Das Supramentale und das Lichtmentale

Das Supramentale ist seinem wesentlichen Charakter nach ein Wahrheitsbewusstsein, das durch sein eigenes Licht weiß, kraft seiner ihm innewohnenden Natur; es braucht nicht zu Wissen zu gelangen, es besitzt es. Es mag allerdings, besonders während seines evolutionären Wirkens, das Wissen hinter seinem sichtbaren Bewusstsein zurückhalten und erst von dort nach vorne bringen, als käme es hinter einem Schleier hervor; aber auch dann ist dieser Schleier nur Schein und hat keine Wirklichkeit: Das Wissen war immer da, das Bewusstsein ist sein Besitzer und nun sein Enthüller. Und auch das findet nur im Evolutionsspiel statt, denn auf der supramentalen Ebene selbst lebt das Bewusstsein immer in vollem unmittelbarem Wissen und handelt auch aus dieser Unmittelbarkeit des Wissens heraus. Auf unserer mentalen Ebene hier spielt sich alles ganz anders ab; hier beginnt das Denken bei offensichtlicher Abwesenheit von Wissen, bei scheinbarem Unwissen oder Nichtwissen, in der materiellen Natur sogar bei einer Unbewusstheit, in der so etwas wie Wissen überhaupt nicht zu existieren scheint. Es kommt zu Wissen oder zum Erkenntnisakt durch Schritte, die keineswegs direkt sind, ja Erkenntnis scheint sogar der eigentlichen Substanz dieser Materie zunächst absolut unmöglich und fremd zu sein. Und doch gibt es in der Blindheit der Materie selbst Zeichen eines verborgenen Bewusstseins, das in seinem versteckten fundamentalen Sein sieht und die Kraft hat, seiner Vision gemäß zu handeln, und dies sogar mit einer unfehlbaren Unmittelbarkeit, die zu seiner Natur gehört. Dies ist dieselbe Wahrheit, die sich auf der Ebene des Supramentalen offenbart, nur ist sie hier involviert und scheint deshalb nicht zu existieren. Das Licht-Denken ist eine untergeordnete Aktion des Supramentalen, von dem es abhängt, – auch dann, wenn es nicht unmittelbar von ihm herzukommen scheint –, in der das Geheimnis dieser Verbindung offenbar und greifbar wird.

Das Wahrheitsbewusstsein ist nicht nur eine Kraft der Erkenntnis: es ist ein Wesen des Bewusstseins und des Wissens, voll leuchtender vielseitiger Wirkungskräfte und ein Spiel des allwissenden Geistes; in ihm kann es spirituelles Fühlen, spirituelle Empfindung und spirituelle Wesenhaftigkeit der Substanz geben, die weiß und enthüllt, die handelt und offenbart, in einem Allwissen, das eins ist mit der Allmacht. Im Mentalen kann es dieses Wahrheitsbewusstsein mit seinen Auswirkungen ebenfalls geben, und obwohl es sich hier begrenzt, anpasst und indirekt wirkt, kann sein Wirken im wesentlichen dasselbe sein. Es kann sogar schon jene versteckte Unmittelbarkeit geben, die auf die Gegenwart von etwas Absolutem hinweist und für dessen Allmacht und Allwissen Zeugnis ablegt. Wenn das Lichtmentale allumfassend wird, enthüllt sich dieser Charakter der Wahrheit, wenn auch in einem Gewand, das durchsichtig ist, selbst wenn es zu verhüllen scheint; denn auch das ist ein Wahrheitsbewusstsein und in sich selbst eine Macht des Wissens. Auch dies geht vom Supramentalen aus und hängt von ihm ab, obwohl es beschränkt und untergeordnet ist. Was wir als das spezifische Lichtmentale bezeichnet haben, ist tatsächlich die letzte in einer Reihe von aufeinanderfolgenden Bewusstseinsebenen, auf der das Supramentale sich in eine selbstgewollte Begrenzung hüllt oder hinter einer Abwandlung seiner sich selbst offenbarenden Aktivitäten verschleiert; sein wesentlicher Charakter aber bleibt derselbe: wirkendes Licht, wirkende Wahrheit und wirkendes Wissen, in denen das Unbewusste, die Unwissenheit und der Irrtum keinen Platz beanspruchen. Es schreitet von Erkenntnis zu Erkenntnis; denn hier haben wir die Schwelle vom Wahrheitsbewussten zum Unwissen noch nicht überschritten. Die Methoden sind ebenfalls diejenigen eines aus sich selbst leuchtenden Wissens, Sehens und Fühlens, einer sich selbst vollendenden Tätigkeit innerhalb ihrer eigenen Grenzen; man braucht nicht nach etwas Fehlendem zu suchen, nicht herumzutasten oder Bedenken zu haben: Alles ist noch das Wirken einer gnostischen Macht und eines gnostischen Prinzips. Aus dem vollen Supramentalen hat es eine Herabkunft in das Mentale gegeben, und obwohl dieses Mentale sich selbst begrenzt hat, ist es doch kein agnostisches Bewusstsein, das seiner selbst und seines Wirkens unsicher wäre: es ist immer noch ein verstehendes oder begreifendes Bewusstsein, das direkt auf sein Ziel zugeht, ohne es zu verfehlen, oder ohne dass es in einem dunklen oder ungenügenden Lichte danach jagen müsste: Es sieht, erkennt und begreift noch unmittelbar die Dinge des Selbst und die Dinge der Natur. Wir haben die Stufe des Mentalen betreten, aber das Mentale hat seine innere Verbindung mit dem supramentalen Prinzip noch nicht abgebrochen.

