Kapitel 2
Die wahre Haltung: Sich erinnern und darbringen
Worte Sri Aurobindos
Es ist für dich durchaus möglich, Sadhana zu Hause und inmitten deiner Arbeit zu praktizieren – viele tun es. Zu Beginn ist es nötig, sich so viel wie möglich der Mutter zu erinnern, sich im Herzen auf sie zu konzentrieren, danach zu streben, sie dort in dir zu spüren, wenn möglich an sie als die Göttliche Mutter zu denken, ihr deine Arbeit darzubringen und zu beten, dass sie dich von innen her leiten und unterstützen möge. Das ist ein Anfangsstadium, das häufig recht lange dauert. Doch wenn man mit Aufrichtigkeit und Beständigkeit hindurchgeht, verändert sich die Haltung nach und nach, und ein neues Bewusstsein öffnet sich im Sadhak, das mehr und mehr die innere Gegenwart der Mutter wahrnimmt, ihr Wirken in der Natur und im Leben, oder eine andere spirituelle Erfahrung, die das Tor zur Verwirklichung öffnet.

Worte Sri Aurobindos
All die Schwierigkeiten, die du schilderst, sind ganz natürliche Dinge, denen die meisten Menschen ausgesetzt sind. Es ist verhältnismäßig einfach, sich des Göttlichen zu erinnern und bewusst zu sein, solange man ruhig meditiert. Es ist jedoch schwierig, sobald man mit der Arbeit beschäftigt ist. Dieses Erinnern und dieses Bewusstsein während der Arbeit stellen sich nach und nach ein, und du darfst nicht alles auf einmal erwarten. Niemand kann alles auf einmal haben. Es kommt auf zwei Arten: Erstens, man versucht, an die Mutter zu denken und ihr jede Arbeit darzubringen, die man gerade verrichtet – man tut nicht immer etwas, doch zu Beginn der Arbeit oder wann immer man daran denken kann. Dies wird dann für die menschliche Natur allmählich etwas Einfaches und Gewohntes. Zweitens, durch die Meditation beginnt sich ein inneres Bewusstsein zu entwickeln, das nach einiger Zeit – nicht sofort oder plötzlich – mehr und mehr von selbst anhält. Man empfindet es als vom äußeren, arbeitenden Bewusstsein getrennt. Zuerst wird das abgetrennte Bewusstsein bei der Arbeit nicht empfunden, doch fühlt man, sobald die Arbeit beendet ist, dass es die ganze Zeit gegenwärtig war und aus dem Hintergrund beobachtete. Später beginnt man, es selbst während der Arbeit zu fühlen, so als würde man aus zwei Teilen bestehen – ein Teil, der aus dem Hintergrund beobachtet und hilft, der sich der Mutter erinnert und ihr die Arbeit darbringt, und der andere, der die Arbeit tut. Sobald dies geschieht, wird es immer einfacher, im wahren Bewusstsein zu arbeiten.

Worte der Mutter
Warum vergessen wir manchmal das Göttliche oder verlieren den Kontakt mit ihm, wenn wir mit mentalen Regungen oder intellektuellen Dingen beschäftigt sind?
Ihr verliert ihn, weil euer Bewusstsein noch geteilt ist. Das Göttliche wohnt noch nicht in eurem Geist, ihr seid noch nicht völlig dem Göttlichen Leben geweiht. Sonst könntet ihr euch mit solchen Dingen so viel beschäftigen, wie ihr wollt, ohne dass eure Wahrnehmung des Göttlichen, das euch hilft und stützt, beeinträchtigt würde.
Bei allen Betätigungen, intellektuell oder aktiv, sollte es euer einziges Motto sein: „Sich erinnern und darbringen.“ Was immer ihr unternehmt, tut es als Darbringung an das Göttliche. Das ist eine ausgezeichnete Disziplin für euch und wird euch von vielen dummen und unnützen Dingen abhalten.
Oft gelingt das zu Beginn einer Tätigkeit. In dem Maße aber, wie man sich in die Arbeit vertieft, vergisst man es. Was soll man tun, damit man sich erinnert?
Der zu erstrebende Zustand, die wirkliche Errungenschaft des Yogas, die endgültige Vollendung und Erfüllung, auf die alles Übrige nur vorbereitet, ist ein Bewusstsein, dem es unmöglich ist, irgendetwas ohne das Göttliche zu tun, denn ohne das Göttliche verschwindet die eigentliche Ursache eures Handelns. Wissen, Macht, alles ist weg. Doch solange ihr die Kräfte, die ihr benutzt, für die euren haltet, vermisst ihr die Unterstützung des Göttlichen nicht.
Am Anfang des Yoga neigt man dazu, das Göttliche oft zu vergessen. Doch beständige Aspiration stärkt das Erinnern und mindert das Vergessen. Doch nicht mit strenger Disziplin oder aus Pflicht sollte diese Aspiration aufrechterhalten werden. Sie muss eine Regung voller Liebe und Freude sein. So wird sehr bald ein Zustand erreicht, in dem man sich einsam, traurig und elend fühlt, wenn man nicht in jedem Augenblick und bei allem, was man tut, der Gegenwart des Göttlichen bewusst ist.
Wann immer ihr bemerkt, dass ihr etwas tun könnt, ohne die Gegenwart des Göttlichen zu empfinden, und es euch dabei sehr wohl ist, müsst ihr einsehen, dass ihr in jenem Teil eures Wesens nicht hingegeben seid. Auf diese Weise lebt der gewöhnliche Mensch, der keineswegs das Gefühl hat, das Göttliche zu brauchen. Doch für einen Sucher des Göttlichen Lebens ist das ganz anders. Wenn ihr die Einheit mit dem Göttlichen ganz und gar verwirklicht habt, würdet ihr einfach tot umfallen, wenn das Göttliche sich auch nur für eine Sekunde von euch zurückziehen würde. Denn das Göttliche ist nun das Leben eures Lebens, eure ganze Existenz, eure einzige und vollständige Unterstützung. Wenn das Göttliche nicht da ist, bleibt nichts übrig.

Worte der Mutter
Ebenso gibt es in der Arbeit eine Disziplin. Sie besteht darin, keine Vorlieben zu haben und alles, was man tut, mit Interesse zu tun. Für jemanden, der in der Selbstvollendung wachsen will, gibt es keine großen oder kleinen Aufgaben, keine wichtigen und unwichtigen. Alle sind gleich nutzbringend für denjenigen, der nach Fortschritt und Selbstmeisterung strebt. Es wird gesagt, man tue eine Sache nur dann gut, wenn man sie mit Interesse tut. Das ist wahr, aber es ist ebenso wahr, dass man lernen kann, an allem Interesse zu finden, selbst an den scheinbar unbedeutendsten Hausarbeiten. Das Geheimnis zu dieser Fähigkeit liegt im Drang nach Selbstvollendung. Welcher Beruf oder welche Aufgabe dir auch immer bestimmt ist, du musst sie mit einem Willen zum Fortschritt ausführen. Was immer man tut, man muss dabei nicht nur sein Bestes geben, sondern gleichsam immer in einer beharrlichen Anstrengung darum bemüht sein, es immer besser und vollkommener zu machen. Auf diese Weise wird alles ohne Ausnahme interessant, von der materiellsten Routinearbeit bis hin zur künstlerischsten und intellektuellsten Arbeit. Die Raum für Weiterentwicklung ist unendlich und kann die kleinste Sache einschließen.
