KAPITEL 19
SUBLIMINALE OKKULTE KRÄFTE
Unter Okkultismus versteht man den Gebrauch der höheren Kräfte unserer Natur, unserer Seele, unseres Verstandes und unserer Lebensenergie, und die Fähigkeiten des subtil physischen Bewusstseins, auf seiner eigenen wie auch auf der materiellen Ebene, durch eine Art inneren Druck seines eigenen geheimen Gesetzes und seines Potentials, Resultate zu erzielen, die sich im menschlichen Denken, Leben und Körper oder in Objekten und Ereignissen in der materiellen Welt manifestieren und Wirkung zeigen. Eine Entdeckung oder Verbreitung dieser wenig bekannten oder bis jetzt unentwickelten Kräfte wird von einigen bekannten Denkern als nächster Schritt der Menschheit in ihrer zukünftigen Evolution angenommen… (89)
SRI AUROBINDO

Bewusstsein als solches kann in seiner eigentlichen Natur durch das gewöhnliche menschlich-tierische Bewusstsein nicht begrenzt werden, es hat eine größere Reichweite. Yogische oder okkulte Kräfte sind nicht übernatürlicher oder unglaublicher als die Fähigkeit ein herausragendes Gedicht zu schreiben oder großartige Musik zu komponieren; so wie die Dinge sind können das nur wenige Menschen – nicht mal einer in einer Million; denn Poesie und Musik kommen aus dem inneren Wesen, und um wahre und große Dinge zu komponieren oder zu schreiben, muss man zwischen dem äußeren Verstand und dem inneren Wesen den Durchgang frei haben. Deshalb hast du die poetische Kraft bekommen, sobald du mit Yoga begonnen hast – yogische Kraft hat den Weg frei gemacht. Mit yogischem Bewusstsein und yogischen Kräften ist es dasselbe; es geht darum den Durchgang freizubekommen – denn sie existieren schon in dir. Natürlich, zunächst ist die Hauptsache, darauf zu vertrauen, danach zu streben, und sich mit dem wahren inneren Drang darum zu bemühen. (90)
SRI AUROBINDO

Das wahre oder direkte Wissen oder die Vision von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beginnt mit der Öffnung des psychischen Bewusstseins und der psychischen Fähigkeiten. Das psychische Bewusstsein ist das, was jetzt häufig das subliminale Selbst genannt wird, das subtile oder Traum-Selbst der indischen Psychologie, und seine Reichweite von potenziellem Wissen ist fast unbegrenzt, und umfasst eine sehr ausgedehnte Kraft und viele Arten der Einsicht, sowohl in die Möglichkeiten als auch in die tatsächlichen Gegebenheiten in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Seine hauptsächliche Fähigkeit, die am leichtesten Aufmerksamkeit erzeugt, ist die, mit der psychischen Wahrnehmung Bilder von allen Umständen und Verhältnissen in Zeit und Raum sehen zu können. Das, was dabei von Hellsehern, einem Medium oder anderen Personen eingesetzt wird, ist oft, oder sogar meistens eine spezialisierte Fähigkeit, die zwar begrenzt, jedoch oft genau und fehlerfrei in ihrer Erkenntnis ist, und sie setzt keine Entwicklung der inneren Seele, des spirituellen Wesens oder der höheren Intelligenz voraus. Diese Fähigkeit ist eine Tür, die sich durch Zufall oder durch eine angeborene Gabe, oder durch eine Art Druck zwischen dem wachen und dem subliminalen Verstand öffnet, und nur seine Inhalte der Oberfläche oder Peripherie hereinlässt. Alle Umstände und Dinge, durch die der verborgene universale Geist seine Macht auf eine bestimmte Weise ausübt, werden in Bildern dargestellt – nicht nur visuell, sondern man könnte sagen, auch in hörbaren oder anderen Bildern – und eine gewisse Entwicklung der subtilen oder psychischen Sinne macht es möglich – diese Darstellungen oder Übertragungen mit einer perfekten Genauigkeit zu empfangen, und sie nicht so sehr vorherzusagen, sondern vielmehr in ihren korrekten Bildern die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft außerhalb der Reichweite der physischen Sinne sehen zu können, wenn es keine Einmischung durch den konstruierenden Verstand und seine Vorstellungen gibt, das heißt, wenn keine künstlichen oder verfälschenden gedanklichen Bilder dazwischenkommen, und die psychische Sinneswahrnehmung frei, aufrichtig und passiv ist. Die Genauigkeit dieser Art des Sehens hängt davon ab, dass sie sich auf die Darstellung der gesehenen Dinge beschränkt, und der Versuch daraus Schlüsse zu ziehen, sie zu interpretieren, oder sich sonst wie über das visuelle Erkennen hinaus zu begeben, kann zu vielen Irrtümern führen, wenn nicht gleichzeitig eine starke, verfeinerte, subtile und reine psychische Intuition existiert oder ein hoher Entwicklungsstand der leuchtenden intuitiven Intelligenz.
Eine vollständigere Öffnung des psychischen Bewusstseins führt uns weit über diese Fähigkeit der Vision durch Bilder hinaus, und gewährt uns zwar nicht wirklich Zugang zu einem neuen Zeitbewusstsein, aber zu vielen Wegen des dreifachen Zeitwissens. Das subliminale oder psychische Selbst kann vergangene Zustände des Bewusstseins zurückbringen, oder sich in sie hineinprojizieren, oder zukünftige Zustände des Bewusstseins oder der Erfahrung voraussehen oder erleben, oder sich sehr stark in diese hineinprojizieren, obwohl das seltener vorkommt. Es bewerkstelligt das, indem es zeitweilig entweder in die Dauerhaftigkeit der Zeit eintritt oder sich selbst oder die Macht seines erfahrenden Wissens mit den Darstellungen von Vergangenheit und Zukunft identifiziert, die in einem ewigen Zeitbewusstsein hinter unserer Mentalität erhalten werden, oder die durch die Ewigkeit des Superminds in einer unteilbaren Kontinuität der Zeitvision aufgeworfen werden. Das psychische Selbst kann auch den Eindruck dieser Dinge empfangen und eine beschreibende Erfahrung davon im subtilen Äther des psychischen Wesens entwickeln. Oder es kann aus der unterbewussten Erinnerung, in der sie immer latent vorhanden ist, die Vergangenheit hervorrufen, und ihr in sich selbst eine lebendige Form verleihen, und ihr eine Art erneuertes Dasein geben, das sich wieder erinnert, und ebenso kann es aus den latenten Tiefen, wo sie schon geformt im Wesen liegt, die Zukunft hervorrufen, und sie auf ähnliche Weise für sich selbst gestalten und erfahren. Das psychische Selbst kann durch eine Art der psychischen Gedanken-Vision oder Seelen-Intuition – diese ist nicht dasselbe wie die subtilere und weniger konkrete Gedanken-Vision der leuchtenden intuitiven Intelligenz – die Zukunft vorhersehen und vorherwissen, oder diese Seelen-Intuition in die Vergangenheit einblenden, die hinter den Schleier zurückgegangen ist, und sie für das gegenwärtige Wissen zurückholen. Es kann eine Art sinnbildliches visionäres Sehen entwickeln, das die Vergangenheit und die Zukunft durch eine Vision von Einflüssen und Bedeutungen übermittelt, die zu den supraphysischen Ebenen gehören, die für die Schöpfung im materiellen Universum aber bestimmend sind. Es kann die Absicht des Göttlichen fühlen, den Verstand der Götter, und die Verzeichnisse aller Dinge und deren Bedeutungen, die auf die Seele herabkommen und einwirken, und die komplexe Bewegung der Kräfte bestimmen. Es kann auch die Bewegung derjenigen Kräfte spüren, die den Druck sich zu verwirklichen verkörpern oder auf ihn antworten – ebenso wie es die Anwesenheit und die Handlungen von Wesen der mentalen, vitalen oder von anderen Welten wahrnehmen kann, die sich mit unserem Leben befassen. Es kann alle erdenklichen Arten von Hinweisen auf Ereignisse in der vergangenen, gegenwärtigen und der zukünftigen Zeit sammeln, es kann vor sich die ätherische Schrift sehen, akasa-lipi die alle Geschehnisse der Vergangenheit niederschreibt, alles festhält was in der Gegenwart entsteht, und die Zukunft ausarbeitet.
All diese und eine Vielzahl von anderen Kräften sind in unserem subliminalen Wesen verborgen, und können mit dem Erwachen des psychischen Bewusstseins an die Oberfläche gebracht werden. Dazu gehört auch das Wissen über unsere vergangenen Leben – ob es vergangene Seelenzustände sind oder Persönlichkeiten, als die wir gelebt haben, oder frühere Schauplätze, Ereignisse oder Beziehungen zu anderen – oder auch Kenntnisse von früheren Leben anderer Menschen, oder von der Vergangenheit der Welt oder über die Zukunft, sowie von gegenwärtigen Geschehnissen, die außerhalb der Reichweite unserer physischen Sinne liegen, oder durch die Mittel der Erkenntnis der Oberflächen-Intelligenz nicht zu erfassen sind. Nicht nur die Intuition und die Eindrücke von physischen Ereignissen liegen für unser psychisches Wesen offen, sondern auch Erkenntnisse über das Wirken einer vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung des Verständnisses, des Lebens und der Seele in uns und anderen Menschen. Für unser psychisches Wesen steht nicht nur die Wahrnehmung von dieser Welt offen, sondern auch von anderen Welten oder Ebenen des Bewusstseins und deren Manifestationen in der Zeit, sowie von ihrem Eingreifen, ihren Aktionen und deren Auswirkungen auf die Angelegenheiten der Erde und die Seelen, die auf ihr leben und auf deren Schicksal, denn das psychische Wesen steht den Mitteilungen des Universalen nah und ist nicht nur hauptsächlich vom unmittelbaren Geschehen in Anspruch genommen, und nicht in den engen Kreis seiner rein persönlichen oder physischen Erfahrung eingeschlossen. (91)
SRI AUROBINDO

