Kapitel 4
Das vollständige Ziel des Yoga
Durch Yoga können wir uns aus Unwahrheit in die Wahrheit erheben, aus Schwäche in die Kraft, aus Schmerz und Kummer in die Seligkeit, aus Knechtschaft in die Freiheit, aus Tod in die Unsterblichkeit, aus Dunkelheit in das Licht, aus Verworrenheit in die Reinheit, aus Unvollkommenheit in die Vollendung, aus Selbst-Zersplitterung in die Einheit, aus Maya zu Gott. Jede andere Anwendung des Yoga geschieht spezieller und fragmentarischer Vorteile wegen, die zu verfolgen sich nicht immer lohnt. Nur was die Fülle Gottes zu besitzen zum Ziel hat ist Purna Yoga; der Sadhaka der Göttlichen Vollkommenheit ist der Purna Yogin.
Unser Ziel muss es sein, vollkommen zu sein wie Gott in Seinem Sein und Seiner Seligkeit vollkommen ist, rein zu sein wie Er rein ist, glückselig zu sein wie Er glückselig ist, und wenn wir selbst siddha im Purna Yoga sind, die ganze Menschheit zu derselben göttlichen Vollkommenheit zu führen. Es macht nichts, wenn wir unserem Ziel jetzt noch nicht gewachsen sind, sofern wir uns nur mit ganzem Herzen dem Versuch hingeben und dadurch, dass wir völlig darin aufgehen, ein noch so kleines Stückchen auf dem Weg vorankommen. Selbst das wird dazu beitragen, die Menschen aus dem Kampf und dem Zwielicht, dem sie jetzt unterworfen sind, in die leuchtende Freude zu führen, die Gott für sie vorgesehen hat. Doch wie auch immer unser augenblicklicher Erfolg aussehen mag, unser festes Ziel muss es sein, die ganze Reise zu vollenden und uns nicht zufrieden an irgendeinem Wegesabschnitt oder einem unzulänglichen Rastort niederzulassen.
Jeder Yoga, der uns völlig aus der Welt entfernt, ist eine zwar erhabene, aber enge Spezialisierung göttlicher Tapasya. Gott in Seiner Vollkommenheit umfängt alles; auch wir sollten deshalb allumfassend werden.
Gott in Seinem äußersten Sein jenseits aller Manifestation und Erkenntnis ist das Absolute Parabrahman. In Beziehung zur Welt ist Er das, was alles kosmische Dasein transzendiert, ob es dieses nun betrachtet oder sich davon abkehrt. Er ist es, der das Weltall enthält und erhält; Er ist es, der zum Weltall wurde: Er ist das Weltall und alles, was darin enthalten ist.
Ebenso ist Er die Absolute und Höchste Persönlichkeit, als welche Er im Weltall und als das Weltall spielt. Im Weltall scheint Er dessen Seele und Herr zu sein; als das Weltall scheint Er die Bewegung oder das Wirken des Willens des Herrn zu sein und zu allen subjektiven und objektiven Ergebnissen der Bewegung zu werden. Alle Zustände Brahmans, der transzendente, der enthaltende, der kosmische und der individuelle, sind erfüllt und getragen von der göttlichen Persönlichkeit. Er ist zugleich das Seiende und der Zustand des Seins. Wir nennen den Zustand des Seins das Unpersönliche Brahman, das Seiende hingegen das Persönliche Brahman. Ein Unterschied zwischen den beiden besteht jedoch nur für unser Bewusstsein; denn jeder unpersönliche Zustand hängt von einer offenbaren oder verborgenen Persönlichkeit ab und kann die in ihm enthaltene und von ihm verschleierte Persönlichkeit enthüllen, und jede Persönlichkeit knüpft an sich eine unpersönliche Existenz und kann in diese eintauchen. Das ist deshalb möglich, weil Persönlichkeit und Unpersönlichkeit nur unterschiedliche Zustände des Selbstbewusstseins in ein und demselben Absoluten Sein sind.
Philosophien und Religionen streiten sich über den Vorrang der verschiedenen Aspekte Gottes, und verschiedene Yogis, Rishis und Heilige haben der einen oder anderen Philosophie oder Religion den Vorzug gegeben. Es ist weder unsere Sache, über irgendeinen oder irgendeine von diesen zu debattieren, noch auf irgendeinen Aspekt unter Ausschluss der Übrigen abzuzielen; vielmehr sollten wir alle realisieren und zu allen werden und Gott in all Seinen Aspekten sowie jenseits aller Aspekte umfangen.
Gott, der in vielerlei Formen in die Welt herabgestiegen ist, hat auf dieser Erde die mentale und körperliche Form zur Vollendung gebracht, die wir Mensch nennen.
Durch das Spiel der alles regierenden Seele mit ihrem eigenen formgebenden Willen oder Shakti hat Er in der Welt einen Rhythmus des Daseins geschaffen, dessen niedrigster Ausdruck die Materie und dessen höchster das reine Sein ist. Das Mental und das Leben gründen sich auf der Materie (Manas und Prana auf Annam) und machen zusammen mit ihr die untere Hälfte der Weltexistenz aus (aparardha). Reines Bewusstsein und reine Seligkeit gehen aus dem reinen Sein hervor (Chit und Ananda aus Sat) und machen zusammen mit diesem die obere Hälfte der Weltexistenz aus. Reine Idee (Vijnana) steht als das Bindeglied zwischen beiden. Diese sieben Prinzipien oder Grundformen des Daseins bilden die Grundlage der siebenfachen Welt der Puranas (Satyaloka, Tapas, Jana, Mahar, Swar, Bhuvar und Bhur).
Die untere Hemisphäre in dieser Einteilung des Bewusstseins setzt sich aus den drei vyahrtis der Veden zusammen, Bhur, Bhuvar, Swar. Dabei handelt es sich um Zustände des Bewusstseins, in denen die Prinzipien der oberen Hemisphäre unter andersartigen Umständen zum Ausdruck gebracht werden oder versuchen, sich auszudrücken. Rein in ihrer ursprünglichen Heimat, sind sie in diesem fremden Land widernatürlichen, unreinen und gestörten Verbindungen und Wirkungsweisen unterworfen. Das endgültige Ziel des Lebens besteht darin, sich alles Widernatürlichen, Unreinen und Störenden zu entledigen und jene Prinzipien unter diesen andersartigen Umständen in vollkommener Weise auszudrücken. Unser Leben auf dieser Erde ist ein göttliches Gedicht, das wir in irdische Sprache übersetzen, oder eine Melodie, die wir in Worte übertragen.
Das Sein in Sat ist eins in der Vielfalt, ein Eines, das seine Vielfalt betrachtet, ohne davon verwirrt zu werden oder sich darin zu verlieren, und ebenso ist es eine Vielfalt, die sich eins weiß, ohne die Fähigkeit zu vielfältigem Wirken im Universum zu verlieren. Unter den Bedingungen des Mentals, des Lebens und des Körpers wird ahamkara geboren. Die subjektive oder objektive Form des Bewusstseins wird fälschlich als ein selbständiges Wesen angesehen, der Körper als eine eigenständige Wirklichkeit, das Ich als eine unabhängige Persönlichkeit. Das Eine verliert sich in uns in seiner Vielfalt, und wenn es seine Einheit wiederfindet, dann fällt es ihm wegen der Natur des Mentals schwer, das Spiel der Vielfalt beizubehalten. So geschieht es, wenn uns die Welt ganz in ihren Bann zieht, dass wir Gott an Sich verfehlen, und wenn wir Gott schauen, entgeht Er uns in der Welt. Unsere Aufgabe ist es, das mentale Ego zu zerbrechen und aufzulösen und zu unserer göttlichen Einheit zurückzukehren, ohne unsere Fähigkeit zu individueller und vielfältiger Existenz im Universum zu verlieren.
Bewusstsein in Chit ist leuchtend, frei, grenzenlos und unmittelbar wirksam. Wessen es als Chit (Jnana-Shakti) gewahr ist, das erfüllt es unfehlbar als Tapas (Kriya-Shakti); denn Jnana-Shakti ist die statische und umfassende, Kriya-Shakti die dynamische und intensive Form eines einzigen aus sich selbst leuchtenden Bewussten Seins. Sie sind ein und dieselbe Macht der bewussten Kraft Gottes (der Chit-Shakti des Sat-Purusha). In der unteren Hemisphäre, d.h. unter den Bedingungen des Mentals, des Lebens und des Körpers, wird jedoch das Licht des Bewusstseins in ungleiche Strahlen zerlegt, seine Freiheit wird durch Egoismus und unangemessene Formen behindert, seine Wirksamkeit wird durch das unausgeglichene Spiel der Kräfte verhüllt. Daraus ergeben sich Zustände von Bewusstheit, Unbewusstheit und falscher Bewusstheit, von Wissen, Unwissen und falschem Wissen, von wirksamer Kraft, Trägheit und wirkungsloser Kraft. Unsere Aufgabe ist es, durch Verzicht auf unsere geteilte und ungleiche individuelle Macht des Handelns und Denkens zugunsten der einen, ungeteilten und universellen Chit-Shakti Kalis unsere egoistische Handlungsweise durch das Wirken der universalen Kali in unserem Körper zu ersetzen und somit Blindheit, Unwissenheit und die letztlich wirkungslose menschliche Stärke gegen Wissen und die vollwirksame göttliche Kraft einzutauschen.
Freude in Ananda ist rein, unvermischt, eins und doch äußerst vielfältig. Unter den Bedingungen des Mentals, des Lebens und des Körpers wird sie zerteilt, begrenzt, verwirrt und fehlgelenkt. Außerdem bewirken die Zusammenstöße ungleicher Kräfte und die ungleichmäßige Verteilung des Ananda, dass sie der Dualität positiver und negativer Gefühlsregungen wie Kummer und Frohsinn, Schmerz und Vergnügen unterworfen wird. Unsere Aufgabe ist es, diese Dualitäten durch die Beseitigung ihrer Ursachen aufzuheben und in das Meer der göttlichen Seligkeit einzutauchen, die eins ist, mannigfaltig und gleichmäßig verteilt (sama), die sich an allem erfreut und vor nichts schmerzhaft zurückschreckt.
Kurzum, wir haben die Dualitäten durch Einheit zu ersetzen, den Egoismus durch das göttliche Bewusstsein, die Unwissenheit durch die göttliche Weisheit, das Denken durch die göttliche Erkenntnis, Schwäche, Kampf und Anstrengung durch die sich selbst genügende göttliche Kraft, Schmerz und trügerisches Vergnügen durch die göttliche Seligkeit. Dies wird in der Sprache Christi die Herabkunft des Himmelreichs auf die Erde und in moderner Sprache die Verwirklichung Gottes in der Welt genannt.
Hier auf Erden ist der Mensch die für dieses Aufwärtsstreben und seine göttliche Erfüllung vorgesehene Lebensform. Alle anderen Lebensformen brauchen es entweder nicht oder sind dazu unfähig, es sei denn, sie nähmen die menschliche Natur an. Die Besitznahme der göttlichen Fülle ist deshalb das einzige wirkliche Ziel des Menschen. Sie muss im Einzelnen vollzogen werden, damit sie in der gesamten Menschheit vollzogen werden kann.
Der Mensch ist ein mentales Wesen in einem lebenden Körper; seine Grundlage ist die Materie, sein Zentrum und Werkzeug das Mental und sein Ausdrucksmedium das Leben. Das ist die Beschaffenheit des durchschnittlichen oder natürlichen Menschen.
In jedem Menschen liegen jedoch die vier höheren Prinzipien verborgen (avyakta). Mahas, reine Idealität in Vijnana, ist kein vyahrti, sondern der Ursprung aller vyahrtis. Es ist gleichsam die Bank, von der das mentale, vitale und körperliche Handeln abheben, um deren unendlichen Reichtum gegen das Kleingeld der niederen Existenz einzutauschen. Vijnana ist das Bindeglied zwischen dem göttlichen Status und dem menschlichen Tier. Es ist deshalb für den Menschen das Tor des Entrinnens in das übernatürliche oder göttliche Menschentum.
