Kapitel 2
Leere – Ein Übergangsstadium
Die Leere, die du gestern in deinem Brief beschrieben hast, war nichts Schlechtes – diese Leere, innerlich und äußerlich, wird im Yoga häufig der erste Schritt zu einem neuen Bewusstsein. Die Natur des Menschen gleicht einem Becher mit schmutzigem Wasser – das Wasser muss ausgeschüttet und der Becher sauber und leer werden, damit er mit einer göttlichen Flüssigkeit gefüllt werden kann. Die Schwierigkeit liegt darin, dass das menschliche physische Bewusstsein es schwer findet, diese Leere zu ertragen – es ist daran gewöhnt, von allen möglichen kleinen mentalen und vitalen Regungen beansprucht zu sein, die es fesseln und unterhalten, oder selbst in Kummer und Sorge noch tätig sein lassen. Das Aufhören dieser Dinge ist ihm schwer erträglich. Es beginnt, sich dumpf und rastlos zu fühlen und nach den alten Interessen und Regungen Verlangen zu hegen. Durch diese Rastlosigkeit aber stört es die Ruhe und bringt die Dinge zurück, die bereits hinausgestoßen wurden. Das ist es, was die Schwierigkeit und momentane Behinderung schafft. Wenn du die Leere als einen Durchgang zum wahren Bewusstsein und zu den wahren Regungen hinnehmen kannst, wird es leichter sein, sich von diesem Hindernis zu befreien.
Nicht alle im Ashram leiden an diesem Gefühl der Dumpfheit und an dem Mangel an Interesse, viele jedoch leiden daran, weil die herabkommende Kraft die alten Regungen des physischen und vitalen Mentals, die sie Leben nennen, zu verhindern sucht, und sie nicht daran gewöhnt sind, die Zurückweisung dieser Dinge zu akzeptieren oder den Frieden oder die Freude des Schweigens zuzulassen.

Es ist etwas Wahres dran an dem, was du über den leeren Becher gesagt hast – eine gewisse Entleerung des Bewusstseins von alten Dingen ist notwendig, bevor sich etwas Positives etablieren kann. Das geschieht in deinem physischen Bewusstsein, die alten Bewegungen werden ausgeleert und du wirst ruhig, aber sie drängen zurück und der Becher muss wiederholt geleert werden. Wenn es eine entschlossene und beharrliche Ablehnung gibt, dann wird diese wiederholte Rückkehr der alten Bewegungen nicht mehr so hartnäckig sein; die Perioden der Ruhe und ihre Intensität werden zunehmen, bis der Frieden und die Ruhe etabliert und dauerhaft werden können.
Es ist aber nicht so, dass die ganze Natur von allem Alten gereinigt werden muss, bevor Licht und Gnade einziehen können. Dies geschieht gewöhnlich in verschiedenen Teilen der Natur zu verschiedenen Zeiten. Du hattest deine früheren Erfahrungen, weil das Mental und das höhere Vital ausreichend leer und ruhig waren, um einige Erfahrungen eines neuen Bewusstseins zu empfangen. Jetzt sind es das physische Mental, das physische Vital und der Körper, die geleert werden müssen – diese brauchen immer länger als die anderen, weil das Physische voll von alten Gewohnheiten ist, die es hartnäckiger beibehält und immer wieder wiederholt, und es ist langsamer, etwas Neues zu empfangen oder sich zu verändern. Aber durch die Loslösung und die ständige Ablehnung und das Vertrauen in die Kraft der Mutter kann diese Hartnäckigkeit überwunden und der Kelch geleert werden, um sich mit dem Göttlichen Licht zu füllen.

Das, was du beschreibst, ist nichts Ungewöhnliches - es geschieht im Laufe des Bewusstseinswandels. Was korrigiert werden muss, ist, dass du die Stille, die Leere fühlst, aber keine Freude daran zu haben scheinst, oder den erfüllten Frieden des Selbst, oder das Gefühl von Weite oder ruhiger Entspannung und Freiheit. Gewöhnlich bringt die Beendigung der niederen Aktivitäten ein Gefühl der Freiheit, des Loslassens, der Ruhe mit sich. Das innere Bewusstsein vermisst weder die mentalen Sprünge noch den vitalen Wirbel – es fühlt sich an, als wäre das Schweigen sein ursprüngliches Element.