Das Erwachen des psychischen Bewusstseins befreit in uns den direkten Gebrauch des Verstandes als sechsten Sinn, und diese Kraft kann als dauerhaft und anhaltend wirksam etabliert werden. Das physische Bewusstsein kann nur durch äußere Mittel, Anzeichen und Hinweise mit den Gedanken anderer Menschen kommunizieren oder von den Ereignissen in der Welt um uns herum erfahren, und es macht über diese begrenzten Möglichkeiten hinaus nur einen wahllosen und unbestimmten Gebrauch von den direkteren Fähigkeiten des Verstandes, und hat nur einen dürftigen Umfang von gelegentlichen Vorgefühlen, Intuitionen und Mitteilungen, die es empfangen kann. Tatsächlich sind unsere Gedanken ständig in Aktion, und durch verborgene Ströme, die uns nicht bewusst sind, wird andauernd durch die Gedanken anderer auf unsere eingewirkt, aber wir haben keine Kenntnis von diesen Übermittlungen und keine Kontrolle darüber. Während es sich entfaltet, macht uns das psychische Bewusstsein diese große Masse aller Arten von Gedanken, Gefühlen, Suggestionen, von Willenskräften und Einflüssen bewusst, die wir von anderen empfangen oder selbst an sie aussenden oder die wir von der allgemeinen mentalen Atmosphäre um uns herum aufnehmen oder selbst in sie hineinwerfen. Wenn es dann Macht, Präzision und Klarheit entwickelt, werden wir fähig, diese Einflüsse bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen oder augenblicklich ihre Herkunft und ihren Weg zu uns zu fühlen, und unsere eigenen Mitteilungen mit einem bewussten und intelligenten Willen zu steuern. Es wird dann möglich, die gedanklichen Aktivitäten des Verstandes anderer Menschen geistig mehr oder weniger fehlerlos und scharfsichtig zu erkennen, gleich ob sie uns physisch nah oder weit von uns entfernt sind, und ihr Temperament, ihren Charakter, ihre Gedankengänge, Gefühle und Reaktionen zu verstehen, zu fühlen und uns mit ihnen zu identifizieren. Das geschieht entweder durch eine psychische Empfindung oder eine direkte gedankliche Wahrnehmung, oder durch eine sehr empfindsame und häufig intensiv konkrete Aufnahme dieser Inhalte in unserem Verstand oder an seiner Oberfläche, die sie aufzeichnet. Gleichzeitig können wir bewusst zumindest das innere Selbst anderer Menschen für unser eigenes inneres mentales und psychisches Selbst empfänglich machen, und wenn sie genügend feinfühlend sind, auch ihren äußeren Verstand aufnahmefähig und plastisch für seine Gedanken, Suggestionen und Einflüsse, oder wir können unseren Gedanken oder ihren aktiven Bildern sogar als Einfluss in dem subjektiven, selbst in dem vitalen und physischen Wesen anderer Menschen eine Form geben, um dort als eine helfende, formende oder bestimmende Kraft und Präsenz zu wirken. (92)
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Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Berühren, sind eigentlich Eigenschaften des Verstandes, nicht des Körpers; aber der physische Verstand, den wir normal gebrauchen, beschränkt sich selbst auf die sinnliche Aufnahme der äußeren Eindrücke, die er durch das Nervensystem und die physischen Organe empfängt. Aber der innere Manas verfügt auch über eine subtile innere Sicht und einen subtilen inneren Gehörsinn sowie eine Fähigkeit zu eigener Kontaktaufnahme, die nicht von den physischen Sinnesorganen abhängt. Und er hat überdies nicht nur eine Fähigkeit zu direkter Verbindung des Verstandes mit einem Gegenstand – die sogar bei einem hohen Grad der Aktivität zu einer Wahrnehmung der Inhalte eines Objektes innerhalb oder außerhalb der physischen Reichweite der Sinne führt – sondern auch zu direkter Kommunikation von Verstand zu Verstand. Der Verstand ist auch fähig, die Einflüsse von Sinneseindrücken zu unterbinden, ihre Bedeutungen zu verändern und ihre Intensität abzuschwächen. Diese Fähigkeiten benützen oder entwickeln wir gewöhnlich jedoch nicht, sie äußern sich nur unterschwellig, und treten manchmal in abweichenden, ungewöhnlichen Handlungen hervor, bei dem einen mehr, beim anderen weniger, oder sie kommen an die Oberfläche und werden dort aktiv, wenn man sich in außergewöhnlichen Situationen befindet. Diese Fähigkeiten bilden die Grundlage des Hellsehens, Hellfühlens und der Übertragung von Gedanken und Impulsen, der Telepathie sowie der meisten der gewöhnlichen – sogenannten okkulten Kräfte, obwohl diese besser, weniger mystisch, eher als die bis jetzt unterschwelligen Aktivitäten des Manas bezeichnet werden sollten. Das Phänomen der Hypnose und viele andere Erscheinungen hängen von der Aktivität dieses subliminalen sinnlichen Verstandes ab, wobei es nicht so ist, dass er allein alle Elemente des Phänomens der Hypnose ausmacht, aber dieser Verstand der Sinne ist das erste unterstützende Mittel des Austausches, der Kommunikation und der Erwiderung von Gedanken, obwohl viele der eigentlichen Vorgänge zur inneren Buddhi gehören. Der physische Verstand und der supraphysische Verstand ist die zweifache Mentalität der Sinne, die wir besitzen und von der wir Gebrauch machen können. (93)
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Es gibt okkulte Fähigkeiten des Denkens und der Lebenskraft, die nicht in die gegenwärtige systematische Anordnung des Verstandes und des Lebens in der Materie, die die Natur vornimmt, einbezogen sind, sie sind aber potenziell vorhanden und können dazu gebracht werden, sich auf materielle Dinge oder Ereignisse auszuwirken, oder sie können sogar der gegenwärtigen Systematisierung hinzugefügt oder in sie hineingebracht werden, um die Kontrolle des Denkens über unser eigenes Leben und unseren eigenen Körper zu erweitern, oder um auf die Gedanken, das Leben oder die Körper anderer Menschen oder auf die Bewegungen der kosmischen Kräfte einzuwirken. Die moderne Zulassung der Hypnose in der Medizin ist ein Beispiel der Entdeckung einer solchen systematisierten Anwendung von okkulten Kräften, obwohl sie durch ihre Methode und Formel eingeschränkt und begrenzt ist. Diese Kräfte berühren uns sonst jedoch nur gelegentlich oder durch eine verborgene Aktivität, deren Prozess uns entweder unbekannt ist, oder nur von einigen wenigen unvollständig wahrgenommen wird. Wir alle erfahren andauernd einen Ansturm von Suggestionen, wie Gedanken-Suggestionen, Impuls-Suggestionen, Willens-Suggestionen, emotionalen und sinnlichen Suggestionen, von Gedanken-Wellen und Wellen von Lebensenergien, die von anderen oder von der universalen Energie auf uns oder in uns einströmen, die jedoch ohne unser Wissen agieren und ihre Wirkungen hervorbringen. Eine systematische Bemühung, diese Bewegungen, ihr Gesetz und ihre Möglichkeiten zu erkennen, zu meistern, und die Macht der Natur-Kraft hinter ihnen zu benützen, oder uns vor diesen Bewegungen zu schützen würde in einen Bereich des Okkultismus fallen: aber selbst innerhalb dieser Provinz wäre es nur ein kleines Gebiet; denn die möglichen Felder, Anwendungsmöglichkeiten und Prozesse dieses ausgedehnten Aktionsradius eines wenig erforschten Wissensgebietes sind weit und vielfältig. (94)
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Im Phänomen der Hypnose kann der hypnotisierte Patient nicht nur daran gehindert werden, den Schmerz einer Verletzung oder Stichwunde zu fühlen, während er sich in einem hypnotisierten Zustand befindet, sondern er kann auch mit gleichem Erfolg davon abgehalten werden, wie üblich mit Schmerz zu reagieren, wenn er wieder aufgewacht ist. Der Grund für dieses Phänomen ist vollkommen einfach: es entsteht deshalb, weil der Hypnotiseur das gewöhnliche Wachbewusstsein, das Sklave der gewohnheitsmäßigen, nervösen Reaktionen des Nervensystems ist, außer Kraft setzt, und dadurch gelingt es ihm, an das unterschwellige mentale Wesen in den inneren Tiefen zu appellieren, an das innere mentale Wesen, das, wenn es will, die Nerven und den Körper meisterhaft beherrscht. Aber diese Befreiung, die durch Hypnose abnormal, schnell und ohne wirkliche Selbstbeherrschung durch den Einfluss eines fremden Willens zustande kommt, kann genauso natürlich, stufenweise mit dem Resultat wahrer Selbstbeherrschung durch den eigenen Willen erreicht werden, um teilweise oder vollständig einen Sieg des inneren mentalen Wesens über die gewohnheitsmäßigen nervlichen Reaktionen des Körpers zu erlangen. (95)
SRI AUROBINDO

