Wesen ist ein progressives Wesen, was bedeutet, dass die Beziehung zwischen dem seelischen Wesen und der Wahrheit eine progressive ist. Es ist nicht möglich, sich seines seelischen Wesens bewusst zu werden, ohne sich gleichzeitig der inneren Wahrheit bewusst zu werden. All jene, die diese Erfahrung hatten – nicht eine mentale Erfahrung, sondern eine integrale Erfahrung des Kontaktes mit dem seelischen Wesen, nicht einen Kontakt mit der Idee, die sie sich davon gebildet haben, sondern einen echten, konkreten Kontakt –, alle sagen das Gleiche: Genau von der Minute an, da dieser Kontakt hergestellt ist, ist man sich der ewigen Wahrheit in einem voll bewusst, und man erkennt, dass sie der Zweck des Lebens und der Lenker der Welt ist.

Worte der Mutter
Kann man in Kontakt mit der ewigen Wahrheit sein, ohne einen Kontakt mit seinem seelischen Wesen zu haben?
Manche Wesen im Universum mögen diesen direkten Kontakt mit der ewigen Wahrheit haben, ohne jeden Kontakt mit dem seelischen Wesen, weil sie kein seelisches Wesen besitzen. Im Menschen jedoch ist immer ein seelisches Wesen, und es ist immer dieses seelische Wesen, durch das er in Kontakt mit der ewigen Wahrheit kommt. Und dieser Kontakt mit dem seelischen Wesen wird ihm meist auf die gleiche Weise enthüllt, denn er bringt seine eigene Gnade mit sich, seinen eigenen Glanz, seine eigene Glückseligkeit. Das seelische Wesen ist typisch für den Menschen, und wenn man der Sache auf den Grund geht, ist es vielleicht diese Tatsache, die ihm seine Überlegenheit verleiht.

Worte der Mutter
Liebe Mutter, vermag die Seele sich ohne das Mental, das Vital und das Physische auszudrücken?
Sie drückt sich fortwährend ohne sie aus. Sie muss sich nur deshalb mit ihrer Hilfe ausdrücken, damit das gewöhnliche menschliche Wesen sie wahrnimmt, denn dieses ist normalerweise nicht in direktem Kontakt mit der Seele. Wenn es in direktem Kontakt mit der Seele wäre, wäre seine Manifestation seelisch – und alles wäre wahrhaft gut. Aber da es nicht in Kontakt mit der Seele ist, weiß es nicht einmal, was sie ist – es fragt sich voller Verwunderung, was für eine Art Wesen das sein mag. Um dieses durchschnittliche menschliche Bewusstsein zu erreichen, muss sie gewöhnliche menschliche Mittel gebrauchen, das heißt die Hilfe des Mentals, des Vitals und des Physischen in Anspruch nehmen.
Eines von diesen mag ausgelassen werden, mit Sicherheit aber nicht das letztere, sonst ist man nicht länger ein bewusstes Wesen.

Worte der Mutter
…es gibt nur einen Weg, dem seelischen Wesen seine Manifestation zu ermöglichen: mit der unvoreingenommenen Herzlichkeit eines Kindes (die Mutter spricht ganz sanft) aufzustreben, zu beten, zu bitten und mit all seiner Kraft zu wollen, ohne nachzudenken oder verstehen zu wollen.