Die Leere als solche ist kein schlechter Zustand, außer es handelt sich um die traurige und rastlose Leere eines unbefriedigten Vitals. In der Sadhana ist die Leere sehr häufig ein notwendiger Übergang von einem Zustand zu einem anderen. Wenn Mental und Vital ruhig werden und ihre rastlosen Bewegungen, Gedanken und Wünsche aufhören, fühlt man sich leer. Es ist zunächst häufig eine neutrale Leere, die nichts enthält, nichts, weder Gutes noch Schlechtes, weder Glückliches noch Unglückliches, weder Impuls noch Bewegung. Diesem neutralen Zustand folgt häufig oder sogar meist das Sich-Öffnen gegenüber der inneren Erfahrung. Es gibt auch eine Leere, die aus Frieden und Schweigen besteht, wenn der Frieden und das Schweigen aus der inneren Seele hervorgehen oder vom höheren Bewusstsein herabkommen. Diese [Leere] ist nicht neutral, da das Gefühl des Friedens, oft auch der Weite und Freiheit, darin enthalten ist. Es gibt auch eine glückliche Leere mit dem Gefühl von etwas, das nah ist oder näher kommt, aber noch nicht da ist, zum Beispiel die Nähe der Mutter oder eine andere vorbereitende Erfahrung. Was du beschreibst, ist eine neutrale Ruhe. Du brauchst dich nicht zu fürchten. Wenn sie kommt, hat man nur ruhig und offen und der Mutter zugewandt zu bleiben, bis sich etwas von innen her entwickelt.

Deiner Beschreibung nach ist es der gleiche neutrale Zustand, den du zuvor hattest. Es ist ein Übergangszustand, in dem das alte Bewusstsein nicht mehr tätig ist und das neue sich hinter einer neutralen Ruhe vorbereitet. Man muss ihn ruhig hinnehmen und darauf warten, dass er sich in den spirituellen Frieden und das seelische Glück wandelt, die etwas ganz anderes sind als vitale Freude und vitales Leid. Weder vitale Freude noch vitales Leid zu empfinden, wird von den Yogis als eine sehr wünschenswerte Befreiung angesehen – sie ermöglicht den Übergang von den gewöhnlichen menschlich-vitalen Gefühlen zu einem inneren Frieden, Glück oder einer inneren Freude, die wahr und beständig sind. Ich vermute, du hast gerade jetzt keine Zeit für die Meditation. Der Drang zu schlafen ist ein Drang, sich nach innen zu wenden, und durch die Gewohnheit der Meditation kann sich der Schlaf in eine Art Schlaf-Samadhi wandeln, in welchem man sich verschiedener Erfahrungen und Fortschritte im inneren Wesen bewusst wird.

An sich ist diese Leere und Ruhe, frei von Ängsten oder Problemen oder Gedanken an Menschen oder Dinge, kein schlechtes Zeichen oder ein unerwünschter Zustand. Es ist ein Zustand, den die Yogis udasinata nennen, ein Getrenntsein von allen Dingen und Gleichgültigkeit, eine unbeschwerte, neutrale Ruhe. In vielen Yogas wird er als ein sehr fortgeschrittener und erstrebenswerter Zustand angesehen – ein Zustand der Befreiung von der Welt, wenn auch noch nicht der Verwirklichung des Göttlichen – aber sie betrachten ihn als einen notwendigen Durchgang zur Verwirklichung. In unserem Yoga ist es nur ein Durchgang, durch den man zu einem positiveren spirituellen ruhigen Bewusstsein gelangt, in dem alle Erfahrungen und alle Verwirklichungen möglich werden. Das Gefühl der Dumpfheit ist wahrscheinlich nicht auf diesen Zustand zurückzuführen, der an sich ein Zustand der Leichtigkeit und Befreiung ist, sondern auf den deprimierenden Zustand der körperlichen Gesundheit und Kraft. Dies ist wahrscheinlich auch die Ursache dafür, dass sich der positivere Zustand nicht so schnell einstellt. Die Vergesslichkeit, von der du sprichst, kommt manchmal in der Zeit der Veränderung, aber sie verschwindet danach; eine neue Kraft der Erinnerung kommt.
