KAPITEL 3
VORSTELLUNGSKRAFT
Imagination ist eine bildende Kraft der Gestaltung. Tatsächlich sind Menschen die keine Vorstellungskraft besitzen, vom mentalen Standpunkt aus nicht plastisch, sie können ihren Gedanken keine gegenständliche Ausdruckskraft verleihen.
Imagination ist auch ein sehr starkes Ausdrucksmittel des Handelns. Wenn du zum Beispiel irgendwo im Körper einen Schmerz spürst, und dir dann vorstellst, dass du diesen Schmerz entweder verschwinden lässt, oder ihn entfernst oder zerstörst, – dir also alle Arten von solchen Bildern vorstellst – wirst du damit vollen Erfolg haben.
Es gibt da die Geschichte von einer Frau, die ihr Haar mit grotesker Geschwindigkeit verlor, so schnell, dass sie innerhalb weniger Wochen fast kahlköpfig war, und dann sagte ihr jemand: „Wenn du dein Haar bürstest, stell dir dabei vor, dass es jetzt wächst und sehr schnell weiter wachsen wird.“ Daraufhin sagte sie, immer wenn sie ihr Haar bürstete: „Oh, mein Haar wächst, – es wird sehr schnell wachsen…“ – und es geschah wirklich! Aber normalerweise sagen die Menschen in so einer Situation zu sich selbst: „Ah! Mein Haar fällt wieder aus, und ich werde sicher kahl werden, ganz bestimmt.“
Und natürlich geschieht das dann auch. (16)
DIE MUTTER

Wie wird die Vorstellungskraft diszipliniert?
Das, was vage „Imagination“ genannt wird, ist etwas sehr Komplexes und Vielfältiges.
Es kann die Fähigkeit sein, im mentalen oder in einem anderen Bereich die Formen sehen zu können, die dort existieren, und sie zu beobachten und aufzuzeichnen. Es gibt künstlerische, literarische und poetische Domänen oder Bewusstseinsebenen und Ebenen vitaler und mentaler Aktivitäten, sowie wissenschaftliche Bereiche des Bewusstseins, die alle zur Ebene des Verstandes gehören – keines sehr hoch entwickelten abstrakten Verstandes, sondern einer Ebene des Verstandes über dem physischen Verstand, welche, ohne dass wir etwas davon wissen, ununterbrochen durch den individuellen oder kollektiven Verstand strömt, um sich durch ihn in Aktivitäten auszudrücken.
Einige Menschen sind durch eine besondere Fähigkeit mit diesen Bereichen des Bewusstseins in Kontakt, greifen das eine oder andere Element daraus auf, ziehen es an sich, und verleihen ihm einen Ausdruck. Die Stärke dieser Ausdruckskraft ist unterschiedlich in verschiedenen Leuten, aber diejenigen, die sich für diese Bereiche öffnen können um Dinge dort zu sehen, und diese geistigen Formen an sich zu ziehen, und diese dann entweder in der Literatur oder in der Malerei oder Musik, oder in ihrem Handeln oder in den Wissenschaften auszudrücken, sind, – entsprechend dem Grad der Kraft ihres Ausdrucks, entweder hochtalentierte Menschen oder Genies.
Es gibt auch Stufen noch höher entwickelter Genies. Damit meine ich Menschen, die sich einer noch höheren Region des Geistes öffnen können, einer höheren Kraft, welche, von dort kommend, die mentalen Ebenen passiert, den menschlichen Verstand erreicht, und durch ihn neue Ausdrucksformen bildet, die sich in der Welt als neue Wahrheiten, neue philosophische Systeme oder neue spirituelle Lehren enthüllen können, das sind dann die Werke und gleichzeitig auch die Handlungen hervorragender Menschen, die bewusst für diese Aufgaben geboren werden. Sie besitzen eine Kraft der Vorstellung, die man „Wahrheits-Imagination“ nennen kann.