Kapitel 9
Mutters Rat an die Aspiranten
Worte der Mutter
Die Entdeckung [des seelischen Wesens] ist eine persönliche Angelegenheit, und eine große Entschlusskraft, ein starker Wille und eine unermüdliche Beharrlichkeit sind unerlässlich, wenn man das Ziel erreichen will. Jeder muss gewissermaßen sich seinen eigenen Weg durch seine eigenen Schwierigkeiten bahnen. Das Ziel ist irgendwie bekannt, denn die meisten, die es erreicht haben, haben es mehr oder weniger klar beschrieben. Aber der höchste Wert dieser Entdeckung kommt aus ihrer Spontaneität, aus ihrer Unbefangenheit und liegt außerhalb der gewöhnlichen Denkgesetze. Und deshalb suchen in den meisten Fällen die, welche das Abenteuer wagen wollen, zunächst jemanden, der es mit Erfolg unternommen hat und der sie auf dem Wege stützen und erleuchten kann. Doch gibt es auch einsame Wanderer, und für sie mögen einige allgemeine Hinweise nützlich sein.
Der Ausgangspunkt ist die Suche in sich selbst nach dem, was unabhängig ist vom Körper und von den Umständen des Lebens, was nicht von der mentalen Bildung, die man erhalten hat, herrührt oder von der Sprache, die man spricht, von den Gewohnheiten und Sitten der Umwelt, in der man lebt, des Landes, in dem man geboren ist, oder des Zeitalters, dem man angehört. Man muss in den Tiefen des eigenen Wesens das finden, was in sich den Sinn der universalen Ganzheit birgt, die unbegrenzte Ausdehnung, die Dauer ohne Unterbrechung. Dann erlebt man eine Loslösung von dem Knoten des Egos, man breitet sich aus, man weitet sich, und man beginnt, in allen Dingen und in allen Wesen zu leben. Die Schranken, die die Menschen voneinander trennen, fallen; man denkt in ihren Gedanken, man vibriert in ihren Gefühlen, man fühlt mit ihren Sinnen, man lebt im All-Leben. Was leblos schien, belebt sich plötzlich; die Steine vibrieren, die Pflanzen fühlen, wollen und leiden, die Tiere sprechen ihre mehr oder weniger stumme, doch klare und ausdrucksvolle Sprache – alles belebt sich mit einem wunderbaren Bewusstsein, das weder Zeit noch Grenzen kennt. Und dies ist lediglich eine Seite des seelischen Erwachens. Es gibt noch andere, viele andere. Sie alle tragen dazu bei, uns hinaustreten zu lassen aus dem Panzer unseres Egoismus, aus den Mauern unserer äußeren Persönlichkeit, aus der Ohnmacht unserer Reaktionen und der Unfähigkeit unseres Willens.
Doch wie bereits gesagt, der Weg dorthin ist lang und schwierig, voll heimtückischer Gefahren und Probleme, deren Lösung eine zu allem entschlossene Willenskraft erfordert. Er ähnelt dem Weg des Forschers durch den Urwald auf der Suche nach einem unbekannten Land, nach einer großen Entdeckung. Auch das seelische Wesen ist eine große Entdeckung, die zumindest ebenso viel Kühnheit und Ausdauer verlangt wie die Entdeckung neuer Kontinente. Für den, der entschlossen ist, sie zu unternehmen, können ein paar einfache Ratschläge nützlich sein. Hier sind einige der wichtigsten:
Der wohl entscheidende Ansatzpunkt ist die Erkenntnis, dass unser Denken unfähig ist, spirituelle Dinge zu beurteilen. Alle, die darüber schrieben, haben das betont, aber nur sehr wenige haben diesem Rat Folge geleistet, und doch ist es für unseren Fortschritt ganz und gar unerlässlich, von jeder Meinung und jeder mentalen Reaktion Abstand zu nehmen.
Verzichte auf alles Streben nach persönlicher Bequemlichkeit, nach Befriedigung, Genuss oder Glück, sei einzig ein loderndes Feuer des Werdens. Nimm alles, was dir begegnet, als eine Hilfe, um vorwärtszugehen, und vollende ohne zu säumen den Fortschritt, der von dir gefordert wird.
