Kapitel 6

Die innere Haltung der Aufrichtigkeit

Worte der Mutter

Unter vollkommener Aufrichtigkeit verstehen wir, dass all unsere Gedanken, Gefühle, Empfindungen und Handlungen nichts anderes ausdrücken sollten als die zentrale Wahrheit unseres Wesens.

Worte der Mutter

Vollkommene Aufrichtigkeit ist niemals zu versuchen, sich selbst zu täuschen, niemals einem Teil des Wesens zu gestatten, einen Weg zu finden, um andere zu überzeugen, niemals das eigene Tun vorteilhaft darzustellen, um einen Vorwand dafür zu haben, was man tun möchte, niemals zu versuchen, die Augen zu schließen, wenn etwas unangenehm ist, niemals etwas durchgehen zu lassen, indem man sich sagt: „Das ist nicht wichtig, das nächste Mal wird es besser sein.“

Worte der Mutter

Aufrichtigkeit bedeutet, alle Regungen des Wesens auf die Ebene des bisher erreichten höchsten Bewusstseins und der höchsten Verwirklichung emporzuheben.

Aufrichtigkeit fordert eine Vereinigung und Harmonisierung aller Wesensteile und aller Regungen um den zentralen Göttlichen Willen.

Worte der Mutter

Um vollkommen aufrichtig zu sein, ist es unerlässlich, keine Vorliebe, keine Begierde, keine Anziehung für etwas, keinen Ekel, weder Sympathie noch Antipathie, keine Zuneigung und keine Abneigung zu haben. Man muss eine totale, integrale Schau der Dinge haben, in der alles am richtigen Platz ist und in der man gegenüber allen Dingen dieselbe Haltung hat: die Haltung der wahren Schau. Dieses Programm ist für einen Menschen offenbar sehr schwer durchzuführen. Wenn er sich nicht entschlossen hat, sich zu vergöttlichen, scheint es fast unmöglich, dass er von all diesen inneren Gegensätzen frei sein könnte. Und dennoch, solange man sie in sich trägt, kann man nicht vollkommen aufrichtig sein. Automatisch wird das Funktionieren des Mentals, des Vitals und sogar des Physischen verfälscht. Ich betone das Physische, weil sogar das Funktionieren der Sinne verfälscht wird: Man sieht, hört, schmeckt, fühlt die Dinge nicht so, wie sie in ihrer Wirklichkeit sind, solange man eine Vorliebe hat. Solange es Dinge gibt, die dir gefallen, und Dinge, die dir missfallen, solange du für bestimmte Dinge eine Anziehung verspürst und gegen andere eine Abneigung, kannst du die Dinge nicht in ihrer Wirklichkeit sehen. Du siehst sie durch deine Reaktion, deine Vorliebe oder deine Abneigung hindurch. Die Sinne sind Instrumente, die sich verfälschen, ebenso wie die Empfindungen sich verfälschen, wie die Gefühle sich verfälschen und wie die Gedanken sich verfälschen. Folglich musst du eine vollkommene Distanziertheit haben, um dir dessen, was du siehst, was du fühlst, was du empfindest und denkst, sicher zu sein. Das ist selbstverständlich keine leichte Aufgabe. Doch bis dies erreicht ist, kann deine Sichtweise nicht restlos wahr sein, und folglich ist sie auch nicht aufrichtig.

Natürlich ist das ein Maximum. Es gibt haarsträubende Unaufrichtigkeiten, die jeder versteht und auf die man nicht nachdrücklich hinzuweisen braucht, wie etwa eine Sache zu sagen und eine andere zu denken, zu behaupten, man tue eine Sache und macht eine andere, ein Anliegen zu bekunden, das nicht dein wirkliches Anliegen ist. Ich spreche nicht einmal von der eklatanten Lüge, die darin besteht, etwas anderes zu sagen als das, was ist, oder auch von jener diplomatische Art zu handeln, die darin besteht, eine Sache zu tun in dem Gedanken, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, dass man eine Sache sagt in der Erwartung, dass sie eine bestimmte Wirkung hervorruft. Jede derartige Berechnung, die dich dazu bringt, dir selbst zu widersprechen, ist von einer ziemlich groben Unaufrichtigkeit, die jeder leicht zu erkennen vermag.

Es gibt jedoch andere, subtilere Unaufrichtigkeiten, die nur schwer zu erkennen sind. Zum Beispiel: Solange du in dir Sympathien und Antipathien hegst, wirst du auf ganz natürliche Weise und spontan einen günstigen Sinneseindruck von dem haben, der dir sympathisch ist, und einen ungünstigen Sinneseindruck von dem, der dir unsympathisch ist. Und auch hier wird der Mangel an Aufrichtigkeit offensichtlich. Dennoch kannst du dich selbst täuschen und nicht wahrnehmen, dass du unaufrichtig bist. Da arbeitest du dann sozusagen mit der gedanklichen Unaufrichtigkeit zusammen, weil es im Grund je nach den Wesenszuständen oder den Wesensteilen leicht unterschiedliche Unaufrichtigkeiten gibt. Aber der Ursprung dieser Unaufrichtigkeiten wird immer eine analoge Regung sein, die aus der Begierde und aus dem Trachten nach persönlichen Zwecken herrührt – aus dem Egoismus, aus dieser Kombination aller aus dem Egoismus stammenden Begrenzungen und aller aus der Begierde stammenden Entstellungen.