Und doch gibt es hier schon eine wachsende Selbstbegrenzung, die bereits beim Übermentalen anfängt: Das Übermentale ist nur durch einen leuchtenden Saum von dem vollen Licht und der vollen Macht der supramentalen Wahrheit getrennt und beherrscht noch den direkten Zugang zu allem, was das Supramentale ihm geben kann. Auf jeder Stufe vom Übermentalen abwärts zur Intuition, von der Intuition zum Erleuchteten Mentalen und vom Erleuchteten Mentalen zu dem, was ich das Höhere Mentale genannt habe, gibt es weitere Begrenzungen oder Veränderungen des charakteristischen Wirkens: Das Licht-Mentale ist eine Übergangsstufe, über die wir vom Supramentalen und der Über-Menschheit zu einer erleuchteten Menschheit gelangen. Denn die neue Menschheit wird einer zumindest teilweise vergöttlichten Art des Sehens und des Lebens fähig sein, denn sie wird im Lichte und in der Erkenntnis leben und nicht mehr in der Finsternis der Unwissenheit.

Und wiederum gibt es einen Unterschied zwischen dem Menschlichen und dem Übermenschlichen, einen Unterschied in der Natur und in der Macht, besonders aber einen Unterschied im Zugang und in der Art, wie das Wahrheitsbewusstsein und sein Wirken zugelassen werden: es kann tatsächlich zwei verschiedene Ordnungen seiner Wahrheit geben, eine unmittelbare und eine mittelbare, eine direkte und nahe und eine, die einem Empfangen von weither gleichkommt. Aber das müssen wir später untersuchen; im Moment genügt es festzuhalten, dass es bestimmte Unterschiede in der absteigenden Ordnung des gnostischen Mentalen gibt, das hier seinen Gipfel erreicht. Man könnte sagen, dass es eine obere Hemisphäre unseres Seins gibt, in der das Mentale noch im Lichte lebt, leuchtend und seines eigenen Wirkens bewusst, und wo es als eine abgeordnete Kraft des Supramentalen betrachtet werden kann; es ist da immer noch ein Agent des Supramentalen, eine gnostische Macht, die noch nicht in das mentale Unwissen herabgestiegen ist; es ist einer mentalen Gnosis fähig, die ihre Verbindung mit dem höheren Licht beibehalten hat und aus dessen Macht handelt. Das ist der Charakter des Übermentalen auf seiner eigenen Ebene und all der Kräfte, die vom Übermentalen abhängen: Das Supramentale ist da am Werk, aber auf einer Stufe, die es zwar aus sich geboren hat, die aber doch nicht länger gänzlich es selbst ist, wenn auch immer noch ein Träger der Wahrheit und mit seiner Autorität ausgestattet. Wir bewegen uns auf eine Übergangszone zu, hinter der die Unwissenheit zwar grundsätzlich möglich ist, sich aber noch nicht manifestiert. In der Ordnung der abwärtsführenden Stufenleiter der Evolution stehen wir im Lichtmentalen an eben dieser Grenze, und ein Schritt abwärts kann uns dahin bringen, wo die Unwissenheit anfängt, aber immer noch etwas von dem Leuchten auf ihrem Antlitz trägt, das sie hinter sich gelassen hat. Umgekehrt durchqueren wir in der aufsteigenden Leiter der Evolution eine Zone, in der wir das Licht sehen und ihm zugewandt sind, wo es sich in unserem Bewusstsein spiegelt und wo ein weiterer Schritt genügt, uns in das Reich des Lichtes zu tragen. Die Wahrheit wird uns sichtbar und hörbar, wir empfangen unmittelbar ihre Botschaften und Erleuchtungen, wir können in sie hineinwachsen und mit ihrer Substanz einswerden. So gibt es eine Folge von Bewusstseinsebenen, die wir noch als das Mentale bezeichnen können, die aber praktisch der oberen Hemisphäre angehören, obwohl sie, ihrem ontologischen Standort nach, dem Bereich der unteren Hemisphäre angehören. Denn die Ganzheit des Seins ist eine zusammenhängende Totalität, in der es keinen plötzlichen Übergang vom Prinzip der Wahrheit und des Lichtes zu deren Gegenteil gibt. Die schöpferische Wahrheit in den Dingen wirkt und kann sogar im Unbewussten unfehlbar wirken: Der Geist lebt in der Materie; er hat eine Serie von Stufen geschaffen, durch die er sich von ihr aus in ununterbrochenem Aufstieg zu seinen eigenen Höhen begeben kann: Die Tiefen sind mit den Höhen verbunden, und das Gesetz der einen Wahrheit schafft und wirkt überall.