Versuche, alles, was du tust, mit Freude zu tun, aber die Freude darf nie der Beweggrund deines Handelns sein.
Werde nie aufgeregt, nervös oder unruhig. Bleibe allen Ereignissen gegenüber vollkommen gelassen. Und doch sei stets wachsam, um den Fortschritt zu machen, den du machen sollst – unverzüglich, ohne Zeit zu verlieren.
Halte niemals die äußeren Umstände für das, was sie zu sein scheinen. Sie sind immer nur ungeschickte Versuche, etwas anderes auszudrücken – das Eigentliche, Wahre, das dahinter liegt und sich unserem oberflächlichen Erfassen entzieht.
Beklage dich niemals über die Handlungsweise eines anderen, es sei denn, du hast die Macht, in seiner Natur zu ändern, was ihn so handeln lässt, und wenn du diese Macht hast, so vollziehe diese Änderung, anstatt dich zu beklagen.
Was du auch immer tun magst: Vergiss nie das Ziel, das du dir gesteckt hast. Auf dem Wege zu dieser großen Entdeckung gibt es keine kleinen oder großen Dinge. Alle sind gleich wichtig und können entweder zum Erfolg beitragen oder aber ihn verzögern. So konzentriere dich vor dem Essen einige Sekunden in dem Wunsch, dass die Nahrung, die du jetzt zu dir nimmst, deinem Körper den notwendigen Nährstoff gibt, um dir in deiner Bemühung auf dem Weg der großen Entdeckung als solide Grundlage zu dienen, und dass sie ihm die Energie verleiht, im Streben nie müde zu werden und nie nachzulassen.
Vor dem Einschlafen konzentriere dich einen Augenblick in dem Wunsch, der Schlaf möge deine ermüdeten Nerven erfrischen und deinem Gehirn Entspannung und Ruhe geben, damit du, wenn du ausgeschlafen hast, deine Wanderung auf dem Weg der großen Entdeckung mit neuer Energie wieder aufnehmen kannst.
Bevor du handelst, konzentriere dich im Willen, dass dein Handeln deinem Voranschreiten auf das große Ziel zu förderlich sei oder es wenigstens nicht hemme.
Bevor du sprichst, konzentriere dich, bevor du den Mund auftust, gerade lange genug, um deine Worte im Zaum zu halten und nur die herauszulassen, die unbedingt notwendig sind und die deinem Fortschritt in deiner inneren Entwicklung in keiner Weise schaden können.
Kurz: Vergiss niemals den Grund und das Ziel deines Lebens. Lass den Willen zu der großen Entdeckung beständig über dir schweben – über dem, was du tust und was du bist – wie einen unermesslichen Vogel des Lichts, der alle Bewegungen deines Wesens beherrscht.
Vor der unermüdlichen Beharrlichkeit deiner Bemühung wird sich plötzlich ein inneres Tor öffnen, und du wirst in ein blendendes Licht tauchen, das dir die Gewissheit der Unsterblichkeit bringen wird, die konkrete Erfahrung, dass du immer gelebt hast und immer leben wirst, dass allein die äußeren Formen vergänglich sind und dass diese Formen in Bezug auf das, was du in Wirklichkeit bist, Kleidern vergleichbar sind, die man wegwirft, wenn sie abgenutzt sind. Dann wirst du dich frei von allen Ketten aufrichten, und anstatt mühsam voranzugehen unter der Last der Umstände, die die Natur dir auferlegte und die du erleiden und tragen musstest, wenn du nicht von ihnen erdrückt werden wolltest, kannst du jetzt aufrecht und sicher schreiten deines Schicksals bewusst, Meister deines Lebens.
Und doch ist dieses Freiwerden von aller Sklaverei unseres Körpers, diese Befreiung von jeglichen persönlichen Bindungen nicht die höchste Erfüllung. Es sind noch weitere Schritte zu gehen, bevor man den Gipfel erreicht, und selbst diese Schritte können und müssen von wieder anderen abgelöst werden, die die Tore der Zukunft öffnen werden.

