KAPITEL 5

WILLENSKRAFT

Wenn wir unsere Bemühungen hinter uns gelassen haben, werden wir Macht besitzen. Anstrengung war der Helfer, Anstrengung ist das Hindernis. (SRI AUROBINDO, Gedanken und Aphorismen)

Er (Sri Aurobindo) stellt all die Anstrengungen des Willens bestimmte Dinge zu erreichen – das heißt, all die oberflächlichen Willensrichtungen, die oft gegensätzlich und widersprüchlich und ohne dauerhafte Basis sind – in Gegensatz zu dem wahren Willen, weil sie darauf basieren, dass man das will, was man oberflächlich kennt, aber nicht auf wirklicher Erkenntnis oder wirklichem Wissen – durch den wahren Willen.

Diese Willensrichtungen sind notwendigerweise bruchstückhaft, flüchtig und oft in Opposition zueinander, und das verleiht dem individuellen und sogar dem kollektiven Leben die Natur von Zusammenhangslosigkeit, Unvereinbarkeit und Verworrenheit. Das Wort „Wille“ wird (im Yoga) oft gebraucht, um das anzuzeigen, was dem tieferen Wesen oder der höheren Realität entspringt, und durch Handlungen das wahre Wissen ausdrückt, das Sri Aurobindo dem „Kennen“ entgegenstellt. Wenn sich also dieser Wille manifestiert, der wahres Wissen durch sein Wirken ausdrückt, realisiert er sich durch das Eingreifen einer tiefen und direkten Kraft, was dann keine Anstrengung mehr erfordert. Darum sagt Sri Aurobindo hier, dass die wahre Macht im Handeln nicht entstehen kann, solange man nicht die Stufe unterschiedlicher Willensrichtungen überschritten hat, das heißt, bis das Handeln nicht mehr das Resultat rein überlegender Aktivität, sondern von wahrem Wissen ist. Wahres Wissen, das im äußeren Wesen aktiv wird, verleiht echte Macht.

Das scheint eine Erklärung zu sein, die richtige Erklärung, für das sehr bekannte Sprichwort das in seinem Sinn nicht verstanden wird, aber eine Wahrheit ausdrückt: „Wo ein Wille ist, da ist ein Weg“, etwas Wahres zu wollen heißt, auch die Macht dazu zu haben. Es ist ganz offensichtlich, dass sich das nicht auf Bemühungen des Willens bezieht, das heißt, auf die mehr oder weniger unzusammenhängenden Ausdrücke von Wünschen, sondern auf den wahren Willen, der wahres Wissen ausdrückt; denn dieser wahre Wille trägt in sich die Kraft der Wahrheit die Macht verleiht – eine unbesiegbare Macht. Um Wünsche zu erfüllen, und um fähig zu sein, diese im Leben umzusetzen und wirksam zu machen, muss etwas Anstrengung hinzukommen – durch persönliche Anstrengung macht man Fortschritte, und durch persönliche Anstrengung zwingt man seine Wünsche dem Leben auf, damit es ihren Forderungen nachgibt – aber wenn es keine Wünsche mehr gibt, wenn es stattdessen der wahre Wille ist, der wahres Wissen ausdrückt, dann ist diese Art von Anstrengung nicht mehr notwendig, denn dieser Wille ist allmächtig. (32)

DIE MUTTER

Süße Mutter, wie können wir unseren Entschluss sehr stark machen?

Indem man will, dass er sehr stark ist! (Gelächter)

Nein, das scheint ein Scherz zu sein … aber es ist absolut wahr. Etwas geht nicht, weil man es nicht wirklich will. Es ist immer wenn du… Es ist ein Mangel an Aufrichtigkeit. Wenn du dich ehrlich betrachtest, gibt es in dir etwas das sich entschlossen hat eine Sache zu wollen, und dann, darunter versteckt, ist noch etwas Anderes in dir, das sich überhaupt nicht dazu entschlossen hat, und dieses Etwas wartet auf eine Sekunde des Zögerns, um aus seinem Versteck hervorzukommen. Wenn du aufrichtig bist, wenn du ehrlich bist, ergreifst du diesen Teil in dir, dieses Etwas das sich versteckt, sich nicht zeigt, und wartet, weil es weiß, dass es in einem Moment der Unentschlossenheit hervortreten kann, um dich dazu zu bringen das zu tun, was du eigentlich nicht tun wolltest…

