
Das Verlangen zu verschlingen
Aber es heißt auch, dass der erste Ausdruck von Liebe in Lebewesen Verlangen ist, zu verschlingen. Man will absorbieren, wünscht zu verschlingen. Es gibt ein Beispiel, das zu beweisen scheint, dass dies nicht ganz falsch ist – das heißt, wenn der Tiger seine Beute schnappt oder die Schlange ihr Opfer, dann geschieht es, dass sowohl die Opfer von Tiger und Schlange sich in einer Art Freude des Verschlungenwerdens ergeben. Man berichtet die Erfahrung eines Mannes, der mit seinen Freunden im Busch war, etwas zurückblieb und von einem Tiger, einem Menschenfresser gepackt wurde. Die anderen kamen zurück, als sie sahen, dass er nicht da war. Sie sahen die Spuren. Sie rannten hinter ihm her, gerade noch rechtzeitig, um den Tiger daran zu hindern, ihn zu fressen. Als der Mann wieder zu sich kam, sagten sie ihm, er müsse wohl eine furchtbare Erfahrung durchgemacht haben. Er sagte: „Nein, stellt euch nur vor, ich weiß gar nicht, was mit mir geschah; sobald der Tiger mich packte, und während er mich wegschleppte, empfand ich intensive Liebe für ihn und ein großes Verlangen, von ihm gefressen zu werden!“
Dies ist wirklich wahr, es ist keine Erfindung. Es ist eine wahre Geschichte.
Ja, ich sah es mit eigenen Augen. Ich denke, ich habe euch diese Geschichte schon erzählt – die Geschichte vom kleinen Kaninchen, das in den Käfig einer Python gesetzt worden war. Es war im Käfig im Jardin des Plantes in Paris. Es war der Tag des Frühstücks für die Schlange. Ich war zufällig dort. Der Käfig wurde geöffnet, das kleine weiße Kaninchen hineingesetzt. Es war ein hübsches kleines weißes Kaninchen und es floh sofort zum anderen Ende des Käfigs und zitterte enorm. Es war ein furchtbarer Anblick, denn das Kaninchen wusste gut, was geschah, es hatte die Schlange gefühlt, es wusste sehr gut, was es erwartete. Die Schlange lag zusammengerollt auf der Matte. Sie schien zu schlafen. Dann streckte sie sehr ruhig ihren Hals und Kopf vor und begann, das Kaninchen anzuschauen. Sie sah es reglos an – blickte es nur an. Ich betrachtete das Kaninchen, das zuerst aufhörte zu zittern; es hatte keine Angst mehr. Es war ganz zusammengezogen und begann sich vom Schreck zu erholen. Dann sah ich, wie es seinen Kopf anhob, seine Augen weit öffnete und die Schlange ansah, und langsam, sehr langsam ging es zu ihr hin, bis es sich genau in der richtigen Entfernung befand. Dann packte die Schlange es mit einem einzigen Vorschnellen – ohne jede Störung, ohne sich auch nur zu entrollen, indem sie einfach blieb, wo sie war – hopp! nahm sie es. Und dann begann sie es zu rollen, für die Mahlzeit vorzubereiten. Das tat sie nicht, um mit ihm zu spielen. Sie bereitete es gründlich vor. Sie zerbrach sorgfältig alle Knochen, ließ sie krachen; dann beschmierte sie es mit einer Art klebriger Substanz, um es ganz schlüpfrig zu machen. Und als alles bereit war, begann sie es langsam, bequem zu verschlingen… Aber sie musste dafür keine Anstrengung unternehmen, sie musste nicht die geringste Bewegung machen außer der einen schnellen, um es zu packen, als es vor ihr stand. Das andere Geschöpf war zu ihr gekommen.