Wenn diese höheren Kräfte in die Erdatmosphäre herabkommen, nehmen sie lebendige, aktive, kraftvolle Ideen-Formen an, breiten sich überall auf der Welt aus, und bereiten ein neues Zeitalter vor.
Diese zwei Arten von Imagination könnte man als höhere Vorstellungskräfte bezeichnen.
Und nun – um wieder auf eine gewöhnlichere Ebene herunterzukommen – jeder trägt in sich in größerem oder kleinerem Maße die Kraft, seiner gedanklichen Tätigkeit Formen zu verleihen, und diese Gedankenformen entweder in seinen gewöhnlichen Handlungen zu gebrauchen oder damit etwas Besonderes zu schaffen. Wir sind die ganze Zeit, andauernd, dabei, Bilder zu erschaffen, Gedankenformen zu erzeugen. Wir senden sie in die Atmosphäre aus, sogar ohne zu wissen, dass wir das machen – sie streifen herum von einer Person zur anderen, treffen dort auf Gesellschaft, finden auch manchmal zueinander und machen glücklich zusammen weiter, oder schaffen gelegentlich Konflikte, und es gibt auch Kämpfe unter ihnen, denn oft, sehr oft, existiert in diesen gedanklichen Vorstellungen ein kleines Element des Willens, das versucht sich durchzusetzen, und da dann jeder versucht seine eigene Form der Vorstellung auszusenden, sodass sie aktiv werden kann, damit die Dinge so passieren, wie man es möchte, gibt es ein allgemeines Durcheinander, weil jeder es so macht.
Wenn unsere Augen sich für die Vision all dieser Formen in der Atmosphäre öffnen könnten, würden wir sehr erstaunliche Dinge sehen: Schlachtfelder mit Angriffswellen, Attacken, und Rückzüge einer Masse kleiner mentaler Geschöpfe, die ununterbrochen in die Luft geschleudert werden, und immer versuchen, sich durchzusetzen. All diese Gebilde haben die allgemeine Tendenz, dass sie sich physisch und materiell verwirklichen wollen, und da sie zahllos sind – es sind viel zu viele, denn es gibt nicht genug Platz auf der Welt um sie alle zu manifestieren – rempeln sie sich gegenseitig an und drängen einander zur Seite, sie versuchen, diejenigen, die nicht mit ihnen übereinstimmen, zurückzudrängen, oder formieren sich sogar zu Armeen, die gut geordnet marschieren, um den verfügbaren Platz in Zeit und Raum einzunehmen – es ist ein vergleichsweise sehr kleiner Platz im Verhältnis zu dem zahllosen Aufgebot von Geschöpfen.
Das ist es also, was individuell geschieht.
Manche Menschen machen all das ohne es zu wissen – vielleicht sogar jeder – und sie werden ständig von einer Sache zur anderen geworfen, und hoffen, wollen, wünschen, hin-und hergerissen zwischen Hoffnungen, Wünschen, Verlangen, sind enttäuscht, manchmal glücklich, manchmal verzweifelt, denn sie haben keine Kontrolle über diese Dinge oder können sie nicht meistern. Aber der Anfang der Weisheit besteht darin, uns selbst beim Denken zu beobachten und dieses Phänomen zu erkennen, und diese dauernde Projektion von kleinen lebendigen Wesen in die Atmosphäre wahrzunehmen, die sich manifestieren möchten. All das entspringt der geistigen Atmosphäre, die wir in uns tragen. Sobald wir das erkennen und beobachten, können wir damit anfangen sie auszusortieren, das heißt, das zurückzudrängen was mit unserem besten Wünschen und Wollen nicht übereinstimmt, und nur den Formationen zu erlauben sich auf ihre Verwirklichung hinzu zu bewegen, die uns helfen uns fortschrittlich und normal zu entwickeln. Das bedeutet Kontrolle durch aktives Denken, und das ist es, was ich neulich meinte.