Aber wenn du etwas wirklich willst, kann dich nichts in der Welt davon abhalten, das zu tun, was du willst. Man weiß nicht, wie man etwas wollen muss, weil man in seinem Willen gespalten ist. Ich sage, wenn du in deinem Willen nicht gespalten bist, kann dich nichts und niemand auf der Welt von deinem Willen abbringen.

Aber man versteht nicht, wie man etwas wollen kann. Tatsächlich will man es nicht einmal. Man äußert mit kraftlosem Willen: „Ja, das ist so … es wäre zwar gut, wenn es anders wäre … ja, es wäre zwar besser, wenn es anders wäre … ja, es wäre zwar wünschenswerter, wenn es so oder so wäre.“ Aber das heißt nicht, etwas zu wollen. Denn da ist immer etwas im Hintergrund, versteckt in einer Ecke des Gehirns, ein Etwas, das zuschaut und sagt: „Oh, warum sollte ich das denn wollen? Schließlich kann man ja genauso gut auch das Gegenteil wollen.“ Man muss es versuchen, weißt du. Nicht einfach nur warten… Aber man kann immer tausend Entschuldigungen finden, um gen au das Gegenteil zu tun. Und ah, nur ein kleines bisschen Zögern ist genug und … pftt … das Etwas stürzt sich darauf, und dann hast du es. Aber wenn man will, wenn man wirklich weiß, dass dies die Sache ist, die man will, und wenn man sie ehrlich will, und wenn man selbst gänzlich darauf konzentriert ist, sie zu wollen, sage ich, dass es nichts auf der Welt gibt, was einen davon abhalten kann, sie zu tun, sie durchzuführen oder in eine Sache einzuwilligen. Es kommt darauf an, was es ist.

Man möchte. Ja, man möchte so (sie macht Gesten). Man tut nur so, als ob man möchte: „Ja, ja es wäre besser, wenn es so wäre. Ja, es wäre netter und auch eleganter.“ … Aber äh, äh, schließlich ist man ja eine schwache Kreatur, nicht wahr? Denn dann kann man die Schuld immer auf etwas anderes schieben, wie: „Es ist ein Einfluss, der von außen kommt der es verhindert, es liegt an allen möglichen Umständen.“

Dann ist der Augenblick vorbei, weißt du. Du merkst es nicht … etwas … ein Moment der Unbewusstheit… „Oh, es war mir nicht bewusst.“ Du bist nicht bewusst, weil du nicht akzeptierst… Und alles deshalb, weil man nicht versteht, wie man etwas will.

Zu lernen, wie man etwas will ist sehr wichtig. Und um etwas ehrlich zu wollen, musst du dein Wesen einen. Tatsächlich muss man zuerst sein Wesen einen, um überhaupt ein Wesen zu sein. Wenn man von völlig gegensätzlichen Tendenzen hin- und hergezogen wird, wenn man drei Viertel seines Lebens verbringt, ohne sich seiner selbst und der Gründe bewusst zu sein, warum man etwas macht, hat man dann wirklich ein eigenes Wesen? Man existiert dann nicht wirklich. Man besteht aus einer Masse von Einflüssen, Bewegungen, Kräften, Handlungen, Reaktionen, aber man ist kein Wesen. Man fängt an ein Wesen zu sein, wenn man anfängt, einen Willen zu haben. Und man kann keinen Willen haben, solange man nicht mit sich einig ist.