Die tieferstehende Menschheit gravitiert vom Mental abwärts zum Leben und zum Körper. Die durchschnittliche Menschheit weilt stets in einem vom Leben und vom Körper eingeschränkten und auf diese ausgerichteten Mental. Die höhere Menschheit tendiert aufwärts entweder zu einer idealisierten Mentalität oder zur reinen Idee, zur direkten Wahrheit der Erkenntnis und zur spontanen Wahrheit des Seins. Die höchste Menschheit schwingt sich zur göttlichen Seligkeit empor, woraufhin sie entweder von dieser Ebene weiter aufsteigt zu reinem Sat und Parabrahman oder dort verweilt, um ihre niederen Glieder mit Seligkeit zu erfüllen und um dieses menschliche Dasein in sich selbst und anderen zur Göttlichkeit zu erheben.
Der Mensch, der den Schleier zerriss und in der höheren oder göttlichen und gegenwärtig verborgenen Hemisphäre seines Bewusstseins lebt, ist der wahre Übermensch und das letzte Erzeugnis jener fortschreitenden Selbstoffenbarung Gottes in der Welt oder des Geistes aus der Materie, die wir heute das Evolutionsprinzip nennen.
Sich in das göttliche Sein, die göttliche Kraft, das göttliche Licht und die göttliche Seligkeit zu erheben und das ganze weltliche Dasein in diese Form umzugießen, dies ist das höchste Anliegen der Religion und das ganze eigentliche Ziel des Yoga. Es besteht darin, Gott im Weltall zu verwirklichen, doch kann dies nicht geschehen ohne Gott zunächst außerhalb des Weltalls zu verwirklichen.

Kapitel 5
Parabrahman, Mukti und menschliche Denksysteme
Parabrahman ist das Absolute, und weil Es das Absolute ist, kann Es nicht auf Begriffe der Erkenntnis reduziert werden. Du kannst zu einer gewissen Kenntnis über das Unendliche gelangen, aber nicht über das Absolute.
Alle seienden oder nicht seienden Dinge sind im Selbst-Bewusstsein (Chid-Atman) erschaffene Symbole des Absoluten. An Seinen Symbolen ist es möglich, das Absolute zu erkennen, soweit die Symbole Es offenbaren oder andeuten, aber selbst die Erkenntnis der Gesamtsumme aller Symbole ergibt nicht die wahre Erkenntnis des Absoluten. Du kannst zu Parabrahman werden; du kannst Parabrahman nicht erkennen. Parabrahman zu werden bedeutet, durch das Selbst-Bewusstsein hindurch in Parabrahman zurückzukehren. Das bist du nämlich bereits, nur hast du dich im Selbst-Bewusstsein vorwärts in Seine Bedingungen oder Symbole projiziert, in Purusha und Prakriti, durch welche du das Weltall aufrechterhältst. Um Parabrahman bar aller Bedingungen und Symbole zu werden, musst du deshalb aufhören im Weltall zu existieren.
Indem du zum Seiner Symbole entledigten Parabrahman wirst, wirst du weder etwas, was du nicht schon bist, noch stellt das Weltall seinen Betrieb ein. Es bedeutet lediglich, dass Gott aus dem Meer des manifest gewordenen Bewusstseins eine Strömung oder Bewegung Seiner Selbst zurückholt in Das, woraus alles Bewusstsein hervorging.
Nicht alle, die aus dem Bewusstsein des Universums ausscheiden, gehen zwangsläufig in Parabrahman ein. Einige treten in die undifferenzierte Natur (Avyakrita Prakriti) ein, einige verlieren sich in Gott, einige geraten in einen dunklen Zustand, in dem sie des Universums nicht gewahr sind (Asat, Shunya), einige in einen ebensolchen leuchtenden Zustand (Reiner Undifferenzierter Atman, Reines Sat oder Seinsgrundlage des Universums), einige in einen zeitweiligen Zustand des Tiefschlafs (Sushupti) in den unpersönlichen Prinzipien Ananda, Chit oder Sat. Jede dieser Möglichkeiten ist eine Form der Befreiung, und das Ego erhält von Gott durch Seine Maya oder Prakriti den Anstoß zu derjenigen, zu welcher der höchste Purusha es zu lenken beabsichtigt. Diejenigen, die Er zu befreien und doch in der Welt zu halten wünscht, macht Er zu Jivanmuktas, oder Er sendet sie erneut aus als Seine Vibhutis; diese willigen ihrerseits darein ein, für die göttlichen Zwecke einen zeitweiligen Schleier von Avidya anzulegen, der sie nicht im mindesten bindet, und den sie ganz leicht zerreißen oder wieder ablegen können. Sich danach zu sehnen, Parabrahman zu werden, ist deshalb eine Art leuchtender Illusion, ein sattwisches Spiel der Maya; denn in Wirklichkeit ist niemand gebunden und niemand frei und niemand hat es nötig, befreit zu werden. Alles ist Gottes Lila, alles ist das Manifestationsspiel Parabrahmans. Gott benutzt diese sattwische Maya in bestimmten Egos, um sie emporzuziehen in Übereinstimmung mit Seinem speziellen Vorhaben, und für diese Egos ist es der einzig richtige und gangbare Weg.
Doch das Ziel unseres Yoga ist Jivanmukti im Universum. Nicht weil wir es nötig hätten, befreit zu werden, oder aus irgendeinem anderen Bedürfnis, sondern einzig weil es Gottes Wille in uns ist, haben wir frei in der Welt und nicht aus der Welt befreit zu leben.
Um vollkommene Erkenntnis und Selbsterfüllung zu erlangen, muss der Jivanmukta an der Schwelle des Parabrahman stehen, darf sie aber nicht überschreiten.
Der Bericht, den er von dort zurückbringt, besagt: Jenes ist und wir sind Jenes, was aber Jenes ist oder nicht ist, kann weder durch Worte beschrieben noch vom Mental ausgemacht werden.
Parabrahman ist das Absolute und lässt sich daher durch keinerlei Namen oder klar umrissene Vorstellung beschreiben. Es ist weder Sein noch Nichtsein, sondern etwas, von dem Sein und Nichtsein erste Symbole sind. Es ist weder Atman noch Unatman noch Maya, weder Persönlichkeit noch Unpersönlichkeit, weder essentielle Eigenschaft noch Freiheit von Eigenschaften, weder Bewusstsein noch ein Nichtvorhandensein von Bewusstsein, weder Seligkeit noch eine Abwesenheit von Seligkeit, weder Purusha noch Prakriti, weder Gott noch Mensch noch Tier, weder Befreiung noch Gefangenschaft, sondern es ist etwas, wovon dies alles ursprüngliche oder abgeleitete, allgemeine oder besondere Symbole sind. Wenn wir sagen, Parabrahman sei nicht dieses und nicht jenes, meinen wir jedoch, dass Es in Seiner Wesenhaftigkeit nicht auf dieses oder jenes Symbol oder jedwede Summe von Symbolen beschränkt werden kann; in gewissem Sinne ist Parabrahman dies alles und all dieses ist Parabrahman. Es gibt sonst nichts, was all dies sein könnte.
Parabrahman ist das Absolute und ist daher der Logik nicht unterworfen, denn Logik gilt nur für das Bestimmte. Wir reden ungereimtes Zeug, wenn wir behaupten, das Absolute könne das Bestimmte nicht manifestieren und deshalb sei die Welt eine Lüge oder existiere nicht. Die Natur des Absoluten ist es ja gerade, dass wir nicht wissen, was es ist oder nicht ist, was es vermag oder nicht vermag. Wir haben keinen Grund anzunehmen, dass es irgend etwas nicht vermag, oder dass seine Absolutheit durch irgendeine Art von Unvermögen eingeschränkt ist. Wir erfahren spirituell, dass wir zu etwas Absolutem gelangen, wenn wir über alles andere hinausgehen. Wir erfahren spirituell, dass das Weltall die Natur einer gleichsam aus dem Absoluten hervorgehenden Manifestation hat. Doch alle diese Worte und Ausdrucksweisen sind rein intellektuelle Versuche, das Unausdrückbare auszudrücken. Wir müssen das von uns Erfahrene so gut wir können zum Ausdruck bringen, brauchen aber nicht darüber zu diskutieren, was andere erfahren oder ausgesagt haben. Vielmehr müssen wir das von ihnen Erfahrene und Dargelegte gelten lassen und in unser eigenes System miteinbeziehen. Wir liegen nur mit jenen im Streit, die der Einsicht anderer keinen Glauben schenken, den Wert ihrer Aussagen in Abrede stellen oder ihnen das Wort verwehren, nicht aber mit jenen, die sich damit begnügen, ihre eigenen Einsichten darzulegen. Ein philosophisches oder religiöses System ist nur eine Formulierung derjenigen Ordnung des kosmischen Seins, die Gott uns als unseren Seinsstatus offenbart hat. Sie dient unserem Mental als Grundlage für unser Handeln in Prakriti. Aber unsere Sicht der Dinge muss nicht genauso angeordnet sein wie die der anderen; ebensowenig entspricht die unserer Mentalität angemessene Gedankenform zwangsläufig einer anders gearteten Mentalität. Unsere intellektuelle Haltung sollte deshalb durch Bestimmtheit ohne Dogmatismus in unserem eigenen System sowie Toleranz ohne Schwäche gegenüber allen anderen Systemen gekennzeichnet sein.
Du wirst Kritikern begegnen, die dein System mit der Begründung in Frage stellen, dass es mit diesem oder jenem Shastra, mit dieser oder jener großen Autorität – sei es ein Philosoph, ein Heiliger oder ein Avatar – nicht in Übereinstimmung sei. Bedenke dann, dass Verwirklichung und Erfahrung allein von Wichtigkeit sind. Shankaras Argumente, Vivekanandas intellektuelle Ansichten über das Dasein und selbst Ramakrishnas Aussagen, die auf seinen unzähligen und vielfältigen Verwirklichungen beruhen, sind nur insofern für dich von Wert, als du von Gott dazu geführt wirst, sie gelten zu lassen und in deiner eigenen Erfahrung zu erneuern. Die Meinungen von Denkern, Heiligen und Avataren sollten als Hinweise verstanden, nicht aber als Fesseln akzeptiert werden. Worauf es für dich ankommt ist, was du erfahren hast oder was Gott – entweder in Seiner allumfassenden Persönlichkeit oder unpersönlich oder wiederum auf persönliche Weise durch einen Lehrer, Guru oder Wegbereiter – dir auf dem Pfad des Yoga zu zeigen beabsichtigt.

Kapitel 6
Das evolutionäre Ziel im Yoga
In der Katha Upanishad kommt einer dieser machtvollen und prägnanten Sätze vor, die auf kleinstem Wortraum eine Welt an Bedeutung enthalten und mit denen die Upanishaden so reich besät sind: Denn Yoga ist der Anfang und das Ende aller Dinge – yogah hi prabhavapayayau. In den Puranas wird die Bedeutung dieses Satzes unterstrichen und deutlicher herausgearbeitet: Durch Yoga schuf Gott die Welt, durch Yoga wird Er sie am Ende wieder in Sich zurücknehmen. Aber nicht nur die ursprüngliche Schöpfung und die endgültige Auflösung des Weltalls, sondern alle großen Veränderungen, alle Schöpfungen, Entfaltungen und Zerstörungen werden durch den zentralen Prozess des Yoga, tapasya, bewirkt. In dieser uralten Betrachtungsweise stellt sich Yoga dar als die effektive, vielleicht sogar als die essenzielle und eigentlich ausführende Bewegung der Natur in all ihren Prozessen. Falls dies für das allgemeine Wirken der Natur zutrifft, das heißt falls ein göttliches Wissen und ein göttlicher Wille in den Dingen dadurch zur wahren Ursache aller Kraft und Wirksamkeit wird, dass er zu Objekten in Beziehung tritt, sollte die gleiche Regel auch für das menschliche Handeln gelten. Sie sollte insbesondere für alle bewussten und willentlich angewandten Methoden jener psychologischen Disziplinen gelten, die wir Yoga-Systeme nennen. Yoga kann tatsächlich nichts anderes sein als ein vollendeter und bewusst gewordener natürlicher Prozess, der dazu bestimmt ist, Ziele rasch zu erreichen, die von der gewöhnlichen Bewegungsweise der Natur nur langsam, im säumigen Schritt einer jahrhunderte- oder gar jahrtausendelangen Evolution zuwege gebracht werden.