Wie oft sitzt man da, und es wird einem bewusst, wie das Denken anfängt, Bilder für sich selbst zu formen, sich selbst eine Geschichte zu erzählen; dann, wenn du ein kleiner Experte darin bist, siehst du nicht nur, wie sich die Geschichte von dem was in deinem Leben passieren soll, was du dir für dein eigenes Leben wünscht, vor dir entfaltet, sondern du kannst auch etwas davon wegnehmen oder ein Detail hinzufügen, und deine Arbeit perfektionieren, du kannst eine wirklich ausgezeichnete Lebensgeschichte entwerfen, ein Werk, in dem alles mit deinen edelsten Bestrebungen übereinstimmt.
Sobald du ein vollständig harmonisches Gebilde entworfen hast, so perfekt, wie du kannst, öffnest du deine Hände und lässt den Vogel fliegen.
Wenn deine Geschichte gut ausgeführt ist, wird sie geschehen und sich zum Schluss immer verwirklichen. Und das ist es, was man nicht weiß.
Und doch wird diese Sache, die du dir ausgedacht hast im Laufe der Zeit Wirklichkeit, manchmal erst viel später, wenn du deine Geschichte schon vergessen hast, und dich nicht einmal mehr erinnern kannst, dass du sie dir einmal erzählt hast – denn du hast dich seither sehr verändert, denkst inzwischen über andere Dinge nach, entwickelst weitere Geschichten, und die erste (die du dir damals erzählt hast) interessiert dich nicht mehr; und wenn dann das Ergebnis der ersten Geschichte eintritt und du nicht sehr aufmerksam bist, hast du dich schon so weit davon entfernt, dass du dich überhaupt nicht mehr daran erinnern kannst, dass dies Ereignis in deinem Leben das Resultat deiner eigenen Lebensgeschichte ist, die du damals entworfen hast…
Deshalb ist es so wichtig, dich selbst zu kontrollieren, denn wenn in dir selbst vielfältige und sich widersprechende Wünsche existieren – nicht nur Wünsche, sondern auch Neigungen, Ausrichtungen und verschiedene Ebenen, auf denen du lebst – verursacht all das zusammen Kämpfe in deinem Leben. Zum Beispiel: Auf der höchsten Ebene deiner inneren Sehnsüchte hast du einen wunderschönen Lebensentwurf gestaltet, den du in die Welt aussendest, aber dann, vielleicht am nächsten Tag, vielleicht schon am selben Tag, vielleicht ein bisschen später – bist du auf eine sehr viel materiellere Ebene gesunken, und diese höheren Bestrebungen erscheinen dir dann ein wenig märchenhaft, unwirklich; und du fängst an, Ambitionen zu Formationen zu entwickeln, die sehr ehrgeizig und nicht immer sehr schön sind, und auch diese gehen nach außen.
Ich kannte Menschen mit solch gegensätzlichen Seiten in ihrer Natur, derart gegensätzlich, dass sie an einem Tag eine großartige, leuchtende, kraftvolle Formation zur Umsetzung in die Wirklichkeit machen konnten, und dann am nächsten Tag, eine niedergeschlagene, drohende, finstere Formation der Schwarzmalerei, die all das zunichte machte – eine Formation der Verzweiflung – und beide strömten nach außen.
Ich konnte im Verlauf der Umstände beobachten, wie sich die schöne Formation realisierte, und während sie sich in die Wirklichkeit umsetzte, zerstörte die zweite Formation das, was die erste aufgebaut hatte.
