Kapitel 2
Neugeboren im Geist
Worte der Mutter
Das, was man „die neue Geburt“ nennt, ist die Geburt in das spirituelle Leben hinein, in das spirituelle Bewusstsein; es bedeutet, in sich etwas vom Geist zu tragen, der individuell, durch die Seele hindurch, allmählich das Leben leiten und der Herr des Daseins werden kann…
Im individuellen Dasein macht das den ganzen Unterschied aus; solange man vom Geist spricht und es etwas Angelesenes ist, von dessen Existenz man eine vage Kenntnis hat und die keine allzu konkrete Wirklichkeit für das Bewusstsein ist, bedeutet das, dass man nicht in den Geist hineingeboren ist. Wenn man im Geist geboren ist, wird er etwas viel Konkreteres, viel Lebendigeres, viel Wirklicheres, viel Greifbareres als die ganze materielle Welt. Und dies macht den wesentlichen Unterschied zwischen den Wesen aus. Wenn das ganz spontan wirklich wird – die wahre, konkrete Existenz, die Atmosphäre, in der man frei atmen kann –, dann weiß man, dass man auf die andere Seite hinübergegangen ist. Solange es aber etwas sehr Verschwommenes und Unscharfes ist – man hat zwar davon gehört, man weiß, dass das existiert, aber… das hat keine konkrete Wirklichkeit –, bedeutet das, dass die neue Geburt noch nicht stattgefunden hat. Solange du sagst: „Ja, das sehe ich, das kann ich anfassen, das Übel, an dem ich leide, der Hunger, der mich quält, der Schlaf, der mich beschwert, das ist wahr, das ist konkret…“ (die Mutter lacht), bedeutet das, dass du noch nicht auf die andere Seite hinübergegangen bist, du bist nicht im Geist geboren.
(Schweigen)
Eigentlich leben die meisten Menschen wie Gefangene in einem Kerker mit verschlossenen Türen und Fenstern, in dem sie ersticken, was recht natürlich ist. Sie tragen aber den Schlüssel bei sich, der alle Türen und Fenster öffnet, doch benutzen sie ihn nicht… Allerdings wissen sie nicht immer, dass sie einen Schlüssel besitzen, aber lange nachdem sie es erfahren haben, lange nachdem es ihnen gesagt worden ist, zögern sie noch, ihn zu benutzen, und sie zweifeln an seiner Macht, Türen und Fenster öffnen zu können oder daran, ob es überhaupt gut ist, die Türen und Fenster zu öffnen! Und selbst wenn sie das Gefühl haben, dass es im Grunde vielleicht doch gut wäre, bleibt eine Furcht: „Was wird passieren, wenn diese Türen und Fenster offen sind?…“ Und sie haben Angst. Sie haben Angst, sich in diesem Licht und in dieser Freiheit zu verlieren. Sie wollen lieber "sie selbst" bleiben, wie sie es nennen. Sie mögen ihre Lügen und Fesseln. Etwas in ihnen mag das und klammert sich fest daran. Sie haben noch den Eindruck, dass sie ohne ihre Grenzen nicht mehr existieren würden.
Das ist der Grund, warum die Reise so lange dauert, warum sie so schwierig ist. Denn wenn man wirklich einwilligte, nicht mehr zu sein, würde alles so leicht, so zügig, so lichtvoll, so freudvoll werden – aber vielleicht nicht in der Art, wie die Menschen sich Freude und Leichtigkeit vorstellen. Im Grunde gibt es nur sehr wenige Menschen, die keine Freude haben zu kämpfen. Es gibt nur sehr wenige, die damit einverstanden wären, dass es keine Nacht mehr gäbe, und die das Licht nicht nur als Gegensatz zur Dunkelheit begreifen: „Kein Bild ohne Schatten. Ohne Kampf kein Sieg. Ohne Leiden keine Freude.“ So denken sie; und solange man so denkt, ist man noch nicht in den Geist hineingeboren worden.