Es gibt hier einen scheinbaren Unterschied. Das Ziel, das uns im Yoga vorschwebt, ist Gott. Das Ziel der Natur jedoch besteht darin, die Übernatur zu verwirklichen. Doch diese beiden Ziele stehen miteinander in Einklang und entsprechen derselben Absicht. Gott und die Übernatur sind nichts weiter als der wesentliche und der formale Aspekt jener einzigen, unerreichbaren Erfüllung, auf die unsere menschliche Entwicklung in ihrer Aufwärtsbewegung ausgerichtet ist. Yoga ist für den Menschen das Emporarbeiten der von einer langsamen Evolution und weiten Rückfällen befreiten Natur, die sich in göttlichem oder menschlichem Wissen ihrer selbst bewusst wurde.
Gott ist Das, was das Ganze ist und doch weit über das Ganze hinausgeht, es transzendiert. Nichts existiert, was nicht Gott wäre, doch ist Gott weder die Summe des Existierenden noch irgendein Teil dieser Summe, außer als symbolisches Bild für Sein eigenes Bewusstsein. Anders ausgedrückt: Alles getrennt Existierende ist ein besonderes Symbol, die gesamte Summe des Existierenden ist ein allgemeines Symbol, das versucht, die unübersetzbare Existenz – Gott – in die Begriffe des Welt-Bewusstseins zu übersetzen. Es ist zu diesem Versuch bestimmt. Erfolg aber ist ihm nicht bestimmt, denn im selben Augenblick, da es Erfolg hat, hört es auf, es selbst zu sein und wird zu jenem unübersetzbaren Etwas, von dem es seinen Ausgang nahm, d. h. zu Gott. Keinem Symbol ist es bestimmt, Gott vollkommen auszudrücken, nicht einmal dem höchsten. Doch ist es das Vorrecht der höchsten Symbole, ihre gesonderte Bestimmtheit in Ihm zu verlieren, aufzuhören Symbole zu sein und im Bewusstsein zu dem zu werden, was versinnbildlicht ist. Der Mensch ist solch ein Symbol oder Eidolon Gottes. Wir sind, um die biblische Wendung zu gebrauchen, in Seinem Bilde erschaffen. Damit ist nicht ein formales Bild gemeint, sondern das Bild Seines Wesens und Seiner Persönlichkeit. Wir sind vom innersten Wesen Seiner Göttlichkeit und haben Teil am Vermögen Seiner Göttlichkeit. Wir sind nach dem Vorbild eines göttlichen Wesens und eines göttlichen Wissens geformt und tragen seinen Stempel.
In allem, was phänomenal existiert – oder symbolisch, wie ich bei tieferem Eindringen in die Natur der Dinge eher sagen möchte –, gibt es zwei Seiten des Seins: Das Ding-an-sich und das Symbol, Selbst und Natur, res (das Ding, das ist, das Seiende) und factum (das Ding, das getan oder gemacht wurde, Getanes oder Gemachtes), unveränderliches Sein und veränderliches Werden, das Übernatürliche und das Natürliche. Jeder Zustand des Daseins birgt in sich eine Kraft, die ihn dazu treibt, sich selbst zu transzendieren. Die Materie bewegt sich darauf hin, Leben zu werden. Das Leben ringt darum, Mental zu werden. Das Mental strebt sehnsuchtsvoll danach, ideale Wahrheit zu werden. Die Wahrheit strebt dorthin auf, wo sie göttlicher und unendlicher Geist wird. Der Grund dafür ist, dass jedes Symbol ein unvollständiger Ausdruck Gottes ist und sich deshalb seiner eigenen gänzlichen Wirklichkeit entgegenstreckt, sie zu werden sucht. Es drängt darauf, sein wirkliches Selbst zu werden, indem es über sein scheinbares Selbst hinauswächst. Das Gemachte fühlt sich angezogen vom Seienden, das Werden vom Sein, das Natürliche vom Übernatürlichen, das Symbol vom Ding-an-sich, die Natur von Gott.
Die Aufwärtsbewegung ist demnach das Mittel zur Selbsterfüllung in dieser Welt, aber sie ist nicht allen Objekten auferlegt. Denn es gibt dreierlei Zustände, denen alles Veränderliche im Dasein unterworfen ist: das Aufsteigen, den Stillstand und das Abgleiten. Zwar bewegt sich die Natur in ihren niederen Zuständen im Allgemeinen nach oben, doch sucht sie die endgültige Erlösung nur für eine begrenzte Anzahl von Individuen. Nicht jede Form von Materie organisiert sich zu lebender Materie, obgleich jede Form von Materie erfüllt ist vom Geist des Lebens und von seinem heftigen Verlangen nach Befreiung und Selbstbekundung. Nicht jede Form von Leben organisiert sich zu mentalem Leben, obwohl in allen Lebensformen das Mental vorhanden ist und darauf drängt, freizukommen und sich kundzutun. Ebensowenig ist jedes mentale Wesen dazu befähigt, in sich das Leben der idealen Wahrheit herauszubilden, obwohl in jedem mentalen Wesen – im Hund, Affen und Wurm nicht minder als im Menschen – der eingekerkerte Geist der Wahrheit und des Wissens nach Freiheit und Selbstausdruck trachtet. In jedem erreichten Zustand ihres Gefüges bemüht sich die Natur zunächst darum, die natürliche Existenz ihrer Geschöpfe darin abzusichern. Erst nachdem diese vorrangige Aufgabe erfüllt ist, sucht sie durch die bestgeeigneten unter ihnen, ihren eigenen Werken zu entkommen, das von ihr Errichtete niederzureißen und etwas zustandezubringen, was darüber hinausgeht. Aber erst mit dem Menschen gelingt ihr die Entwicklung eines Typus, der in allen seinen Individuen im Prinzip dazu fähig ist, nicht nur das Natürliche, sondern auch das Übernatürliche in sich zu verwirklichen. Allerdings ist auch dies nur bedingt und mit Einschränkungen wahr. Aber davon sollte besser ausführlicher in einem anderen Zusammenhang gesprochen werden.
Dennoch bleibt es wahr, dass die Aufwärtsbewegung die Hauptbewegung der Natur ist. Ein gleichbleibender Zustand ist eine geringere Errungenschaft und, falls vollkommen, eine vorübergehende Vollkommenheit. Es ist eine Vollkommenheit im Reich des Kampfes und im Stil vergänglicher Formen, eine Erfüllung im Königreich von Ashanaya Mrityu – Hunger, welcher Tod ist, Hunger, der erschafft und sich von seinen Schöpfungen nährt. Die Aufwärtsbewegung ist jene, die durch den Tod hin zur Unsterblichkeit führt und in dieser Erde des Körpers das selige und leuchtende Himmelreich verwirklicht. Das Abgleiten ist Zerstörung, Hölle, ein großes Unheil, mahati vinastih. Dies sind die drei von der Gita erwähnten gatis oder Endzustände des Werdens, uttama, madhyama und adhama, der höchste, der mittlere und der unterste Zustand, die der Menschheit zur Auswahl dargeboten sind. An jedem Einzelnen von uns liegt es, seine Wahl zu treffen. Denn so wie wir wählen, wird Gott sich in uns entfalten, und zwar in Richtung auf vorübergehende menschliche Befriedigung oder göttliche Vollendung oder Zersetzung unserer menschlichen Natur in die fruchtbaren Abfallprodukte der Natur.
Die ganze Natur ist demnach ein Schritt hin zur Übernatur, d. h. zu etwas, das für sich selbst natürlich ist, aber übernatürlich für alles, was darunter liegt. Das Leben ist übernatürlich für die Materie, das Mental ist übernatürlich für das Leben, das Ideale Sein ist übernatürlich für das Mental, der Unendliche Geist ist übernatürlich für das ideale Sein. Wir müssen daher das Übernatürliche als unser Ziel anerkennen. Die Tendenz unserer Natur zu der unmittelbar über ihr befindlichen Übernatur ist ein Geheiß der Welt-Macht, dem Folge zu leisten und nicht mit Auflehnung oder Misstrauen zu begegnen ist. Hier hat der Glaube seine Wichtigkeit und die Religion, solange sie unverfälscht ist, ihren unschätzbaren Nutzen, denn unser natürliches Mental hat die Tendenz, in seiner Natur zu verharren, und hegt Zweifel an der Übernatur. Glaube und Religion waren Vorkehrungen der Allweisen Energie, die den natürlichen und nur mentalen Menschen an die Eingebungen der idealen Seele in ihm zu gewöhnen hatte, einer Seele, die am liebsten jetzt gleich aus dem Zwielicht in das Licht, aus dem Tappen im Dunkeln in die Wahrheit, aus den Sinnen und dem Verstand in die Schau und die direkte Erfahrung entrinnen möchte. Das Streben nach oben ist uns also auferlegt, und wir können uns ihm auf die Dauer nicht widersetzen. Früher oder später wird Gott sich unserer bemächtigen und uns diesen steilen, für unsere strauchelnden Schritte so schwierigen Hang hinauftreiben. Denn so sicher sich das Tier hin zum Menschen entwickelt und in seinen wandlungsfähigsten Arten so etwas wie einen menschlichen Charakter erlangt hat, und so sicher der Mensch, nachdem Affe und Ameise einmal erschienen waren, unweigerlich zu folgen hatte, ebenso sicher entwickelt sich der Mensch hin zur Gottheit und kommt ihr in seinen fähigeren Typen ständig näher, erlangt er selbst eine Art von Gottheit. Und es ist ebenso gewiss, dass der Mensch, nachdem das Genie und der Heilige einmal erschienen sind, zwangsläufig in sich und aus sich heraus den Übermenschen hervorbringen wird, den siddha purusha. Diese Schlussfolgerung setzt keine prophetische Gabe oder Offenbarung voraus. Sie ist die unvermeidliche Konsequenz aus allen vorausgegangenen Demonstrationen, die für uns in dem gewaltigen Laboratorium der Natur durchgeführt wurden.
Wir haben die Natur zu transzendieren und Über-Natur zu werden. Aus dem oben Gesagten geht jedoch hervor, dass dies geschehen sollte, indem wir etwas ausnutzen, was noch in der Natur eingeschlossen ist, und wir einer Entwicklungslinie folgen, die die Natur uns zu erschließen versucht. Indem wir unserer gewohnten Natur nachgeben, fallen wir sowohl von der Natur als auch von Gott ab. Indem wir die Natur transzendieren, befriedigen wir den stärksten Impuls der Natur, schöpfen wir all ihre Möglichkeiten aus und steigen auf zu Gott. Das Menschliche berührt zunächst das Göttliche und wird anschließend selbst zum Göttlichen. Aber es gibt auch jene, die die Natur abtöten wollen, um so zum Selbst zu werden. Sollen wir ihnen folgen? Nein, wie groß und erhaben ihr Pfad auch sei, wie ehrfurchtgebietend und blendend ihre Aspiration, denn es ist nicht Gottes Vorhaben mit der Menschheit und deshalb nicht unser Dharma. Mag sagen, wer will, wir hätten die geringere Wahl getroffen. Wir antworten darauf mit den Worten der Gita, sreyan svadharmo vigunah: „Besser ist das Gesetz unseres eigenen Wesens, sollte es auch geringer sein, zu gefährlich das höhere Gesetz eines anderen Wesens.“ Dem Willen Gottes in uns zu gehorchen ist ganz gewiss glückseliger, vielleicht sogar göttlicher, als sich zu den asketischen Höhen des Advaitin und zu einer unsagbaren Selbstauslöschung in einem unbestimmbaren Sein zu erheben. Uns genügt die Umarmung Krishnas und die Herrlichkeit des allmächtigen Busens Kalis. Wir haben die Natur zu transzendieren und zu besitzen, nicht sie abzutöten.