Es verhält sich in größeren Angelegenheiten des Lebens genauso wie in den kleineren Details. Und das nur deshalb, weil man sich selbst nicht beim Denken zusieht, weil man glaubt, Sklave dieser widersprüchlichen Bewegungen zu sein, weil man sich sagt: „Oh! Heute fühle ich mich nicht wohl, oh, heute erscheint mir alles so traurig“, und man betont es so, als sei das ein unentrinnbares Schicksal, gegen das man nichts tun kann. Aber wenn man von diesen Gefühlen innerlich zurücktritt oder einen Schritt darüber nach oben steigt, kann man von dort aus alle diese Dinge betrachten und sie an ihren Platz rücken, kann einige behalten, und andere loswerden, die man nicht will, oder kann sie unschädlich machen, und kann seine gesamte phantasievolle Vorstellungskraft – was man phantasievoll nennt – nur auf diejenigen richten, die man möchte, und die mit den eigenen besten Bestrebungen übereinstimmen. Das ist es, was ich unter Kontrolle der eigenen Einbildungskraft verstehe.
Das ist sehr interessant. Wenn man diese lernt und regelmäßig anwendet, hat man keine Zeit mehr sich zu langweilen. Anstatt wie ein Korken auf den Wellen zu treiben, und von jeder Welle schutzlos hin- und hergestoßen zu werden, wird man zum Vogel, der seine Flügel öffnet, sich über die Wellen erhebt und dorthin fliegt, wohin er will. (17)
DIE MUTTER

Was ist die Funktion, der Zweck der Vorstellungskraft?
Wenn man versteht, damit umzugehen … kann man mit ihr für sich selbst ein eigenes inneres und äußeres Leben erschaffen; man kann durch Imagination sein eigenes Dasein aufbauen, wenn man weiß, wie sie zu gebrauchen ist, und wenn man eine Kraft dafür besitzt. In Wirklichkeit ist es die elementare Art und Weise, in der Welt Formen zu bilden und zu erschaffen. Ich hatte immer das Gefühl, dass man keinen Fortschritt machen könnte, wenn man diese Kraft der Imagination nicht besäße. Denn deine Vorstellungskraft eilt deinem Leben immer voraus. Wenn du an dich selbst denkst, stellst du dir gewöhnlich vor, was du gern sein möchtest, nicht wahr, und das eilt dir voraus, und dann folgst du dieser Vorstellung, sie führt weiter nach vorn, und du folgst ihr. Imagination öffnet für dich den Weg zur Verwirklichung. Menschen, die nicht imaginativ sind, sind sehr schwer in Bewegung zu bringen, sie sehen nur das, was genau vor ihrer Nase ist, sie fühlen nur das, was sie von einem Moment zum nächsten sind, und sie können nicht weiterkommen, weil sie durch die nächstliegenden Dinge eingespannt sind. Es hängt viel von dem ab, was man Imagination nennt. Wie auch immer…
Wissenschaftler müssen doch auch Phantasie besitzen!
Eine Menge, sonst würden sie niemals etwas entdecken. Tatsächlich ist das, was man Imagination nennt, die Fähigkeit, sich selbst außerhalb der Sphäre schon bestehender Dinge hinaus zu projizieren, hinein in eine Sphäre von Dingen, die erst noch realisiert werden können, und diese Dinge dann mit Hilfe von Projektion zu sich herüber zu ziehen. Man kann offensichtlich progressive und regressive Imaginationen entwickeln.
Es gibt Leute, die sich immer alle nur möglichen Katastrophen vorstellen, und unglücklicherweise haben sie auch die Kraft dazu, diese passieren zu lassen.
Imagination ist wie eine Antenne, die in eine Welt reicht, die noch nicht realisiert ist, dort etwas auffängt und es hierher zieht. Natürlich wird das der Erdatmosphäre hinzugefügt, und diese Elemente tendieren dann dazu, sich zu manifestieren. Imagination ist ein Instrument, das diszipliniert und willentlich benutzt werden kann; man kann sie schulen, lenken, ausrichten. Sie ist eine der Fähigkeiten, die man in sich entwickeln und brauchbar machen kann, das heißt, sie für ganz bestimmte Zwecke benutzen. (18)
DIE MUTTER

Ist es dann so, dass man durch die Imagination Wünsche und innere Bestrebungen verwirklichen kann?