Die Fähigkeit okkulte Dinge zu sehen, existiert in jedem Menschen, meistens latent, häufig jedoch auch nahe der Oberfläche der äußerlichen Wahrnehmung, und manchmal, jedoch seltener, schon an dieser Oberfläche selbst. Wenn man tratak praktiziert, ist es ziemlich sicher, dass diese Fähigkeit früher oder später hervorkommen wird – obwohl manche damit Schwierigkeiten haben, und es bei ihnen länger dauert; diejenigen, bei denen diese Kraft der okkulten Vision sich sofort zeigt, besaßen sie schon immer nahe des äußeren Bewusstseins, und sie taucht beim ersten direkten Druck darauf auf. (96)
SRI AUROBINDO

Subjektive Visionen können genauso echt sein wie objektives Sehen, der einzige Unterschied besteht darin, dass das eine ein Sehen realer Dinge im materiellen Raum ist, während das andere eine Vision von realen Dingen ist, die zu anderen Ebenen gehören, die bis hinunter zum subtil-physischen Bereich reichen; selbst symbolische Visionen sind insofern real, als dass sie symbolische Realitäten darstellen. Sogar Träume können im subtilen Bereich eine Realität besitzen. Visionen sind nur dann nicht wirklich, wenn es sich um rein gedankliche Vorstellungen handelt, die nichts darstellen, was wahr ist, oder wahr war, oder wahr sein wird.
Diese Visionskraft ist manchmal angeboren und wie selbstverständlich vorhanden, sogar ohne jegliche Anstrengung sie zu fördern, manchmal erwacht sie von selbst und entfaltet sich vielseitig, oder es bedarf wenig Übung um sie zu entwickeln; das ist nicht unbedingt ein Zeichen spiritueller Errungenschaft, aber normalerweise, wenn man durch das Praktizieren von Yoga beginnt, nach innen zu gehen oder mehr verinnerlicht zu leben, erwacht die Kraft der subtilen Vision in mehr oder weniger starkem Ausmaße; das geschieht jedoch nicht immer so einfach, besonders dann, wenn man dar an gewöhnt ist, stark im Intellekt oder im mehr nach außen gekehrten vitalen Gefühls-Bewusstsein zu leben. (97)
SRI AUROBINDO

Die Menschen schätzen Visionen vor allem deshalb, weil sie ein Schlüssel (es gibt noch andere) dazu sind, mit anderen Welten oder den inneren Welten Kontakt aufzunehmen, sowie mit allem was dort existiert, und das sind Regionen immenser Reichtümer, die die der physischen Ebene, so wie sie jetzt ist, bei Weitem übersteigen. Man betritt dort ein weiteres, freieres Selbst und eine weitere, plastischere Welt; natürlich vermitteln individuelle Visionen nur einen Kontakt, und nicht den eigentlichen Zutritt zu ihr, aber die Macht der Vision ermöglicht diesen Zugang während sie sich erweitert, und durch die Kraft anderer subtiler innerer Sinneswahrnehmungen, (wie Hören, Berühren usw.) verstärkt wird. Diese Eindrücke anderer oder innerer Welten haben nicht bloß den Effekt wie die reine Vorstellungskraft eines Dichters oder Künstlers, (obwohl diese auch dazu führen kann, wenn sie stark genug ist), sondern sie führen, wenn sie vollständig vertieft werden, zu einem andauernden Wachstum des Wesens und Bewusstseins und seiner Fülle der Erfahrungen und zu einer Erweiterung seiner Möglichkeiten.
Die Menschen schätzen die Kraft der Vision auch aus einem anderen Grund, der von größerer Bedeutung ist: sie kann eine erste Beziehung zum Göttlichen und seinen Ausdrucksformen und zu dessen Energien herstellen; sie kann die Öffnung für eine enge Verbindung mit dem Göttlichen sein, eine Öffnung des Gehörs für seine Stimmen, die leiten, sowie für die Gegenwart als auch für das Bild des Göttlichen im Herzen und für viele andere Dinge, die das bringen, was Menschen durch Religion und Yoga suchen.
Des Weiteren ist die Vision von Wert, weil sie ein erster Schlüssel zu den inneren Ebenen des eigenen Wesens ist, im Unterschied zu den Welten oder Ebenen des kosmischen Bewusstseins. Yoga-Erfahrung beginnt oft mit einer Öffnung des dritten Auges auf der Stirn (das Zentrum der subtilen Vision zwischen den Augenbrauen) oder mit einer Art Anfang der Ausweitung des feinstofflichen subtilen Sehens, die zuerst unwichtig erscheinen mag, die jedoch das Vorzimmer zu tieferer Erfahrung ist. Selbst wenn Vision dazu nicht nötig ist, weil man auf direktem Weg zur Erfahrung innerer Ebenen kommen kann, kann sie später als eine kraftvolle Unterstützung dieser Erfahrung hinzukommen. Sie kann voller Hinweise sein die bei der Selbst-Erfahrung helfen, oder sie kann zum Verständnis von Verhältnissen und Menschen dienen. Sie kann wahrheitsgemäß sein, und das Voraussehen der Zukunft und Gefühle der Vorahnung verleihen, sowie zu anderen Bewusstseins-Öffnungen von geringerer Wichtigkeit führen, die jedoch für einen Yogi sehr nützlich sein können. Kurz gesagt ist die Vision ein sehr großartiges, jedoch nicht unerlässliches Instrument.
Aber es gibt solche Visionen und solche, wie ich schon angedeutet habe, genau wie es solche Träume und solche gibt, und man muss Unterscheidungs- und Einschätzungsvermögen in diesen Dingen entwickeln, und verstehen, wie man diese Fähigkeiten zu gebrauchen hat. (98)
SRI AUROBINDO

