Kapitel 6

Fasten

Worte der Mutter

Wie kann das Fasten einen Zustand der Empfänglichkeit bewirken?

Das geschieht, weil gewöhnlich das vitale Wesen sehr auf den Körper konzentriert ist, und wenn der Körper wohlgenährt ist, nimmt er seine Kraft über die Nahrung auf, nimmt er seine Energie über die Nahrung auf, und das ist eine Art… es ist offensichtlich nahezu die einzige Weise; nicht die einzige, aber die wichtigste in den gegenwärtigen Lebensverhältnissen … aber es ist eine sehr tamasische [schwerfällige] Art, Energie aufzunehmen.

Wenn du darüber nachdenkst, nicht wahr, ist es die vitale Energie, die entweder in den Pflanzen oder in den Tieren ist, das heißt, sie ist logischerweise von geringerer Qualität als die vitale Energie, die im Menschen sein sollte, der ja auf der Stufenleiter der Arten ein etwas höheres Wesen ist. Wenn du also von unten her ziehst, ziehst du gleichzeitig die Unbewusstheit an, die ja unten ist. Es ist unmöglich zu essen, ohne eine beträchtliche Menge an Unbewusstheit aufzunehmen; die macht dich schwerfällig, die macht dich grob; und wenn du dann viel isst, wird ein großer Teil deines Bewusstseins in der Verdauung und Assimilierung des Gegessenen aufgesogen. Wenn du nun keine Nahrung zu dir nimmst, musst du schon nicht mehr diese ganze Unbewusstheit assimilieren und in dir umwandeln: das setzt Energien frei. Und da es einen Instinkt im Wesen gibt, um die ausgegebenen Energien zurückzuholen, strengst du dich instinktiv an – insofern du die Energie nicht über die Nahrung, das heißt, von unten aufnimmst –, um sie durch eine Einung mit den freien universalen Vitalkräften aufzunehmen, und wenn man weiß, wie sie zu assimilieren sind, nimmt man sie direkt in sich auf, wobei es da keine Grenzen gibt.

Das ist nicht so wie bei deinem Magen, der nur eine bestimmte Nahrungsmenge verdauen kann und du folglich nicht mehr als das aufzunehmen vermagst; und selbst die aufgenommene Nahrung setzt nur einen kleinen Teil, einen sehr kleinen Teil vitaler Energie frei. Und was bleibt dir dann nach all der Arbeit des Hinunterschlingens, Verdauens und all dem anderen? Nicht sehr viel, nicht wahr! Wenn du es dagegen lernst … und in der Tat ist es eine Art Instinkt; man lernt instinktiv, universale Energien, die sich frei im Universum bewegen und deren Menge unbegrenzt ist, an sich zu ziehen … du kannst so viel davon absorbieren, wie du in der Lage bist, sie an dich zu ziehen. Wenn man keine Unterstützung von unten her aus der Nahrung erhält, macht man also instinktiv die notwendige Bewegung, um die Energien von außen zurückzuholen, und man absorbiert so viel wie man kann, und manchmal sogar mehr. Und das versetzt dich dann in eine Art Erregungszustand, und ist dabei dein Körper sehr stabil und hält es aus, eine gewisse Zeit ohne Nahrung zu sein, dann behältst du dein Gleichgewicht und du kannst diese Energien für alles Mögliche nutzen, wie zum Beispiel um Fortschritte zu machen, bewusster zu werden und deine Natur umzuwandeln. Hat dein physischer Körper aber kaum Reserven und wird er durch das Nichtessen zusehends schwächer, dann verursacht das ein Ungleichgewicht zwischen der Intensität der aufgenommenen Energie und der Fähigkeit des Körpers, sie auszuhalten. Die Folge sind Störungen. Du verlierst deine Stabilität und das ganze Gleichgewicht der Kräfte wird zerstört, und es kann dir irgendetwas zustoßen. Auf jeden Fall verlierst du viel von deiner Selbstkontrolle; für gewöhnlich wirst du sehr angeregt und hältst diese Erregung für einen höheren Zustand. Das ist aber oft einfach nur eine innere Unausgeglichenheit, und nichts anderes. Die Empfänglichkeit wird dadurch sehr verfeinert. Wenn du während der Fastenzeit, in der man keine Energie mehr von unten aufnimmt, zum Beispiel an einer Blume riechst, dann nährt dich das, der Duft nährt dich, das gibt dir viel Energie; ansonsten merkst du es nicht.