Das bedeutet was? Was genau möchtest du sagen? Sich vorzustellen, dass der Wunsch verwirklicht ist, und auf diese Weise zu helfen ihn zu realisieren?
Ja.
Bestimmt, ganz bestimmt.
Und Ideale ebenso?
Ja, nur gewöhnlich, fast immer, haben die Leute nicht die nötige Zeit dafür zur Verfügung. Aber wenn du zum Beispiel eine sehr kraftvolle Phantasie hast und damit die Verwirklichung deines Wunsches gut ausführst, sie gut gestaltest mit all ihren Details und allem was dazugehört, wie eine bewundernswert ausgearbeitete Formation die selbständig existiert, nun, dann kannst du sicher sein, dass sich diese Sache verwirklicht, wenn du lange genug lebst. Sie kann am nächsten Tag realisiert werden, sie kann im nächsten Moment eintreten, oder es kann Jahre dauern, es kann sogar Jahrhunderte dauern. Aber sie wird ganz sicher realisiert werden. Und wenn du dieser imaginativen Kraft eine Art kreative vitale Stärke hinzufügst, machst du eine sehr lebendige Energie daraus; und da alle lebendigen Kräfte auf ihre Verwirklichung ausgerichtet sind, wird sie einen Druck auf die irdischen Geschehnisse ausüben, um früher wahr zu werden, und sie wird sich realisieren.
Nur gibt es da zwei Dinge, wie ich schon sagte. Erstens, was Wünsche und persönliche Umstände betrifft, ist man nicht sehr … beständig, oder sehr konstant, und das was dich einst sehr stark interessierte, interessiert dich nach einiger Zeit nicht länger. Du denkst an etwas anderes, hast einen anderen Wunsch, und entwickelst andere Vorstellungen. Aber jetzt ist währenddessen die erste Sache, die man sich zuerst vorstellte, sehr gut ausgebildet; nachdem sie ihrer Kurve im Raum folgte, realisiert sie sich.
Aber bis das eintritt, hat die Person mit einer anderen Ideenkonstruktion begonnen, denn aus dem einen oder anderen Grund interessiert sie die Sache nicht mehr, und plötzlich sieht sie sich der Verwirklichung ihres ursprünglichen Wunsches gegenüber, während sie sich inzwischen schon auf einen zweiten, dritten oder vierten Wunsch eingelassen hat. Deshalb ist sie völlig verärgert und sagt sich: „Aber warum das? Ich will das doch gar nicht mehr, warum passiert das jetzt?“, ohne dass ihr bewusst ist, dass dies Ereignis ganz einfach das Ergebnis eines früheren Wünschens ist. Wenn man jedoch statt Wünschen Aspirationen nach spirituellen Dingen entwickelt, und man dauernd seiner Richtung folgt und regelmäßige Fortschritte macht, dann kann man absolut sicher sein, eines Tages zu erreichen, was man sich vorgestellt hat.
