Kapitel 3

Was ist das Denken

Worte Sri Aurobindos

Alle unsere Gedanken, unser Wollen, Fühlen und unsere Sinneseindrücke tragen in sich oder in ihren Wurzeln ein Element der Wahrheit, welches sie hervorruft und unterstützt; sie können in ihren Gegebenheiten aber verdreht oder falsch sein. Alle haben im Hintergrund eine größere, nicht erfasste Wahrheit, welche sie, wenn sie sie begreifen könnten, bald geeint, harmonisch und wenigstens relativ vollkommen machen würde. Im Augenblick ist diese Wahrheit, soweit überhaupt vorhanden, in ihrem Umfang gemindert, zu einer niedrigeren Bewegung degradiert, durch Zerstückelung geteilt und verfälscht, durch Unvollständigkeit beeinträchtigt und durch Verdrehung entstellt.

Worte Sri Aurobindos

Das Denken bringt nicht das Wissen hervor, sondern ist der „Mediator“ zwischen dem Nichtbewussten und dem Überbewussten. Es zwingt die aus dem Nichtbewussten hervorgegangene Welt, sich nach einem anderen als dem instinktiven vitalen oder bloß empirischen Wissen auszustrecken, nach einem Wissen, das selbst das Denken übersteigt. Es ruft nach dem überbewussten Wissen und bereitet hier das Bewusstsein darauf vor, es zu empfangen. Es erhebt sich selbst zu den höheren Bereichen und ist sogar im Verschwinden in die supramentalen und Ananda-Ebenen in etwas transformiert, das deren Kräfte in das stille Selbst herabbringen wird, welches seine Auflösung hinter sich lässt.

Worte Sri Aurobindos

Der Irrtum entsteht dadurch, dass Du deine Gedanken für deine eigenen hältst, ihr Schöpfer bist, und dass es keine Gedanken geben wird, wenn du sie nicht erschaffst. Ein bisschen genaues Hinschauen sollte zeigen, dass du deine Gedanken nicht selbst kreierst, sondern dass Gedanken in dir auftreten. Gedanken werden geboren, nicht gemacht, – nach einem Sprichwort: wie die Dichter. Natürlich ist es eine Art Arbeit und Bemühen, wenn du versuchst, eine bestimmte Sache hervorzubringen, beziehungsweise über sie nachzudenken. Aber es ist eine Konzentration, um Gedanken hervorzubringen, herein- oder herabzubringen, wie es gerade geschehen mag, und sie zusammenzufügen. Die Vorstellung, dass du die Gedanken formst oder sie zusammenfügst, ist eine subjektivistische Täuschung. Sie selbst tun dies oder die Natur tut es für dich, allerdings unter einem bestimmten Druck. Du musst sie oft antreiben, damit sie dies tut, und der Druck ist nicht immer erfolgreich. Aber das Mental oder die Natur oder mentale Energie – wie du es auch nennen magst – tut dies auf bestimmte Weise und fährt mit einer bestimmten Ordnung von Gedanken fort, zufälligen Intelligentismen (entschuldige diese Sprachwidrigkeit) oder Dummheiten, starr geordneten Intellektualitäten, logischen Sequenzen und logischen Inkonsequenzen, et cetera et cetera.

Worte Sri Aurobindos

Das ist der Weg, auf dem Dinge kommen, man bemerkt es nur nicht. Gedanken, Ideen, glückliche Erfindungen et cetera, et cetera wandern immer herum (in Gedankenwellen oder auf andere Art) und suchen ein Mental, das ihnen Gestalt geben möchte. Ein Mental nimmt sie auf, betrachtet sie, weist sie zurück, – ein anderes nimmt sie auf, schaut sie an und akzeptiert sie. Zwei verschiedene Mentale fangen dieselbe Gedankenform oder -welle auf, aber da die mentalen Aktivitäten verschieden sind, resultieren verschiedene Ergebnisse daraus. Oder sie kommt zu einem und er tut nichts, dann geht sie weg, sagt: „Oh, dieses unfertige Tier!“ und geht zu einem anderen, der sie prompt willkommen heißt, und sie beginnt, sich mit einem fröhlichen Blubbern der Inspiration, Erleuchtung oder Begeisterung über diese originale Entdeckung oder Schöpfung auszudrücken. Und der Empfänger ruft stolz: „Ich, ich habe das gemacht.“ Ego, mein Herr! Ego! Du bist der Empfänger, das aufbereitende Medium, wenn du möchtest, – nicht mehr.

