Kapitel 6
Geschäftsleben und Spiritualität
Worte Sri Aurobindos
Ich möchte betonen, dass ein Geschäft zu betreiben von mir nicht als etwas Schlechtes oder Befleckendes angesehen wird – wie es im alten spirituellen Indien der Fall war. Wenn ich dies täte, dürfte ich von X oder von unseren Jüngern in Bombay, die Handel mit Ostafrika treiben, kein Geld annehmen. Ich dürfte sie auch nicht ermutigen, mit ihrer Arbeit fortzufahren, sondern müsste ihnen empfehlen, sie aufzugeben und sich allein ihrem spirituellen Fortschritt zu widmen. Wie ist Xs Suchen nach spirituellem Licht mit seiner Fabrik in Einklang zu bringen? Sollte ich ihn nicht auffordern, seine Fabrik an den Nagel zu hängen oder dem Teufel zu überlassen und in einen Ashram zu gehen, um dort zu meditieren? Wenn ich selbst den Ruf erhalten hätte, ein Geschäft zu betreiben, so wie es mir mit der Politik geschah, hätte ich es ohne die geringsten spirituellen oder moralischen Gewissensbisse getan. Alles hängt vom Geist ab, in dem eine Sache geschieht, von den Prinzipien, auf denen sie sich aufbaut, und von der Art, wie man sie gebraucht. Ich widmete mich der Politik, und zwar der gewalttätigsten Art, nämlich revolutionärer Politik, ghoram karma, und ich habe den Kampf gutgeheißen und Menschen in ihn entsandt. Politik ist meist keine sehr saubere Beschäftigung, und auch der Kampf kann keine spirituelle Grundlage des Handelns genannt werden. Doch Krishna forderte Arjuna auf, einen Krieg der schrecklichsten Art fortzusetzen und durch sein Beispiel die Menschen zu ermutigen, jede menschliche Arbeit zu tun, sarvakarmani. Willst du behaupten, dass Krishna ein nicht-spiritueller Mensch war und der Rat, den er Arjuna gab, missverstanden wurde oder im Prinzip falsch war? Krishna geht sogar so weit zu erklären, dass ein Mensch, der seine Arbeit in der rechten Weise und im rechten Geist verrichtet, die ihm durch seine Natur, sein Temperament und seine Befähigung auferlegt wurden und die seinem Dharma entsprechen, sich dem Göttlichen nähern kann. Er sieht die Aufgabe und das Dharma des Vaishya, des Brahmin und des Kshatriya als gleichwertig an. Es ist seiner Ansicht nach für jemanden durchaus möglich, ein Geschäft zu betreiben, Geld zu verdienen, Gewinne zu erzielen und dennoch ein spiritueller Mensch zu sein, den Yoga auszuüben und ein inneres Leben zu führen. Die Gita rechtfertigt Werke als Mittel zur spirituellen Erlösung ständig und schreibt den Yoga der Werke ebenso vor wie den der Hingabe und des Wissens. Doch darüber hinaus auferlegt uns Krishna auch ein höheres Gesetz, nämlich dass die Arbeit ohne Begehren verrichtet werden muss, ohne Bindung an irgendeine Frucht oder Belohnung, ohne egoistische Einstellung, ohne egoistisches Motiv – als Darbringung oder Opfer für das Göttliche. Die traditionelle indische Haltung diesen Dingen gegenüber ist, dass alle Arbeit verrichtet werden kann, wenn sie gemäß dem Dharma geschieht. Und wenn sie in der rechten Weise getan wird, steht sie der Annäherung an das Göttliche oder dem Zugang zu spirituellem Wissen und zum spirituellen Leben nicht im Wege.

Worte der Mutter
Man sagt, man kann keinen Hügel machen, ohne ein Loch zu schaffen – man kann sich nicht bereichern, ohne andere ärmer zu machen. Stimmt das?