Der Tag dieser Verwirklichung mag ein wenig weit entfernt sein, falls es auf dem Weg viele Hindernisse gibt, zum Beispiel, wenn die Zustände in der Erdatmosphäre der Formation die du gemacht hast immer noch sehr fremd gegenüberstehen; nun, dann braucht es einige Zeit um die Bedingungen für ihr Erscheinen vorzubereiten. Aber wenn es etwas ist, was auf der Erde schon verschiedene Male verwirklicht wurde, und keine zu kategorische Umwandlung erfordert, kannst du es sehr schnell bekommen, vorausgesetzt, dass du ausdauernd die gleiche Richtung verfolgst. Wenn du dem die Glut des Vertrauens und der Zuversicht in die göttliche Gnade hinzufügst, und die Art von Selbsthingabe an die Gnade, die dich alles von ihr erwarten lässt, dann kann das gewaltig werden; du kannst dann zusehen, wie die Dinge sich mehr und mehr realisieren, und eins nach dem anderen können sich die überraschendsten Resultate einstellen. Damit das passiert, müssen jedoch Bedingungen erfüllt werden. (19)
DIE MUTTER

Die Vorstellungskraft ist wie die Schneide eines Messers, das man für gute oder schlechte Zwecke benutzen kann. Wenn du immer bei dem Gedanken und dem Gefühl bleibst, transformiert zu werden, dann hilfst du damit dem Prozess des Yoga. Wenn du aber, im Gegenteil, niedergeschlagen bist, und klagst, dass du für die yogische Realisation nicht fit oder unfähig dazu bist, vergiftest du dein eigenes Wesen. (20)
DIE MUTTER

Kindheitsträume – die Entwürfe für die Zukunft
Man braucht eine lebhafte Vorstellungskraft – es scheint, dass ich euch dummes Zeug erzähle, aber es ist sehr wahr – es gibt eine Welt, in der du über die stärkste Macht der Gestaltung von Formen verfügst: das ist deine eigene spezielle vitale Gefühlswelt. Hier bist du der mächtigste Formgeber und kannst ein Wunder aus dieser Welt machen, wenn du es verstehst, sie zu gestalten. Wenn du ein künstlerisches oder poetisches Bewusstsein hast, wenn du Schönheit und Harmonie liebst, wirst du dort etwas Wundervolles aufbauen, was dann dazu drängt, auch in der materiellen Welt zu entstehen.
Als ich klein war, nannte ich das „sich selbst Geschichten erzählen“. Es ist aber nicht so, dass man sich im Kopf eine Geschichte mit Worten erzählt: sondern man geht an diesen Ort, der klar und rein ist, und baut dort eine wundervolle Geschichte auf. Wenn du es verstehst, dir auf diese Weise eine Geschichte zu erzählen, und sie wirklich schön und harmonisch, wirklich kraftvoll und gut koordiniert ist, wird diese Geschichte in deinem Leben realisiert werden vielleicht nicht in gen au derselben Form, in der du sie erschaffen hast, aber bestimmt als ein mehr oder weniger veränderter physischer Ausdruck dessen, was du entworfen hast.
Das kann vielleicht Jahre dauern, aber die Geschichte wird dein Leben organisieren.
Aber es gibt nur wenige Menschen die eine schöne Geschichte erzählen können: denn sie vermischen sie immer mit Horror, was sie später bereuen.
Wenn man ausdrucksvolle Geschichten erzählen könnte, die keinen Horror enthalten, sondern nichts als Schönheit, hätte das einen beachtlichen Einfluss auf jedermanns Leben. Das ist es, was die Menschen nicht wissen.
Wenn man wüsste, wie man diese Kraft, die kreative Kraft in der Welt der vitalen Formen benützen kann, wenn man das wüsste, während man noch ein Kind, ein sehr kleines Kind ist … denn das ist die Zeit, in der man sein materielles Schicksal formt. Aber gewöhnlich pfuschen dir die Leute um dich herum da hinein, deine kleinen Freunde, aber meistens sind es die Eltern oder Lehrer, die dir alles verderben, und sie machen es so gründlich, dass die wundervolle Sache selten gelingt. Aber ansonsten, wenn das mit der spontanen Aufrichtigkeit eines Kindes gemacht werden würde, könntest du ein wundervolles Leben für dich organisieren, in der physischen Welt, meine ich.