Worte der Mutter
Eines nur ist ganz und gar unerlässlich: der Wille zu finden und zu verwirklichen. Diese Entdeckung und Verwirklichung müssen das Hauptanliegen unseres Lebens werden, die kostbare Perle, die man erwerben will, koste es, was es wolle. Was wir auch immer tun mögen, welches unsere Beschäftigungen und unsere Tätigkeiten auch immer sein mögen – der Wille, die Wahrheit unseres Wesens zu finden und mit ihr eins zu werden, muss immer lebendig und gegenwärtig hinter allem stehen, was wir tun, was wir empfinden, was wir denken.

Kapitel 10
Die Entdeckung der Seele – Der Zweck
Worte Sri Aurobindos
Dass wir, vom Ego befreit, unser Selbst sind und unser wahres Selbst verwirklichen, ist vordringlich notwendig. Alles andere kann als lichtes Ergebnis, als notwendige Konsequenz erlangt werden. Das ist einer der Gründe dafür, warum ein spiritueller Ruf an uns als gebieterisch angenommen werden und Vorrang haben muss vor allen anderen Ansprüchen intellektueller, ethischer, gesellschaftlicher Art, die zum Bereich der Unwissenheit gehören…
Die erste Stufe ist die Entdeckung der Seele, nicht der äußeren Seele von Denken, Fühlen und Begehren, sondern der verborgenen seelischen Wesenheit, des göttlichen Elements in uns. Wenn diese über die Natur vorherrschen wird, wenn wir bewusst die Seele sind und Mental, Leben und Körper ihren richtigen Platz als ihre Werkzeuge einnehmen, werden wir eines Lenkers in uns bewusst, der die Wahrheit, das Gute, die echte tiefe Freude und Schönheit des Daseins kennt. Er beherrscht das Herz und den Intellekt durch sein lichtvolles Gesetz und lenkt unser Leben und Wesen hin zur spirituellen Vollkommenheit. Selbst innerhalb der verdüsterten Wirkensweisen der Unwissenheit haben wir dann einen beobachtenden Zeugen, der unterscheidet, ein lebendiges Licht, das erleuchtet, einen Willen, der sich weigert, irregeleitet zu werden. Er trennt die Wahrheit des Mentals von seinem Irrtum, die innige Antwort des Herzens von seinen Vibrationen aus einem falschen Ruf und einer falschen Forderung an es, des Lebens wahre Glut und die Fülle seiner Regungen von der vitalen Leidenschaft und den verwirrenden Lügen unserer vitalen Natur und deren finsterer Ichsucht. Das ist der erste Schritt der Selbst-Verwirklichung: die Seele, das göttliche seelische individuelle Wesen anstelle des Egos auf den Thron zu erheben.

Kapitel 11
Die Entdeckung der Seele – Die Voraussetzungen
Worte Sri Aurobindos
Die Verwirklichung des seelischen Wesens, sein Erwachen und Hervortreten hängen hauptsächlich davon ab, inwieweit man eine persönliche Beziehung zum Göttlichen entwickeln kann1, eine Beziehung der bhakti, der Liebe, des Vertrauens und Selbstgebens, inwieweit man die Beharrlichkeiten des trennenden und rechthaberischen mentalen, vitalen und physischen Egos zurückweisen kann.

Worte Sri Aurobindos
Wenn das seelische Wesen erwacht ist, gibt es dir die wahre bhakti für Gott oder den Guru. Diese bhakti ist durchaus verschieden von der mentalen oder vitalen bhakti.
Man mag mit dem Verstand die intellektuelle oder spirituelle Größe des Gurus bewundern oder schätzen – man mag ihm folgen und seine Gebote mental annehmen. Es ist aber nur etwas Mentales; es bringt die Sache nicht viel weiter. Natürlich schadet es nichts, auch das zu haben. Doch das allein öffnet noch nicht die Gesamtheit des inneren Wesens. Es wird lediglich ein mentaler Kontakt hergestellt.
Die vitale bhakti fordert und fordert. Sie auferlegt ihre eigenen Vorbehalte. Sie gibt sich Gott hin, aber bedingt. Sie sagt zu Gott: „Du bist groß, ich bete dich an, und nun befriedige mir diesen Wunsch oder jenen Ehrgeiz, mache mich groß, mache einen großen Sadhak, einen großen Yogi aus mir und so weiter.“
Auch das unerleuchtete Mental gibt sich der Wahrheit hin, stellt aber seine eigenen Bedingungen. Es sagt zur Wahrheit: „Füge dich meinem Urteil und meiner Meinung“, und es verlangt von der Wahrheit, dass sie sich in die dem Mental eigenen Formen pressen lässt.
Auch das vitale Wesen besteht darauf, dass die Wahrheit sich seiner eigenen Kraft-Bewegung anpasst. Das vitale Wesen saugt an der Höheren Macht und zieht und saugt am vitalen Wesen des Gurus.
Die Hingabe von beiden (Mental und Vital) enthält eine arrière pensée (mentalen Vorbehalt).
Das seelische Wesen mit seiner bhakti ist aber anders. Es ist der wahren bhakti fähig, weil es in direkter Verbindung mit der Gottheit im Hintergrund steht. Seelische bhakti stellt keine Forderung und macht keine Vorbehalte. Sie findet Erfüllung in ihrem eigenen Sein. Das seelische Wesen weiß, wie es der Wahrheit in der rechten Weise zu gehorchen hat. Es gibt sich Gott oder dem Guru wahrhaft hin, und weil es sich wahrhaft aufgeben kann, kann es auch wahrhaft empfangen.

Worte Sri Aurobindos
…es ist das Wichtigste für dich, das seelische Feuer im Herzen zu entwickeln sowie das sehnsuchtsvolle Streben nach dem Hervortreten des seelischen Wesens als Lenker der Sadhana.