KAPITEL 20
DAS PSYCHISCHE WESEN
Das wahre zentrale Wesen in uns ist die Seele, aber dieses Wesen hält sich im Hintergrund, und ist in den meisten menschlichen Naturen nur der geheime Beobachter, oder eine Art konstitutioneller Herrscher, der seinen Ministern erlaubt, für ihn zu regieren, der seine Oberherrschaft an sie delegiert, schweigend ihren Entscheidungen zustimmt, und nur hin und wieder ein Wort einlegt, über das sie sich jedoch in jedem Augenblick hinwegsetzen können, um anders zu handeln. Aber das geht nur, solange die seelische Persönlichkeit, deren Ausdruck vom psychischen Wesen in den Vordergrund gebracht wird, noch nicht genügend entwickelt ist – wenn sie stark genug ist, sodass das innere Wesen sich durch sie durchsetzen kann, ist die Seele in der Lage nach außen zu kommen, und die Natur zu leiten. Durch dieses Hervortreten des wahren Monarchen und seine Übernahme der Führung der Natur kann eine wirkliche Harmonisierung unseres Wesens und unseres Lebens stattfinden. (99)
SRI AUROBINDO

Süße Mutter, gibt es in jedem Menschen ein spirituelles Wesen?
Das hängt davon ab, was wir unter einem „Wesen“ verstehen. Wenn wir „Wesen“ durch das Wort „Präsenz“ ersetzen, dann können wir sagen: Ja, es gibt eine spirituelle Präsenz in jedem. Wenn wir mit „Wesen“ eine sich organisierende selbstständige Einheit bezeichnen die unabhängig ist, und die Kraft hat sich selbst durchzusetzen und den Rest der Natur zu leiten, dann können wir sagen: Nein! Jeder trägt die Möglichkeit in sich, dieses unabhängige allmächtige Wesen zu verwirklichen, aber die Verwirklichung dieser Möglichkeit ist das Resultat langer Bemühungen, die sich manchmal über mehrere Leben erstrecken.
In jedem existiert diese spirituelle Präsenz, dieses Licht, von Anfang an… Ich habe es nicht selten in bestimmten Tieren gesehen. Sie ist wie ein leuchtender Punkt, der die Grundlage für eine gewisse Kontrolle und einen Schutz bildet, sogar, wenn sie nur halb bewusst entwickelt ist, etwas, das eine Harmonie mit dem Übrigen der Schöpfung ermöglicht und verhindert, dass selbst nicht wieder gut zu machende Katastrophen anhalten oder sich allgemein ausbreiten können. Ohne die unmittelbare Nähe dieses Lichtes wäre die Unordnung, die durch die Feindseligkeiten und Leidenschaften der vitalen Natur verursacht wird, so groß, dass sie in jedem Moment zu einer allgemeinen Katastrophe, zu einer Art völliger Zerstörung führen könnte, die den Fortschritt in der Evolution der Natur verhindern würde. Diese Präsenz, dieses spirituelle Licht – das man beinah als ein spirituelles Bewusstsein bezeichnen könnte – existiert im Innern eines jeden Lebewesens und in allen Dingen, und deshalb gibt es trotz aller Uneinigkeit, allem Hass, trotz aller Gewalt, ein Minimum an Harmonie, die erlaubt, dass die Arbeit der Natur vollendet wird.
Diese Präsenz tritt im menschlichen Wesen sehr deutlich hervor, selbst auf einer sehr elementaren Stufe – sogar ein höchst scheußlicher Mensch, jemand, der den Eindruck macht der Inbegriff eines Teufels oder eines Monsters zu sein, hat etwas in seinem Innern, das eine Art unwiderstehlicher Kontrolle ausübt – selbst für die schlimmsten Menschen ist es unmöglich bestimmte Dinge zu tun. Wenn der Mensch diese Präsenz des spirituellen Lichtes nicht in sich hätte, und ausschließlich durch feindselige Kräfte kontrolliert würde, gäbe es nicht diese Unmöglichkeit, das Schlimmste zu tun.
Jedes Mal, wenn eine Welle dieser monströsen feindseligen Kräfte über die Erde hinwegfegt, scheint es, als ob nichts jemals den Aufruhr und den Horror davon abhalten kann sich auszubreiten, und doch greift jedes Mal unerwartet und unerklärlich eine Kontrolle ein, und die Welle der Zerstörung wird aufgehalten, und es kommt nicht zur totalen Katastrophe. Das geschieht wegen der Präsenz, der Anwesenheit des Höchsten in der Materie.
Jedoch nur in wenigen außergewöhnlichen Wesen, und nur nach einer langen, sehr langen Zeit der Vorbereitung, die sich über viele Leben erstreckt, verändert sich diese Präsenz im Menschen zu einem bewussten, unabhängigen, völlig selbst-organisierten Wesen, einem allmächtigen Meister seiner körperlichen Bleibe, der bewusst genug ist, um nicht nur seinen Körper zu kontrollieren, sondern auch das, was ihn umgibt, in einem Bereich von Ausstrahlung und Handlungskraft, der immer umfassender und effektiver wird. (100)
DIE MUTTER

Hat das psychische Wesen irgendeine Macht?
Macht? Es ist gewöhnlich das psychische Wesen, das den Menschen leitet. Man merkt nichts davon, weil es einem nicht bewusst ist, aber normalerweise ist es das psychische Wesen, das einen führt. Wenn man sehr aufmerksam ist, wird es einem bewusst. Aber die Mehrheit der Menschen hat nicht die leiseste Ahnung davon. Wenn sie sich zum Beispiel in ihrer äußeren Unwissenheit dazu entschlossen haben etwas Bestimmtes zu tun, und sie nicht in der Lage sind es durchzuführen, weil alle Umstände so organisiert sind, dass sie stattdessen etwas anderes machen müssen, fangen sie an zu schimpfen und dagegen anzustürmen, geraten in Wut gegen das Schicksal, und sagen, dass die Natur schlecht, oder ihr Schicksal unheilvoll sei, oder Gott ungerecht, oder was auch immer, (abhängig von dem was sie glauben). Dabei sind meist genau diese Umstände die zuwiderlaufen die günstigsten für ihre innere Entwicklung. Natürlich, wenn du dein psychisches Wesen darum bittest ein schönes Leben für dich einzurichten, wie, viel Geld zu verdienen und Kinder zu haben, die der Stolz der Familie sind usw. nun, dabei wird dir das psychische Wesen nicht helfen. Aber es wird für dich all die Umstände erschaffen, die notwendig sind, um etwas in dir zu erwecken, sodass das Bedürfnis nach Vereinigung mit dem Göttlichen in dir entstehen kann. Manchmal machst du schöne Pläne, und wenn sie Erfolg gehabt hätten, wärst du mehr und mehr in eine Kruste der äußeren Ignoranz eingeschlossen worden, in deinen dummen kleinen Ehrgeiz und in deine ziellose Aktivität. Wenn du jedoch einen heilsamen Schock erhältst, und du bekommst zum Beispiel nicht die Arbeitsstelle die du unbedingt haben wolltest, und die Pläne, die du gemacht hast, sind durchkreuzt worden, und du bist mit all deinen Absichten vollständig gescheitert, dann öffnet diese Opposition der Umstände und Ereignisse manchmal eine Tür für dich zu etwas Tieferem, Wahrerem. Wenn dir diese Dinge ein wenig bewusst werden, während du auf sie zurückblickst, und du nur im Mindesten aufrichtig bist, wirst du sagen: „Aha, ich hatte damals nicht Recht mit dem, was ich wollte, es war die Natur oder die göttliche Gnade oder mein psychisches Wesen die das alles richtig eingerichtet hatten.“ Es ist das psychische Wesen, das die Umstände so organisiert hatte. (101)
DIE MUTTER