Die Träume der Kindheit werden zu Realitäten des reiferen Alters. (21)
DIE MUTTER

Ein kraftvoller Weg der Selbstentdeckung
Wenn man sich an die Entdeckung des inneren Wesens macht mit all seinen verschiedenen Wesensteilen, hat man dabei sehr oft das Gefühl, dass man innerlich sehr tief in eine Halle oder einen Raum hineinkommt, und entsprechend der Farbe, der Atmosphäre oder durch die Dinge die man dort antrifft, bekommt man eine sehr klare Wahrnehmung davon, welchen Teil seines Wesens man besucht. Dann kann man von einem Raum zum anderen gehen, Türen öffnen, und in immer tiefere Räume gelangen, von denen jeder seinen eigenen Charakter besitzt. Und häufig können diese inneren Besuche während der Nacht stattfinden.
Dann nimmt die Entdeckung des inneren Wesens eine noch konkretere Form an, wie ein Traum, bis man fühlt, dass man ein Haus betritt, und dass dieses Haus einem sehr vertraut ist. Entsprechend der jeweiligen Zeit und Phase des Traumes erfährt man das innerlich unterschiedlich, und manchmal kann sich dieses Haus auch in einem Zustand sehr großer Unordnung, in einem heillosen Durcheinander befinden, wo ab und zu sogar Sachen zerbrochen herumliegen und durcheinandergebracht sind; es ist wirklich ein Chaos. Zu anderen Zeiten sind dieselben Sachen dort gut organisiert, an ihren Platz geräumt, als hätte man den Haushalt geordnet, man macht sauber, schafft Ordnung, und es ist immer dasselbe Haus.
Dieses Haus ist das Bild, eine Art objektiver Abbildung deines inneren Wesens. In Übereinstimmung mit dem, was du dort siehst oder tust, erkennst du die symbolische Darstellung deiner psychologischen Arbeit. Das ist sehr nützlich um diese Arbeit zu konkretisieren. Sie hängt vom Einzelnen ab.
Einige Menschen sind reine Intellektuelle; für sie wird alles durch Ideen, nicht in Bildern ausgedrückt. Aber wenn sie auf eine materiellere Ebene herunterkommen, nun, dann riskieren sie, Dinge nicht in ihrer konkreten Realität zu erfassen, und nur im Bereich der Ideen zu bleiben, im Denken zu verweilen, und sich dort unendlich lange aufzuhalten. Man glaubt dann zwar, Fortschritte zu machen, und in Gedanken hat man auch Fortschritte gemacht, aber im konkreten Bereich bleibt das etwas ganz und gar Unbestimmtes.
Die Entwicklung des Verstandes kann Tausende von Jahren dauern, denn es ist ein sehr weites und sehr unbegrenztes Feld, das andauernd erneuert wird.
Aber wenn man sich vital und physisch weiterentwickeln will, nun, dann können Vorstellungen und Darstellungen in Bildern sehr nützlich sein, um Handlungen zu bestimmen und sie konkreter zu machen.
Natürlich geschieht das nicht vollständig nach dem eigenen Willen, es hängt mehr von der Natur des Einzelnen ab. Aber diejenigen, die die Kraft besitzen sich durch Bilder auf etwas konzentrieren zu können, nun, die haben einen weiteren Vorteil.
Zum Beispiel sitzt man in der Meditation vor einer geschlossenen Tür, es könnte eine sehr schwere Tür aus Bronze sein – man sitzt davor mit dem Willen, dass sie sich öffnen soll – um auf die andere Seite der Tür zu gelangen; die gesamte Konzentration, der ganze Wunsch sammelt sich zu einem Strahl und drückt, drückt, drückt gegen die Tür, und drückt, und drückt mit gesteigerter Energie immer mehr, bis sie ganz plötzlich aufspringt, und man tritt ein.
Das macht einen gewaltigen Eindruck. Und dann ist man wie in Licht getaucht, und erfährt die volle Freude einer plötzlichen und radikalen Änderung des Bewusstseins, mit einer Erleuchtung die einen völlig gefangen nimmt, und dem Gefühl, eine andere Person zu sein.
Das ist ein sehr konkreter und machtvoller Weg, um in die Berührung mit seinem psychischen Wesen zu kommen. (22)
DIE MUTTER