Nicht ganz. Wenn man etwas produziert, macht das reicher und nicht ärmer. Man bringt einfach etwas in der Welt in Umlauf, das dem Wert des Geldes entspricht. Dass man keinen Hügel machen kann, ohne ein Loch zu schaffen, trifft für Spekulanten zu, die an der Börse oder in der Finanz Geschäfte machen – dort stimmt es. Es ist unmöglich, in reinen Spekulationsgeschäften einen finanziellen Erfolg zu erzielen, der nicht auf Kosten anderer ginge. Darauf beschränkt sich das. Im Übrigen gräbt ein Hersteller kein Loch, wenn er im Austausch für seine Erzeugnisse Geld anhäuft. Natürlich stellt sich die Frage nach dem Wert der Erzeugnisse, aber wenn diese Produktion wirklich zur Mehrung des allgemeinen Wohlstands der Menschen beiträgt, schafft sie kein Loch, sondern mehrt den Wohlstand. Und in anderer Weise gilt dasselbe auch für nicht materielle Bereiche, für Kunst, Literatur, Wissenschaft und jede andere Produktion.
Als ich Handel trieb (Import-Export), hatte ich stets das Gefühl, andere zu bestehlen.
Man lebt auf Kosten anderer, weil man die Zwischenglieder vermehrt. Das mag bequem und praktisch sein, aber allgemein gesehen – und besonders wie es heute praktiziert wird –, lebt man damit auf Kosten des Erzeugers und der Kunden. Man wird ja nicht Zwischenhändler, um anderen Dienste zu erweisen – kaum einer in einer Million hat so etwas im Sinn –, sondern um bequem und ohne Anstrengung Geld zu verdienen. Immerhin gibt es unter den Methoden, ohne Anstrengung Geld zu verdienen, viele, die schlimmer sind als diese!

Worte der Mutter
Freunde von außen haben mir oft die Frage gestellt: „Wenn man genötigt ist, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, soll man sich dann einfach an die landläufigen Vorstellungen von Ehrlichkeit halten, oder sollte man noch strikter sein?“
Es kommt auf die Haltung an, die dein Freund im Leben angenommen hat. Will er ein Sadhak sein, so dürfen die Regeln der gewöhnlichen Moral für ihn nicht den geringsten Wert haben. Ist er dagegen ein gewöhnlicher Mensch, der ein gewöhnliches Leben führt, so ist es eine rein praktische Frage, denn er muss sich ja nach den Gesetzen des Landes richten, in dem er lebt, um keine Scherereien zu bekommen! Aber all diese Dinge, die im gewöhnlichen Leben von ganz relativem Wert sind und einigermaßen nachsichtig beurteilt werden dürfen, ändern sich von der Minute an völlig, in der man beschließt, Yoga zu praktizieren und ins göttliche Leben einzutreten. Dann ändern sich alle Werte von Grund auf: Was im gewöhnlichen Leben als ehrlich gilt, ist es nun überhaupt nicht mehr. Es tritt eine derartige Umwertung ein, dass die gewöhnliche Sprache kaum mehr verwendet werden kann. Will man sich dem göttlichen Leben weihen, muss man es wahrhaftig tun, das heißt sich ganz und gar geben, nichts mehr im eigenen Interesse tun, ausschließlich von der göttlichen Macht abhängen, der man sich anheimstellt. Alles ändert sich durch und durch, alles, alles – es ist eine Umkehr. Was ich vorhin aus diesem Buch vorlas, gilt einzig für jene, die Yoga praktizieren wollen. Für andere enthält das keinen Sinn, ist es eine Sprache, die des Sinns entbehrt – aber für die, die Yoga praktizieren wollen, ist es unbedingt notwendig. Bei allem, was wir in letzter Zeit gelesen haben, geht es um dasselbe: Man muss sich hüten, mit einem Bein hier und mit dem anderen dort zu stehen – oder auf zwei verschiedenen Booten zu segeln, wovon jedes seinen eigenen Kurs verfolgt. Das meinte Sri Aurobindo, wenn er davor warnte, ein „Doppelleben“ zu führen. Das eine oder das andere muss man lassen – beides zusammen geht nicht.
Das heißt allerdings nicht, dass man aus den Bedingungen seines Lebens heraustreten muss: Die innere Haltung ist es, die sich ändern muss. Man mag das Gewohnte tun, aber mit einer ganz anderen Einstellung. Man braucht sich also nicht von allen Dingen des Lebens loszusagen und in die Einsamkeit, in einen Ashram zu gehen, um Yoga zu praktizieren. Gewiss ist es schwerer, Yoga in der Welt und unter den Gegebenheiten der Welt zu tun, aber das ist auch vollständiger.