Die Seele enthält alle mögliche Kraft in sich, aber das meiste davon wird hinter einer Art Schleier zurückgehalten, und das, was von dieser Kraft in die menschliche Natur nach außen dringt, macht für sie den Unterschied. In manchen Menschen ist das psychische Element stark, und in anderen schwach entwickelt, in manchen Menschen ist der Verstand der stärkste Teil, der bestimmend ist, in anderen ist es das vitale Gefühl, das leitet oder antreibt. Aber durch Sadhana kann das psychische Wesen mehr und mehr in den Vordergrund gebracht werden, bis es dominiert und die restlichen Teile der äußeren Natur bestimmt. Wenn es diese schon leiten würde, wären Kämpfe des Gefühls und Schwierigkeiten die der Verstand verursacht überhaupt nicht ernst, denn jeder Mensch würde im Licht das das Psychische darauf wirft die Wahrheit erkennen und ihr mehr und mehr folgen. (102)
SRI AUROBINDO

Es erscheint mir unmöglich dieser Notwendigkeit zu entkommen (sein Wesen um die zentrale innere Präsenz des Göttlichen zu organisieren), wenn man ein bewusstes Instrument der göttlichen Kraft sein möchte. Ihr könnt als unbewusste Werkzeuge von der göttlichen Kraft zu bestimmten Dingen bewegt oder zum Handeln gedrängt werden, wenn ihr ein Minimum an Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit zeigt. Aber um zu einem bewussten Instrument zu werden das zur inneren Identifikation mit dem Göttlichen und zu bewussten, gewollten Ausführungen fähig ist, benötigt ihr diese innere Organisation; sonst rennt ihr immer irgendwo in ein Chaos, irgendwo in eine Verwirrung oder eine Verschwommenheit oder in eine Unbewusstheit. Obwohl euer Handeln dann ausschließlich dem Göttlichen gewidmet ist, wird es natürlich nicht die Perfektion des Ausdrucks haben die es hat, wenn man eine bewusste Organisation um das innere göttliche Zentrum herum erlangt hat.
Es ist eine Aufgabe die Beharrlichkeit erfordert, die zu jeder Zeit unter allen Umständen durchgeführt werden kann, weil alle Bestandteile zur Lösung dieser Aufgabe in dir selbst vorhanden sind. Du brauchst für diese Arbeit keine Hilfe, die von außen kommt. Sie erfordert jedoch große Ausdauer, eine Art Hartnäckigkeit, denn sehr häufig befinden sich unangenehme Deformierungen im Charakter, Angewohnheiten, die alle nur möglichen Ursachen haben können, diese können in Rückschlägen in der Entwicklung liegen, oder in zurückliegenden charakterlichen Missbildungen, oder in der Erziehung oder in dem Milieu in dem du gelebt hast, sowie in vielen anderen Ursachen. Du versuchst diese Missbildungen wie Falten zu glätten, aber sie kräuseln sich immer wieder. Dann musst du die Arbeit wieder von vorne beginnen, oft viele Male ohne entmutigt zu werden, bevor das endgültige Ergebnis sich zeigt. Aber nichts und niemand und kein Umstand kann dich davon abhalten. Denn du trägst in dir selbst das Problem und die Lösung. (103)
DIE MUTTER

KAPITEL 21
INTUITION
Mutter, wie kann man die Fähigkeit der Intuition entwickeln?
Es gibt verschiedene Arten der Intuition, und wir tragen diese geistigen Fähigkeiten in uns. Sie sind gewissermaßen ständig aktiv, aber wir bemerken es nicht, weil wir keine Notiz von dem nehmen, was in uns vor sich geht.
Tief im Innern des Wesens, hinter den Emotionen, in einem Bewusstsein, das irgendwo in der Nähe des Solarplexus angesiedelt ist, existiert eine Art des Vorherwissens, eine Art Fähigkeit des Voraus-Sehens, aber nicht in der Form von Ideen, sondern eher von Gefühlen, beinah eine Art Kenntnis der Sinnesempfindungen. Wenn man z.B. dabei ist, zu entscheiden etwas Bestimmtes zu tun, entsteht dort manchmal eine Art Unbehagen oder eine innere Weigerung, und normalerweise, wenn man auf diesen inneren Hinweis hört, wird einem klar, dass er gerechtfertigt war.
In anderen Fällen ist es etwas das einen zu etwas drängt, nachdrücklich auf etwas hinweist und darauf besteht – ich rede nicht von Impulsen, versteht Ihr, nicht von den Regungen die vom vitalen Gefühl oder aus noch niederen Regionen herrühren – sondern von Anzeichen, Hinweisen, die sich hinter dem Gefühl befinden, die aus dem emotionalen Teil des Wesens kommen; von dort aus kann man auch einen ziemlich genauen Hinweis auf das bekommen, was zu tun ist. Diese Hinweise sind Ausdrucksformen der Intuition oder eines höheren Instinktes, die durch Beobachtung und auch durch das Studium, das Analysieren und Vergleichen der Resultate entwickelt werden können. Natürlich muss das sehr aufrichtig, objektiv und ohne Voreingenommenheit durchgeführt werden; Wenn man die Dinge von vornherein auf eine ganz bestimmte Art und Weise betrachten möchte, gleichzeitig aber diese Art der distanzierten Beobachtung praktizieren will, ist der ganze Versuch zwecklos. Man muss die Vorgänge die sich in einem selbst abspielen so beobachten als sei man ein Außenstehender.
Das ist eine Art der Intuition und vielleicht diejenige, die sich zuerst zeigt.
Es gibt noch eine andere Form der Intuition, die jedoch sehr viel schwieriger zu erkennen ist für diejenigen, die dar an gewöhnt sind sich vom Verstand leiten zu lassen, und nicht nur impulsiv, sondern verstandesmäßig zu handeln, also, zu reflektieren, bevor sie etwas tun. Schwierig deshalb, weil im halbbewussten Denken ein extrem schneller Übergang von der Ursache eines Gedankens zur Schlussfolgerung auf das Ergebnis stattfindet, der einen wegen der Schnelligkeit des Denkprozesses davon abhält, die vollständige Reihe der gedanklichen Folgerungen zu beobachten, und deshalb hält man diesen Prozess nicht für eine Kette von Folgerungen, sondern für Intuition, und das ist sehr trügerisch. Man hat den Eindruck einer Intuition, aber es ist keine Intuition, sondern ein extrem schnelles, unterbewusstes Folgern, das ein Problem aufgreift und direkt Schlüsse daraus zieht. Diesen Prozess darf man nicht mit Intuition verwechseln.
In der normalen Funktionsweise des Gehirns ist die Intuition etwas, das plötzlich, wie ein Tropfen von Licht einfällt. Wenn man anfänglich die Fähigkeit der mentalen Vision entwickelt, erweckt das die Wahrnehmung von etwas, das von oben oder von außen kommt, wie der leichte Eindruck eines Tropfens von Licht auf das Gehirn, und das vollzieht sich vollkommen unabhängig von allem Schlussfolgern.
Es ist einfacher das wahrzunehmen, wenn man sein Denken zum Schweigen bringen kann, und es still und aufmerksam hält, indem man das übliche Funktionieren der Denkvorgänge einstellt, so, als ob man das Denken in eine Art Spiegel verwandeln würde, der in anhaltender und schweigender Aufmerksamkeit auf eine höhere Fähigkeit ausgerichtet ist. Auch das kann man lernen zu praktizieren. Tatsächlich muss man es lernen, es ist eine notwendige Disziplin.
Wenn man ein Problem zu lösen hat, was immer es sein mag, konzentriert man seine Aufmerksamkeit gewöhnlich hier (sie zeigt auf die Stelle zwischen den Augenbrauen), im Zentrum direkt über den Augen, dem Zentrum des bewussten Willens. Aber wenn man es so versucht, ist man nicht in Verbindung mit der Intuition. Man kann an dieser Stelle in Kontakt mit dem Ursprung von Willen, von Bemühung und sogar einer bestimmten Art des Wissens gelangen, das liegt jedoch im äußeren, beinah materiellen Bereich; während man das da (Mutter zeigt auf die Stirn) vollkommen reglos halten muss, wenn man Verbindung zur Intuition aufnehmen will. Aktive Gedanken müssen so weit wie möglich eingestellt werden, und die gesamte mentale Denkfähigkeit muss am Scheitel des Kopfes, und wenn möglich ein wenig darüber, eine Art Spiegel bilden, der sehr ruhig, sehr still, in schweigender, sehr stark konzentrierter Aufmerksamkeit nach oben (auf ein höheres Bewusstsein) gerichtet ist. Wenn dir das gelingt, kannst du – vielleicht nicht sofort – Tropfen aus Licht wahrnehmen, die aus einer noch unbekannten Region auf den Spiegel fallen, und sich als ein bewusster Gedanke ausdrücken, der keine Verbindung zu dem ganzen übrigen Denken hat, weil du fähig bist, das still zu halten. Das ist der wirkliche Anfang der intellektuellen Intuition.
Das ist eine Disziplin, die man verfolgen muss. Für lange Zeit versucht man es vielleicht vergeblich, aber sobald es einem gelingt einen „Spiegel“ zu formen, erhält man immer ein Ergebnis – nicht unbedingt als klare Form eines Gedankens, aber als Empfindung eines Lichtes das von oben kommt. Wenn man dieses Licht von oben empfangen kann, ohne sofort in einen Strudel von Aktivität zu geraten, sondern in Ruhe und Stille, und es tief in sein Wesen eindringen lässt, dann drückt es sich nach einer Weile entweder als ein leuchtender Gedanke oder als ein sehr genauer Hinweis, hier (Mutter deutet auf ihr Herz), in diesem Zentrum aus.
Natürlich müssen zuerst diese zwei Fähigkeiten entwickelt werden; denn sobald sich ein Resultat ergibt, muss man dies sorgfältig beobachten, wie ich schon sagte, und die Beziehung der Intuition zu den Ereignissen und Konsequenzen in der Wirklichkeit erkennen: Man muss sehr aufmerksam, fast wissenschaftlich beobachten, ob etwas in diese Intuition eingedrungen ist und eine Verfälschung erzeugt, und was man eventuell durch mehr oder weniger bewusstes Schlussfolgern oder das Dazwischenkommen eines eigenen tiefer gelegenen Wunsches, wiederum auch wieder mehr oder weniger bewusst, selbst zu dieser Intuition hinzugefügt hat. Durch ein sehr eingehendes Studium – das beinah in jedem Moment, auf jeden Fall jedoch täglich und sehr häufig praktiziert werden muss – gelingt es einem, die Intuition zu entwickeln. Das dauert sehr lange. Das braucht viel Zeit, und man kann dabei aus dem Hinterhalt überfallen werden: man kann sich selbst etwas vormachen, indem man unbewusste Wünsche, die sich durchsetzen möchten, für Intuition hält oder auch versteckte Hinweise von Impulsen, denen man verweigert hatte, sie offen anzuerkennen – tatsächlich können alle Arten von Schwierigkeiten auftauchen. Darauf muss man vorbereitet sein. Aber wenn man durchhält, wird man ganz sicher Erfolg haben.
Nach einer gewissen Zeit spürt man eine Art innerer Führung, etwas, was einen sehr deutlich wahrnehmbar in allem anleitet, was man unternimmt. Aber dann muss man sich natürlich dieser Führung bewusst überlassen, damit sie ihre maximale Wirkung erzielen kann, man muss aufrichtig dazu entschlossen sein dem Hinweis zu folgen, der von der höheren Kraft kommt. Wenn man das macht … kann man sich Jahre des Studiums ersparen, denn man begreift die Lösungen von Problemen extrem schnell. Die Ergebnisse von Aufgaben zeigen sich sehr viel schneller. Aber um das zu erreichen, muss man es mit Aufrichtigkeit und einer Art innerer Spontaneität praktizieren. Wenn man es ohne dieses innere Sich-Überlassen versuchen möchte, kann man damit auch erfolgreich sein – wie man auch damit Erfolg haben kann, seinen persönlichen Willen zu entwickeln, und zu einer beachtlichen Kraft zu machen – aber es dauert dann lange, und man trifft auf viele Hindernisse, und das Ergebnis ist sehr ungewiss, man muss dann sehr beständig, hartnäckig und ausdauernd sein, und wird auch bestimmt Erfolg haben, aber nur nach einer sehr großen Anstrengung.
Überlasse es der höheren Kraft mit einer aufrichtigen vollständigen Selbsthingabe, und du wirst mit voller Geschwindigkeit vorankommen, du wirst viel schneller weiterkommen – aber du musst dabei nicht berechnend sein, denn das verdirbt alles. (104)
DIE MUTTER