Worte Sri Aurobindos

Für den Yoga – und nicht nur für den Yoga ist die Kontrolle der eigenen Gedanken genauso wichtig wie die Kontrolle der vitalen Wünsche oder die Beherrschung der körperlichen Regungen. Man kann sogar kein voll entwickeltes mentales Wesen sein, wenn man keine Gedankenkontrolle hat und nicht deren Beobachter, Richter und Meister ist, – der mentale Purusha, manomaya purusha, sakshi, anumanta, ishwara. Es ist dem mentalen Wesen nicht angemessen, der Tennisball wilder und unkontrollierbarer Gedanken zu sein, oder ein steuerloses Schiff im Sturm von Begierden und Passionen oder ein Sklave von Trägheit oder körperlicher Impulse. Ich weiß, es ist schwieriger, weil der Mensch, der hauptsächlich eine Kreatur der mentalen Prakriti ist, sich mit den Regungen des Mentals identifiziert und sich nicht sofort distanzieren und von den Strudeln des mentalen Whirlpools befreien kann. Es ist für ihn vergleichbar einfach, den Körper oder wenigsten einen Teil seiner Regungen zu beherrschen. Weniger leicht ist es, aber mit Anstrengung durchaus immer noch möglich, über seine vitalen Impulse und Begehren eine mentale Kontrolle auszuüben. Aber wie ein tantrischer Yogi am Flussufer auf dem Whirlpool seiner Gedanken zu sitzen, ist weniger einfach. Nichtsdestotrotz kann es getan werden. Alle mental entwickelten Menschen, jene, die den Durchschnitt überragen, müssen auf die eine oder andere Weise oder wenigsten zu gewissen Zeiten und zu bestimmten Zwecken die zwei Teile des mentalen Geistes voneinander trennen – den aktiven, welcher eine Gedankenfabrik ist – und den stillen meisterhaften Teil, der gleichzeitig ein Zeuge und ein Wille ist. Er muss sie beobachten, beurteilen, zurückweisen, aussortieren, akzeptieren und korrigierende Änderungen verfügen, – der Herr im Hause des Mentals sein, fähig zur Selbstregierung – samrajya.

Der Yogi geht noch darüber hinaus; er ist dort nicht nur der Meister, sondern geht sogar, wenn er sich in gewisser Hinsicht im Mental befindet, sozusagen aus ihm heraus, steht darüber oder weit dahinter und ist frei. Bei ihm gilt das Bild der Gedankenfabrik nicht mehr. Denn er sieht, dass Gedanken von außen kommen, aus dem universalen Mental oder der Natur. Manchmal sind sie geformt und klar, manchmal ungeformt. Und dann nehmen sie irgendwo in uns Gestalt an. Das hauptsächliche Geschäft unseres mentalen Geistes besteht entweder in einer akzeptierenden Antwort oder einer Zurückweisung dieser Gedankenwellen (wie auch der Wellen aus dem Vital oder der subtilen physischen Energie). Oder das Mental verleiht dem Gedankenmaterial (oder den vitalen Regungen) aus der umgebenden Natur-Kraft eine persönliche mentale Form.

Worte Sri Aurobindos

Wenn die Schwierigkeit in der Meditation darin besteht, dass alle Arten von Gedanken hereinströmen, sind nicht feindliche Kräfte, sondern die normale Natur des menschlichen Mentals dafür verantwortlich… Es gibt mehrere Wege, sie loszuwerden. Einer besteht darin, die Gedanken anzuschauen und an ihnen zu beobachten, welche Natur das menschlichen Mental hat, aber sie in keiner Weise zu unterstützen und weiterlaufen zu lassen, bis sie zum Stillstand kommen. Dies ist der Weg, den Vivekananda in seinem Rajayoga empfohlen hat. Ein anderer Weg ist, die Gedanken nicht als die eigenen zu akzeptieren, sondern als Zeugen-Purusha zurückzutreten und ihnen die Zustimmung zu verweigern. – Die Gedanken werden als etwas betrachtet, das von außen aus der Prakriti kommt. Man muss sie als Passanten sehen, die den mentalen Raum durchkreuzen, und mit denen man keine Verbindung hat und sich nicht für sie interessiert. Wenn man so vorgeht, geschieht es nach einiger Zeit, dass sich das Mental zweiteilt: in den mentalen Zeugen, der beobachtet und völlig ungestört und ruhig ist, und einen anderen Teil, welcher das Objekt der Beobachtung ist – der Prakriti-Teil, in dem die Gedanken kreuzen und wandern. Danach kann man weitergehen und den Prakriti-Teil ebenso beschwichtigen oder zum Schweigen bringen. Es gibt eine dritte, eine aktive Methode, in der man beobachtet, woher die Gedanken kommen, und erkennt, dass sie nicht aus einem selbst, sondern sozusagen von außerhalb des Kopfes kommen. Wenn man sie kommen sieht, muss man sie komplett hinauswerfen, bevor sie eintreten können. Dies ist vielleicht der schwerste Weg, und nicht alle können ihn gehen, aber wenn es gelingt, ist es der kürzeste und mächtigste Weg zur Stille.