Wenn du einen Willen hast, wirst du fähig sein zum Göttlichen zu sagen: „Ich will, was du willst.“ Aber nicht vorher. Denn um das zu wollen was das Göttliche will, musst du einen Willen haben, denn sonst kannst du überhaupt nichts wollen. Du würdest gern. Du würdest sogar sehr gerne. Du würdest sehr gerne das wollen, was das Göttliche will. Aber du besitzt keinen Willen, den du Ihm zur Verfügung stellen kannst, sodass er Ihm dienlich ist. Stattdessen ist da so etwas Gelatineartiges, ähnlich wie ein Tintenfisch … da ist … eine Menge von gutem Willen … ich betrachte nur die bessere Seite der Dinge und vergesse den bösen Willen – eine Menge von gutem Willen, halb bewusst und schwankend. (33)

DIE MUTTER

Die Macht des bewussten Willens über den Körper

Die Grundlage aller Methoden des Sports ist die Kraft, die der bewusste Wille über die Materie ausübt. Gewöhnlich ist es eine Methode, die jemand recht erfolgreich erprobt, und als Anwendungsprinzip ausgearbeitet hat, das er dann andere gelehrt hat, die es ihrerseits fortgesetzt und weiter perfektioniert haben, bis daraus eine etwas festgelegte Form der einen oder anderen Art von Disziplin geworden ist. Die Grundlage des Ganzen jedoch ist die bewusste Kontrolle des Willens über den Körper. Die exakte Form der Methode ist: nicht von größter Bedeutung. In unterschiedlichen Ländern wurde zu unterschiedlichen Zeiten die eine oder andere Methode angewendet, aber dahinter steht immer eine kanalisierte mentale Kraft, die methodisch arbeitet.

Natürlich versuchen einige Methoden eine höhere Kraft zu benutzen, die dann ihre Fähigkeit auf die mentale Kraft übertragen kann: wenn die Kraft einer höheren Ordnung in die mentale Methode einfließt, wird diese Methode natürlich viel effektiver und wirkungsvoller. Aber grundsätzlich hängen alle diese Methoden vor allem von der Person ab, die sie praktiziert, und davon wie diese sie benützt. Man kann sogar in den materiellsten, gewöhnlichsten körperlichen Prozessen von dieser Methode Gebrauch machen, um in sie die Kräfte einer höheren Ordnung zu leiten. Und alle Methoden, welche auch immer, hängen ausschließlich von demjenigen ab, der sie praktiziert, davon, was er in sie hineinlegt.

Seht ihr, wenn wir dieses Thema in einer modernsten äußerlichsten Weise betrachten, stellt sich die Frage, wie es dazu kommt, dass all die Bewegungen die wir fast ununterbrochen in unserem Alltag machen, oder die wir bei der Arbeit machen müssen, wenn es körperliche Arbeit ist, überhaupt nicht, sehr wenig, oder nur vernachlässigbar dazu beitragen, die Muskeln und die Harmonie unseres Körpers zu entwickeln? Die gleichen Bewegungen können dir andererseits plötzlich helfen, deine Muskeln und deinen Körper zu entwickeln, wenn sie bewusst, überlegt, und mit einem bestimmten Ziel gemacht werden. Es gibt zum Beispiel Arbeiten, bei denen Menschen extrem schwere Lasten tragen müssen, wie Säcke mit Zement, Getreide oder Kohle, und sich dafür beachtlich anstrengen; bis zu einem bestimmten Grad machen sie das mit einer erworbenen Leichtigkeit, aber es verleiht ihnen keine Harmonie des Körpers, weil sie es nicht mit der Idee machen ihre Muskeln entwickeln zu wollen, sie machen es „einfach so“. Aber jemand, der einer Methode folgt, die er entweder erlernt oder sich selbst beigebracht hat, und der dieselben Bewegungen mit der Idee macht, dabei diesen oder jenen Muskel zu entwickeln, um in seinem Körper eine Harmonie zu schaffen – hat Erfolg damit.

Das ist deshalb so, weil etwas im bewussten Willen Beachtliches zu der Bewegung selbst beiträgt.