Worte Sri Aurobindos
Wenn das Begehren zurückgewiesen ist und nicht länger das Denken, Fühlen oder Tätigsein beherrscht, wenn eine stetige Aspiration nach einem vollkommenen, aufrichtigen Selbstgeben besteht, öffnet sich die Seele nach einer gewissen Zeit meist von selbst.

Worte Sri Aurobindos
Das seelische Wesen tritt bei den meisten Menschen nur langsam hervor, selbst nachdem sie die Sadhana aufgenommen haben. So vieles im Mental und Vital muss sich verändern und wieder anpassen, bevor die Seele gänzlich frei sein kann. Man hat zu warten, bis der notwendige Prozess weit genug gediehen ist, und sie ihren uralten Schleier aufreißen und hervortreten kann, um die menschliche Natur zu lenken.

Worte Sri Aurobindos
Das seelische Wesen kann sich nur dann ganz öffnen, wenn es dem Sadhaka gelungen ist, sich von der Einmischung vitaler Beweggründe in der Sadhana zu befreien, und er in der Lage ist, sich einfach und aufrichtig der Mutter darzubringen. Solange noch eine Neigung zu egoistischer Haltung besteht oder in Bezug auf den Beweggrund Unaufrichtigkeit herrscht, wenn der Yoga dem Druck vitaler Forderungen unterliegt, ausschließlich oder teilweise irgendeinen spirituellen oder sonstigen Ehrgeiz befriedigen soll, Eitelkeit, Stolz, Streben nach Macht, Ansehen und Einfluss auf andere, oder wenn unter dem Drängen vitaler Begehren, die befriedigt sein wollen, die Hilfe der Yoga-Kraft in Anspruch genommen wird, dann kann sich das seelische Wesen gar nicht oder nur wenig oder nur vorübergehend öffnen, und es schließt sich wieder, weil es von den vitalen Aktivitäten eingehüllt wird. Das Feuer der Seele erstickt im Qualm des Vitals. Genauso ist es, wenn das Mental im Yoga die Führung übernimmt und die innere Seele in den Hintergrund drängt oder wenn bhakti und andere Vorgänge in der Sadhana eine mehr vitale als seelische Form annehmen. Reinheit, schlichte Aufrichtigkeit und die Fähigkeit zu reiner, nicht durch Egoismus getrübter Selbst-Darbringung ohne Ansprüche oder Forderungen sind die Voraussetzung, unter der sich das seelische Wesen ganz öffnet.

Worte Sri Aurobindos
Um die Seele hervortreten zu lassen, muss man sich von Selbstsucht und Verlangen (die Grundlage der vitalen Gefühle) befreien – sie zumindest niemals akzeptieren.

Worte Sri Aurobindos
Jedes Mal wenn eine Läuterung der äußeren Natur stattfindet, wird es dem inneren Wesen eher möglich, sich zu enthüllen…

Worte Sri Aurobindos
Es ist richtig, dass das stete Feuer der Aspiration entzündet werden muss. Dieses Feuer aber ist das seelische Feuer und wird entfacht oder brennt oder wird größer in dem Maß, wie die Seele innerlich wächst – und für das Wachsen der Seele ist Ruhe notwendig. Aus diesem Grund haben wir dahingehend gewirkt, dass die Seele in dir wächst und dass auch die Ruhe zunimmt, und aus diesem Grund wollen wir, dass du auf das Wirken der Mutter in voller Geduld und vollem Vertrauen wartest. Sich immer der Mutter zu erinnern, immer mit dem gleichmäßigen, unentwegten Feuer im Inneren, bedeutet für sich genommen einen beachtlichen Fortschritt in der Sadhana und muss durch verschiedene Hilfsmittel – wie die Erfahrungen, die du jetzt hattest – vorbereitet werden. Bewahre daher ein unerschütterliches Vertrauen, und alles, was geschehen muss, wird geschehen.

