Erläuterungen der Mutter 1

Weiter kann man zugestehen, dass jede Art oder jedes Modell von Bewusstsein und Wesen im Körper, wenn sie einmal fest geformt sind, dem Wesensgesetz dieser Art, ihrem eigenen Entwurf und Gesetz treu bleiben müssen. Es mag aber auch sehr wohl sein, dass eine Seite des Gesetzes der menschlichen Art ihr Drang ist, über sich selbst hinauszukommen, und dass für die Mittel zum bewussten Über-sich-Hinausgehen unter den spirituellen Kräften des Menschen gesorgt ist. Der Besitz einer solchen Befähigung mag ein Teil des Planes sein, nach dem die schöpferische Energie ihn gebildet hat. Man kann zugeben, dass der Mensch bis jetzt hauptsächlich nur im Umkreis seiner Art, auf einer Spirale der Natur-Bewegung aktiv gewesen ist, die ihn manchmal in die Höhe, manchmal in die Tiefe führte, dass es aber keine gerade Linie des Fortschritts, kein unbestreitbares, fundamentales oder radikales Hinausgehen über seine vergangene Natur gegeben hat. Er hat lediglich seine Befähigungen geschärft, verfeinert, umfassender und elastischer verwendet. Man könnte weiß Gott nicht sagen, seit der Mensch erschienen ist oder seit den Tagen dokumentierbarer Geschichte habe es nicht so etwas wie einen menschlichen Fortschritt gegeben. Denn wie groß auch die Menschen des Altertums gewesen seien, wie hervorragend manche ihrer Schöpfungen und Errungenschaften, wie eindrucksvoll gewisse Leistungen an Spiritualität, Intellekt und Charakter waren, so habe es in den späteren Entwicklungen doch eine zunehmende Verfeinerung, umfassenderen Reichtum, vielfältigere Entfaltung an Wissen und Können in den Errungenschaften des Menschen, in seiner Politik, Gesellschaft, in seinem Leben, seiner Wissenschaft, Metaphysik, seinen Erkenntnissen auf allen Gebieten, seiner Kunst und Literatur gegeben. Auch wenn die Macht seiner Spiritualität nicht so erstaunlich erhaben und weniger gewaltig war als die der Erleuchteten früherer Zeiten, so war sein spirituelles Bemühen doch ausgezeichnet durch Feinheit, vielseitige Gestaltungskraft, Eindringen in die Tiefen und Ausweitung des Suchens. Es hat Zeiten des Absinkens von einem hohen Kulturtypus gegeben, einen zeitweiligen tiefen Abfall in einen gewissen Obskurantismus, ein Nachlassen des spirituellen Strebens und Abstürze in einen barbarischen naturalistischen Materialismus. Das waren aber nur vorübergehende Phänomene, schlimmstenfalls eine nach unten verlaufende Kurve der Fortschrittsspirale. Sicher habe dieser Fortschritt die Menschenrasse noch nicht über sich selbst emporgetragen, so dass sie über sich hinauskommen und das mentale Wesen transformieren konnte. Aber das durfte man auch nicht erwarten. Denn das Wirken der evolutionären Natur in einer Art von Wesen und Bewusstsein besteht zuerst darin, diese Art gerade durch Verfeinerung und zunehmende Vielseitigkeit bis zur äußersten Befähigung zu entfalten, bis sie ihre Schale sprengen kann, so dass das ausreifende Bewusstsein entscheidend hervortritt, sich umwandelt und so auf sich selbst einwirkt, dass es auf eine neue Stufe der Evolution hinwirkt. Setzt man voraus, dass der nächste Schritt der Natur das spirituelle und supramentale Wesen ist, dann kann man das Drängen zur Spiritualität in der Menschheit als ein Zeichen dafür nehmen, dass dies die Absicht der Natur, aber auch ein Hinweis darauf ist, dass der Mensch die Fähigkeit hat, den Übergang in sich durchzuführen oder der Natur zu helfen, den Übergang zu bewerkstelligen. Wenn es die Methode der Entwicklung des Menschen war, dass im Tierwesen eine Art erschien, die in manchen Beziehungen der Affenart ähnlich, aber schon von Anfang an mit den Elementen des Menschseins begabt war, dann könnte es für das evolutionäre Erschaffen eines spirituellen und supramentalen Wesens die deutlich erkennbare Methode der Natur sein, dass im menschlichen Wesen ein spiritueller Typus erscheint, der einem mental-tierhaften Menschen ähnlich ist, aber schon durch sein spirituelles Streben geprägt ist. (The Life Divine, S. 841-42)