Wie auch immer außergewöhnliche Einzelne sich entscheiden mögen, was wir suchen, ist ein allgemein gangbarer Pfad zur höchsten Verwirklichung für die Menschen – denn ich schlage mit dem Yoga kein individuelles Vorgehen vor, bei dem der Rest der Menschheit keine Rolle spielt –, und da kann es keine Zweifel und kein Zögern geben. Weder die Übertreibungen der Spiritualität noch die Übertreibungen des Materialismus sind unser wahrer Weg. Jede Tendenz im Menschen, die die Natur zu leugnen sucht, wie religiös, erhaben und hehr, von welch blendender Untadeligkeit, welch ätherischem Wesen sie auch sein mag, war und wird stets zum Scheitern verurteilt sein, zu Misserfolg, Enttäuschung, Desillusionierung oder Verkehrung, weil sie ihrer Natur nach für die Masse der Menschen ein vergänglicher Impuls zu einer Übertreibung ist und weil sie sich nicht an die von Gott gestellten Bedingungen hält. Gott hat die Natur als eine Voraussetzung für Seine Selbsterfüllung im Universum geschaffen, und Er hat uns bei dieser göttlichen Selbsterfüllung zu überlegenen Werkzeugen und Helfern auf dieser Erde gemacht. Jede von Menschen ins Leben gerufene Bewegung, die uns heißt, mit unserer gewohnten Natur vorlieb zu nehmen und uns auf die Erde zu beschränken, aufzuhören, uns nach dem Empyreum in unserem Inneren zu sehnen und lieber den Tieren gleich zu leben, unseren Blick voraus auf unsere sterbliche Zukunft zu richten sowie hinab zur Erde, die wir bestellen, nicht aber hinauf zu Gott und auf unsere noch nicht erlangte Vollkommenheit – jede solche Bewegung war und wird stets zu Überdruss, Versteinerung und Stillstand oder einer plötzlichen und heftigen Reaktion der Übernatur verurteilt sein. Denn auch sie ist für die Masse der Menschen ein vergänglicher Impuls zu einer Übertreibung und läuft dem Vorhaben Gottes in uns zuwider, der in unsere Natur eingetreten ist und verborgen in ihr wohnt und der uns durch eine heimliche, instinktive und unwiderstehliche Anziehungskraft zu Sich zieht. Materialistische Bewegungen sind noch widernatürlicher, noch anomaler als die asketischen und weltverneinenden Religionen und Philosophien, denn diese führen uns zumindest aufwärts, auch wenn sie für die menschliche Natur viel zu schnell und zu weit gehen, während der Materialist unter dem Vorwand, uns zur Natur zurückzuführen, uns in Wirklichkeit gänzlich von ihr wegführt. Er vergisst oder übersieht, dass die Natur nur phänomenal Natur, tatsächlich aber Gott ist. Das göttliche Element in ihr ist das, was sie am reinsten und wahrhaftigsten ist. Alles andere ist bloße Frist und Bedingung, bloßes Verfahren und Stadium innerhalb ihrer gesamten stufenweisen Entfaltung der geheimen Gottheit. Ebenso vergisst er, dass die Natur noch in der Evolution begriffen ist und nicht schon voll evolviert, weshalb das, was wir jetzt sind, niemals ein Kriterium für das sein kann, was wir einmal sein werden. Das Übernatürliche muss schon der reinen Logik der Dinge zufolge der Zweck und das Ziel ihrer Entwicklung sein.
Deshalb müssen wir als erstes lernen, nicht in die Natur verstrickt, von ihr umgarnt oder an sie gefesselt zu sein, aber andererseits auch nicht auf sie wütend zu sein und sie abzutöten, falls wir vollendete Yogis werden und unserer göttlichen Vollkommenheit gefahrlos entgegengehen wollen. „Alle Wesen, sogar die Weisen, folgen ihrer Natur; was soll es helfen, ihr Gewalt anzutun?“ Prakrtim yanti bhutani, nigrahah kim karisyati? Dabei ist alles so nutzlos! Fühlst du dich an sie gebunden und lechzt nach Freiheit? In ihrer Hand allein befindet sich der Schlüssel, der deine Fesseln lösen wird. Steht sie zwischen dir und dem Herrn? Sie ist Sita; bete zu ihr, sie wird zur Seite treten und Ihn dir zeigen. Aber maße dir nicht an, Sita von Rama zu trennen, sie auszusetzen auf ein fernes Lanca unter Bewachung von gewaltigen Selbstkasteiungen, um Rama für dich allein zu haben in Ayodhya. Wenn du willst, so ringe mit Kali; sie mag einen guten Ringer. Aber ringe nicht lieblos oder aus bloßem Widerwillen und Hass mit ihr; denn ihr Missvergnügen ist schrecklich, und wenngleich sie die Asuras liebt, so tötet sie sie doch. Gehe lieber mit ihrer Hilfe und unter ihrem Schutz, gehe mit einem rechten Verständnis ihres Wesens und mit einem wahren und unbeugsamen Willen. Sie wird dich, auf was für Umwegen auch immer, stets sicher und aufs weiseste hinführen zu der Allseligen Persönlichkeit und der Unbeschreiblichen Gegenwart. Die Natur ist Gottes eigene Macht und führt diese Unzahl von Wesen durch die Nacht und die Einöde und die Gebiete des Feindes zu ihrem geheimen, versprochenen Erbe.
Die Übernatur ist also in jeglicher Hinsicht unser Ziel im Yoga: Ein natürlicher Bestandteil der Welt zu bleiben und doch die Natur im Inneren zu transzendieren, so dass wir sie sowohl innerlich als auch äußerlich frei und als Herr, svarat und samrat, besitzen und uns an ihr erfreuen mögen, Symbol zu bleiben in einer Welt der Symbolwesen und doch durch das Sinnbild das Versinnbildlichte zu erreichen, es zu verwirklichen, ein Ausdruck des Menschlichen zu bleiben, ein Mensch unter Menschen, ein lebender Körper unter lebenden Körpern, ein in dieser lebenden Materie wohnendes mentales Wesen, manus, unter anderen verkörperten mentalen Wesen, in unserem äußeren Wesen alles zu sein und zu bleiben, was wir dem Schein nach sind, und doch darüber hinauszugehen und im Körper das zu werden, was wir in unserem verborgenen Selbst in Wirklichkeit sind, nämlich Gott, Geist, höchstes und unendliches Sein, reine Seligkeit göttlicher Freude, reine Kraft göttlichen Handelns, reines Licht göttlichen Wissens. Unser ganzes sichtbares Leben hat nur einen symbolischen Wert, ist gut und notwendig als ein Werden, doch alles Werden hat Sein zu seinem Ziel und zu seiner Erfüllung, und Gott ist das einzige Sein. Göttlich zu werden in der Natur der Welt und im Symbol des Menschen ist die Vollendung, für die wir erschaffen wurden.

Kapitel 7
Die Fülle des Yoga im Bedingten
Wir sind aufgefordert, über unsere menschliche Statur hinauszuwachsen und göttlich zu werden. Um aber dies zu tun, müssen wir als erstes Gott erreichen, denn das menschliche Ego ist der geringere, unvollkommene Zustand unseres Seins, Gott ist der höhere, vollkommene Zustand. Er ist im Besitz unserer Übernatur, und ohne Seine Zustimmung ist kein effektiver Aufstieg möglich. Das Endliche kann nur unendlich werden, wenn es seiner eigenen verborgenen Unendlichkeit gewahr wird und sich von ihr angezogen oder zu ihr hingezogen fühlt. Ebensowenig kann das symbolische Wesen aus eigener Kraft die Grenzen seiner scheinbaren Natur überschreiten, es sei denn, es erblickte das Wirkliche Wesen in sich, liebte es und setzte ihm nach. Als ein besonderes Werden ist es festgelegt auf die Natur des Symbols, zu dem es wurde. Nur indem es von dem angerührt wird, was alles Werdende ist und über alles Werdende hinausgeht, kann es von der Bindung an seine eigene begrenzte Natur befreit werden. Das aber, was das Ganze ist und über das Ganze hinausgeht, ist Gott. Deshalb kann uns einzig und allein die Erkenntnis Gottes, die Liebe zu Ihm und die Besitznahme Seiner freimachen. Allein Er, der transzendent ist, kann uns dazu befähigen, uns selbst zu transzendieren. Allein Er, der allumfassend ist, kann uns über unser begrenztes So-sein ausweiten.
In dieser Notwendigkeit liegt die Berechtigung jener großen und unvergänglichen Kraft der Natur, auf die der Rationalismus zu Unrecht und irrational mit Verachtung herabschaut: die Religion. Ich spreche von Religion und nicht von einem Glaubensbekenntnis, einer Kirche oder einer Theologie, denn diese sind weniger das Wesen der Religion und nicht einmal in jedem Fall wirklich religiöse Handlungsweisen, als vielmehr bloße Formen von Religiosität. Ich spreche von jener persönlichen und intimen Religion, die eine Sache des Temperaments, des Geistes und des Lebens ist, nicht aber der Anschauungen und formalen Handlungen, und die einen Menschen leidenschaftlich und ausschließlich zu seiner eigenen Schau des Höchsten oder zu seiner eigenen Idee von etwas Höherem als ihn selbst hinzieht, dem er zu folgen oder zu dem er zu werden hat. Ohne eine inbrünstige Verehrung des Höchsten im Herzen, eine starke, aufwärtsgerichtete Sehnsucht nach Ihm im Willen oder ein ungestümes Verlangen nach Ihm im Charakter können wir nicht den Auftrieb dazu erhalten, anders zu werden als wir sind, noch die Kraft dazu, etwas so Schwieriges zu unternehmen wie das Überwinden unserer eingewurzelten menschlichen Natur. Wenn die Propheten sprachen und die Avatare herabkamen, geschah dies stets mit der einzigen Absicht, uns zu Gott zu rufen, uns zu beflügeln, dieser großen, an unsere aufstrebenden Energien gerichteten Aufforderung Folge zu leisten oder aber um etwas in der Welt vorzubereiten, das die Menschheit dem Ziel ihrer beschwerlichen, emporführenden Reise näherbringt.
Es mag auf den ersten Blick so aussehen, als gäbe es keine Notwendigkeit für diese religiösen Begriffe oder diese religiöse Gesinnung. Wenn das Ziel darin besteht, zu etwas dem Menschen Überlegenem zu werden, uns zum Übermenschen zu entwickeln, so wie der Mensch sich aus dem Affen entwickelt hat – falls diese Aufeinanderfolge tatsächlich der Wahrheit entspricht – und wie der Affe aus niedrigeren Tierformen hervorging, diese wiederum aus Weichtieren und Protoplasma, aus Quallen oder pflanzenähnlichen Tieren und so fort bis ans Ende der Reihe, welche andere Notwendigkeit besteht dann als die Ausbildung, vorzugsweise die intelligenteste und wissenschaftlichste Ausbildung unserer mentalen, moralischen und physischen Energien, bis hin zu dem Punkt, an dem sie durch die psychische Chemie der Natur in den kommenden höheren Typus umgewandelt werden? Doch in Wirklichkeit ist das Problem nicht so einfach. Drei versteckte Irrtümer liegen dieser skeptischen Frage zugrunde. Wir haben eine falsche Vorstellung von der Natur des auszuführenden Unternehmens, wir haben eine falsche Vorstellung von der Natur der ausführenden Kraft und ihrer Prozesse, und wir verkennen die Natur der Sache, die sich der Kraft bedient und ihre Prozesse zur Anwendung bringt.