Solange das Ego da ist, kann man im Grunde genommen nicht sagen, ein Wesen sei vollkommen aufrichtig, selbst wenn es sich bemüht, es zu werden. Man muss das Ego überschreiten, sich ganz dem göttlichen Willen überantworten, sich ohne Vorbehalt und ohne Berechnung geben… Erst dann kann man vollkommen aufrichtig sein, nicht aber vorher.

Dies bedeutet nicht, dass man sich nicht bemühen müsste, aufrichtiger zu sein als man ist, und dass man sich sagt: „Schön, ich warte mit dem Aufrichtigsein, bis mein Ego verschwindet“, denn man kann die Worte umkehren und sagen, wenn du es nicht aufrichtig versuchst, wird das Ego nie verschwinden. Folglich ist die Aufrichtigkeit die Grundlage jeder echten Verwirklichung, sie ist das Mittel, der Weg – und sie ist auch das Ziel. Ohne sie strauchelst du mit Sicherheit unzählige Male und musst ständig den Schaden wiedergutmachen, den du dir selbst und anderen zugefügt hast.

Es ist übrigens eine wunderbare Freude, aufrichtig zu sein. Jede aufrichtige Tat trägt in sich ihre eigene Belohnung: das Gefühl der Reinigung, der Erhebung, der Befreiung, die man spürt, wenn man auch nur ein Stückchen der Falschheit zurückgewiesen hat.

Aufrichtigkeit ist die Schutzvorrichtung, der Beistand, der Wegweiser und schließlich die Kraft der Umwandlung.

Worte der Mutter

Aufrichtigkeit besteht darin, dass alle Elemente des Wesens, alle Regungen des Wesens, ob äußere oder innere, alle Wesensteile, alle, den einen Willen haben: dem Göttlichen zu gehören, allein für das Göttliche zu leben, nur das zu wollen, was das Göttliche will, einzig den göttlichen Willen auszudrücken, aus keiner anderen Energiequelle zu schöpfen als der göttlichen.

Und du wirst erkennen, dass es keinen Tag, keine Stunde, keine Minute gibt, wo du deine Aufrichtigkeit nicht verstärken und berichtigen musst – dich ganz und gar zu weigern, das Göttliche täuschen zu wollen. Erst einmal darf man sich selbst nicht täuschen. Dass das Göttliche sich nicht täuschen lässt, ist ja bekannt. Selbst der geschickteste Asura kann das Göttliche nicht täuschen. Aber auch wenn das begriffen ist, sieht man oft im Lauf seines Lebens, seines Tages, wie man sich unwissentlich selbst zu täuschen sucht, ganz spontan und fast automatisch. Stets gibt man günstige Erklärungen für alles, was man tut, für seine Worte und seine Taten. Das also kommt als Erstes. Ich spreche nicht von den unübersehbaren Dingen, wie sich zu streiten und dann zu sagen: „Der andere ist schuld“. Ich spreche von den ganz kleinen Dingen des täglichen Lebens.

Ich kenne ein Kind, das sich an einer Tür gestoßen hatte und ihr dann einen tüchtigen Fußtritt versetzte! Das ist Dasselbe. Stets ist der andere schuld, der andere hat den Fehler gemacht. Auch wenn man aus dem Kindesalter heraus ist und ein wenig Vernunft hat, gibt man immer noch die allerdümmste Entschuldigung: „Wenn der das nicht gemacht hätte, hätte ich dies nicht getan.“ Gerade umgekehrt müsste es sein!

Das ist es, was ich Aufrichtigkeit nenne. Wenn du aufrichtig bist, wirst du dich einem anderen gegenüber augenblicklich ehrlich verhalten, auch wenn der das nicht tut. Nimm das allergewöhnlichste Beispiel: Jemand wird wütend. Statt nun verletzende Dinge zu sagen, schweigt man, man bleibt ruhig und still, lässt sich von der Wut nicht anstecken. Beobachte dich selbst, um zu sehen, ob das leicht ist. Es ist etwas ganz Elementares, ein kleiner Anfang, um zu erkennen, ob du aufrichtig bist. Ich spreche nicht von solchen, die sich von allem anstecken lassen, sogar von den gröbsten Späßen, und auch nicht von jenen, die dieselbe Dummheit machen wie die anderen.

Ich sage dir: Betrachtest du dich mit scharfen Augen, ertappst du Unaufrichtigkeiten zu Hunderten, auch wenn du in deiner allgemeinen Haltung aufrichtig zu sein versuchst. Du wirst sehen, wie schwer das ist.

Ich sage dir: Bist du in allen Elementen deines Wesens aufrichtig, bis in die Zellen deines Körpers, und will dein gesamtes Wesen ganzheitlich das Göttliche, bist du des Sieges sicher, doch billiger geht es nicht. Das ist es, was ich unter Aufrichtigkeit verstehe.