Kapitel 3

Kollektive unterbewusste Einflüsse

Worte der Mutter

Man wird, schon bevor man sein Leben antritt, mit einem Pfuhl geboren, den es auszuräumen gilt. Und wenn einmal ein gutes Stück auf dem Weg der inneren Umwandlung zurückgelegt ist und man zur unterbewussten Wurzel des Wesens hinabsteigt – die eben von den Eltern stammt, aus dem Ahnenerbe –, nun, da erblickt man Sachen! Und alle, fast alle Schwierigkeiten stecken dort, denn nur sehr weniges kommt nach den ersten Lebensjahren noch hinzu. Dies kann jederzeit geschehen; wenn du dich zum Beispiel mit schlechter Gesellschaft abgibst oder schlechte Bücher liest, kann das Gift in dich eindringen; doch sitzen all die Eindrücke im Unterbewussten, die unsauberen Gewohnheiten, die du hast und gegen die du kämpfst. Es gibt zum Beispiel Leute, die den Mund nicht auftun können, ohne zu lügen, und sie tun das nicht immer absichtlich (was das Schlimmste ist), oder Leute, die mit anderen nicht umgehen können, ohne zu streiten – alle nur möglichen Dummheiten; das sitzt dort im Unterbewussten, tief drinnen. Wenn du nun guten Willens bist, tust du äußerlich dein Bestes, um das zu vermeiden, womöglich zu berichtigen; du arbeitest, du kämpfst; dann bemerkst du, dass es immer noch hochkommt, aus irgendeinem Teil, der sich deiner Aufsicht entzieht. Aber wenn du dies Unterbewusste betrittst, wenn du dein Bewusstsein dort eindringen lässt und aufmerksam betrachtest, so entdeckst du nach und nach all die Quellen, all die Ursprünge all deiner Schwierigkeiten, und du fängst an zu verstehen, wie Vater und Mutter, Großväter und Großmütter waren, und wenn du in einem bestimmten Augenblick nicht imstande bist, dich zu beherrschen, dann merkst du: „Ich bin so, weil jene so waren.“

Wenn du in dir ein so weit erwachtes seelisches Wesen hast, dass es auf dich achthaben, dir den Weg bereiten kann, so kann es Dinge herbeiführen, die dir helfen – Begegnungen, Bücher, Umstände, alle möglichen kleinen Zufälle, die zu dir kommen wie durch einen wohlmeinenden Willen veranlasst und die dir einen Hinweis, eine Hilfe, eine Unterstützung bringen, damit du dich entscheiden und eine gute Richtung einschlagen kannst. Hast du die Entscheidung einmal getroffen und dir vorgenommen, die Wahrheit deines Wesens zu finden und schreitest du aufrichtig auf dem Weg voran, dann scheint sich alles zu verbünden, um dir zu helfen voranzuschreiten, und wenn du aufmerksam beobachtest, erkennst du nach und nach den Ursprung deiner Schwierigkeiten: „Aha, jener Fehler war in meinem Vater! Oh, diese Gewohnheit steckte in meiner Mutter! So war ja meine Großmutter, mein Großvater war so“, oder es war das Kindermädchen, das dich herumtrug, als du klein warst, oder es waren die Geschwister, die mit dir spielten, die kleinen Kameraden, denen du begegnet bist, und du entdeckst, das alles dort war – in dem da, in dieser, in jener. Bleibst du weiterhin aufrichtig, so findest du heraus, wie du dem allem ruhig entgegenwirken kannst, und nach einer gewissen Zeit durchschneidest du all die Taue, mit denen du geboren warst, du zerreißt die Ketten und schreitest frei auf deinem Weg voran.

Wenn du wirklich deinen Charakter ändern willst, so ist es das, was du tun musst. Es ist immer gesagt worden, es sei unmöglich, den Charakter zu ändern; in all den Philosophiebüchern und sogar in den Yogaschriften wird dasselbe erzählt: „Der Charakter lässt sich nicht ändern, so ist man nun einmal geboren, so ist man eben.“ Das ist ganz und gar falsch, ich verbürge mich dafür, dass es falsch ist; aber um deinen Charakter zu ändern, musst du etwas sehr Schwieriges tun, weil nicht dein eigener, sondern der Charakter deiner Vorfahren zu ändern ist. In jenen änderst du ihn nicht (weil sie gar nicht die Absicht haben), sondern in dir musst du es tun. Das, was sie dir mitgegeben haben, all die kleinen Geschenke, die sie dir bei der Geburt gemacht haben – liebenswürdige Geschenke –, das ist es, was geändert werden muss. Wenn es dir aber gelingt, den Faden dieser Dinge in die Hand zu bekommen, den wahren Faden, und du beharrlich und aufrichtig daran arbeitest, dann wirst du eines schönen Tages frei sein; das alles wird von dir abfallen, und du kannst ohne Bürde ins Leben treten. Dann bist du ein neuer Mensch, der ein neues Leben lebt, beinahe mit einer neuen Natur. Und wenn du zurückblickst, wirst du sagen: „Das ist doch nicht möglich, so war ich nie!“