Die Natur bietet es dem Menschen nicht an, einen höheren mentalen, moralischen und physischen Variationstypus nach dem Muster des gegenwärtigen Menschen zu erarbeiten, dem Symbol, das wir sind. Sie schlägt ihm vielmehr vor, diesen allgemeinen Typus ganz und gar zu durchbrechen und zu einem neuen Symbolwesen vorzudringen, das dem jetzigen Menschen gegenüber so übernatürlich ist wie der jetzige Mensch dem Tier gegenüber. Es ist zu bezweifeln, ob die Natur in der rein menschlichen Form sehr viel weiter gehen kann als sie es bisher tat, dass sie zum Beispiel einen höheren mentalen Typus als Newton, Shakespeare, Caesar oder Napoleon hervorbringen kann, einen höheren moralischen Typus als Buddha, Christus oder den Heiligen Franziskus, einen höheren physischen Typus als den griechischen Athleten oder, um moderne Beispiele anzuführen, einen Sandow oder einen Ramamurti. Sie mag versuchen, eine bessere Kombination mentaler und moralischer oder mentaler, moralischer und physischer Energien zustandezubringen. Aber wird es ihr je gelingen, etwas weit über das Niveau eines Konfuzius oder Sokrates Hinausgehendes zu produzieren? Auf diesem Gebiet ist es wahrscheinlicher, und es scheint auch so zu sein, dass die Natur auf die weitere Verbreitung eines höheren Niveaus und einer besseren Kombination aus ist. Aber auch hier ist nicht anzunehmen, dass es ihr Anliegen ist, alle Menschen auf dieselbe Stufe zu heben, denn so etwas kann nur geschehen, wenn nach unten hin angeglichen wird. Nichts in der Natur ist frei von Unterschieden, mit Ausnahme der untersten und am wenigsten entwickelten Formen. Je bedeutender das Erreichte, je reicher ausgestattet der der Art eigene Organismus, desto größer sind auch die Gelegenheiten zu Ungleichheit. Bei einer so hoch angelegten und so weit entwickelten natürlichen Formation wie dem Menschen ist zwar individuelle Chancengleichheit vorstellbar, die Gleichheit seiner natürlichen Fertigkeiten und Begabungen aber muss als ein Hirngespinst angesehen werden. Außerdem kann eine Verallgemeinerung der Fertigkeiten oder ein Zuwachs an Material nichts an dem Grad des von der Natur Erreichten ändern. All die angesammelten Entdeckungen und vielseitigen Kenntnisse des modernen Wissenschaftlers machen ihn einem Aristoteles oder Sokrates nicht mental überlegen. Er ist weder ein scharfsinnigerer Denker noch eine mentale Kraft von größerer Tragweite. All die vielfältigen Betätigungen der modernen Philanthropie bringen keinen vollkommeneren moralischen Typus als den Buddha oder den Heiligen Franziskus hervor. Die Erfindung des Automobils entschädigt uns ebensowenig für eingebüßte Schnelligkeit und Ausdauer, als uns die Gymnastik die körperliche Leistungsfähigkeit eines Eingeborenen oder Indianers wiedergibt. Wir sind uns also der Grenzen bewusst, die den Möglichkeiten der Natur im menschlichen Sinnbild gesetzt sind. Sie sind durch die Beschaffenheit des Sinnbildes selbst bedingt und werden von der Natur in ihren Bestrebungen beachtet.
Es bleibt die Frage, ob es innerhalb dieser Grenzen das Hauptanliegen der Natur sein kann, die Möglichkeiten des menschlichen Symbols voll auszuschöpfen. Denn eigentlich ist dies eher die Hauptbeschäftigung des Menschen und daher die Richtung, die die Natur einschlägt, wenn der menschliche Verstand sich in ihr normales Vorgehen einschaltet. Sich selbst überlassen und sogar dann, wenn sie sich der menschlichen Eingriffe bedient, scheint sie mehr darauf erpicht zu sein, die Form zu zerbrechen als sie zu vervollkommnen – dies allerdings nur in ihren fortgeschritteneren Individuen und bei ihren kühneren Unternehmungen und auch nur mit gebührlicher Rücksicht auf die Sicherheit des allgemeinen Menschentyps. Aber dies ist ja stets ihre Methode, wenn sie zu einem neuen Symbol überzugehen wünscht, ohne die vorhergehenden Arten zu zerstören. Je zivilisierter der Mensch wird, desto mehr plagt sie ihn mit moralischen Entartungen, mit Exzessen sowohl der Sünde als auch der Tugend, ja selbst mit Verwechslungen der eigentlichen Urbilder von Tugend und Sünde. Je mehr er mit seinem Verstand erklärt, je mehr er auf Rationalität als seinem höchsten Zweck beharrt, desto ungehaltener wird sie und desto lautstarker verlangt sie von ihm, stattdessen seine Instinkte und seine Intuitionen zu entwickeln. Je mehr er sich um Gesundheit und Hygiene bemüht, desto mehr vermehrt sie die Krankheiten des Mentals und des Körpers. Er triumphiert über den Supranaturalismus, er kettet sie fest an das Materielle, das Menschliche und das Rationale, doch sofort bricht sie ungestüm in unerwartete Erneuerungen und gigantische Supranaturalismen aus. Was sie auch vorhaben mag, sie wird sich nicht durch die beschränkte menschliche Vernunft daran hindern lassen. Durch ihr ganzes unermessliche Wesen fühlt sie den Pulsschlag einer übernatürlichen Kraft und das Wirken und Drängen eines der materiellen Vernunft weit überlegenen Wissens. Deshalb bricht sie aus, zwingt, fordert, beharrt. Überall sehen wir sie darum bemüht, den von ihr erschaffenen mentalen, moralischen und physischen Typus zu durchbrechen und über ihn hinaus zu neuen, bislang noch nicht klar erkennbaren Prozessen zu gelangen. Vorsätzlich greift sie die gute Gesundheit und das ungestörte Gleichgewicht unserer normalen Intelligenz, Sittlichkeit und körperlichen Existenz an. Außerdem ist sie von einer Manie zum Kolossalen besessen: Gewaltige Strukturen, gigantische Zusammenschlüsse, riesige Höhen und Geschwindigkeiten, ungeheure Träume und Ambitionen zeichnen sich überall mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger verschwommen ab. Bisher unfähig, ihren Willen im Einzelnen durchzusetzen, arbeitet sie mit Massen. Unfähig im Mental, befasst sie sich mit materiellen Formen und Erfindungen. Unfähig im aktuell Gegebenen, wirkt sie durch Hoffnungen und Träume. Unfähig, Napoleone und Super-Napoleone nachzuschaffen oder neu zu erschaffen, wirkt sie auf eine weitere Verbreitung und eine größere Reichweite der menschlichen Fähigkeiten hin, so dass solche Wesen künftig vielleicht leichter hervorzubringen sein werden. Und inzwischen produziert sie stattdessen Großkampfschiffe und Supergroßkampfschiffe, Trusts und Riesenkonzerne, strotzt vor entfernungsüberwindenden Erfindungen und scheint darauf versessen zu sein, alle Grenzen des Raumes und der Zeit niederzureißen, die sie selbst geschaffen hat.
Wie um mit ihrem Finger auf ihr Vorhaben zu deuten, hat sie die Merkmale dieses Vorgangs des Zerbrechens und Wiederaufbaus im Phänomen des Genies angehäuft. Es ist heutzutage Allgemeinwissen, dass Genie kaum jemals in der menschlichen Art auftritt, ohne von Abnormitäten des Körpers, der Lebenskraft oder des Mentals vorbereitet oder begleitet zu sein. Anlagen zu Entartung, Irrsinn oder Verkrüppelung sind in der Erbmasse enthalten, aus der es hervorgeht, und sogar Störungen und paranormale Einflüsse können in dem menschlichen Umfeld vorkommen, in dem es auftritt. Mit der Voreile einer brillanten Verallgemeinerung wurde auf dieser Grundlage das Paradox aufgestellt, dass Genie selbst eine morbide Form des Irrsinns oder der Entartung ist. Die der Wahrheit entsprechende Erklärung liegt auf der Hand. Um Genie in den menschlichen Organismus einzuführen, ist die Natur gezwungen, das normale Funktionieren dieses Organismus zu stören und teilweise aufzuheben, und zwar deshalb, weil sie in ihn ein Element einführt, das dem davon bereicherten Typus übergeordnet und deshalb fremd ist. Beim Genie handelt es sich nicht um die vollendete Entfaltung dieses neuen und göttlichen Elements, sondern lediglich um einen Anfang oder bestenfalls um eine Annäherung in bestimmte Richtungen. Es offenbart sich schubweise und unberechenbar inmitten einer gewaltigen Menge etwas aus der Ordnung geratener normal-menschlicher Denkvorgänge, vitaler Nervenvorgänge und tierhafter Körpervorgänge. Die Sache selbst ist göttlich, doch das ungöttliche Gefäß, in dem sie sich auswirkt, wird mehr oder weniger von der in ihm wirkenden unassimilierten Kraft aufgerodet und zerbrochen. Manchmal gibt es da ein Element in dem göttlichen Eindringling, das sich des Gefäßes bemächtigt und es festigt, so dass es nicht zerbricht und auch gar nicht erst brüchig wird oder, sollte doch eine Störung eintreten, ist sie gering und ohne Bedeutung. Solch ein Element war in Caesar, in Shakespeare und in Goethe zugegen. Manchmal offenbart sich auch eine Kraft, die wir nicht länger als Genie bezeichnen können, ohne dass unsere Terminologie hoffnungslos unzulänglich wird. Dann neigen sich jene nieder, die Augen haben zu sehen, und bezeugen den Avatar. Denn oftmals ist es das Werk des Avatars, teilweise oder summarisch das zu verkörpern, was die Natur in der Allgemeinheit oder sogar im Einzelnen noch nicht bewerkstelligt hat, auf dass sein vorübergehender Aufenthalt es dem materiellen Äther, in dem wir leben, aufprägen möge.
Aber welcher Art ist dieser Typus, mit dem die große Mutter in den Wehen liegt? Was wird nach den Schreien und den Wehen dieser langen und gewaltigen Schwangerschaft geboren werden? Ein höherer Menschentyp, möchte man sagen. Doch um zu verstehen, was wir damit meinen, müssen wir uns zunächst darüber Klarheit verschaffen, welcher Art die Menschheit ist, die die Natur zu übertreffen sucht. Dieses menschliche Symbol, dieser Typus, der wir jetzt sind, ist ein mentales Wesen mit einem mentalen Ego. Dieses wirkt stets in einer vitalen Hülle und vermittels des Mentals, doch auf die Materie, in der Materie und durch die Materie. Es ist in seinem höheren Wirken durch seine niederen Werkzeuge eingeschränkt. Seine mentale Grundlage ist egoistisch, sinnlich und durch seine Erfahrung sowie durch seine Umwelt bestimmt. Sein Wissen zieht daher weitere oder engere Kreise in einem fest vorgezeichneten und kargen Gelände. Sein sittliches Wesen und Handeln ist in ähnlicher Weise egoistisch, sinnlich, empirisch und durch die Umwelt bedingt. Aus diesem Grunde ist es der Sünde und der Tugend gleichermaßen verhaftet, und alle Versuche, die Menschheit innerhalb der Grenzen ihrer egoistischen Natur sittlich von Grund auf zu verändern, mussten und müssen notwendig, trotz einzelner Verbesserungen, in einem allgemeinen Fehlschlag enden. Der gegenwärtige Menschentyp ist etwas Zusammengewürfeltes und Verworrenes. Körper, Lebenskraft und Mental behindern sich gegenseitig und werden voneinander beeinträchtigt. Seine auf Sinneskontakt beruhende Suche nach Erkenntnis gleicht dem Herumtappen eines Menschen, der des Nachts im Walde seinen Weg zu finden versucht. Er lernt seine Umgebung kennen, indem er sie berührt, gegen sie prallt oder über sie stolpert. Zwar ist ihm das unsichere Licht der Vernunft gegeben, das dieses Unvermögen teilweise ausgleicht, doch da die Vernunft ebenfalls von den Sinnen, diesen konsequenten Verfälschern von Werten, auszugehen hat, ist ihr Erkenntnisvermögen beschränkt und stets von großer Undeutlichkeit und Ungewissheit umgeben, auch dann, wenn sie wähnt, verstanden zu haben. Er sichert sich einige wenige Blüten der Wahrheit, indem er in einer Dornenhecke von Zweifeln und Irrtümern herumwühlt. Auch die diesem Typus eigene Art zu handeln gleicht dem Durchdringen eines Dickichts, dem zuversichtlichen und doch gequälten Voranstolpern entlang übereifriger Fehlschläge zu teilweisen und kurzlebigen Erfolgen. Obwohl allem, was die Natur sonst bisher zuwege gebracht hat, weit überlegen, ist dieser Typus doch derart mit Unzulänglichkeiten behaftet, dass jene pessimistischen Philosophien durchaus gerechtfertigt wären, die am Leben verzweifeln, die im „Willen, nicht zu leben“, den einzigen Ausweg für die Menschheit sehen und kein anderes Heil für sie in Erwägung ziehen – falls es tatsächlich unmöglich sein sollte, seine charakteristischen Grenzen zu durchbrechen und weiterzugehen. Aber die Natur ist der Wille des Allweisen Gottes und arbeitet nicht auf eine Zurückführung der Welt aufs Absurde hin. Sie kennt ihr Ziel, sie weiß, dass der Mensch in seiner gegenwärtigen Beschaffenheit nur eine Übergangsform ist. So weit sie es ohne das Überleben der Art zu gefährden vermag, drängt sie vor zu dem, was sie in Gottes ewigem Wissen als über dem Menschen stehend erblickt hat. Ausgehend von diesem Ego bewegt sie sich auf ein universales Bewusstsein hin, ausgehend von dieser Begrenzung auf eine freie Beweglichkeit im Unendlichen, ausgehend von diesem im Dunkeln tappenden Mental auf eine unmittelbare sonnenerleuchtete Schau der Dinge. Von diesem ausweglosen Konflikt zwischen Laster und Tugend bewegt sie sich hin zu einem Fortschreiten, das sich spontan an den von Gott zugewiesenen Pfad hält, von diesem zersplitterten und leidumwobenen Handeln hin zu einem freien und freudigen Tätigsein, von diesem verworrenen Ringen unserer Glieder hin zu einem entwirrten, geläuterten und harmonischen Zusammenwirken, von dieser materialisierten Mentalität hin zu einem idealen und erleuchteten Leben, Körper und Mental, vom Symbol hin zur Wirklichkeit, von dem von Gott getrennten Menschen hin zum Menschen in Gott und zu Gott im Menschen. Kurz gesagt, wie ihr Streben einst erfolgreich von der Materie aus auf das Leben gerichtet war, vom Leben aus auf das Mental und das mentale Ego, so richtet es sich jetzt – und dies ebenfalls mit vorbestimmtem Erfolg – auf ein Element jenseits des Mentals, auf das vijnana der Hindus. Dieses ist die aus sich heraus leuchtende Idee oder das Wahrheits-Selbst, das derzeit verborgen und überbewusst im Menschen und in der Welt existiert, wie das Leben stets in der Materie und das Mental im Leben heimlich zugegen waren. Sie weiß, dass sie durch dieses Wahrheits-Selbst jenen höchsten Inbegriff aller Dinge in ihren festen Besitz bringen kann, der die Wirklichkeit aller Symbole ist, im Geist, in Sachchidananda.