Sogar in der materiellen Welt, die uns eine Welt der Unwissenheit zu sein scheint, eine Welt, in der eine blinde und unbewusste Kraft am Werke ist, die im Unbewussten ihren Ausgang nimmt, durch das Unwissen hindurch mit Mühe zu einem unvollkommenen Licht und Wissen kommt, gibt es doch eine geheime Wahrheit in den Dingen, die alles fügt, die die vielen entgegengesetzten Kräfte des Wesens zum Selbst führt und zu ihren eigenen Höhen aufsteigt, wo sie ihre eigene höchste Wahrheit offenbaren und den geheimen Zweck des Weltalls erfüllen kann. Sogar diese materielle Welt des Daseins ist auf eine Ordnung der Wahrheit in den Dingen aufgebaut, die wir das Naturgesetz nennen, eine Wahrheit, von der wir zu einer größeren Wahrheit aufsteigen, bis wir in das Licht des Höchsten tauchen. Diese Welt ist nicht wirklich von einer blinden Naturkraft erschaffen worden: Sogar im Unbewussten ist die Gegenwart der höchsten Wahrheit am Werke; hinter ihm steht eine sehende Macht, die unfehlbar wirkt und die Schritte des Unwissens selbst leitet, auch dann, wenn es zu straucheln scheint; denn das, was wir Unwissenheit nennen, ist ein verhülltes Wissen, ein Wissen, das in einem Körper wirkt, der nicht sein eigen ist, sich aber auf seine eigene höchste Selbstentdeckung zubewegt. Dieses Wissen ist das verborgene Supramentale, das die Schöpfung trägt und das alles zu sich selbst lenkt und führt, und das hinter dieser Vielheit von mentalen Wesen, Geschöpfen und Gegenständen steht, von denen jedes seinem eigenen Naturgesetz zu folgen scheint; in dieser weiten und anscheinend konfusen Schöpfungsmasse des Daseins gibt es ein Gesetz, die eine Wahrheit des Seins, eine richtungsweisende und zu erfüllende Absicht der Weltexistenz. Das Supramentale ist hier verschleiert und wirkt nicht seinem charakteristischen Wesensgesetz und Selbstwissen gemäß, aber ohne es könnte nichts sein Ziel erreichen. Eine Welt, die von einem unwissenden Mentalen regiert wäre, würde sehr schnell einem Chaos zutreiben; sie könnte überhaupt nicht ins Dasein gelangen oder darin bleiben, wenn sie nicht von dem geheimen Allwissen getragen würde, dessen Gewand sie ist; eine Welt, die von einer blinden unbewussten Kraft getrieben wäre, könnte vielleicht ständig dieselbe mechanische Tätigkeit wiederholen, hätte aber keinen Sinn und würde zu nichts führen. So etwas könnte unmöglich die Ursache einer Evolution sein, die Leben aus Materie erschafft und aus Leben ein denkendes Bewusstsein entwickelt und eine Aufeinanderfolge von Ebenen der Materie, des Lebens und des Mentalen, die in der Offenbarung des Supramentalen gipfelt. Die geheime Wahrheit, die im Supramentalen auftaucht, hat alle Zeit existiert, nur – sich selbst, die Wahrheit in den Dingen und den Sinn unseres Daseins offenbaren, das tut sie erst jetzt.

In diesem Ordnungsgefüge des Seins müssen wir das Lichtmentale als das letzte Wort der unteren Hemisphäre und als das erste Wort der oberen Hemisphäre werten und dementsprechend seine Natur und seine Kräfte verstehen, die es charakterisieren und die es zu seiner Selbstoffenbarung und für sein Wirken einsetzt, und auch seine Verbindung mit dem Supramentalen sehen und deren Folgen und Möglichkeiten für das Leben einer neuen Menschheit.