Worte der Mutter
Darf man jemanden, der auf unehrliche Weise eine große Menge erworben hat, für das Göttliche um Geld bitten?
Sri Aurobindo hat diese Frage beantwortet. Er sagt, dass Geld an und für sich eine unpersönliche Kraft ist: Auf welche Art und Weise du Geld verdienst, zählt nur für dich persönlich. Sie mag dir gewaltig schaden, auch anderen mag dies schaden, aber der Wert des Geldes wird dadurch keineswegs verändert, es ist eine völlig unpersönliche Kraft: Es hat keine Farbe, keinen Geschmack, kein psychologisches Bewusstsein. Es ist eine Kraft. Das ist, als würde behauptet, die von einem Schurken ausgeatmete Luft sei verdorbener als die von einem ehrlichen Menschen verbrauchte – ich glaube das nicht! Ich meine, es kommt auf dasselbe heraus. Man mag aus praktischen Gründen gestohlenes Geld ablehnen – aus rein praktischen, nicht aber aus göttlichen Gründen. Es handelt sich da um ganz und gar menschliche Begriffe. Praktisch kann man sagen: „Oh nein, mich widert es an, wie Sie dies Geld erworben haben, und darum will ich es nicht dem Göttlichen darbringen“, weil man eben ein menschliches Bewusstsein hat. Nehmen wir einmal den schlimmsten Fall an: Jemand ist durch Raubmord zu Geld gekommen. Auf einmal wird er von schrecklichen Gewissensbissen heimgesucht, und er sagt sich: „Mit diesem Geld kann ich nur eines tun – es dorthin geben, wo es auf das Beste, Unpersönlichste verwendet werden kann.“ Mir scheint diese Regung besser, als das Geld für die eigene Befriedigung auszugeben. Ich sagte, die Gründe für das Ausschlagen von unrecht erworbenem Geld können rein praktischer Natur sein, aber es kann auch tiefere Gründe geben, solche – ich will nicht sagen moralischer, aber spiritueller Art – vom Gesichtspunkt der Tapasya aus gesehen. Man kann jemandem sagen: „Nein, mit so schrecklich erworbenem Vermögen können Sie sich wirklich keine Verdienste erwerben. Sie können nur eines tun: Es zurückgeben.“ Man mag das Gefühl haben, dass eine Rückgabe, zum Beispiel, mehr zu einem Fortschritt verhelfen würde, als das Geld irgendeinem Werk zukommen zu lassen. Man kann die Dinge so sehen – eine Regel kann man nicht aufstellen. Das ist es, was ich immer und immer wieder sage: Es ist unmöglich, Regeln aufzustellen. Jeder Fall liegt anders. Aber man darf nicht meinen, dass Geld davon berührt wird. Geld als irdische Kraft lässt sich von der Art, wie es verdient wird, in gar keiner Weise berühren. Das Geld bleibt das gleiche, dein Geldschein, dein Goldstück bleibt sich gleich, es enthält und behält seine Kraft. Schaden nimmt nur die Person, die schlecht gehandelt hat, das ist klar. Es bleibt die Frage: In welcher Geisteshaltung und aus was für Gründen will unser unehrlicher Mensch sein Geld an ein Werk geben, das er für göttlich hält? Als Sicherheitsmaßnahme, aus Vorsicht und um sein Gewissen zu beruhigen? Das ist offensichtlich kein sehr guter Beweggrund, und man kann das nicht ermutigen. Doch wenn er das Getane irgendwie bedauert und bereut, wenn er das Gefühl hat, es gebe nur eine Handlungsweise, nämlich sich des schlecht Erworbenen zu entledigen und es so weit wie möglich für das allgemeine Wohl zu verwenden, so ist nichts dagegen einzuwenden. Man kann das nicht grundsätzlich entscheiden – es kommt auf den Fall an. Doch wenn man weiß – das ist es wohl, woran du denkst? –, dass das Geld auf scheußliche Art erworben ist, wäre es offensichtlich nicht gut, ihn für irgendein göttliches Werk um Geld zu bitten, weil das seine Geldbeschaffung gewissermaßen „zu Ehren“ bringen würde. Also darum bitten, das geht nicht. Gibt er es dagegen von sich aus, spontan, so besteht kein Grund, es abzulehnen. Aber ihn darum zu ersuchen, kommt nicht in Frage, weil das seine Art, zu Geld zu kommen, gewissermaßen rechtfertigen würde. Das ist ein großer Unterschied.