Intuition hat eine vierfache Macht. Die Macht offenbarender Wahrheits-Sicht, die Macht der Inspiration oder die Fähigkeit die Wahrheit zu hören, die Macht, mit der Wahrheit in Berührung zu kommen oder ein unmittelbares Erfassen ihrer Bedeutung, die einer normalen Eingebung in unsere Intelligenz gleicht, und eine Fähigkeit der treffenden und automatischen Unterscheidung der geordneten und genauen Beziehungen der unterschiedlichen Wahrheiten zueinander – das ist das vierfache Potential der Intuition. Deshalb kann die Intuition alle Aktionsarten der Vernunft übernehmen, einschließlich der Funktion der logischen Intelligenz – die darin besteht, die richtigen Beziehungen von Ideen und von Gegebenheiten zueinander auszuarbeiten – jedoch kann die Intuition dies durch den ihr eigenen überlegenen Prozess, durch Schritte, die nicht fehlgehen oder straucheln. Intuition greift nicht nur das Verständnis des Denkens auf und wandelt dies in ihren eigenen Inhalt um, sondern sie verwandelt auch das Herz und das Leben und das sinnliche und physische Bewusstsein: sie alle besitzen schon ihre eigenen besonderen Gefühle der Intuition, die von dem verborgenen Ursprung des Lichts abgeleitet sind; die reine Kraft der Intuition, die von oben in diese Bereiche herunterkommt, kann all diese sekundären Intuitionen übernehmen, und diesen tieferen Wahrnehmungen des Herzens und des Lebens, sowie den göttlichen Ahnungen des Körpers eine größere Vollständigkeit und Vollkommenheit verleihen. Auf diese Weise kann sie das gesamte Bewusstsein in den Stoff von Intuition umwandeln, denn sie erzeugt die ihr eigenen erweiternden, glühenden Motivationen im Willen, in den Gefühlen und Emotionen, in den Lebensimpulsen, in den sinnlichen Aktivitäten und den Sinnesempfindungen, selbst in den Vorgängen des körperlichen Bewusstseins; sie formt sie um in das Licht und die Kraft der Wahrheit und erhellt ihr Wissen und ihre Ignoranz. (105)
SRI AUROBINDO

