Kapitel 2
Pseudo-Meditation und wahre Demut
Worte der Mutter
„Es gibt welche, die beim Meditieren in einen Zustand treten, der ihnen sehr bedeutend und köstlich erscheint.“ (Questions and Answers 1929-1931, 21. April 1929)
Was ist das für ein Zustand?
Welcher auch immer – er erscheint ihnen köstlich und bedeutend. Sie haben eine sehr hohe Meinung von sich. Sie halten sich für beachtliche Leute, weil sie still und unbewegt sitzen können, und wenn sie dabei an nichts denken, ist das auch beachtenswert. Doch im Allgemeinen läuft in ihrem Kopf eine Art Kaleidoskop, und sie merken es nicht einmal. Jedenfalls haben jene, die eine Weile ohne zu reden oder zu denken sitzen können, eine hohe Meinung von sich. Nur eben, wenn sie da herausgeholt werden, wenn man an die Tür klopft und ihnen sagt: „Jemand erwartet Sie“, oder: „Madame, das Kind schreit“, dann werden sie wütend und schimpfen: „Meine Meditation ist hin! Alles ist verdorben!“ So etwas habe ich mit eigenen Augen gesehen. Leute, die ihre Meditation sehr wichtig nahmen, ließen sich nicht unterbrechen, ohne furchtbar wütend zu werden… Das zeugt natürlich nicht von großem spirituellen Fortschritt. Sie wetterten gegen alle Welt, weil man sie aus ihrer glückseligen Meditation gerissen hat.
Unter denen, die meditieren, gibt es einige, die wissen, wie man meditiert. Einige konzentrieren sich nicht auf eine Idee, sondern sammeln sich in einem Schweigen, in einer inneren Kontemplation, wo sie – wie sie sagen – bis zur Vereinigung mit dem Göttlichen gelangen. Das ist ausgezeichnet. Andere können eine Idee aufmerksam verfolgen, wobei sie sie ganz zu ergründen suchen. Auch das ist gut. Meistens allerdings sinken die Leute, wenn sie sich zu konzentrieren versuchen, in eine Art Dämmerschlaf, jedenfalls in einen sehr tamasischen, trägen, Zustand. Sie werden zu etwas Stumpfem: Das Denken ist träge, das Fühlen ist träge, der Körper ist reglos. So können sie stundenlang verharren, denn es gibt nichts Dauerhafteres als die Trägheit! Das alles sind Erfahrungen mit Leuten, denen ich begegnet bin. Wenn diese aus ihrer Meditation herauskommen, glauben sie ernsthaft, etwas ganz Großes getan zu haben. Doch sie haben sich einfach in die Trägheit, ins Unterbewusste hinabbegeben. Es gibt nur wenige, die meditieren können. Und selbst da… Nehmen wir an, es sei dir durch große Disziplin und jahrelange Bemühungen gelungen, in der Meditation in bewusste Verbindung mit der göttlichen Gegenwart zu treten. Das ist offensichtlich ein Ergebnis, und es muss sich auf deinen Charakter und dein Leben auswirken. Doch diese Auswirkung ist von Fall zu Fall verschieden. Es gibt Menschen, die in sich so radikal gespalten werden, dass sie in ihrer Meditation mit dem Göttlichen in Verbindung treten und diese höchste Seligkeit der Wesenseinung haben können, und wenn sie da herauskommen und tätig werden und ihr tägliches Leben führen, können sie die allergewöhnlichsten Leute sein, mit den ordinärsten, ja gelegentlich den vulgärsten Reaktionen. Auch solche Menschen kenne ich. Sie tun all das, was man nicht tun sollte, zum Beispiel seine Zeit damit verbringen, über andere zu reden, nur an sich selbst zu denken, alle egoistischen Reaktionen an den Tag zu legen und das Leben für ihr kleines persönliches Wohl organisieren zu wollen. An andere denken sie überhaupt nicht und leisten nie jemandem einen Dienst. Allgemeinsinn geht ihnen völlig ab. Und dennoch haben sie in ihrer Meditation diese Verbindung gehabt. Und das lässt jene dann ausrufen, die gemerkt haben, wie schwer diese kleine äußere Natur zu ändern ist, die man mit seinem Körper zugleich angenommen hat, wie schwer es fällt, über sich selbst hinauszugehen und seine Regungen umzuwandeln: „Es ist unmöglich, es ist vergebliche Liebesmüh! Wenn ihr zur Welt kommt, nehmt ihr einen Körper aus Staub an, den ihr nur ablegen könnt, um euch davonzumachen und die Welt so zu belassen, wie sie ist. Es gibt nur einen Ausweg: so schnell wie möglich zu entfliehen – wenn jedermann entflieht, gibt es keine Welt mehr und folglich auch kein Elend.