Etwas erscheint klar, nämlich, dass die Menschheit gewissermaßen vor einer Zerreißprobe steht, sie ist an einem Punkt allgemeiner Angespanntheit angelangt: Anspannung bei der Leistung, Anspannung im Handeln, Anspannung im alltäglichen Leben, sowie an einem derart übersteigerten Aktivismus, einer so weitverbreiteten Ruhelosigkeit, dass das gesamte Menschengeschlecht ein Stadium erreicht zu haben scheint, wo der Mensch entweder einen Widerstand durchbrechen und in ein neues Bewusstsein aufsteigen muss oder in den Abgrund der Dunkelheit und Trägheit zurückfällt.

Diese Spannung ist so umfassend und so allgemein verbreitet, dass offensichtlich etwas brechen muss. So kann es nicht weitergehen. Man kann das als sicheres Zeichen für das Einströmen eines neuen Kraft-, Bewusstseins- und Machtprinzips in die Materie auffassen, das gerade durch seinen Druck diesen kritischen Zustand hervorbringt. Äußerlich könnte man die alten Mittel erwarten, die die Natur anwendet, wenn sie einen Umsturz herbeiführen will. Aber da erscheint ein neuer charakteristischer Zug, der offenbar nur bei einer Elite sichtbar ist, doch auch diese Elite ist ziemlich verbreitet – sie ist nicht an einem Punkt, an einem Ort der Welt lokalisiert, man findet Zeichen in allen Ländern, auf der ganzen Erde: den Willen, eine nach oben weisende, neue, höhere Lösung zu finden, eine Bemühung, sich zu einer größeren, umfassenderen Vollkommenheit zu erheben.

Bestimmte Ideen allgemeinerer, ausgedehnterer, kollektiverer Natur, so könnte man sagen, sind im Begriff, Gestalt anzunehmen und in der Welt zu wirken. Und die beiden gehen Hand in Hand: eine größere und umfassendere Möglichkeit der Zerstörung, eine Erfindung, die die Möglichkeit der Katastrophe bestürzend vergrößert, einer Katastrophe weit gewaltiger denn je, und zu gleicher Zeit die Entstehung oder vielmehr die Offenbarung viel höherer und umfassenderer Ideen und Wille, die, wenn sie verstanden werden, eine weiterreichende, vollständigere und vollkommenere Lösung bringen als vorher.

Dieses Ringen zwischen den konstruktiven Kräften der aufsteigenden Evolution, der immer vollkommeneren göttlichen Verwirklichung und den immer zerstörerischeren Kräften – die mit Macht zerstörerisch sind, Kräfte eines Wahnsinns, der sich jeder Kontrolle entzieht –, dieser Konflikt wird immer offenkundiger, markanter, sichtbarer, es ist sozusagen ein Wettkampf oder Ringen, wer zuerst an das Ziel gelangt. Es scheint, als seien alle feindlichen, antigöttlichen Kräfte, die Kräfte der vitalen Welt auf die Erde herabgestiegen, um sie als Aktionsfeld zu benutzen, und gleichzeitig sei eine höhere, mächtigere, neue spirituelle Kraft ebenfalls auf die Erde herabgestiegen, um ihr ein neues Leben zu bringen. Dadurch wird das Ringen heftiger, gewaltsamer, sichtbarer, es scheint aber auch endgültiger, und deshalb können wir hoffen, demnächst zu einer Lösung zu kommen.