1 Die Mutter hat in einem anderen Zusammenhang diese persönliche Beziehung zum Göttlichen mit folgenden Worten umschrieben: „Wenn wir es verstehen, in jeder Lage den Herrn zu rufen, um Ihn an allen Ereignissen unseres Lebens teilhaben zu lassen, wird das Leben zu Ananda, weil Er alles mit Seiner Wonne bedeckt!“ (Weiße Rosen, 11.4.1968)
Kapitel 12
Die Entdeckung der Seele – Die Disziplin
Worte Sri Aurobindos
Du fragst, welcher Art die Disziplin sei, der man zu folgen habe, um das mentale Suchen in eine lebendige spirituelle Erfahrung zu wandeln. Das erste Erfordernis ist, dein Bewusstsein in der nach innen gerichteten Konzentration zu schulen. Das gewöhnliche menschliche Mental besitzt eine Oberflächenaktivität, die das wahre Selbst verhüllt. Doch gibt es ein anderes, ein verborgenes, inneres Bewusstsein hinter der Oberfläche, wodurch man das wirkliche Selbst und eine größere und tiefere Wahrheit der Natur erkennt, wodurch man das Selbst verwirklichen und die Natur befreien und umwandeln kann. Das Ziel dieser Konzentration ist, das Oberflächenmental zu beruhigen und zu beginnen, innerlich zu leben. Dieses wahre Bewusstsein, das sich von dem oberflächlichen unterscheidet, hat zwei hauptsächliche Zentren, eines im Herzen (nicht im physischen Herzen, sondern im Kardial-Zentrum in der Mitte der Brust) und eines im Kopf. Die Konzentration im Herzen öffnet den Weg nach innen, und wenn man diesem inneren Öffnen folgt und sich in die Tiefe wendet, wird man der Seele oder des seelischen Wesens gewahr, des göttlichen Elements im Menschen. Dieses, nachdem es enthüllt wurde, beginnt hervorzutreten und die Natur zu lenken und sie samt allen ihren Bewegungen der Wahrheit und dem Göttlichen zuzuwenden sowie alles in sie herabzurufen, was sich darüber [über der menschlichen Natur] befindet. Es bringt das Bewusstsein der Gegenwart, der Weihung des Wesens an den Höchsten und macht die Herabkunft einer größeren Kraft und eines größeren Bewusstseins, die über uns warten, in unsere Natur möglich. Der erste Schritt, wenn man ihn tun kann, das heißt der natürliche Anfang ist, sich im Herzen auf die Darbringung seiner selbst an das Göttliche zu konzentrieren, sowie das Streben nach diesem inneren Öffnen und nach der Gegenwart im Herzen. Denn ist einmal dies erreicht, wird der spirituelle Pfad weit einfacher und sicherer, als wenn man mit dem anderen Weg beginnen würde.
Jener andere Weg ist die Konzentration im Kopf, im mentalen Zentrum. Diese öffnet, wenn sie zur Stille des Oberflächenmentals führt, ein inneres, größeres und tieferes Mental, das bereitwilliger spirituelle Erfahrung und spirituelles Wissen empfängt. Ist man hier einmal konzentriert, dann muss man das schweigende mentale Bewusstsein nach oben hin für alles öffnen, was sich über dem Mental befindet. Nach einiger Zeit fühlt man, wie das Bewusstsein aufsteigt, wie es sich schließlich über jenes Lid erhebt, von dem es so lange Zeit im Körper festgehalten wurde, und ein Zentrum über dem Kopf findet, von wo es in das Unendliche befreit wird. Dort beginnt es mit dem universalen Selbst, mit dem Göttlichen Frieden, dem Licht, der Macht, dem Wissen, der Seligkeit in Kontakt zu kommen, dort einzutreten und zu all dem zu werden – und die Herabkunft dieser Dinge in die Natur zu fühlen. Dieser zweite Weg der Konzentration ist also, sich im Kopf auf das Streben nach der Stille im Mental zu konzentrieren sowie auf die Verwirklichung des Selbstes und des Göttlichen über sich. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Konzentration des Bewusstseins im Kopf nur eine Vorbereitung für sein Aufsteigen zu dem Zentrum darüber ist, andernfalls könnte man in seinem Mental und dessen Erfahrungen eingeschlossen werden oder bestenfalls zu einer Widerspiegelung der Wahrheit gelangen, statt sich in die spirituelle Transzendenz zu erheben, um dort zu leben. Für einige ist die mentale Konzentration leichter, für andere die Konzentration im Herz-Zentrum; einige sind fähig, beides abwechselnd zu tun – doch ist es wünschenswerter, mit dem Herz-Zentrum zu beginnen, wenn man es vermag.
Die andere Seite der Disziplin betrifft die Tätigkeiten der menschlichen Natur, des Mentals, des Lebens-Selbstes oder Vitals und des physischen Wesens. Das Prinzip ist hier, die menschliche Natur mit der inneren Verwirklichung abzustimmen, damit man nicht in zwei disharmonierende Teile gespalten wird. Dabei sind verschiedene Disziplinen oder Vorgänge möglich. Eine davon ist, alle Tätigkeiten dem Göttlichen darzubringen, um die innere Führung zu bitten und darum, dass die menschliche Natur von einer Höheren Macht aufgenommen wird. Sobald dann das innere Sich-Öffnen der Seele stattfindet, sobald das seelische Wesen hervortritt, besteht keine große Schwierigkeit mehr. Denn Hand in Hand damit geht die seelische Unterscheidung, eine fortwährende Eingebung und schließlich eine Führung, die alle Unvollkommenheiten enthüllt und still und geduldig beseitigt, die rechten mentalen und vitalen Regungen bringt und auch das physische Bewusstsein umformt. Eine andere Methode ist zurückzustehen, losgelöst von den Regungen des Mentals, des Lebens, des physischen Wesens, ihre Tätigkeiten nur als die gewohnten Gestaltungen der allgemeinen Natur im Menschen zu betrachten, die uns durch vergangenes Tun auferlegt sind und nicht zu unserem wirklichen Wesen gehören. In dem Maß, wie einem dies glückt, wie man sich ablösen kann und das Mental und seine Tätigkeiten, das Leben und seine Tätigkeiten, den Körper und seine Tätigkeiten als nicht zu sich gehörend betrachtet, wird man sich eines inneren Wesens bewusst – eines inneren Mentals, eines inneren Vitals, eines inneren Physischen –, das ruhig, ungebunden und nicht verhaftet ist, das das wahre Selbst über einem spiegelt und sein direkter Vertreter sein kann. Von diesem inneren, schweigenden Wesen geht eine Zurückweisung all dessen aus, was zurückgewiesen werden muss, und eine Billigung allein von dem, was bewahrt und umgewandelt werden kann, ein innerster Wille zur Vollendung oder ein Ruf an die Göttliche Macht, bei jedem Schritt das zu tun, was für die Veränderung der Natur erforderlich ist. Es [das innere Wesen] kann auch Mental, Leben und Körper der innersten seelischen Wesenheit und ihrem lenkenden Einfluss oder ihrer unmittelbaren Führung öffnen. In den meisten Fällen zeichnen sich diese beiden Methoden ab, arbeiten zusammen und verschmelzen schließlich in eine einzige. Doch kann man mit jeder von ihnen beginnen, am besten mit derjenigen, der zu folgen einem am natürlichsten und einfachsten erscheint.