KAPITEL 22
DER SPIRIT (DER SPIRITUELLE GEIST)
Was ist die Aufgabe des spirituellen Geistes?
Man könnte sagen, dass er zugleich der bewusste Vermittler zwischen dem Höchsten und der manifestierten Schöpfung, sowie der Treffpunkt der Schöpfung mit dem Höchsten ist.
Der Spirit (spiritueller Geist) ist fähig, die göttliche Natur zu verstehen und mit ihr zu kommunizieren, und gleichzeitig könnte man sagen, dass er der reinste, am wenigsten entstellte Vermittler zwischen der höchsten Gottheit und ihrer entferntesten äußersten Schöpfung ist. Es ist der spirituelle Geist, der mit Hilfe der Seele das Bewusstsein zum Höchsten, zum Göttlichen führt, und im spirituellen Geist kann das Bewusstsein beginnen, das Göttliche zu verstehen.
Man könnte sagen, dass das was man „Spirit“, den spirituellen Geist nennt, die Atmosphäre ist, die die Gnade in die Welt gebracht hat, damit das Bewusstsein ihres Ursprungs in ihr erwachen kann, und die Sehnsucht, zu ihm zurückzukehren. Es ist wirklich eine Art der Atmosphäre, die befreiend wirkt, Türen aufmacht, das Bewusstsein freisetzt. Sie ermöglicht die Verwirklichung der Wahrheit, und verleiht der Sehnsucht danach die ganze Kraft der Vollständigkeit.
Von einem höheren Standpunkt aus könnte man es anders ausdrücken: Es ist dieser leuchtende und befreiende Einfluss in Aktion, den wir als spirituellen Geist kennen. All dies eröffnet uns den Weg zu den höchsten Realitäten, zieht uns aus dem Schlamm der Ignoranz heraus, in dem wir stecken, öffnet uns die Tür, zeigt uns den Weg, führt uns dahin, wohin wir gehen sollen – das ist es was die Menschheit den „Spirit“ genannt hat. Es ist die Atmosphäre, die von der göttlichen Gnade im Universum erzeugt wird, um es vor der Dunkelheit zu retten, in die es gestürzt ist.
Die Seele ist eine Art individueller Konzentrationspunkt dieser Gnade, ihr persönlicher Repräsentant im Menschen. Die Seele ist etwas Besonderes in der Menschheit, sie existiert nur im Menschen. Sie ist eine spezielle Ausdrucksform des spirituellen Geistes im menschlichen Wesen. Die Wesen aus anderen Welten haben keine Seele, aber sie können im spirituellen Geist existieren. Man könnte sagen, dass die Seele eine Vertretung des spirituellen Geistes in der Menschheit ist, eine besondere Hilfe um sie schneller weiterzuführen. Es ist die Seele, die den individuellen Fortschritt möglich macht. Der spirituelle Geist drückt sich in seiner ursprünglichen Form mehr in allgemeinen, kollektiven Aktionsformen aus.
Im Moment spielt der spirituelle Geist immer die Rolle eines Helfers und Führers, aber er ist nicht der Meister der materiellen Schöpfung, der alles beherrscht. Erst wenn der „Supermind“ zu einer neuen Welt organisiert wird, wird der spirituelle Geist deren Meister werden, und die Natur in einer klaren und erkennbaren Weise leiten.
Das, was „neue Geburt“ genannt wird, ist die Geburt in ein spirituelles Leben, in das spirituelle Bewusstsein; es bedeutet, in sich selbst einen Teil des spirituellen Geistes zu tragen, der individuell, durch die Seele, damit anfangen kann, das Leben zu bestimmen, und Meister des Daseins zu werden. Aber in der supramentalen Welt wird der spirituelle Geist bewusst, spontan und natürlich der Meister dieser gesamten Welt und all ihrer Schöpfungen und Ausdrucksformen sein.
Im individuellen Leben macht das den ganzen Unterschied aus; solange man nur vom spirituellen Geist redet, und das nur etwas ist, worüber man gelesen hat, von dessen Existenz man eine unbestimmte Kenntnis hat, Spiritualität aber keine bestimmte Realität für das Bewusstsein darstellt, bedeutet es, dass man noch nicht in den spirituellen Geist hineingeboren wurde. Wenn man dann in ihn hineingeboren wird, wird er sehr viel konkreter, sehr viel lebendiger, sehr viel realer, sehr viel fühlbarer als die ganze materielle Welt. Das macht den essentiellen Unterschied zwischen menschlichen Wesen aus. Wenn das spontan real wird – die wahre wirkliche Existenz, die Atmosphäre des spirituellen Geistes, in der man tief aufatmen kann, dann weiß man, dass man auf der „anderen Seite“ angelangt ist. Aber solange das eher vage und verschwommen ist, etwas, wovon du gehört hast, was aber keine konkrete Realität für dich besitzt – nun, das bedeutet, dass diese neue Geburt noch nicht stattgefunden hat. Solange du zu dir selbst sagst: „Ja, das hier, das Körperliche kann ich sehen, kann es berühren, der Schmerz, unter dem ich leide, der Hunger, der mich quält, der Schlaf, der mich schwer macht, diese Dinge, die sind real, die sind konkret.“ (Mutter lacht), heißt das, dass du noch nicht auf der anderen Seite bist, du bist noch nicht in den spirituellen Geist hineingeboren. (Schweigen)
Tatsächlich lebt die große Mehrzahl der Menschen wie Gefangene, in deren Bewusstsein alle Türen und Fenster geschlossen sind, deshalb ersticken sie natürlich. Aber selbst diejenigen, die den Schlüssel der die Türen und Fenster öffnet, bei sich tragen, und die wissen, wie man ihn benützen muss, machen keinen Gebrauch von ihm… Gewiss verstehen sie eine Zeitlang nicht, dass sie diesen Schlüssel besitzen, aber selbst lange, nachdem sie es wissen, noch lange, nachdem es ihnen gesagt wurde, zögern sie ihn zu gebrauchen, und zweifeln daran ob er die Kraft besitzt die Fenster und Türen zu öffnen, oder ob es überhaupt gut wäre, sie zu öffnen! Und sogar wenn sie schließlich fühlen: „Letztendlich könnte es doch gut sein,“ bleibt doch eine restliche Angst: „Was wird geschehen, wenn diese Fenster und Türen sich öffnen?…“ und sie fürchten sich. Sie haben Angst davor, sich in diesem Licht und in dieser Freiheit zu verlieren. Sie möchten das bleiben was sie „sich selbst“ nennen. Sie lieben ihre Irrtümer und ihre Bindungen. Etwas in ihnen mag sie, und hält sich weiterhin daran fest. Sie haben nach wie vor das Gefühl, dass sie ohne ihre Begrenzungen nicht länger existieren würden.
Deshalb dauert die Reise so lange, und deshalb ist sie schwierig. Denn wenn man wirklich bereit wäre, nicht mehr auf die gewohnte Weise zu existieren, würde alles so einfach werden, so schnell gehen, so leuchtend werden, so voller Freude, aber vielleicht nicht in der Art wie die Menschen Freude und Mühelosigkeit verstehen. In Wahrheit gibt es sehr wenige Menschen, die das Kämpfen nicht genießen. Es gibt sehr wenige, die die Abwesenheit der Nacht akzeptieren würden, wenige, die sich das Licht als etwas anderes als das Gegenteil von Dunkelheit vorstellen können: „Ohne Schatten gäbe es kein Bild. Ohne Kampf gäbe es keinen Sieg. Ohne Leiden gäbe es keine Freude.“ Das ist es was sie denken, und solange man so denkt, ist man noch nicht in den spirituellen Geist hineingeboren. (106)
DIE MUTTER