Das Ziel der Natur ist auch das Ziel des Yoga. Wie die Natur auf ihrer höchsten Höhe, sucht auch der Yoga diese Formation, bestehend aus Ego, mentalisiertem Leben im Körper und materialisiertem Mental, zu durchbrechen, um in unserem spirituellen Wesen zum idealen Handeln, zur idealen Wahrheit und zur unendlichen Freiheit zu gelangen. Die Verwirklichung eines so ungeheuren Ziels erfordert gewaltige und gefährliche Verfahren. Diejenigen, die sich auf diesem Weg besonders hervorgetan oder neue Pfade zu diesem Ziel erschlossen haben, hatten dem Verlust ihres Verstandes, der Auflösung ihrer moralischen Integrität, ja sogar der Einbuße ihrer Gesundheit und ihres Lebens als einer häufig eintretenden Möglichkeit zu trotzen. Auch wenn sie scheiterten, sollten wir ihnen weder Mitleid noch Verachtung entgegenbringen, denn sie sind Märtyrer für den Fortschritt des Menschengeschlechts, und dies in weit größerem Maße als ein verschollener Seefahrer oder ein Wissenschaftler, der den Gefahren seiner Forschertätigkeit erlag. Sie bereiten wissentlich jene größtmögliche Vollendung vor, auf die die restliche Menschheit sich instinktiv und unbewusst zubewegt. Man kann sogar sagen, dass Yoga das spezielle Mittel ist, das die Natur zum endgültigen Erreichen ihrer Absicht für den Zeitpunkt bereithält, wenn ihre langwierige, mühevolle Vorarbeit abgeschlossen ist, wenn wenigstens ein Teil der Menschheit von seiner Konstitution her der erforderlichen Anstrengung gewachsen und intellektuell, moralisch sowie physisch zum Erfolg befähigt ist. Die Natur bewegt sich hin zur Übernatur, Yoga strebt hin zu Gott. Der Weltimpuls und das menschliche Streben sind eine einzige Bewegung, sind dieselbe Reise.

Kapitel 8
Die Natur
Wenn dies die Natur des auszuführenden Unternehmens ist – nicht die Vollendung, sondern das Zerbrechen der gegenwärtigen menschlichen Gussform, um zu einem höheren Typus überzugehen –, welches ist dann die ausführende Kraft und das wirksame Vorgehen? Was ist diese Natur, von der wir so viel reden?1 Wir haben die Gewohnheit, von ihr zu sprechen, als wäre sie etwas Mächtiges und Bewusstes, das lebendig ist und Pläne macht. Wir unterstellen ihr ein Ziel, das zum Verfolgen dieses Ziels erforderliche Wissen sowie die zu seiner Verwirklichung erforderliche Macht. Sind wir angesichts der Gegebenheiten im Universum zu solch einer Formulierung berechtigt, oder ist dies bloß unsere eingefleischte Angewohnheit, menschliche Eigenschaften auf nichtmenschliche Dinge zu übertragen und Vorgängen ohne Intelligenz ein intelligentes Vorgehen zuzuschreiben? Ist es nicht eher so, dass diese Vorgänge deshalb richtig ablaufen, weil sie es müssen, und nicht deshalb, weil sie es wollen, und dass sie dieses großartige, geordnete Universum aus einer stummen, blinden und einsichtslosen Notwendigkeit heraus hervorbringen, die ihrem Ursprung und ihrem Wesen nach unbegreiflich bleiben muss? Wenn dies zutrifft, hat diese blinde, gefühllose Kraft etwas Höheres als sie selbst hervorgebracht, etwas, das nicht im Voraus ausgedacht in ihr bereit lag oder ihr sonst irgendwie zu eigen war. Wir können nicht verstehen, was das Sein ist und was die Natur, und zwar nicht weil wir noch zu klein und zu begrenzt sind, sondern weil wir zu hoch über dem Sein und der Natur stehen. Unsere Intelligenz ist ein leuchtendes Monstrum in einer Finsternis, aus der sie unmöglich entstanden sein kann, da nichts in dieser Finsternis sich als Ursache ihrer Entstehung ausweist. Nur wenn das Mental der empfindungslosen Materie bereits innegewohnt hätte (in welchem Falle die Materie nur scheinbar empfindungslos wäre), hätte es der Materie möglich sein können, ein Mental zu entwickeln. Doch da uns dies zu einer Unmöglichkeit führt, kann es nicht die Wahrheit sein. Wir müssen also davon ausgehen, dass das Mental empfindungslos ist, da ja die Materie auch keine Empfindungen hat. Intelligenz ist eine Illusion. Es gibt nichts als ein Aufeinanderprallen materieller Einflüsse, das in der Materie Schwingungen und Reaktionen hervorruft, die sich in die Erscheinungsformen der Intelligenz umsetzen. Erkenntnis ist nichts weiter als eine Beziehung von Materie zu Materie. Sie unterscheidet sich nicht wesentlich vom ständigen Kollidieren der Atome oder einem handfesten Zusammenstoß zweier Ochsen auf der Weide, noch ist sie diesen Ereignissen grundsätzlich überlegen. Weil die beteiligten materiellen Ursachen und die bewirkten Erscheinungen verschieden sind, bezeichnen wir das Zurückprallen eines gehörnten Schädels vom anderen nicht als einen Akt der Erkenntnis oder der Intelligenz. Was sich jedoch ereignet hat, ist im Grunde das Gleiche. Die Intelligenz selbst ist träge und mechanisch, lediglich das physiologische Ergebnis eines physiologischen Vorgangs und birgt im altehrwürdigen Sinn der Worte Seele, soul, und Mental, mind, nichts Seelisches oder Mentales in sich. Dies ist die Ansicht des modernen wissenschaftlichen Rationalismus – zwar in eine andere Sprache gefasst als die des Wissenschaftlers, eine Sprache, die seine logischen Konsequenzen und Implikationen hervorhebt, doch nichtsdestoweniger die aktuelle Erklärung des Universums.
Dieser Erklärung zufolge besteht das Wesen eines Gegenstandes in seiner Zusammensetzung, den in dieser Zusammensetzung enthaltenen Eigenschaften und den durch diese Eigenschaften bedingten Wirkungsgesetzen. So setzt sich zum Beispiel Eisen aus gewissen Grundbestandteilen zusammen, besitzt infolge seiner Zusammensetzung gewisse Eigenschaften wie Härte usw. und verhält sich auf Grund dieser Eigenschaften unter gegebenen Umständen in einer bestimmten Weise. Wenden wir diese Analyse in einem größeren Rahmen an, stellt sich uns das Weltall als das Gefüge einiger elementarer Kräfte dar, die in gewissen materiellen Substanzen wirken. Es besitzt an sich und in diesen Substanzen gewisse primäre und sekundäre, allgemeine und besondere Eigenschaften, auf Grund derer es gemäß gewisser fester Tendenzen und unwandelbarer Prozesse agiert, denen wir den anthropomorphen Namen „Gesetze der Natur“ geben. Das ist die Natur. Bei sorgfältiger Analyse stellt sie sich als das Spiel zweier Prinzipien dar, Kraft und Materie. Wenn aber die Vorstellung von der Einheit des Universums richtig ist, werden sich die beiden eines Tages als ein einziges Prinzip erweisen, entweder reine Materie oder reine Kraft.
Selbst wenn wir diese zeitgenössische Ansicht über das Universum akzeptieren, die sich – wie man ohne Risiko voraussagen kann – im Verlauf eines Jahrhunderts in einer größeren Synthese aufgelöst haben wird, bleibt doch noch etwas zu der Frage des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins von Intelligenz in der Natur zu sagen. Worin besteht denn eigentlich Intelligenz, woraus setzt sie sich zusammen, was sind ihre Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten? Was insbesondere ist die menschliche Intelligenz in ihrer Bedingtheit – die einzige Intelligenz, die wir von innen her zu studieren und deshalb zu verstehen vermögen? Sie zeichnet sich durch drei Qualitäten oder Vorgänge aus: die Fähigkeit oder den Vorgang einer zielgerichteten Anpassung im Handeln, die Fähigkeit oder den Vorgang des Unterscheidens zwischen den Sinneseindrücken und die Fähigkeit oder den Vorgang des mental bewussten Verstehens. Kurz gesagt ist die menschliche Intelligenz zielgerichtet, unterscheidend und mental bewusst. Über nichtmenschliche Wesen wie Tiere, Bäume, Metalle, Kräfte können wir von innen her nichts aussagen. Wir können das Fehlen oder Vorhandensein dieser Bewusstseinselemente nur aus einem durch äußere Beobachtungen gewonnenen Beweismaterial herleiten. In Ermangelung eines inneren Nachweises können wir nicht mit Bestimmtheit behaupten, dass ein Baum kein in der Materie eingeschlossenes Mental ist, das bloß unfähig ist, sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu äußern. Wir können nicht behaupten, dass er den Reaktionen von Freude und Schmerz nicht unterworfen ist. Auf Grund der äußeren Indizien schließen wir jedoch auf das Gegenteil. Unsere Schlussfolgerung ist zwar wahrscheinlich, sicher aber ist sie nicht. Sie könnte durch die künftigen Fortschritte der wissenschaftlichen Erkenntnis widerlegt werden. Werden die äußeren Indizien dennoch für sich genommen: Welcher tatsächliche Sachverhalt ergibt sich dann aus unserem Vergleich der intelligenten mit der nicht-intelligenten Natur?