Es ist noch nicht so lange her, da war die spirituelle Sehnsucht des Menschen einem stillen, inaktiven, von allen Dingen dieser Welt losgelösten Frieden zugewandt, einer Flucht aus dem Leben, eben um den Kampf zu vermeiden, um sich über den Streit zu erheben, um sich von der Anstrengung zu befreien. Das war ein spiritueller Friede, bei dem mit dem Aufhören der Spannung, des Ringens, der Anstrengung auch das Leiden in allen seinen Formen aufhörte, und dies wurde als der wahre, der einzige Ausdruck des spirituellen und göttlichen Lebens angesehen. Dies galt als göttliche Gnade, göttliche Hilfe, das göttliche Eingreifen. Und noch heute, in dieser Zeit der Angst, der Spannung, der Überspannung, ist dieser souveräne Friede von allen Hilfen die am besten aufgenommene, die willkommenste, die Linderung, die verlangt und erhofft wird. Noch ist er für viele das echte Zeichen des göttlichen Eingreifens, der göttlichen Gnade.

Was man auch verwirklichen will, man muss tatsächlich damit anfangen, diesen vollkommenen und unwandelbaren Frieden begründen, er ist die Grundlage, auf der gearbeitet werden soll. Aber dabei kann man es nicht bewenden lassen, außer man denkt an eine ausschließlich persönliche und egoistische Befreiung. Es gibt einen anderen Aspekt der göttlichen Gnade, den Aspekt des Fortschritts, der den Sieg über alle Hindernisse erringt, der Aspekt, der die Menschheit in eine neue Verwirklichung schickt, der die Pforten einer neuen Welt öffnet, der bewirkt, dass nicht nur einige Auserwählte in den Genuss der göttlichen Verwirklichung kommen, sondern dass deren Einfluss, Beispiel und Macht auch die übrige Menschheit in eine neue und bessere Lage versetzt.

Das öffnet Wege der Verwirklichung in die Zukunft, Möglichkeiten, die schon geahnt werden, wobei ein ganzer Teil der Menschheit, der ganze, der bewusst oder unbewusst für die neuen Kräfte offen ist, gleichsam zu einem höheren, harmonischeren, vollkommeneren Leben erhoben wird… Auch wenn dabei individuelle Umwandlungen nicht immer gestattet oder möglich sind, wird es eine Art Gesamtanhebung, eine Harmonisierung des Ganzen geben, so dass sich eine neue Ordnung, eine neue Harmonie einrichten können und die Angst vor der Unordnung und den gegenwärtigen Kämpfen verschwinden kann und durch eine Ordnung ersetzt wird, die ein harmonisches Funktionieren des Ganzen erlaubt.

Andere Auswirkungen sind auf einem entgegengesetzten Weg auf das Verschwinden dessen gerichtet, was durch das Eingreifen des Mentals in das Leben an Perversion, Hässlichkeit, einen ganzen Komplex an Deformation entstand, wodurch das Leiden, das Elend, die moralische Armut, ein ganzer Bereich schäbigen und abstoßenden Elends, nur noch verschlimmert wurde, was aus einem großen Teil des menschlichen Lebens etwas so Entsetzliches macht. Das muss verschwinden. Das macht aus der Menschheit in so vielen Punkten etwas unendlich viel Tieferstehendes als es das Tierleben in seiner Einfachheit und trotz allem in seiner spontanen Natürlichkeit und Harmonie ist. Nie ist das Leiden bei den Tieren so elend, so schmutzig wie bei einem ganzen Teil der Menschheit, der durch die Anwendung einer ausschließlich für egoistische Bedürfnisse eingesetzten Mentalität verdorben wurde.

Wir müssen nach oben steigen, uns in das Licht und die Harmonie erheben, oder nach unten zurückfallen in die Einfachheit eines animalischen und gesunden Lebens ohne Perversion.

Bei der ersten Veröffentlichung dieses Gesprächs 1958 fügte die Mutter folgendes zur „Anhebung“ eines ganzen Teils der Menschheit unter der Wirkung der neuen Kräfte hinzu:

Aber die, die nicht erhoben werden können, die den Fortschritt ablehnen, werden automatisch den Gebrauch des mentalen Bewusstseins verlieren und auf eine subhumane Stufe zurückfallen.