Und gewöhnlich wenden jene, die Schurken um Geld bitten, Einschüchterungsmethoden an: Sie machen ihnen Angst, nicht physisch, sondern indem sie ausmalen, was ihnen in Zukunft passieren könnte – sie jagen ihnen Furcht ein. Das ist nicht schön. Solche Mittel darf man nicht anwenden.

Worte der Mutter
Seit einem Jahr arbeite ich in einem Forschungsinstitut zur Qualitätsverbesserung des Weines und anderer alkoholischer Getränke. In meiner Heimat, im Süden Frankreichs, bezieht der größte Teil der Bevölkerung seinen Lebensunterhalt aus dem Weinanbau und dem Handel mit Wein. Ich selbst trinke nicht, da ich mir ganz sicher bin, dass Alkohol dem Menschen erheblich schadet. Bedingt durch meine Arbeit habe ich nun einen Gewissenskonflikt. Ich bin so etwas wie ein Dienstverweigerer und frage mich selbst: „Kann ich meine Arbeit fortsetzen und in diesem Umfeld mitarbeiten?“
Ich gebe dir einige hilfreiche Hinweise, die dein Problem lösen können.
So wie es viele Ratgeber tun würden, könnte ich dir sagen, dass es einzig und allein an dir liegt, das Problem zu lösen, denn es gibt keine feste Regel, die einem sagt, was man tun sollte und was nicht. Jeder Fall liegt anders, jeder Mensch ist anders, und selbst für den jeweiligen Einzelnen hängt das rechte Handeln, die zu erledigende Sache, vom inneren Bewusstseinszustand, von der erreichten Entwicklungsstufe ab.
Aber das würde dir sicherlich nicht helfen, eine befriedigende Lösung zu finden. Dein Mental würde um alle Aspekte der Frage kreisen, um all die oft widersprüchlichen Ratschläge und Beispiele, die dir von dem einen oder anderen gegeben wurden, ohne schließlich zu wissen, was wirklich zu tun ist. Um aus dieser Situation herauszukommen, gibt es nur einen einzigen Weg: das Problem und dessen Lösung dem Göttlichen zu überlassen. Strebe einzig und allein danach, in jedem Augenblick den Göttlichen Willen zu erfüllen und die Sache in einer Weise zu erledigen, wie sie getan werden muss.
„Wie aber kann ich den Göttlichen Willen ausführen, wenn ich ihn nicht kenne?“, wirst du fragen. „Die Schwierigkeit, die sich mir stellt, ist, den göttlichen Willen genau zu kennen, zu wissen, was ich tun soll. Dann wird alles ganz einfach.“
Nein, der Göttliche Wille ist kein Befehl eines Vorgesetzten, den du bloß auszuführen hast. Gehorsam ist nicht gefordert, es ist weitaus mehr – und weitaus schwieriger. Es geht darum, dem Göttlichen die gesamte Gestaltung deines Lebens zu überlassen, anstatt selbst das Leben gestalten zu wollen, selbst wenn es in Übereinstimmung mit dem Göttlichen Willen ist. Wenn du das Streben, von dem ich gerade gesprochen habe, intensiv und dauerhaft halten kannst, mit dieser inneren Haltung alle Arbeit verrichtest, die dir aufgetragen wird, werden die Umstände so sein, wie sie sein sollten. Sollst du deinen Beruf ändern, werden sich die Umstände ändern und dir den Weg zum richtigen Beruf zeigen, zu der Arbeit, die getan werden muss.
Es ist eine schwierige, sehr schwierige Geisteshaltung, denn wir sind es gewohnt, selbständig zu handeln, selbst dann, wenn wir einen Ratschlag oder einen Befehl akzeptieren. Um erfolgreich zu sein, ist eine absolute Aufrichtigkeit erforderlich und das Nichtvorhandensein aller Eitelkeit, ein vollständiger Glaube an das Göttliche und ein vollständiges Vertrauen in das Göttliche.