Worte der Mutter

Wenn ein Wesen auf der Erde geboren wird, wird es zwangsläufig in einem bestimmten Land und einem bestimmten Milieu geboren. Durch das Faktum seiner physischen Eltern wird es in einen sozialen, kulturellen, manchmal religiösen, nationalen Gesamtkomplex hineingeboren; in ein Netz von Denk-, Verständnis-, Empfindungs- und Vorstellungsgewohnheiten; in alle möglichen Konstruktionen, die zunächst mental sind, dann vitale Gewohnheiten und schließlich materielle Seinsweisen werden. Um die Dinge klarer auszudrücken, du bist in einer bestimmten Gesellschaft oder in einer bestimmten Religion, in einem bestimmten Land geboren, und diese Gesellschaft hat ihre eigene Kollektivanschauung, diese Religion hat die für sie typische Kollektivgestaltung, die meist sehr starr ist. Du bist da hineingeboren. Wenn du sehr klein bist, ist dir dies natürlich überhaupt nicht bewusst, doch wirkt das auf deine Formung – diese Gestaltung, diese langsame Bildung von Stunde um Stunde, Tag um Tag, Erfahrung um Erfahrung, die ganz allmählich ein Bewusstsein aufbauen. Du lebst darunter wie unter einer Glasglocke. Es ist eine Art Konstruktion, die dich bedeckt und gewissermaßen beschützt, die dich auf der anderen Seite aber auch erheblich einschränkt. Dies alles nimmst du in dich auf, ohne es überhaupt wahrzunehmen, und dies bildet die unterbewusste Grundlage deines eigenen Gepräges. Diese unterbewusste Grundlage wird dein ganzes Leben auf dich einwirken, wenn du nicht achtgibst und dich davon befreist. Und um dich davon zu befreien, muss dir dies erst bewusst sein; und der erste Punkt ist der schwierigste, weil diese Formation so fein war, sie geschah zu einer Zeit, als du noch kein bewusstes Wesen warst, wo du eben ganz benommen von einer anderen Welt in diese Welt fielst (lachend), und dies alles geschah, ohne dass du daran im geringsten beteiligt warst. Folglich kommt es dir nicht einmal in den Sinn, dass es da etwas geben könnte, das man wissen müsste, und noch viel weniger, dass es etwas sein könnte, das man loswerden müsste. Und es ist bemerkenswert genug, dass, wenn man aus irgendeinem Grund sich des großen Einflusses dieser Kollektivsuggestionen bewusst wird, man bei dieser Gelegenheit merkt, dass es einer sehr ausdauernden, fleißigen und sich sehr lange hinziehenden Arbeit bedarf, bis es gelingt, sie loszuwerden. Doch damit ist das Problem noch nicht abgeschlossen.

Du bist im Leben von Menschen umgeben. Diese Menschen haben selbst Wünsche, Willensregungen, Impulse, die sich in ihnen zeigen, die alle möglichen Ursachen haben, die aber in ihrem Bewusstsein eine individuelle Form annehmen. Zum Beispiel, um es ganz praktisch auszudrücken: Du hast einen Vater, eine Mutter, Brüder, Schwestern, Freunde, Kameraden; jeder fühlt und will auf seine Weise, und alle, mit denen zu zusammen bist, erwarten etwas von dir, ebenso wie du etwas von den anderen erwartest. Dieses Etwas bringen die anderen dir gegenüber nicht immer zum Ausdruck, es ist jedoch mehr oder weniger bewusst in ihrem Wesen, und dies bildet Prägungen. Diese Prägungen sind je nach der Denkfähigkeit des Einzelnen und seiner vitalen Kraft mehr oder weniger mächtig, doch haben sie ihre eigene kleine Macht, die im Allgemeinen der deinigen entspricht; und dann geht das, was deine Umgebung von dir will, verlangt, erhofft oder erwartet, einfach so in Form von Suggestionen in dich hinein, die nur sehr selten artikuliert werden, die du jedoch ohne Widerstand aufnimmst und die in deinem Innern plötzlich einen ähnlichen Wunsch, einen ähnlichen Willen, einen entsprechenden Impuls wachrufen … Das passiert von morgens bis abends, und auch von abends bis morgens, weil diese Dinge nicht aufhören, während du schläfst, im Gegenteil, sie verstärken sich sehr oft, weil du nicht mehr das wache Bewusstsein hast, das aufpasst und dich bis zu einem gewissen Grad schützt.

Und das ist allgemein, so allgemein, dass es ganz natürlich ist, und so natürlich, dass es besonderer Umstände und ganz spezieller Gelegenheiten bedarf, damit man es merkt. Natürlich versteht es sich von selbst, dass deine eigenen Antworten, deine eigenen Impulse, deine eigenen Willensregungen einen entsprechenden Einfluss auf die anderen haben und dass dies ein herrliches Gemisch wird, wo das Recht stets auf der Seite des Stärkeren ist.