Zunächst einmal besitzt die Natur in weit höherem Maße als der Mensch die teleologische Fähigkeit des zielgerichteten Handelns. Sich ein Ziel zu setzen, Mittel und Verfahrensweisen zu kombinieren, sie anzupassen oder abzuändern, um dieses Ziel zu erreichen, gegen Schwierigkeiten anzukämpfen und sie zu überwinden, Mittel und Wege zum Umgehen von Schwierigkeiten zu ersinnen, falls diese nicht überwunden werden können – dies alles gehört zu einem der vornehmsten, ja göttlichsten Elemente der menschlichen Intelligenz. Das Wirken der Intelligenz im Menschen ist jedoch nur eine spezielle Form ihres universalen Wirkens in der Natur. Im Menschen wird es von der Natur teilweise mit Hilfe der Vernunft vollzogen, in Tieren von sehr geringer oder rudimentärer Vernunft hauptsächlich durch die Instinkte, das Erinnerungsvermögen, die Triebe und die Sinneseindrücke, in Pflanzen oder anderen Dingen mit sehr geringer oder rudimentärer Vernunft hauptsächlich durch die Triebe und durch mechanisches oder, wie man sagt, unbeabsichtigtes Handeln. Doch überall ist ein Ziel und ein Anpassungsvermögen an die Zielsetzung vorhanden, und überall finden dieselben grundlegenden Hilfsmittel Anwendung. Auch im Menschen kommt die Vernunft nur bei einem Teil seiner Ziele und Verhaltens- oder Funktionsweisen zur Anwendung. In erster Linie benutzt die Natur die bereits im Tier vorhandenen Mittel Gedächtnis, Trieb, Empfindungsvermögen, Instinkt – zwar unterschiedlich ausgerichtete Instinkte von geringerem Einfluss und geringerer Spezifität als die tierischen, doch letztlich und für ihre Zwecke ebenso sichere. Und im Übrigen benutzt sie den gleichen rein mechanischen Antrieb und das gleiche unwillkürliche Handeln auf genau die gleiche Weise wie in ihren irrtümlich als unbelebt bezeichneten Formen. Ferner lässt sich nicht behaupten, dass die Verschwendungssucht der Natur, ihr Vergeuden von Materialien, ihr häufiges Scheitern oder ihre scheinbaren Ungereimtheiten und Eskapaden als Zeichen von Ziellosigkeit und nicht vorhandener Intelligenz zu werten sind. Der Mensch mit seiner Vernunft ist ja derselben Versäumnisse und Ausschweifungen schuldig. Weder der Mensch noch die Natur sind aus diesem Grunde ziellos oder ohne Intelligenz. Der Mensch selbst wird von der Natur gezwungen, nicht allzu sehr auf Nützlichkeit versessen zu sein, da sie es besser weiß als der Ökonom und der utilitaristische Philosoph. Sie ist eine universale Intelligenz und muss ihr Augenmerk sowohl im Ganzen als auch in jeder Einzelheit nicht nur auf das allgemeine, sondern auch auf das individuelle Ergebnis richten. Sie hat jede Einzelheit mit Rücksicht auf die Gruppe auszuarbeiten, und nicht nur auf die Gruppe, sondern auf die ganze Art, und nicht nur auf die ganze Art, sondern auf die gesamte Artenwelt. Der Mensch als eine durch seine Vernunft eingeschränkte individuelle Intelligenz ist dieser Weite nicht fähig. Er stellt seine speziellen Interessen allem anderen voran und bemerkt weder, wann es seinem allgemeinen Wohlergehen schadet, sich diesen ausschließlich zu widmen, noch hat er ein Gespür dafür, wann sie mit dem universalen Ziel in Konflikt geraten. Die Versäumnisse und Fehlschläge der Natur haben ihren Nutzen – es wird nicht allzu lange dauern, bis wir erkennen, welch großen Nutzen –, und hinter ihren Launen verbirgt sich eine große Ernsthaftigkeit. Vor allem denkt sie jedoch daran, dass für sie das eine große Ziel jenseits aller formbezogenen Zwecke die Verwirklichung einer allumfassenden Freude ist, die zwar auf der Organisation von Formen als einem Mittel aufbaut, aber weit über ihre Mittel hinausgeht. Darauf bewegt sie sich zu. Deshalb erfreut sie sich auf ihrem Weg, deshalb erfreut sie sich sowohl an ihrer Arbeit als auch jenseits ihrer Arbeit.
Aber in alldem greifen wir vor. Wir sprechen, als wäre die Natur sich ihrer selbst bewusst. Was wir herausgefunden haben ist, dass sie zielgerichtet ist, und zwar in größerem Umfang und auf vollkommenere Weise als der Mensch, ferner dass der Mensch selbst sich nur auf Grund dieser Eigenschaft der Natur teleologisch verhält, und dies unter Ausnutzung derselben grundlegenden Mittel und Vorgänge wie das Tier und die Pflanze, wenn auch neue, dem Mental eigene Mittel hinzukommen. Dies, so könnte man sagen, macht noch keine Intelligenz aus. Intelligenz ist nämlich nicht nur zielgerichtet, sondern sie macht auch Unterschiede und ist mental bewusst. Ein mechanisches Unterscheidungsvermögen ist der Natur jedoch gewiss im höchsten Grade zu eigen. Ohne es wären ihre teleologischen Leistungen nicht möglich. Eine Ranke wächst gerade durch die Luft, bis sie mit einer Schnur, einem Stock oder dem Stängel einer Pflanze in Berührung kommt. Sogleich ergreift sie ihn wie mit einem Finger, geht von einem geraden Wachstum zu einer gekrümmten, sich fest zusammenziehenden Bewegung über und windet sich um ihren Halt. Was führt diese Änderung herbei? Was erlaubt ihr, auf das Vorhandensein eines Halts und auf die Möglichkeit dieser neuen Bewegungsweise zu schließen? Es ist der Instinkt der Ranke, und er unterscheidet sich grundsätzlich in nichts von dem Instinkt eines neugeborenen Welpen, der sich sofort der Zitzen seiner Mutter bemächtigt, oder dem Instinkt eines Menschen in seinen mechanischeren Bedürfnissen und Handlungen. Wir sehen, wie der Mondlotus seine Blütenblätter dem Mond hin öffnet und sie bei Anbruch des Tages schließt. In welcher Weise weicht diese unterscheidende Bewegung von der einer eilends aus dem Feuer zurückgezogenen Hand ab oder von der nervlich zurückschaudernden Reaktion des Ekels und Missfallens bei einem abscheulichen Anblick oder von der mental zurückschaudernden Reaktion der Verweigerung und Abneigung angesichts einer abstoßenden Idee oder Meinung? Es scheint hier keinen wesentlichen Unterschied zu geben. Lediglich die Umstände sind verschieden. Während das Verhalten im einen Falle nicht von mentalem Selbstbewusstsein begleitet ist, ist es in den anderen Fällen mit diesem äußerst wichtigen Element versehen. Wir sind im Irrtum mit unserer Ansicht, dass dem Verhalten der Ranke und des Lotus kein Wille und kein Unterscheidungsvermögen zugrunde liegen. Es gibt da einen Willen, jedoch keinen mentalisierten Willen. Ebenso ist ein Unterscheidungsvermögen vorhanden, wenn auch kein mentalisiertes. Wir nennen es mechanisch – aber wissen wir, was wir damit meinen? Wir verwenden noch andere Bezeichnungen, nennen den Willen Kraft und das Unterscheidungsvermögen eine natürliche Reaktion oder eine organische Tendenz. Solche unterschiedlichen Bezeichnungen maskieren nur die Tatsache, dass sie sich auf ein und denselben Gegenstand beziehen.
Selbst wenn wir nicht weiter gelangen könnten, hätten wir doch einen Riesenschritt getan, denn wir haben bereits die folgende Vorstellung von dem, was wir die Natur nennen: Sie besitzt, birgt in sich oder ist identisch mit einer ungeheuren Willenskraft, die sich ein großes Hauptziel und Millionen mannigfaltig miteinander verknüpfte Nebenziele setzt, die bei deren Ausführung Findigkeit, Anpassungsvermögen, methodisches Vorgehen und eine unfehlbare Unterscheidungskraft bekundet und der ihr kompliziertes Werk in hohem Maße gelingt. Nach dieser Vorstellung wäre die menschliche Intelligenz nur eine begrenzte und untergeordnete Bewegung dieser ungeheuren Kraft, würde von ihr gelenkt und benutzt und diente selbst dann ihren Zwecken, wenn sie gegen diese anzukämpfen scheint. Wir können einer solchen Macht die Intelligenz abstreiten, da sie keine Merkmale mentalen Bewusstseins aufweist und nicht in jedem Bereich ihres Wirkens eine menschliche oder mentale Intelligenz verwendet, doch wäre dieser Einwand bloß eine metaphysische Subtilität. Schauen wir hinaus aufs Leben und nicht nach innen auf abstrakte Ideen, können wir uns praktisch darauf verlassen, sofern wir diese Vorstellung zulassen, dass diese unintelligente Unterscheidungskraft genauso vorgeht, als wäre sie eine universale Intelligenz und als wären die Mittel und Ziele dieses mechanischen Willens die Mittel und Ziele einer Allmächtigen Weisheit. Wenn wir aber zu dieser Gewissheit gelangen, erfordert dann nicht schon die Vernunft, dass wir in der Natur oder hinter ihr eine universale Intelligenz und eine Allmächtige Weisheit postulieren? Wenn die Ergebnisse eben diejenigen sind, die von solchen Mächten hervorgerufen werden, müssen wir dann nicht solche Mächte als deren Ursache annehmen? Welches ist der wahrere Rationalismus – einzugestehen, dass die Produkte der Intelligenz von Intelligenz geschaffen werden, oder darauf zu beharren, dass sie von einer blinden Maschine erschaffen werden, die unbewusst Vollkommenes hervorbringt? Ist es rationaler zuzugeben, dass dem offenen Zutagetreten von Intelligenz im Menschen das spezielle Wirken einer verborgenen Intelligenz im Weltall zugrundeliegt, oder zu behaupten, dass Intelligenz das Ergebnis einer Kraft ist, der sogar das Prinzip der Intelligenz abgeht? Das Paradoxon durch die Feststellung zu rechtfertigen, dass alles in einer bestimmten Weise geschieht, weil es die Natur der Dinge ist, in einer bestimmten Weise zu geschehen, heißt den Verstand zum Narren zu halten. Es führt uns nämlich keinen einzigen Schritt über die bloße Tatsache hinaus, dass alles so geschieht und keiner weiß, warum.
Der eigentliche Grund für die moderne Abneigung gegenüber der Vorstellung, die Natur besäße Intelligenz und Weisheit oder bestünde sogar daraus, ist die ständige Assoziierung von Intelligenz und Weisheit mit einer mental selbstbewussten Persönlichkeit in unserem Denken. Intelligenz, so nehmen wir an, setzt eine intelligente Person voraus, ein Ego, das diese Intelligenz besitzt und benutzt. Eine Prüfung des menschlichen Bewusstseins zeigt, dass diese Ideen-Assoziation ein Irrtum ist. Die Intelligenz besitzt uns, nicht wir sie. Sie benutzt uns, nicht wir sie. Das mentale Ego im Menschen ist eine Schöpfung und ein Instrument der Intelligenz, und die Intelligenz selbst ist eine Naturkraft, die sich in elementarer oder fortgeschrittener Form in der gesamten Tierwelt kundtut. Dieser Einwand erübrigt sich also. Darüber hinaus hat die Wissenschaft selbst gezeigt, indem sie dem Ego seinen rechten Platz als ein Produkt des Mentals zuwies, dass Intelligenz kein Eigentum des Menschen, sondern eine Naturkraft und daher eine Eigenschaft der Natur ist, eine Manifestation der universalen Kraft.
