Kapitel 4
Das Ziel
Worte Sri Aurobindos
Sein, das durch die Macht und aus reiner Freude seines bewussten Wesens wirkt und erschafft, ist die Wirklichkeit, die wir sind, das Selbst all unserer Seinsweisen und Stimmungen, Ursache, Zweck und Ziel all unseres Handelns, Werdens und Erschaffens. Wie der Dichter, Künstler oder Musiker, wenn er etwas erschafft, in Wirklichkeit nichts anderes tut, als eine in seinem unmanifestierten Selbst enthaltene Potenz in eine Form der Manifestation zu entfalten, wie Denker, Staatsmann, Techniker nur das in dingliche Gestaltung herausbringen, was in ihnen selbst verborgen lag, was sie selbst waren und auch dann noch sind, wenn es in Form geprägt ist, so ist es mit der Welt und mit dem Ewigen. Die ganze Schöpfung oder alles Werden ist nichts als diese Selbst-Manifestation. Aus dem Keim entwickelt sich, was schon im Keim enthalten ist, präexistent war, im Wesen prädestiniert ist in seinem Willen zum Werden, im voraus angelegt ist auf die Seligkeit des Werdens. Das ursprüngliche Plasma enthielt schon in sich, in der Kraft des Wesens, den aus ihm entstehenden Organismus. Denn immer ist es jene geheime, die Last der Schöpfung tragende, selbst-wissende Kraft, die sich unter ihrem eigenen unwiderstehlichen Impuls abmüht, die Form ihrer selbst zu manifestieren, mit der sie belastet ist. Allein der individuelle Mensch, der aus sich heraus etwas erschafft oder entwickelt, macht einen Unterschied zwischen sich, der in ihm wirkenden Kraft und dem von ihm bearbeiteten Material. In Wirklichkeit ist er die Kraft selbst. Das individualisierte Bewusstsein, das der Kraft als Werkzeug dient, ist er selbst. Das Material, das sie verwendet, ist er selbst. Und auch die sich ergebende Form ist er selbst. Mit anderen Worten: es gibt nur ein einziges Sein, eine einzige Kraft, eine einzige Seligkeit des Wesens, die sich an verschiedenen Punkten konzentriert und an jedem Punkt sagt: „Dieses bin ich“ und dort durch ein vielfältiges Spiel der Selbst-Kraft für ein vielfältiges Spiel der Selbst-Gestaltung wirkt.
Was diese Selbst-Kraft hervorbringt, ist sie selbst. Es kann nichts anderes als sie selbst sein. Sie arbeitet ein Spiel aus, einen Rhythmus, eine Entfaltung ihres eigenen Seins, ihrer eigenen Bewusstseins-Kraft und ihrer Seins-Seligkeit. Darum sucht alles, was in die Welt eintritt, nichts anderes als dies: zu sein, zu der beabsichtigten Gestaltung zu gelangen, sein Selbst-Sein in dieser Gestalt auszuweiten, das Bewusstsein und die ihm innewohnende Macht zu entwickeln, zu manifestieren, zu vermehren, bis ins Unendliche zu realisieren, und es will die Freude seines Eintritts in die Manifestation besitzen: die Seligkeit der Form des Seienden, die Seligkeit des Rhythmus des Bewusstseins, die Seligkeit des Spiels der Kraft. Diese Freude will es mit allen verfügbaren Mitteln vergrößern und vervollkommnen, in jeder Richtung, durch jede Idee seiner selbst, die ihm nahe gelegt wird durch das Sein, die Bewusstseins-Kraft und die Seligkeit, die in seinem tiefsten Wesen wirksam wird.
Wenn es ein Ziel, eine Vollkommenheit gibt, nach der alles strebt, kann es – beim Individuum ebenso wie bei dem Ganzen, das die Einzelnen konstituieren – nur die Vervollkommnung seines Selbst-Seins sein, seiner Macht, seines Bewusstseins und seiner Freude als Seiendes. Solange aber das individuelle Bewusstsein innerhalb der Grenzen der individuellen Gestaltung konzentriert ist, kann es keine solche Vollkommenheit haben. Eine absolute Vollkommenheit ist im Endlichen nicht erreichbar, weil sie dem Selbst-Begriff des Endlichen fremd ist. Darum ist das Hervortreten des unendlichen Bewusstseins im individuellen Menschen das einzig mögliche Endziel. So entdeckt er wieder die Wahrheit von sich selbst durch Selbst-Erkenntnis und Selbst-Verwirklichung, die Wahrheit des Unendlichen im Seienden, des Unendlichen im Bewusstsein, des Unendlichen in der Freude, die er wieder in Besitz nimmt als sein eigenes Selbst und als Wirklichkeit, von der das Endliche nur Maske und Instrument ist, um es in verschiedenartiger Weise auszudrücken.
So müssen wir uns, gerade durch die Natur des Welt-Spiels, wie es von Sachchidananda in der ungeheuren Weite Seines als Raum und Zeit ausgebreiteten Seins verwirklicht wurde, zuerst eine Involution und Selbst-Absorption des bewussten Wesens in die Dichtigkeit und unendliche Teilbarkeit des Stoffes vorstellen. Anders kann es keine endliche Variation geben. Ferner müssen wir erkennen, wie die Kraft, die sich selbst in das geformte, in das lebendige und in das denkende Wesen einsperrte, daraus hervortritt. Schließlich sehen wir, wie das gestaltete denkende Wesen in die freie Verwirklichung seiner selbst als das Eine und Unendliche freigesetzt wird, das in der Welt sein Spiel aufführt. Durch die Befreiung erlangt es wieder die grenzenlose Seins-Bewusstseins-Seligkeit, die es jetzt schon insgeheim wirklich und ewig ist. Diese dreifache Bewegung ist der ganze Schlüssel des Welt-Rätsels.

Worte Sri Aurobindos
Ein göttliches Leben in einem göttlichen Körper ist die Formulierung unseres angestrebten Ideals.