So geschah es also. In der Tat gibt es viele Dinge in der Natur. Es gibt dies, es gibt vielleicht auch schlechten Willen. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob es nicht eine jener Gaben ist, die die mentale Aktivität dem Menschen eingebracht hat… sobald er von seinem Instinkt getrennt wurde und unabhängig handeln wollte…
Die Mutter

Der Affe und der Wein
Perversion ist eine menschliche Krankheit, sie taucht nur sehr selten bei Tieren auf, und dann nur bei Tieren, die dem Menschen nahe gekommen sind und daher von seiner Perversion verdorben wurden.
Es gibt eine Geschichte von einigen Offizieren in Nordafrika, in Algerien, die einen Affen adoptiert hatten. Der Affe wohnte bei ihnen und eines Tages beim Abendessen hatten sie eine groteske Idee und gaben dem Affen etwas zu trinken. Sie gaben ihm Alkohol. Der Affe sah zuerst die anderen trinken, das schien ihm etwas sehr Interessantes, und er trank ein Glas, ein volles Glas Wein. Daraufhin wurde er krank, äußerst krank, er wälzte sich schmerzverkrampft unter dem Tisch und war wirklich in einer argen Situation. So gab er den Menschen ein Beispiel der spontanen Wirkung von Alkohol, wenn die physische Natur noch nicht pervertiert ist. Er starb beinahe an Vergiftung. Er erholte sich. Und einige Zeit später wurde ihm wieder erlaubt, zum Abendessen zu kommen, da er sich erholt hatte, und jemand stellte ihm ein Glas Wein hin. Der Affe griff es mit furchtbarem Zorn und schmiss es dem Mann, der es ihm gegeben hatte, an den Kopf… Dadurch demonstrierte er, dass er viel klüger als die Menschen war!
Es ist gut, wenn man in frühem Alter zu lernen beginnt, dass Vernunft der Meister im eigenen Haus sein muss, wenn man ein effektives Leben führen und ein Maximum aus dem eigenen Körper herausholen möchte. Und es ist hier nicht die Frage von Yoga oder höherer Verwirklichung, es ist etwas, was man überall lehren sollte, in jeder Schule, jeder Familie, jedem Heim: der Mensch wurde zu einem mentalen Wesen gemacht, und um bloß ein Mensch zu sein – wir sprechen nicht von irgendetwas anderem, wir sprechen nur davon, ein Mensch zu sein, – muss das Leben von der Vernunft dominiert werden und nicht von vitalen Impulsen. Dies sollte man Kindern von frühestem Alter an beibringen. Wenn man nicht von der Vernunft dominiert wird, so ist man eine Bestie, tiefer als Tiere; denn diese haben keinen mentalen Geist oder Verstand, der sie dominieren könnte, sondern sie gehorchen dem Instinkt der Spezies. Es gibt einen Instinkt der Spezies, der ein äußerst vernünftiger Instinkt ist, welcher all ihre Aktivitäten zu ihrem eigenen Besten reguliert, und automatisch, ohne dass sie es wissen, sind sie diesem Instinkt der Spezies unterworfen, der vom Standpunkt jener Spezies aus, ja jeder Spezies, ganz und gar vernünftig ist. Und jene Tiere, die aus dem einen oder anderen Grund davon frei werden – wie ich vorhin gerade sagte, jene, die in der Nähe des Menschen leben und dem Menschen zu gehorchen beginnen, anstatt dem Instinkt der Spezies – werden pervertiert und verlieren die Eigenschaften ihrer Spezies. Aber ein Tier, das seinem natürlichen Leben überlassen bleibt und frei von menschlichem Einfluss ist, ist von seinem eigenen Standpunkt aus ein äußerst vernünftiges Wesen, denn es tut nur Dinge, die im Einklang mit seiner Natur und seinem eigenen Besten stehen. Natürlich stößt ihm dann und wann etwas zu, weil es sich ständig mit anderen Spezies im Krieg befindet, aber es selbst handelt nicht töricht. Dummheiten und Perversion beginnen mit einem bewussten Mentalen und der menschlichen Spezies. Es ist der falsche Gebrauch, den der Mensch von seiner mentalen Kapazität macht. Perversion beginnt mit der Menschheit.
Die Mutter
