Kapitel 3
Ein fundamentaler Irrtum der Religion
Aus diesem Grund irren sich die Religionen immer – immer –, weil sie den Ausdruck einer Erfahrung standardisieren und als unwiderlegbare Wahrheit allen aufzwingen wollen. Die Erfahrung war echt, vollständig in sich selbst, überzeugend – für den, der sie hatte. Die Formel, die er daraus gemacht hat, war hervorragend für ihn. Aber sie anderen aufzwingen wollen, ist ein fundamentaler Irrtum, der immer ganz verheerende Folgen hat, die stets weit, sehr weit, von der Wahrheit wegführen.
Aus diesem Grund haben alle Religionen, so schön sie auch sein mögen, den Menschen immer zu den schlimmsten Exzessen geführt. Alle Verbrechen, alle Schreckenstaten, die im Namen der Religion verübt worden sind, gehören zu den dunkelsten Flecken in der menschlichen Geschichte, und das nur wegen dieses kleinen Ur-Irrtums: zu wollen, dass das, was für einen Einzelnen wahr ist, auch für die Masse oder für die Gemeinschaft wahr sein soll.
Man muss den Weg zeigen und die Türen öffnen, aber jeder muss dem Weg folgen, durch die Türen hindurch, und auf seine persönliche Verwirklichung zugehen.
Die einzige Hilfe, die man empfangen kann und darf, ist die Gnade, die sich in einem jeden nach seinem eigenen Bedürfnis äußert.
Du willst „die Wahrheit“ als etwas gut Definiertes, gut Klassifiziertes, gut Begründetes erkennen, und danach ruhst du dich aus: Es gibt keinen Grund mehr, weiter zu suchen! Du greifst sie auf und sagst: „Hier, dies ist die Wahrheit“, und dann wird sie festgelegt. So haben es alle Religionen getan. Sie haben ihre Wahrheit als Dogma festgeschrieben. Aber es ist nicht mehr die Wahrheit.
Für mich haben diese Dinge keine große Bedeutung. Ich bin an keine Religion gebunden, und wenn man keine Bindung hat, hat man auch keine Abneigung. Für mich sind Religionen allzu menschliche Formen des spirituellen Lebens. Jede dieser Religionen drückt einen Aspekt der einzigen und ewigen Wahrheit aus, doch indem sie diese Wahrheit als die einzig wahre gegenüber den anderen Aspekten ausdrückt, entstellt und mindert sie diese. Keine Religion hat das Recht, sich selbst als die einzig wahre zu bezeichnen, ebenso wenig wie sie das Recht hat, die in den anderen enthaltene Wahrheit zu leugnen. Und alle zusammen würden nicht ausreichen, um die Höchste Wahrheit auszudrücken, die jenseits aller Ausdrucksformen liegt, auch wenn sie in jeder einzelnen gegenwärtig ist.
Der spirituelle Geist steht nicht im Widerspruch zu einem religiösen Gefühl der Anbetung, Hingabe und Weihung. Aber falsch in den Religionen ist die Fixierung des Mentals, das sich an eine Formel als exklusive Wahrheit klammert. Man muss sich immer daran erinnern, dass Formeln nur ein mentaler Ausdruck der Wahrheit sind und dass diese Wahrheit immer auf viele andere Arten ausgedrückt werden kann.
Es ist das Recht des Menschen, der Wahrheit frei zu folgen und sich ihr auf seine eigene Weise frei zu nähern. Doch jeder sollte wissen, dass seine Entdeckung gut für ihn allein ist und nicht anderen aufgezwungen werden darf.
Die Haltung, die wir Religionen gegenüber einnehmen sollten
Eine wohlwollende Zuneigung gegenüber allen Gläubigen.
Eine wissende Gleichgültigkeit gegenüber allen Religionen.
Alle Religionen sind teilweise Annäherungen an die eine einzige Wahrheit, die weit über ihnen steht.