Kapitel 7
Die innere Haltung des Friedens und Gleichmuts
Worte der Mutter
Die meisten von euch leben an der Oberfläche ihres Wesens, der Berührung äußerer Einflüsse preisgegeben. Ihr lebt sozusagen an den Rand eures Körpers projiziert, ja beinahe aus ihm heraus, und wenn ihr einen ebensolchen Anderen trefft, der euch unangenehm vorkommt, seid ihr verstört. Die ganze Schwierigkeit rührt daher, dass ihr nicht gewohnt seid zurückzutreten. Ihr müsst immer in euer Inneres zurücktreten – lernt tief hineinzugehen. Tretet zurück, und ihr seid sicher. Liefert euch nicht den oberflächlichen Kräften der äußeren Welt aus. Auch wenn ihr in Eile seid, etwas zu tun, tretet einen Augenblick zurück, und ihr stellt zu eurer Überraschung fest, dass ihr die Arbeit, die euch obliegt, viel schneller und viel besser tut. Wenn jemand eine Wut auf euch hat, lasst euch nicht von seinen Schwingungen anstecken, sondern tretet einfach zurück, und seine Wut verpufft, weil sie keine Unterstützung oder Erwiderung in euch findet. Bewahrt immer euren Frieden, widersteht jeder Versuchung, ihn zu verlieren. Entscheidet nichts, ohne zurückzutreten, sagt nie ein Wort, ohne zurückzutreten, werft euch nie in eine Tätigkeit, ohne zurücktreten.

Worte der Mutter
Die Ruhe ist ein sehr positiver Zustand. Es gibt einen positiven Frieden, der nicht das Gegenteil des Konflikts ist – einen aktiven, ansteckenden, mächtigen Frieden, der bändigt und beruhigt, der Ordnung schafft, der organisiert. Von diesem spreche ich. Wenn ich zu jemandem sage: „Sei ruhig“, will ich damit nicht sagen: „Geh schlafen, sei träge und passiv und tue nichts“, weit gefehlt! … Die wahre Ruhe ist eine sehr große Kraft, eine sehr große Macht. Wenn man die Sache von der anderen Seite betrachtet, kann man tatsächlich sagen, dass all jene, die wirklich stark und mächtig sind, immer eine große Ruhe besitzen. Nur die Schwachen sind aufgeregt. Sobald man wirklich stark ist, ist man friedvoll, still, ruhig, und man hat die Widerstandskraft, den feindlichen Wogen zu trotzen, die sich von außen hereinstürzen, in der Hoffnung, uns durcheinanderzubringen. Diese wahre Ruhe ist immer ein Zeichen von Stärke. Die Stille gehört den Mächtigen.

Worte Sri Aurobindos
Die Rastlosigkeit und rasche Erschöpfung unseres tätigen Wesens und seiner Werkzeuge sind das Zeichen der Natur, dass Ruhe unsere wahre Grundlage ist und Aufregung eine Krankheit der Seele. Die Sterilität und Monotonie der bloßen Ruhe ist ihr Hinweis darauf, dass sie auf jener festen Grundlage das Spiel der Tätigkeiten von uns erwartet. Gott spielt immerdar und regt sich nie auf.

Worte Sri Aurobindos
Unsere Natur wirkt auf der Basis von Verwirrung und ruhelosem Zwang zur Aktivität. Das Göttliche dagegen handelt frei aus unergründbarer Stille. Wir müssen uns in diesen Abgrund der Ruhe versenken und in ihm aufgehen, wenn wir die Gewalt der niederen Natur über die Seele zunichte machen wollen.