“ Das ist eine Logik! Hält man ihnen entgegen: „Aber vielleicht ist das, was Sie da verkünden, ziemlich egoistisch, sich davonzumachen und die anderen zappeln zu lassen?“ – „Nun, sie brauchen es ja nur so zu machen wie ich. Täte jedermann dasselbe wie ich, würden sich alle zurückziehen. So gäbe es keine Welt und kein Elend mehr.“ Als könnte das vom Willen der Einzelnen abhängen, die nicht einmal an der Erschaffung der Welt teilgenommen haben! Wie können sie hoffen, ihr Ende zu bewerkstelligen? Wenn sie die Welt wenigstens geschaffen hätten, könnten sie den Vorgang kennen und versuchen, das Ganze rückgängig zu machen – obwohl es nicht immer leicht ist, etwas Getanes rückgängig zu machen –, aber sie haben die Welt nun mal nicht gemacht! Sie wissen überhaupt nicht, wie das geschah! Und sie maßen sich an, sie aufzulösen, weil sie sich einbilden, sie persönlich könnten sich davonmachen… Ich glaube nicht, dass es möglich ist. Man kann nicht fliehen, auch wenn man es versucht. Aber das ist ein anderes Thema. Was mich betrifft und meine Erfahrung – die ziemlich lang ist, denn ich kümmere mich nun schon fast dreiundfünfzig Jahre um Menschen, ihren Yoga, ihre inneren Bemühungen. Ich habe viel gesehen, hier und da, so ziemlich überall auf der Welt –, ich glaube jedenfalls nicht, dass du dich durch Meditation umwandeln kannst. Ich bin sogar vom Gegenteil überzeugt.
Wenn du tust, was du zu tun hast – ganz gleich was, welche Arbeit auch immer –, wenn du dabei darauf bedacht bist, das Göttliche nicht zu vergessen, und wenn du dem Göttlichen das, was du tust, darbringst, wenn du dich dem Erhabenen dergestalt zu geben versuchst, dass Er all deine Reaktionen wandeln kann – statt dass sie ichbezogen, kleinlich, dumm und unwissend bleiben –, lässt du sie zu etwas Hellem und Großzügigem werden und du hast einen Fortschritt gemacht. Und nicht nur hast du selbst einen Fortschritt gemacht, sondern auch dem allgemeinen Fortschritt geholfen. Ich habe noch nie gesehen, dass Leute, die alles liegenließen, um in einer mehr oder weniger leeren Kontemplation zu sitzen – denn sie ist mehr oder weniger leer –, Fortschritte gemacht hätten oder höchstens ganz winzige. Ich habe aber Menschen gesehen, die keinerlei Anspruch erhoben, Yoga zu üben, sondern die einfach begeistert waren von der Idee der irdischen Transformation und der Herabkunft des Göttlichen auf die Welt und die ihr bisschen Arbeit mit dieser Begeisterung im Herzen machten, indem sie sich ganz und gar, rückhaltlos gaben, ohne eigensüchtige Vorstellung von persönlichem Heil – und diese habe ich großartige, wirklich großartige Fortschritte machen sehen. Manchmal sind sie tatsächlich bewundernswürdig. Ich habe Sanyasins, Wandermönche, gesehen, auch Klosterleute, auch erklärte Yogis – und für zehn solche würde ich nicht einen von den anderen hergeben –, ich meine vom Standpunkt der irdischen Transformation und des Fortschritts der Welt aus, eben alles dessen, was wir anstreben: Dass diese Welt nicht länger bleibt, was sie ist, sondern tatsächlich das Werkzeug des göttlichen Willens werde, erfüllt vom göttlichen Bewusstsein. Durch Davonlaufen änderst du die Welt bestimmt nicht. Sondern indem du an ihr arbeitest, bescheiden, demütig, aber mit einer Flamme im Herzen – mit etwas, das wie eine Opfergabe brennt. So ist das.