Wenn das Problem hier abgeschlossen wäre, könnte man sich noch aus der Affäre ziehen; da ist aber noch eine Komplikation. Nämlich, diese irdische Welt; diese Menschenwelt wird ständig von den Kräften der Nachbarwelt heimgesucht, genauer gesagt, von der vitalen Welt, von dem subtileren Bereich jenseits der vierfältigen Erdatmosphäre, bestehend aus den vier Prinzipien: physisch, vital, mental und seelisch; und diese vitale Welt, die nicht dem Einfluss der seelischen Kräfte und des seelischen Bewusstseins unterliegt, ist wesenhaft eine Welt des bösen Willens, der Unordnung, des Ungleichgewichts, kurz der antigöttlichsten Dinge, die man sich vorstellen kann. Diese vitale Welt durchdringt ständig die physische Welt, und da sie viel subtiler ist als die physische Welt, ist sie sehr oft, außer für ein paar seltene Individuen, überhaupt nicht wahrnehmbar. Es gibt Wesenheiten, Wesen, Willen, Arten von Individualitäten in jener Welt, die alle möglichen Absichten haben und die jede Gelegenheit nutzen, um sich zu ergötzen, wenn es kleine Wesen sind; und um Böses zu tun und Unordnung zu stiften, wenn es Wesen mit größeren Fähigkeiten sind. Und diese haben ein sehr beachtliches Durchdringungs- und Suggestionsvermögen und stürzen sich überall da hinein, wo es auch nur die kleinste Öffnung, die geringste Wahlverwandtschaft gibt, weil das ein lustiges Spiel für sie ist.

Außerdem sind sie sehr gierig nach gewissen menschlichen Vitalschwingungen, die für sie einer seltenen Speise gleichkommen, von der sie sich gern ernähren; und dann besteht ihr Spiel darin, im Menschen verderbliche Regungen hervorzurufen, damit der Mensch diese Kräfte ausströmen lässt und sie sich ganz nach ihrem Belieben davon nähren können. Alle zornigen, gewalttätigen, leidenschaftlichen, begierigen Regungen, alle diese Dinge, die zur Folge haben, dass man jäh bestimmte Energien aus sich herausschleudert, hinausstößt, sind genau das, was diese vitalen Wesenheiten bevorzugen, weil sie sich, wie gesagt, daran wie an einem Feinschmeckergericht erfreuen. Ihre Taktik ist also sehr einfach: Sie schicken dir eine kleine Suggestion, einen kleinen Impuls, eine kleine Schwingung, die in dich eindringt und in dir, durch Ansteckung oder durch Sympathie, die nötige Schwingung weckt, damit du die Kraft herausschleuderst, die sie absorbieren wollen.

Hier ist es ein wenig leichter, den Einfluss zu erkennen, denn wenn man auch nur ein ganz klein wenig aufmerksam ist, merkt man, dass plötzlich etwas in einem geweckt wurde. Wenn etwa jene, die normalerweise in Zorn geraten, nur im geringsten versucht haben, ihren Zorn zu beherrschen, bemerken sie etwas, das von außen kommt, oder das von unten aufsteigt und ihr Bewusstsein wirklich ergreift und den Zorn in ihnen erregt. Ich will damit nicht sagen, dass alle zu dieser Unterscheidung imstande sind; ich spreche von denen, die versucht haben, ihr Wesen zu verstehen und es zu beherrschen. Diese feindlichen Suggestionen sind leichter wahrzunehmen als etwa deine Reaktion auf den Willen oder den Wunsch eines Wesens, das von derselben Art ist wie du, eines anderen Menschen, der daher auf dich einwirkt, ohne dass du dabei klar den Eindruck hast, dass etwas von außen kommt. Die Schwingungen entsprechen sich zu sehr, sie sind ihrer Art nach zu ähnlich, und man muss viel aufmerksamer sein und ein sehr viel schärferes Unterscheidungsvermögen haben, um sich darüber klar werden zu können, dass diese Regungen, die von dir selbst auszugehen scheinen, nicht wirklich die deinen sind, dass sie von außen kommen. Aber bei den feindlichen Kräften, wenn man nur im geringsten aufrichtig ist und aufmerksam beobachtet, merkt man, dass etwas im Wesen auf einen Einfluss, einen Impuls, eine Suggestion, manchmal sogar auf etwas sehr Konkretes anspricht, das hereinkommt und im Wesen analoge Schwingungen erzeugt.

Das wär‘s. So groß ist das Problem.

Die Lösung? … Sie heißt immer: Guter Wille, Aufrichtigkeit, klarer Blick, Geduld – oh, eine unermüdliche Geduld und eine Beharrlichkeit, die dich davon überzeugt sein lässt, dass das, was dir heute nicht gelungen ist, dir ein andermal gelingen wird, und die dich weiterversuchen lässt, bis es dir gelungen ist.

Und dies führt uns zu dem Satz von Sri Aurobindo zurück: Wenn diese Beherrschung dir heute ganz unmöglich erscheint, nun, das bedeutet, dass es später nicht nur möglich ist, sondern dass es auch verwirklicht wird.