Worte Sri Aurobindos
„Dein Friede, O Herr, ein Segen, im Innern zu bewahren
Mitten im Krach und der Zerstörung einer wilden Zeit
Für die großartige Seele des Menschen auf Erden.
Deine Ruhe, O Herr, die deine Hände der Freude trägt.“

Worte Sri Aurobindos
Gleichmut bedeutet, in allen Umständen unberührt zu bleiben. Gleichmut ist die wichtigste Stütze des wahren spirituellen Bewusstseins, von dem der Sadhak sich abwendet, sobald er sich von einer vitalen Regung im Fühlen, in der Rede oder im Handeln fortreißen lässt. Gleichmut ist nicht dasselbe wie Nachsicht – obwohl ohne Zweifel ein fester Gleichmut die Fähigkeit eines Menschen, zu dulden und Nachsicht zu üben, ungeheuer, ja unbegrenzt erhöht.
Gleichmut bedeutet, ein ruhiges und unbewegtes Mental und Vital zu haben. Er bedeutet, von Dingen, die geschehen, die gesagt oder dir angetan wurden, nicht berührt oder gestört zu werden, sondern sie mit geradem Blick zu betrachten, frei von den Verzerrungen, die durch das persönliche Gefühl entstehen. Er bedeutet, zu erkennen zu versuchen, was hinter ihnen steht, warum sie geschehen, was von ihnen gelernt werden kann, was es in einem selbst ist, wogegen sie geworfen werden, und welchen inneren Nutzen oder Fortschritt man durch sie gewinnen kann. Gleichmut bedeutet die Meisterung der vitalen Regungen wie Ärger, Empfindlichkeit und Stolz, Begehren und all das Übrige. Er bedeutet, dass man ihnen nicht erlaubt, vom emotionalen Wesen Besitz zu ergreifen und den inneren Frieden zu stören. Er bedeutet, im Ansturm oder Impuls dieser Dinge nicht zu sprechen und zu handeln, sondern immer nur in der ruhigen inneren Ausgeglichenheit des spirituellen Geistes. Es ist nicht leicht, diesen Gleichmut in vollem Umfang zu haben, doch sollte man versuchen, ihn mehr und mehr zur Grundlage des inneren Zustandes und der äußeren Bewegungen zu machen.
Gleichmut bedeutet noch etwas anderes – eine gleichmütige Ansicht von den Menschen und ihrer Natur zu haben sowie von den Taten und Kräften, die sie bewegen. Es gelingt einem eher, die Wahrheit über sie zu erkennen, wenn man aus der Betrachtungsweise und dem Urteil des Mentals alle persönlichen Gefühle und sogar alle mentalen Vorurteile entfernt. Persönliche Gefühle verzerren immer und lassen einen in den Taten der Menschen nicht nur diese Taten selbst sehen, sondern auch Dinge dahinter, die meist gar nicht vorhanden sind. Missverständnisse und Fehlurteile, die man hätte vermeiden können, sind das Ergebnis, und Geschehnisse von geringfügiger Bedeutung zeitigen große Auswirkungen. Ich habe beobachtet, dass mehr als die Hälfte solcher widrigen Ereignisse im Leben darin ihre Ursache haben. Im gewöhnlichen Leben jedoch sind das persönliche Gefühl und die Empfindlichkeit feste Teile der menschlichen Natur und mögen dort als eine Art Selbstverteidigung ihren Zweck erfüllen – obwohl vermutlich auch dort eine kraftvolle, weite und gleichmütige Haltung den Menschen und Dingen gegenüber eine wesentlich bessere Art der Verteidigung wäre. Für einen Sadhak aber besteht ein großer Teil seines Fortschritts darin, diese Dinge zu überwinden und nur in der stillen Kraft des spirituellen Geistes zu leben.

Worte Sri Aurobindos
Die Festigung der vollkommenen samata, des vollkommenen Gleichmuts, dauert lange und hängt von drei Dingen ab: von dem Selbstgeben der Seele an das Göttliche durch die innere Hingabe, von der Herabkunft der spirituellen Stille und des spirituellen Friedens und von der stetigen, langwierigen und beharrlichen Zurückweisung aller egoistischen, rajasischen und anderen Gefühle, die der samata entgegengerichtet sind.