Worte Sri Aurobindos
Das seelische Wesen ist im Herz-Zentrum in der Mitte der Brust (nicht im physischen Herzen, denn alle Zentren liegen an der Mittellinie des Körpers), es ist jedoch tief dahinter verborgen. Wenn man sich vom Vital zur Seele wendet, ist es, als würde man tief, tief hinuntergehen, bis man diese innere Stätte der Seele erreicht hat. Die Oberfläche des Herz-Zentrums ist der Ort des emotionalen Wesens; von dort wendet man sich der Tiefe zu, um die Seele zu finden. Je tiefer man geht, desto intensiver wird die seelische Glückseligkeit…

Worte Sri Aurobindos
…das Wichtigste ist, das seelische Feuer im Herzen zu entwickeln sowie das Streben nach dem Hervortreten des seelischen Wesens als Lenker der Sadhana. Wenn das geschehen ist, wird dir die Seele die „verborgenen Ego-Knoten“ aufzeigen und sie lösen oder im seelischen Feuer verbrennen. Diese seelische Entwicklung und die seelische Wandlung von Mental, Vital und physischem Bewusstsein sind von höchster Wichtigkeit, da hierdurch die Herabkunft des höheren Bewusstseins und die spirituelle Umwandlung, ohne welche die supramentale immer in weiter Ferne bleiben muss, sicher und einfach werden. Mächte und anderes haben ihren Platz, aber einen sehr untergeordneten, solange dies nicht geschehen ist.

Worte Sri Aurobindos
1. Bringe dich mehr und mehr dar, das ganze Bewusstsein, alles was in dir geschieht, all deine Arbeit und Tätigkeit.
2. Wenn du Fehler und Schwächen hast, halte sie zum Göttlichen empor, damit sie verändert oder ausgelöscht werden.
3. Versuche zu tun, was ich dir sagte, konzentriere dich im Herzen, bis du fortwährend die Gegenwart dort fühlst.