Bestimmte Fähigkeiten werden gesteigert, und das hält man dann für eine spirituelle Auswirkung. Das hat nur sehr wenig mit dem spirituellen Leben zu tun, außer bei Leuten, die viel essen, die viel an ihre Nahrung denken, die sehr davon in Anspruch genommen sind. Wenn diese Leute nun viel gegessen haben und all das verdauen müssen, wie schon gesagt, dann sind all ihre Energien auf die Verdauung konzentriert; dadurch sind sie im Mental schwerfällig, was sie unweigerlich sehr stofflich werden lässt. Hören sie nun auf zu essen und ans Essen zu denken – denn da gibt es eine Sache: fastet man und denkt die ganze Zeit über daran, dass man Hunger hat und essen möchte, ist das zehnmal schlimmer als zu essen –, und können wirklich fasten, weil sie an etwas anderes denken, mit etwas anderem beschäftigt sind und keine Interesse an der Nahrung haben, dann kann das eine Hilfe sein, auf eine etwas höhere Bewusstseinsstufe zu kommen und sich vom Joch der materiellen Bedürfnisses zu befreien. Fasten ist vor allem gut für jene, die daran glauben – wie bei allem. Wenn du den Glauben hast, dass du dadurch einen Fortschritt machen kannst, dass dich das reinigt, dann tut es dir gut. Glaubst du nicht daran, dann bringt es nicht viel, außer dass du abmagerst.

Da war … Maeterlinck – du kennst wohl die Bücher von Maeterlinck. Ich denke, du müsstest The Blue Bird (Der blaue Vogel) und anderes von ihm gelesen haben. Er war ein sehr beleibter Mann, und da er einen Sinn für Schönheit hatte, störte es ihn sehr, dick zu werden. Also beschloss er, einmal in der Woche zu fasten. An einem Tag in der Woche aß er nicht, und da er ein intelligenter Mensch war, beschäftigte er sich nicht mit dem Essen. Er schrieb an diesem Tag sehr viel, arbeitete hart, und hielt sich so in einer annehmbaren eleganten Form; unter diesem Aspekt war das Fasten sehr nützlich für ihn.

Eines ist sicher: Wenn man nicht isst, magert man ab. Wenn man zu dick ist und abnehmen will, ist das ein gutes Mittel – aber nur unter der Bedingung, dass man seinen Tag nicht damit verbringt, ans Essen zu denken, denn sobald man dann mit Fasten aufhört, stürzt man sich aufs Essen und isst so viel, dass man alles, was man verloren hat, wieder aufholt.

Worte Sri Aurobindos

Es ist richtig, dass man durch Fasten, sofern Mental und Nerven stabil sind oder eine dynamische Willenskraft besteht, für eine gewisse Zeit in einen Zustand innerer Energie und Aufnahmebereitschaft eintreten kann, der dem Mental verlockend erscheint und die üblichen Reaktionen wie Hunger, Schwäche, Darmstörung usw. können dabei gänzlich vermieden werden. Aber der Körper leidet an Auszehrung, und es kann sich im Vital leicht ein morbider, überforderter Zustand entwickeln, der dadurch verursacht wird, dass das Nervensystem mit mehr vitaler Energie überflutet wird als es zu assimilieren oder koordinieren vermag. Nervöse Menschen sollten der Versuchung des Fastens widerstehen, welches häufig von Wahnvorstellungen und Gleichgewichtsverlust begleitet wird oder sie zur Folge hat. Besonders wenn es durch einen Hungerstreik ausgelöst wird oder etwas Derartiges aufkommt, wird Fasten gefährlich, denn dann handelt es sich um Nachgiebigkeit gegenüber einer vitalen Regung, die leicht zu einer für die Sadhana schädlichen und verderblichen Gewohnheit werden kann. Selbst wenn alle diese Reaktionen vermieden werden, hat Fasten nicht viel Sinn, da die höhere Energie oder Aufnahmebereitschaft nicht durch künstliche oder physische Mittel herbeigeführt werden sollte, sondern durch die Intensität des Bewusstseins und den starken Willen zur Sadhana.

Worte Sri Aurobindos

Was ich den Menschen als erstes sage, wenn sie nicht essen oder schlafen wollen, ist, dass kein Yoga ohne hinreichende Nahrung und genügend Schlaf ausgeübt werden kann (siehe die Gita zu diesem Punkt). Fasten oder Schlaflosigkeit macht die Nerven morbid und erregt, schwächt das Gehirn und führt zu Wahnvorstellungen und Phantasien. Die Gita sagt, dass Yoga nicht für jemanden sei, der nicht isst oder nicht schläft, sondern dass man ihn am besten ausüben kann, wenn man ausreichend schläft und isst – yuktahari yuktanidrah. Mit allen anderen Dingen ist es genauso. Habe ich nicht oft gesagt, dass mir übermäßige Zurückgezogenheit verdächtig vorkomme und dass nichts anderes zu tun als zu meditieren eine einseitige und daher ungesunde Sadhana sei?

Worte Sri Aurobindos

Nicht zu essen, um sich von der Gier nach Nahrung zu befreien, ist der asketische Weg. Unser Weg besteht aus Gleichmut und Nicht-Verhaftetsein.

Worte Sri Aurobindos

Es schadet nichts, von Zeit zu Zeit für einen Tag oder zwei zu fasten oder die Nahrung auf ein kleines, aber ausreichendes Maß zu beschränken; völlige Enthaltsamkeit über eine lange Zeitspanne hinweg ist jedoch nicht ratsam.

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