Die Macht der spirituellen Übertragung
Süße Mutter, wie kann jemand der keine große spirituelle Kapazität besitzt am besten in dieser Arbeit helfen?
Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass jemand starke oder weniger starke spirituelle Kapazität besitzt. So ist es nicht.
Um ein spirituelles Leben zu leben, ist eine Umkehr des Bewusstseins nötig. Das kann in keiner Weise mit den verschiedenen Fähigkeiten und Möglichkeiten verglichen werden, die man im mentalen Bereich hat. Man kann von jemandem sagen, dass er über wenig mentale Auffassungsgabe, vitale Leistungsfähigkeit oder physische Belastbarkeit verfügt, und dass seine Möglichkeiten in diesen Bereichen sehr begrenzt sind; in diesem Fall müsste man danach fragen, wie sich diese Fähigkeiten entwickeln könnten, das heißt, wie man sich neue Fähigkeiten aneignen könnte, was eher schwierig ist. Aber das spirituelle Leben zu leben heißt, sich einer neuen Welt zu öffnen, die in einem selbst liegt. Es bedeutet, sein Bewusstsein umzustellen, sozusagen umzukehren. Das gewöhnliche menschliche Bewusstsein ist, selbst in hoch entwickelten Menschen, selbst in Menschen, die große Talente und Erkenntnisse besitzen, eine Bewegung, die nach außen gerichtet ist – alle Energien sind nach außen orientiert, das ganze Bewusstsein breitet sich Außen aus; und wenn etwas davon nach innen gerichtet ist, ist es sehr wenig, sehr selten, sehr bruchstückhaft, es geschieht nur unter dem Druck ganz besonderer Umstände, unter dem Anprall heftiger Schocks, der Schocks, die das Leben gen au mit der Absicht erteilt, diese Bewegung der Veräußerlichung des Bewusstseins ein wenig umzukehren.
Alle jedoch, die das spirituelle Leben gelebt haben, hatten die gleiche Erfahrung: Plötzlich hat sich etwas in ihrem Wesen sozusagen umgekehrt, hat sich ganz plötzlich und manchmal völlig nach innen gerichtet, und gleichzeitig auch nach oben, von innen her nach oben – aber damit meine ich nicht ein „oben“ in der Außenwelt, sondern es ist ein „oben“ das tief in der inneren Ebene existiert, das ist etwas anderes als die Höhe, wie sie physisch wahrgenommen wird. Etwas hat sich buchstäblich umgedreht. Man hat eine entscheidende Erfahrung gemacht, und der Standpunkt, den man im Leben hat, die Art und Weise wie man das Leben betrachtet, sowie die Haltung die man diesbezüglich einnimmt, haben sich plötzlich geändert, und das bei einigen Menschen ganz eindeutig und unwiderruflich.
Sobald man auf das spirituelle Leben und seine Realität ausgerichtet ist, berührt man seine Grenzenlosigkeit, das Ewige, und dann gibt es keine Frage mehr nach einer größeren oder kleineren Anzahl von Fähigkeiten oder Möglichkeiten. Entsprechend einer mentalen, gedanklichen Auffassung des spirituellen Lebens kann man sagen, dass jemand mehr oder weniger über die Kapazität verfügt ein spirituelles Leben zu führen, aber das ist keineswegs eine angemessene Darstellung. Was man sagen könnte, ist, dass man mehr oder weniger bereit ist für die entscheidende und vollständige Umstellung. In Wirklichkeit ist es die mentale Fähigkeit, sich von den gewöhnlichen Aktivitäten zurückzuziehen, und aufzubrechen, um mit der Suche nach dem spirituellen Leben zu beginnen, die sich bemessen lässt.
Aber solange man sich im mentalen Bereich befindet, in dem Zustand auf dieser Ebene des Bewusstseins, kann man nicht viel für andere tun, weder für das Leben im Allgemeinen, noch für bestimmte Menschen im Besonderen, denn man hat in sich selbst nicht die Gewissheit, man hat nicht die entscheidende Erfahrung, das Bewusstsein ist nicht in der spirituellen Welt etabliert; und alles, was sich sagen lässt, ist, dass es mentale Aktivitäten gibt, die ihre guten und schlechten Seiten haben, aber nicht viel Kraft besitzen, auf keinen Fall diese Kraft der spirituellen Übertragung, die die einzig wirklich effektive Kraft ist.
Das Einzige, was wirklich wirkungsvoll ist, ist die Möglichkeit, auf andere den Zustand des Bewusstseins zu übertragen, in dem man selbst lebt. Aber diese Kraft kann man sich nicht ausdenken. Man kann sie nicht imitieren, und so tun, als ob man sie besitzen würde; sie kommt nur dann spontan, wenn man selbst in diesem spirituellen Zustand etabliert ist, wenn man bereits in ihm lebt, nicht wenn man noch versucht, darin zu leben – sondern wenn man in ihm ist. Deshalb können all diejenigen die aufrichtig ein spirituelles Leben führen nicht getäuscht werden.
Die Vortäuschung eines spirituellen Lebens mag denjenigen etwas vormachen, die noch in ihrem Verstand leben, aber diejenigen, die diese Umkehr des Bewusstseins in sich selbst verwirklicht haben, die deshalb eine vollkommen andere Beziehung zum äußeren Wesen haben, können nicht getäuscht werden und können darin keinen Fehler machen.
Das mentale Wesen versteht solche Menschen nicht, die in einem spirituellen Zustand leben. Solange man sich im mentalen Bewusstsein befindet, selbst in einem hoch entwickelten, und das spirituelle Leben von außen betrachtet, urteilt man mit seinen Fähigkeiten des Verstandes, aus der Gewohnheit des Erforschens, des sich Irrens, sich Korrigierens, des Fortschreitens, des erneuten Suchens; und man glaubt, dass diejenigen, die im spirituellen Leben verankert sind, unter derselben Unfähigkeit zu leiden haben, aber das ist ein grober Fehler!
Wenn die spirituelle Umkehr des Wesens stattgefunden hat, hat es mit all dem ein Ende. Man sucht nicht länger, man sieht. Man folgert nicht länger, man weiß. Man tastet sich nicht länger vor, man geht direkt zum Ziel. Und wenn man weiter gegangen ist – nur ein Stückchen weiter – dann fühlt man, lebt man die höchste Wahrheit, weiß man, dass die Höchste Wahrheit allein handelt, dass der Höchste Lord allein durch die Menschen bestimmt, weiß und tätig ist. Wie kann es da dann irgendeine Möglichkeit eines Fehlers geben? Was Er macht, macht Er, weil Er es so will.
Für unsere fehlerhafte Sichtweise sind das vielleicht unverständliche Handlungsweisen, aber sie haben eine Bedeutung und ein Ziel und führen dahin, wohin sie führen sollen. (Schweigen)
Wenn man anderen und der Welt aufrichtig helfen will, ist das beste, selbst das zu sein, was man für die anderen möchte – nicht nur, weil man dadurch ein Beispiel abgibt, sondern weil man zu einem Zentrum strahlender Kraft wird, das allein durch die Tatsache, dass es existiert, den Rest der Welt dazu bringt, sich zu ändern. (107)
DIE MUTTER

KAPITEL 23
DIE HÖCHSTE MACHT
Der Guru (zum Studenten):
Richte deine Augen auf die Sonne; Er ist da in diesem wundervollen Herzen des Lebens, des Lichts und des Glanzes. Beobachte bei Nacht die unzähligen Sternbilder, die wie viele festliche wachende Feuer des Ewigen in der grenzenlosen Stille glitzern, die keine Leere ist, sondern pulsiert durch die Anwesenheit eines einzigen ruhigen und gewaltigen Seins. Sieh dort Orion mit seinem leuchtenden Schwert und Gürtel, wie er auch den Arischen Vätern vor 10000 Jahren zu Beginn der arischen Ära schien; sieh Sirius in seiner Pracht und Lyra, die Milliarden von Meilen entfernt im Ozean des Raumes segelt. Erinnere dich, dass diese unzähligen Welten, von denen die meisten mächtiger sind als unsere eigene, mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf einen Wink des Ältesten der Tage hin wirbeln, wohin, weiß niemand, außer Ihm zu sagen. Und doch sind sie Millionen Male älter als dein Himalaya, stabiler als die Wurzeln deiner Hügel, und werden es bleiben, bis Er sie abschüttelt wie welke Blätter vom ewigen Baum des Universums. Stell dir die Endlosigkeit der Zeit vor, realisiere die Grenzenlosigkeit des Raumes; und dann erinnere dich daran, dass Er derselbe war wie jetzt, damals, als es diese Welten noch nicht gab, und wenn diese nicht mehr sein werden, wird Er immer noch derselbe sein. Erkenne, dass Er jenseits von Lyra ist, und weit entfernt im Raum, wo man die Sterne des südlichen Kreuzes nicht sehen kann, ist Er immer noch da. Komm dann zurück zur Erde, und mach dir klar, wer dieser Er ist. Er ist dir sehr nah. Sieh dort den alten Mann, der mit seinem Stock gekrümmt und gebeugt nah an dir vorübergeht. Erkennst du, dass es Gott ist, der an dir vorbeigeht? Dort läuft ein Kind lachend im Sonnenlicht. Kannst du Ihn in diesem Lachen hören? Nein, Er ist noch näher bei dir. Er ist in dir, Er ist du. Du bist es, der dort Millionen von Meilen weit weg, in den grenzenlosen Weiten des Raumes brennt, der mit vertrauensvollen Schritten auf den aufgewühlten Wogen des himmlischen Meeres geht. Du bist es, der die Sterne an ihren Platz gestellt, und die Halskette der Sonnen gewoben hat, nicht mit deinen Händen, sondern durch diesen Yoga, durch den stillen, unpersönlichen Willen, der dich ohne aktiv zu werden, heute zu mir gesetzt hat, um dir selbst in mir zuzuhören. Schau auf, oh Kind des uralten Yoga, und sei nicht länger ein Zitternder, ein Zweifelnder; fürchte dich nicht, zweifle nicht, sei nicht bekümmert; denn in deinem sichtbaren Körper lebt Einer, der Welten mit einem Atemzug erschaffen und zerstören kann. (108)
SRI AUROBINDO
