Warum der Mensch sich selbst in Frage stellt

Weil der Tiger seiner Natur entsprechend handelt und nichts anderes weiß, darum ist er göttlich, und es gibt nichts Schlechtes in ihm. Wenn er sich selbst in Frage stellen könnte, wäre er ein Krimineller.

SRI AUROBINDO

Was wäre der wirklich wahre Zustand für den Menschen? Warum muss er sich in Frage stellen?

Auf der Erde1 ist der Mensch ein Wesen des Übergangs. Deshalb durchlief seine Natur verschiedene Entwicklungen, die in einer Aufeinanderfolge einer aufsteigenden Kurve folgten und ihr weiterhin folgen werden, bis sie die Schwelle zur supramentalen Natur erreichen und er in den Supermenschen (superman) umgewandelt wird.

Diese aufsteigende Kurve ist die Spirale seiner mentalen Entwicklung. Wir bezeichnen jede spontane Erscheinung als „natürlich“, die nicht das Ergebnis einer Wahl ist oder einer vorher überlegten Entscheidung, das heißt, das was ohne eine mentale Einflussnahme geschieht. Deshalb erscheint ein Mensch „natürlicher“, wenn er über eine gefühlsmäßige Spontaneität verfügt, die sehr wenig von mentalen Gedanken beeinflusst wird. Aber diese Natürlichkeit ähnelt sehr der eines Tieres und befindet sich am untersten Ende der menschlichen evolutionären Entwicklung. Er wird diese Spontaneität, die frei von jeglichem mentalen Eingriff ist, in anderer Form erst dann wieder erlangen, wenn er die supramentale Stufe seiner Entwicklung erreicht hat, das heißt, wenn er das Denken überschreitet und in der höheren Wahrheit lebt.

Bis dann ist all sein Verhalten „natürlich“! Aber mit der Entwicklung des Denkens wurde die Evolution, man kann nicht sagen verbogen, aber verzerrt, weil das Denken durch die ihm eigene Natur offen für Perversionen ist, und es war beinahe von Anfang seiner Entwicklung an pervertiert oder genauer gesagt, es wurde durch die asurischen (Asura) Kräfte pervertiert. Und dieser Zustand der Perversion weckt in uns den Eindruck, dass es unnatürlich ist.

Warum er, der Mensch, sich selbst in Frage stellt? Einfach deshalb, weil das die Natur des Denkens ist!

Mit der Entwicklung des Denkens begann die Individualisierung des Menschen und brachte ein sehr stechendes Gefühl der Trennung mit sich, sowie eine mehr oder weniger genaue Empfindung der Freiheit, eine Wahl treffen zu können – all das, all diese psychologischen Zustände sind die natürlichen Konsequenzen des mentalen Lebens und sie öffnen die Tür zu allem, was wir jetzt sehen, von Irrtümern bis zu den rigidesten mentalen Prinzipien. Der Verstand hat den Eindruck, zwischen einer Sache und einer anderen wählen zu können, aber dieser Eindruck ist die verzerrte Wiedergabe eines wahreren Prinzips, das nur dann vollständig realisierbar wäre, wenn die Seele oder das psychische Wesen im Bewusstsein aktiv werden würde und die Führung der Entwicklung des Menschen übernehmen würde. Dann würde das Leben des Menschen wirklich die Manifestation des höchsten Willens werden, der sich individuell und bewusst ausdrückt. Aber im normalen menschlichen Zustand ist das extrem außergewöhnlich, sodass es dem normalen menschlichen Bewusstsein überhaupt nicht natürlich vorkommt – es scheint beinahe etwas Übernatürliches zu sein!

Der Mensch stellt sich deshalb in Frage, weil das Instrument seiner Mentalität dazu bestimmt ist, alle Möglichkeiten einer Sache zu erkennen. Und die unmittelbare Konsequenz daraus ist die Vorstellung von Gut und Böse oder dem, was richtig oder falsch ist und all dem Elend, das daraus folgt. Man kann nicht sagen, dass das etwas Schlechtes ist, es ist ein zwischenzeitlicher Zustand der menschlichen Entwicklung – kein angenehmer, aber immerhin… einer der sicherlich unvermeidlich war für die Entwicklung des menschlichen Denkens.

DIE MUTTER, CWSA 12:429

1 Mutter fügte hinzu: „Diese Einzelheit ist nicht unbedeutend. Ich sagte „auf der Erde“, das bedeutet, dass der Mensch nicht nur zur Erde gehört, in seiner Essenz ist der Mensch ein universales Wesen, aber er hat einen besonderen Platz in der Manifestation der Schöpfung auf der Erde.“