Diejenigen, die wirklich Sport betreiben, wie er heutzutage verstanden wird, machen alles was sie tun, bewusst. Sie steigen die Treppen bewusst herunter, sie machen die Körperbewegungen im täglichen Leben bewusst, nicht mechanisch. Ein aufmerksames Auge wird vielleicht einen kleinen Unterschied feststellen, aber der größte Unterschied dabei liegt im Willen, in dem bewussten Willen, den sie in ihre Bewegungen hineinlegen. Gehen, um irgendwo hinzukommen, und Gehen als Übung ist nicht ein und dieselbe Sache. Es ist der bewusste Wille in all diesen Dingen der wichtig ist, er ist es, der den Fortschritt und ein Resultat erzielt. Deswegen meine ich, dass die Methode an sich die man benutzt, nur von relativer Wichtigkeit ist; der Wille, ein bestimmtes Resultat zu erhalten ist wichtig.

Der Yogi oder angehende Yogi, der Asanas ausübt um ein spirituelles Ergebnis, oder einfach nur Kontrolle über seinen Körper zu erhalten, bekommt Resultate, weil er sie mit diesem Ziel ausführt, wohingegen ich einige Leute kenne, die genau die gleichen Dinge machen, jedoch aus allen möglichen Gründen, die zu spiritueller Entwicklung keine Beziehung haben, und denen es nicht einmal gelungen ist, dadurch eine gute Gesundheit zu erlangen!

Und dennoch machen sie genau die gleiche Sache, manchmal machen sie die sogar viel besser als der Yogi, aber das verleiht ihnen keine dauerhafte Gesundheit, weil sie nicht darüber nachgedacht haben, und sie sich das nicht in ihren Gedanken zur Absicht gemacht haben.

Ich habe diese Leute selbst gefragt, ich sagte zu einem von ihnen: „Aber wie kannst du krank werden, nach all den Übungen, die du gemacht hast?“ – „Oh, aber ich habe niemals daran gedacht, nicht krank zu werden, das ist nicht der Grund, warum ich sie mache.“

Das bedeutet, dass es der bewusste Wille ist, der auf die Materie Einfluss ausübt, und nicht die materielle Tatsache der Übung.

Ihr müsst es nur versuchen, dann werdet ihr sehr gut verstehen, was ich meine. Zum Beispiel, alle Bewegungen, die ihr ausführt während ihr euch anzieht, euer Bad nehmt, euer Zimmer aufräumt … oder was auch immer; macht diese Körperbewegungen einmal bewusst, mit dem Willen, dass dieser oder jener Muskel gezielt beansprucht werden soll. Ihr werdet sehen, ihr werdet wirklich erstaunliche Resultate erlangen.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie nützlich es für die Entwicklung des Körpers sein kann, die Treppen hinauf- und hinabzusteigen, wenn ihr versteht, das zu befolgen. Anstatt einfach nur die Treppe hinaufzugehen, weil ihr nach oben kommen wollt, und herunterzusteigen, um unten anzukommen, wie jeder gewöhnliche Mensch, steigt mit dem Bewusstsein hoch, wie alle Muskeln daran beteiligt sind, und lasst sie harmonisch zusammenarbeiten! Ihr werdet sehen. Versucht es nur ein bisschen, und ihr werdet sehen. Das heißt, dass ihr alle Bewegungen in eurem Leben für eine harmonische Entwicklung eures Körpers benützen könnt.

Ihr bückt euch um etwas aufzuheben, ihr streckt euch, um etwas zu finden, was ganz oben auf dem Schrank liegt, ihr öffnet eine Tür, ihr schließt sie, ihr müsst ein Hindernis umgehen, es gibt hundertundeine Sache, die ihr ständig macht, und für euer physisches Training benützen könnt, und die euch zeigen, dass es das Bewusstsein ist, das ihr hineinlegt, das die Resultate erzielt, hundertmal mehr als einfach die materielle Tatsache, diese Dinge einfach nur so zu tun.

Also, wählt die Methode, die euch am besten gefällt, dann könnt ihr euren gesamten Alltag auf diese Weise benützen… Denkt immer an die Harmonie des Körpers, an die Schönheit der Bewegungen, dar an, nichts zu tun, was ohne Anmut und linkisch ist. Ihr könnt so zu einem Rhythmus der Bewegungen und Gesten gelangen, der sehr außergewöhnlich ist. (34)

DIE MUTTER

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