Dann dient also die Meditation zu nichts?
Nein, und in dem Maße wie es nötig ist, kommt sie spontan. Auf einmal wirst du von etwas erfasst, das dich still macht, das dich auf die Schau einer Idee oder eines psychologischen Zustands sammelt. Es ergreift dich. Du darfst nicht widerstehen, dann machst du den nötigen Fortschritt. In jenem Augenblick siehst du, verstehst du etwas, und eine Minute später wendest du dich wieder deiner Arbeit zu, nachdem dies in dir gewonnen worden ist – doch ohne Dünkel. Am meisten graut mir vor den Leuten, die sich für außerordentlich halten, weil sie sich hinsetzen und meditieren. Das ist das Allergefährlichste, denn sie werden so eingebildet und selbstzufrieden, dass sie sich alle Wege des Fortschritts versperren… Eines ist immer gesagt, aber nicht verstanden worden, nämlich wie notwendig Demut ist. Das wird falsch aufgenommen, missverstanden und falsch angewendet. Sei demütig, wenn du es auf die wahre Weise sein kannst, vor allem aber sei es nicht auf die falsche Weise, denn das führt zu gar nichts. Es gibt nur eine Sache: Wenn du den Samen jenes Unkrauts ausmerzen kannst, der Eitelkeit heißt, hast du etwas geleistet. Doch wenn du wüsstest, wie schwer das ist! Du kannst nichts wirklich gut machen, keine gute Idee, keine gute Regung haben, keinen Fortschritt machen, ohne dich innerlich selbstgefällig aufzublasen – dessen du dir selbst gar nicht bewusst bist. Du musst schon mit dem Hammer draufschlagen, damit das zerbricht, und dann bleiben immer noch Stücke übrig. Und diese Stücke fangen dann wieder an zu sprießen. Man hat das ganze Leben damit zu tun: Nie darf man vergessen, fleißig dies Unkraut zu jäten, das immer wieder nachwächst, und zwar derart tückisch, dass du schon glaubst, frei davon zu sein, und du ganz demütig sagst: „Nicht ich habe das getan, ich fühle, es war das Göttliche; ohne das Göttliche bin ich gar nichts.“ – Und gleich darauf bist du so selbstzufrieden, nur weil du das gedacht hast!
Was ist die wahre und was die falsche Weise, demütig zu sein?
Ganz einfach: Wenn man den Leuten sagt: „Seid demütig“, denken sie sofort daran, gegenüber anderen Menschen demütig zu sein, und diese Demut ist nichts wert. Die wahre Demut ist die Demut gegenüber dem Göttlichen, das heißt die präzise, die konkrete Wahrnehmung, dass man ohne das Göttliche nichts ist, nichts kann und nichts versteht, dass selbst außerordentlich intelligent und begabt zu sein nichts ist im Vergleich zum göttlichen Bewusstsein. Und diese Demut muss man immer beibehalten, denn so nimmt man die wahre Haltung der Empfänglichkeit ein, einer demütigen Empfänglichkeit, die dem Göttlichen keinerlei persönlichen Anspruch entgegenstellt.

Worte der Mutter
Wenn man ganz einfach offen sein könnte, wirklich offen, in einer Einfachheit, die weiß, dass sie unwissend ist, so (Gebärde der Hingabe nach oben), bereit, alles zu empfangen, was kommt – dann kann sich etwas ergeben.
Und natürlich dieser Durst nach Fortschritt, Durst nach Wissen, Durst nach Umwandlung, und vor allem Durst nach Liebe und nach Wahrheit – wenn man das beibehalten kann, kommt man schneller voran. Ein Durst, wirklich ein Bedürfnis, ein Bedürfnis.
Alles Übrige ist unwichtig. Das ist es, was man braucht.
Sich an das zu klammern, was man zu wissen glaubt, sich an das zu klammern, was man fühlt, sich an das zu klammern, was man liebt, sich an seine Gewohnheiten zu klammern, sich an seinen vermeintlichen Bedarf zu klammern, sich an die Welt zu klammern, wie sie ist – das ist es, was einen bindet. Das alles muss man abbauen, eins nach dem anderen, alle Fesseln lösen.