Die Frage ist noch offen, ob es sich um eine grundlegende und allgegenwärtige Eigenschaft handelt oder nur um eine in einer auserwählten Minderheit ihrer Schöpfungen vollzogenen Entwicklung. Auch hier besteht die Schwierigkeit darin, dass wir Intelligenz mit einem organisierten mentalen Bewusstsein in Verbindung bringen. Betrachten und prüfen wir also die Tatsachen, die die Wissenschaft in unser Blickfeld gerückt hat. Wir werden uns auf eine von ihnen beschränken, nämlich die nordamerikanische Venusfliegenfalle, Dionaea Muscipula. Hier ist ein pflanzlicher Organismus, der Hunger bezeugt – sollte man sagen, einen unbewussten Hunger? – und tierische Nahrung benötigt, der fühlt, wann das Opfer in die Falle geht, der sich dann augenblicklich schließt und die Beute ergreift, verzehrt und verdaut und alsdann auf weitere Beute harrt. Dieses Verhalten ist genau das gleiche wie das der mentalen Intelligenz der Spinne. Es ist lediglich der vergleichsweisen Unbeweglichkeit der Pflanze angepasst und, soweit wir feststellen können, auf dieses lebenswichtige Bedürfnis und seine Befriedigung beschränkt. Warum sollten wir also der Spinne mentale Intelligenz zuschreiben, nicht aber der Pflanze? Selbst wenn sie elementar ist und nur zu bestimmten Zwecken organisiert wurde, scheint es doch dieselbe natürliche Kraft zu sein, die sowohl in der Spinne als auch in der Pflanze auf intelligente Weise ein Mittel zu einem Zweck erfindet und das Funktionieren ihrer Erfindung überwacht. Wenn in der Pflanze kein Mental ist, sind mentale Intelligenz und mechanische Intelligenz ihrem Wesen nach unweigerlich ein und dasselbe, und die Ranke, die ihren Halt umschlingt, die Pflanze, die ihre Beute fängt, sowie die Spinne, die ihr Opfer ergreift, sind alle Formen einer einzigen Kraft in Aktion, der wir zwar die Bezeichnung Intelligenz verweigern können, die aber dennoch offensichtlich das Gleiche ist wie Intelligenz. Der Unterschied ist der zwischen einer mental organisierten und einer nicht derart organisierten Intelligenz, die aber mit der ausgesprochenen Reinheit des Elementaren in gewisser Hinsicht sicherer arbeitet als ihre mentale Erscheinungsform. Im Lichte dieser Tatsachen wird die Vorstellung von der Natur als einer unendlichen, zielgerichteten und unterscheidenden Intelligenten Kraft, die weder organisiert noch persönlich ist, da sie aller Organisation und Persönlichkeit vorausgeht, zur höchsten Wahrscheinlichkeit. Die mechanische Theorie bleibt als bloße Möglichkeit. In der Abwesenheit von Gewissheiten verlangt aber die Vernunft von uns, dass wir dem Wahrscheinlichen den Vorrang gegenüber dem nur Möglichen einräumen und dass wir eine harmonische und natürliche Erklärung einer gewaltsamen und widersprüchlichen vorziehen.
Doch ist es so sicher, dass in dieser Intelligenz und ihrem Wirken das Mental eine Besonderheit und das Prinzip der Persönlichkeit – im Gegensatz zum mentalen Ego – gänzlich abwesend ist, außer als ein Ergebnis und ein bequemes Werkzeug des Mentals? Wir vermuten es, weil wir glauben, dass Bewusstsein nur dort existieren kann, wo die für die Tierwelt typischen Merkmale des Bewusstseins vorhanden sind. Auch dies mag eine bloße Annahme sein. Wir haben zu bedenken, dass wir von einem Baum oder einem Stein nichts weiter kennen als seine äußeren Anzeichen des Lebens oder der Ruhe, während unser inneres Wissen auf die Phänomene der menschlichen Psychologie beschränkt ist. Aber selbst auf diesem begrenzten Gebiet gibt es vieles, das uns tief nachdenken und lange innehalten lassen sollte, ehe wir uns zu vorschnellen Verneinungen hinreißen lassen. Da schläft ein Mensch traumlos, wie er meint, doch wissen wir, dass in ihm das Bewusstsein die ganze Zeit über aktiv ist, dass es immerzu träumt. Von seinem Körper und dessen Umgebung weiß er nichts, dennoch verrichtet dieser Körper von allein alle notwendigen Lebensfunktionen. Bei einem in Ohnmacht oder in Trance gefallenen Menschen tritt die gleiche Erscheinung eines geteilten Wesens auf: Sein Bewusstsein ist im Inneren mental aktiv, aber getrennt von seinem Körper, der mental einem Baum oder Stein gleicht, doch vital aktiv ist wie der Baum. Die Katalepsie stellt ein noch eigenartigeres Phänomen dar. Während der Körper gleichsam tot und reglos wie der Stein und nicht einmal vital aktiv ist wie der Baum, ist das Mental völlig seiner selbst, seiner Instrumente und seiner Umgebung gewahr. Es ist lediglich nicht länger im aktiven Besitz seiner Instrumente und deshalb nicht länger fähig, materiell auf seine Umgebung einzuwirken. Wie können wir angesichts dieser Beispiele behaupten, dass kein Leben im Stein ist und kein Mental im Stein oder im Baum? Die Prämisse, aufgrund welcher die Wissenschaft einem Baum mentales Bewusstsein oder einem Stein Leben abstreitet, nämlich dass dort, wo es keine äußeren Anzeichen des Lebens oder der bewussten Mentalität gibt, Leben und Mental nicht existieren, ist nachweislich falsch. Es wäre also möglich und ist angesichts der Einheit der Natur und der in ihren Schöpfungen gegenwärtigen Intelligenz sogar in gewissem Grade wahrscheinlich, dass der Baum und der Stein in ihrer Gesamtheit ebensolche geteilte Wesen sind: eine noch nicht vom bewussten Mental durchdrungene und in Besitz genommene Form und im Inneren eine bewusste Intelligenz, die in sich versunken träumt oder gleich einem Kataleptiker ihrer Umgebung zwar gewahr ist, doch unfähig, irgendein Zeichen des Lebens oder der Mentalität zu geben oder von sich aus auf ihre Umgebung einzuwirken, da sie noch nicht im Besitz ihrer Werkzeuge ist. (Im Kataleptiker ist ja die Intelligenz auch dieser Werkzeuge vorübergehend beraubt.)
Es besteht keine Notwendigkeit, bei dieser relativ hohen Wahrscheinlichkeit stehenzubleiben. Die jüngsten Forschungsergebnisse der Psychologie verleihen ihr nämlich einen so hohen Grad an Gewissheit, dass man schon vom eigentlichen Beweis sprechen kann. Wir wissen jetzt, dass es im Menschen ein vom Wachbewusstsein zu unterscheidendes Traum-Selbst oder Schlaf-Selbst gibt, das im bewusstlosen, betäubten, hypnotisierten oder schlafenden Menschen aktiv ist, das weiß, was das wache Mental nicht weiß, das versteht, was das wache Mental nicht versteht, das sich genau an das erinnert, was zur Kenntnis zu nehmen das wache Mental sich nicht die geringste Mühe machte. Wer ist dieser scheinbare Schläfer in dem, der wacht, dieser Wache im Schlafenden, im Vergleich zu dessen umfassender Aufmerksamkeit, dessen absolutem Gedächtnis, dessen vollkommener Beobachtungsgabe und Intelligenz unser waches Bewusstsein nur ein bruchstückhafter, vorüberfliegender Traum ist? Man beachte diesen äußerst wichtigen Umstand, dass nämlich dieses vollkommenere Bewusstsein in uns nicht das Ergebnis der Evolution sein kann. Nirgendwo in der evolvierten und wachen Welt gibt es solch ein Wesen, das sich automatisch die Klänge einer fremden Sprache merkt und sie wiederzugeben imstande ist – Klänge, die der geschulte Verstand als sinnloses Plappern überhört hat – und das spontan Probleme löst, vor welchen selbst der geschulte Verstand verwirrt und erschöpft kapituliert hat, das alles zur Kenntnis nimmt, alles versteht, sich an alles erinnert. Daher ist dieses innere Bewusstsein von der Evolution unabhängig, und folglich können wir annehmen, dass es der Evolution vorausging. Esa suptesu jagarti heißt es in der Katha Upanishad: „Das ist der Wachende in allen, die schlafen.“
Diese neue psychologische Forschung steckt noch in ihren Kinderschuhen und kann uns nicht sagen, wer oder was dieses verborgene Bewusstsein ist. Dahingegen versetzt uns das durch Yoga erlangte Wissen in die Lage, mit Bestimmtheit zu behaupten, dass es sich dabei um das vollkommene mentale Wesen in uns handelt, den „Führer unseres Lebens und unseres Körpers“, manomayah pranah-sarira-neta. Er ist es, der unsere Evolution lenkt, der aus dem Leben das Mental erweckt und dabei ist, mehr und mehr von diesem vitalisierten Körper – seinem Medium und Werkzeug – Besitz zu ergreifen, auf dass es werde, was es noch nicht ist, nämlich ein vollkommenes Werkzeug des Mentals. Auch im Stein und im Baum, auch in diesen Schläfern ist einer, der wacht. Allerdings hat er in diesen Formen noch nicht für die Zwecke des Mentals von seinen Werkzeugen Besitz ergriffen. Er kann sie nur für die Zwecke der Lebenskraft in ihrem Wachstum oder ihren aktuellen Funktionen benutzen.
Obwohl die moderne Psychologie sich noch der einzigen vernunftgemäßen und logischen Schlussfolgerung, die auf der Grundlage ihrer Daten möglich ist, verschließt, sehen wir doch, wie sie sich unausweichlich und unter dem bloßen Druck der Tatsachen genau auf die Wahrheiten hin bewegt, bei welchen vor Tausenden von Jahren die alten Rishis angelangt waren. Wie waren sie dazu gekommen? Nicht durch Spekulation, wie die Gelehrten sich zu Unrecht vorstellen, sondern durch Yoga. Das Haupthindernis, das der Wissenschaft bisher im Wege gestanden hat, ist ihre Unfähigkeit, in das Innere ihres Untersuchungsgegenstandes einzudringen. Hinzu kommt die ihr auferlegte Notwendigkeit, auf Folgerungen aus der objektiven Forschung aufzubauen. Alle ihre verzweifelten und rücksichtslosen Versuche, diese Unzulänglichkeit durch Vivisektion und andere grausame Experimente wettzumachen, können den Fehler nicht beheben. Yoga macht es uns möglich, ins Innere eines Gegenstandes einzudringen, indem er die künstlichen Barrieren der Körpererfahrung und des mentalen Ego-Sinnes im Beobachter auflöst. Er holt uns aus dem kleinen Lagerraum persönlicher Erfahrungen heraus und wirft uns in die großen universalen Strömungen. Er entfernt die Hülle unseres persönlichen Mentals und macht uns eins mit dem universalen Selbst und dem kosmischen Mental. Auf diese Weise waren die alten Rishis in der Lage zu sehen, was wir nun erneut undeutlich auszumachen beginnen, dass nämlich nicht nur die Natur selbst eine unendliche, zielgerichtete, unterscheidende und unpersönliche Kraft der Intelligenz oder des Bewusstseins ist, prajna prasrta purani2, sondern dass auch Gott als unendliche, universale Persönlichkeit – universal im Universum, individualisiert sowie universal in der einzelnen Form oder dem einzelnen Selbstbewusstsein – in und über der Natur wohnt, ihre gewaltigen und verwickelten Vorgänge beobachtet, sich daran erfreut und sie ihrem Ziel entgegenführt. Es gibt nicht nur Prakriti, es gibt auch den Purusha.
Soweit gelingt es uns also, eine Vorstellung von jener großen Kraft zu gewinnen, die unser Heraustreten aus unserer Natur und unser Eintreten in unsere Übernatur zuwege bringen wird. Es ist eine Macht des Bewussten Seins, die sich in Formen und Bewegungen kundtut und genauso, wie sie gelenkt wird, den uns vorbestimmten Fortschritt von einer Entwicklungsstufe zur nächsten sowie den Willen Gottes in der Welt verwirklicht.

1 Die Natur ist die Kraft des Bewusstseins im unendlichen Sein. Die Vorstellung von einer mechanischen Welt, in der Bewusstsein nur eine Ausnahmeerscheinung ist, ist eine aus unzureichenden Daten abgeleitete übereilte Folgerung.
2 Intelligentes Bewusstsein, welches zu Anbeginn hervortrat. (Shwetashwatara Upanishad)