Ich will dir eine Erfahrung mitteilen, die ich hatte, und die dir helfen wird, besser zu verstehen. Es war kurze Zeit nach der supramentalen Erfahrung vom 3. Februar, und ich war noch in diesem Zustand, in dem die Dinge der physischen Welt so fern, so absurd erschienen. Eine Gruppe von Besuchern hatte um Erlaubnis gebeten, mich zu begrüßen, und sie kam eines Abends auf den Playground. Es waren reiche Leute, das heißt sie hatten mehr Geld, als sie fürs Leben brauchten. Unter ihnen war eine Frau in einem Sari. Sie war sehr dick, ihr Sari war so angeordnet, dass er ihren Körper kaschierte. Als sie sich neigen wollte, um meine Segnung zu empfangen, öffnete sich eine Ecke des Saris und deckte einen Teil ihres Körpers auf, einen nackten Bauch – einen riesigen Bauch. Das traf mich wie ein Schock. Es gibt dickleibige Leute, die nichts Abstoßendes haben, aber ich sah plötzlich die Perversion, die Fäulnis, die dieser Bauch verbarg, er war wie ein riesiger Abszess, der die Lüsternheit, das Laster, die Verderbtheit des Geschmacks, die gemeine Gier ausdrückte und der sich mit Plumpheit und vor allem mit Perversion befriedigt, wie kein Tier es tut. Ich sah die Verkommenheit eines verdorbenen Mentals, das den niedrigsten fleischlichen Begierden zu Diensten stand. Da schoss plötzlich etwas aus mir empor, ein Gebet, wie ein Veda: „O Herr, das muss verschwinden!“

Man versteht sehr gut, dass das physische Elend, die Ungleichheit der Güterverteilung dieser Welt, geändert werden könnte, man stellt sich wirtschaftliche und soziale Lösungen vor, die Abhilfe schaffen könnten, aber dieses Elend, das mentale Elend, die vitale Perversion, die können sich nicht ändern, sie wollen sich nicht ändern. Und die, die zu dieser Art von Menschheit gehören werden, sind von vornherein zum Zerfall verurteilt.

Das ist der Sinn der Erbsünde: die Perversion, die mit dem mentalen Geist begann.

Der Teil der Menschheit, des menschlichen Bewusstseins, der in der Lage ist, sich mit dem Supramental zu vereinen und sich zu befreien, wird vollständig transformiert – er rückt zu einer künftigen Wirklichkeit vor, die in ihrer äußeren Form noch nicht ausgedrückt ist. Der Teil, der der tierhaften Einfachheit der Natur ganz nahe ist, wird wieder in die Natur aufgenommen und fest assimiliert. Aber dieser korrumpierte Teil des menschlichen Bewusstseins, der durch seinen schlechten Gebrauch des Mentals die Perversion gestattet, wird abgeschafft.

Diese Art von Menschheit gehört zu einem unfruchtbaren Versuch – der zu beseitigen ist –, wie es andere misslungene Spezies gegeben hat, die im Lauf der Weltgeschichte verschwunden sind.

Einige Propheten der Vergangenheit hatten diese apokalyptische Vision, aber wie üblich wurden die Dinge vermischt, und bei ihrer Vision der Apokalypse fehlte ihnen die Schau der supramentalen Welt, die den zustimmenden Teil der Menschheit erheben und diese physische Welt umwandeln wird. Um also denen, die da drinnen, in diesem pervertierten Teil des menschlichen Bewusstseins, geboren sind, eine Hoffnung zu geben, lehrten sie die Erlösung durch den Glauben: Die an das Opfer des Göttlichen in der Materie glauben, werden automatisch gerettet, in einer anderen Welt – der Glaube ganz allein, ohne das Verständnis, ohne die Einsicht. Sie sahen die supramentale Welt nicht und auch nicht, dass das große Opfer des Göttlichen in der Materie die Involution ist, die in der totalen Offenbarung des Göttlichen in der Materie selbst enden muss.

19. März 1958

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