Kapitel 2

Liebe zwischen zwei Menschen

Worte der Mutter

Kann eine Person eine andere wirklich lieben, bevor die menschliche Natur transformiert ist?

Eine andere lieben? Ich habe da gesagt, dass es unmöglich sei. Ich sagte, wenn man wissen wolle, was Liebe ist, müsse man das Göttliche lieben. Dann hat man eine Chance, zu erfahren, was Liebe ist. Ich sagte, dass man dem gleicht, was man liebt. Wenn man also das Göttliche liebt, wird man allmählich durch diese Bemühung der Liebe dem Göttlichen immer ähnlicher, und dann kann man sich mit der göttlichen Liebe vereinen und erfahren, was das ist, sonst kann man es nicht.

Zwangsläufig besteht eine wie auch immer geartete Liebe zwischen zwei Menschen immer aus Unwissenheit, Unverständnis, Unvermögen und jenem schrecklichen Gefühl des Getrenntseins. Es ist, als wolle man in die Strahlung eines einzigartigen Glanzes treten und zöge als erstes einen Vorhang, zwei Vorhänge, drei Vorhänge zwischen sich und diesem Glanz zu, und man ist sehr erstaunt, dass man nur einen verschwommenen Eindruck bekommt und nicht die Sache selbst. Als erstes muss man die Vorhänge beseitigen, sie alle wegnehmen, da durchgehen und vor dem Glanz stehen. Und dann wirst du erfahren, was der Glanz ist. Aber wenn du Schleier auf Schleier zwischen dir und ihm aufhäufst, wirst du ihn nie sehen. Man kann so einen kleinen, verschwommenen Eindruck haben: „Ach, da ist etwas!“ Aber das ist auch alles.

Worte der Mutter

Liebe Mutter, welche Art von Liebe haben Eltern für ihre Kinder?

Welche Art? Eine menschliche Liebe doch wohl! Wie alle menschlichen Lieben: entsetzlich vermischt, mit allem möglichen. Das Bedürfnis zu besitzen, ein furchtbarer Egoismus. Zunächst muss ich sagen, dass man ein wunderbares Bild entworfen hat... Man hat viele Bücher geschrieben, man hat wunderbare Dinge über die Liebe einer Mutter für ihre Kinder gesagt. Ich versichere dir, dass abgesehen von der Fähigkeit, über das Thema in blumiger Ausschmückung zu reden, die Liebe der höheren Tiere wie etwa die ... nun, der Säugetiere für ihre Jungen, garantiert genau die gleiche Natur besitzt: die gleiche Aufopferung, die gleiche Selbstvergessenheit, die gleiche Selbstverleugnung, die gleiche Sorge für die Erziehung, die gleiche Geduld, die gleiche... Ich habe einfach wunderbare Sachen gesehen, und wenn man das aufgeschrieben und es dem Charakter einer Frau zugeordnet hätte statt einer Katze, hätte man großartige Romane schreiben können, und die Leute hätten gesagt: „Was für eine Gestalt! Wie aufopfernd die Frauen doch sind in ihrer Mutterliebe!“ Ganz genau das gleiche. Nur konnten die Katzen keine blumige Sprache verwenden. Das ist alles. Sie konnten keine Bücher schreiben und keine Reden halten, das ist der einzige Unterschied. Aber ich habe einfach ganz erstaunliche Dinge gesehen. Und diese Art von Selbsthingabe und Selbstvergessenheit kommt mit der Liebe. Doch die Menschen... Nach allem, was ich studiert habe, glaube ich wirklich, dass die Reinheit bei den Tieren vielleicht größer ist, weil sie nicht denken, während die Menschen mit ihrer mentalen Macht, ihrer Fähigkeit nachzudenken, zu überlegen, zu argumentieren, zu analysieren, zu studieren, all das – ach, sie verderben die schönste Regung. Sie fangen an zu berechnen, zu urteilen, zu zweifeln, zu organisieren.

Nimm zum Beispiel den Fall der Eltern. Selbst auf die Gefahr hin, nun in deinem Bewusstsein mit vielen Illusionen aufzuräumen, muss ich dir etwas über den Ursprung der Liebe sagen, die eine Mutter für ihr Kind empfindet. Sie entsteht, weil dieses Kind aus ihrer eigenen Substanz gemacht ist und weil die materielle Verbindung, die substanzielle Verbindung zwischen Mutter und Kind recht lange, relativ lange, äußerst eng ist – es ist, als wäre ein Stück Fleisch aus ihr herausgenommen und in einiger Entfernung getrennt niedergelegt worden –, und erst viel später wird die Bindung zwischen den beiden vollständig durchtrennt. Es ist so etwas wie ein Band, eine subtile Empfindung, so dass die Mutter genau spürt, was das Kind fühlt, als ob das Gefühl in ihr selbst wäre. Das ist die materielle Basis der mütterlichen Zuneigung für das Kind. Es ist eine Basis materieller Identität, nichts anderes. Gefühl kommt viel später (es kann auch früher kommen, das liegt am einzelnen), aber ich spreche von der Mehrzahl der Menschen: Gefühl kommt erst lange nachher, und es ist bedingt. Es gibt alles mögliche... Ich könnte stundenlang mit dir über dieses Thema sprechen. Dennoch darf dies nicht mit Liebe verwechselt werden. Es ist eine materielle Identifikation, so dass die Mutter innig, ganz konkret und greifbar spürt, was das Kind fühlt: Wenn das Kind gestoßen wird, dann spürt das die Mutter. Dies dauert mindestens zwei Monate.

Das ist die Grundlage. Das Übrige stammt aus der Natur der Menschen, aus ihrem Entwicklungsstand, aus ihrem Bewusstsein, aus ihrer Erziehung und aus ihrer Empfindungsfähigkeit. Das gesellt sich noch dazu, und dann auch noch alle gesellschaftlichen Einflüsse, aus denen Romane entstehen – denn die Menschen sind glänzend in der Gestaltung von Romanen. Sie machen aus allem einen Roman. Sie haben ihr Mental dazu benutzt, um Imaginationen zu bilden, die in der Luft zirkulieren und die man so aufschnappt. Die einen erwischen also welche von der einen Sorte und die anderen von der anderen Sorte, und weil die Imagination eine Antriebskraft ist, beginnt man damit tätig zu werden, und schließlich lebt man einen Roman in seinem Leben, sofern man nur Einbildungskraft hat. Das hat absolut nichts mit dem wahren Bewusstsein, mit dem seelischen Wesen, zu tun, überhaupt nichts.