Ameisen und Menschen

Ameisen sind so sehr wie Menschen, dass es uns in Verlegenheit versetzt. Sie bewirtschaften Pilze, ziehen Blattläuse als lebendes Inventar groß, schicken Heere in die Schlacht, gebrauchen chemische Stoffe, um Feinde abzuschrecken und zu verwirren, und machen Sklaven. Die Familien von Weber-Ameisen betreiben Kinderarbeit, halten ihre Larven wie Schiffchen, um den Faden zu weben, der die Blätter für ihre Pilzgärten zusammennäht. Sie tauschen unermüdlich Informationen aus. Zu ihren Aktivitäten zählt alles außer Fernsehen.

Höchst beunruhigend für uns ist dies, dass sie und die Bienen, Termiten und Gemeinschaftswespen zwei Arten von Leben zu leben scheinen: sie sind Individuen, die sich um die Geschäfte des jeweiligen Tages kümmern, ohne viel Sorge um das Morgen zu zeigen, und sind gleichzeitig einzelne Teile, Zellelemente im großen, wimmelnden, wiederkäuenden Organismus des Hügels, des Nests, des Bienenstocks. Ich denke, dass wir aufgrund dieses Aspekts am meisten wünschen, dass sie etwas Fremdes seien. Wir schätzen nicht den Gedanken, dass es Kollektivitäten mit der Kapazität geben kann, sich wie Organismen zu verhalten. Wenn solche Dinge existieren, können sie nichts mit uns zu tun haben.

Und doch existieren sie. Eine einsame Ameise auf dem Feld kann nach unserer Auffassung nicht viel im Sinn haben; da es sich nur um einige Neuronen handelt, die durch Fasern verknüpft sind, kann man sich ohnehin gar nicht vorstellen, dass sie einen „Sinn“ hat, noch weniger ein Denken. Sie ist mehr wie ein Ganglion auf Beinen. Vier Ameisen zusammen, oder zehn, die eine tote Motte auf dem Weg umzingeln, beginnen mehr nach einem Konzept auszuschauen. Sie fummeln und schieben, bewegen die Nahrung langsam zum Hügel, aber gleichsam wie durch blinden Zufall. Nur wenn man die dichte Masse von tausenden von Ameisen betrachtet, die sich um den Hügel drängen und den Boden schwärzen, beginnt man das ganze Tier zu sehen, und nun kann man beobachten, wie es denkt, plant, berechnet. Es ist eine Intelligenz, eine Art lebendiger Computer, dessen Intelligenz sich aus kleinen kriechenden Elementen konstituiert.

In einem gewissen Stadium der Konstruktion werden Zweige einer bestimmten Größe benötigt, und alle Mitglieder suchen höchst emsig nach Zweigen genau dieser Größe. Später, wenn die Außenwände abzuschließen und mit Stroh zu decken sind, muss die Größe geändert werden, und nun schalten die Arbeitsameisen alle auf die Suche nach neuen Zweigen um, wie wenn sie neue Anweisungen per Telefon erhalten hätten. Wenn man einen Teil des Hügels außer Ordnung bringt, machen sich hunderte von Ameisen daran, ihn in Bewegung zu versetzen, zu verlagern, bis er wieder seine rechte Form hat. Ferne Nahrungsquellen werden irgendwie gespürt, und lange Reihen reichen wie Fühler über den Boden hinaus, über Mauern, hinter Felssteine, um sie zu holen.

Termiten sind sogar noch außergewöhnlicher in der Art, wie sie Intelligenz zu akkumulieren scheinen, indem sie sich zusammentun. Zwei oder drei Termiten in einer Kammer werden beginnen, Bröckchen aufzusammeln und sie von Platz zu Platz zu bewegen, aber nichts entsteht, nichts wird gebaut. Indem mehr Termiten sich anschließen, scheinen sie eine kritische Masse zu erreichen, eine erforderliche Mindestzahl, und das Denken beginnt. Sie platzieren Bröckchen um Bröckchen, errichten dann Säulen und schöne, kurvierte, symmetrische Bögen, und die kristalline Architektur von gewölbten Kammern wird geschaffen. Es ist nicht bekannt, wie sie miteinander kommunizieren, wie die Ketten von Termiten, die eine Säule errichten, wissen, wann sie sich dem Team bei der angrenzenden Säule zuwenden sollen, oder wie sie es, wenn die Zeit dafür kommt, fertigbringen, die Bögen einwandfrei zu verbinden. Die Stimuli, die sie zu Beginn zur Arbeit trieben, wobei sie kollektiv bauten, anstatt Dinge herumzuschieben, können Pheromone sein, die freigesetzt werden, wenn sie Team-Größe erreichen. Sie reagieren wie alarmiert. Sie werden angereizt und machen sich dann wie Künstler ans Werk.

Lewis Thomas