Kapitel 2

Angst – Ein Phänomen der Unbewusstheit

Worte der Mutter

Angst ist eine Erscheinung der Unbewusstheit. Sie ist so etwas wie Beklemmung, die der Unwissenheit entstammt. Man kennt die Natur einer bestimmten Sache nicht, man kennt ihre Wirkung nicht, man weiß nicht, was kommen wird, man kennt die Folgen seiner Handlungen nicht, alles Mögliche kennt und weiß man nicht, und diese Unkenntnis schafft Angst. Was man nicht kennt, fürchtet man. Nehmen wir ein Kind (ich meine nicht ein Kind mit einem erwachten inneren Bewusstsein, ich meine ein gewöhnliches Kind) – man führt es zu jemandem, den es nicht kennt, und seine erste Regung wird immer eine der Angst sein. Nur sehr selten sind Kinder ganz unerschrocken – und die haben ein anderes Bewusstsein. Es ist vielleicht auch ein Gemisch aus Befürchtungen, so etwas wie ein Instinkt. Wenn man das instinktive Gefühl hat, dass etwas gefährlich ist, und man sieht keinen Weg, dem abzuhelfen, man weiß nicht, was zu tun ist, um sich davor zu schützen, hat man Angst. Ich glaube, es gibt unzählige Gründe für die Angst. Doch ist sie in jedem Fall eine Regung der Unbewusstheit.

Das, was weiß, hat keine Angst. Was vollkommen wach ist, was völlig bewusst ist und was weiß, hat keine Angst. Immer ist es etwas Dunkles, das Angst hat…

Gelingt es einem, in dem Moment, wo sie kommt, Bewusstsein, Wissen, Kraft, Licht auf sie zu legen, kann man sie sofort heilen. In der christlichen Religion wird zwar gesagt, die Angst komme daher, dass der Apfel im Garten Eden gegessen worden sei – mit dem Wissen sei die Angst gekommen, und auf Erden ist es immer diese Angst, die das ganze Leben beherrscht, für alle Menschen. Hier aber wiederhole ich mein Argument, dass auch die Tiere Angst haben – und die Tiere haben nicht gesündigt, sie haben den Apfel nicht gegessen. Sie dürften also keine Angst haben! Es ist ein Halbbewusstsein, vermischt mit einer Art unwissendem Instinkt, das eine Gefahr ahnt und sich gleichzeitig nicht zu helfen weiß. Und natürlich, und das ist eine Tatsache, machen die feindlichen Wesen, die Wesen der vitalen Welt, die gegen das göttliche Werk kämpfen, einen sehr umfangreichen Gebrauch von Angst. Damit halten sie die Menschen am stärksten im Griff. Übrigens sind nicht nur sie es: Auch alle politischen Mittel und alle religiösen Mittel sind von dieser Art. Es gibt Religionen, die ihre Macht über die Gläubigen lediglich auf die Angst vor dem Tod oder vor dem gründen, was nach dem Tod kommt, oder auf die Angst vor all den Katastrophen, die einen nach dem Tod erwarten, wenn man nicht blind den Gesetzen gehorcht, die sie ausgeben.

Diese Angst kann auch aus einer Antipathie entstehen, das heißt, wenn die Übereinstimmung mit etwas fehlt. Manche Menschen haben besonders Angst vor dem Feuer, andere haben besonders Angst vor dem Wasser, wieder andere haben besonders Angst vor diesem oder jenem Tier. Das kommt von einer Disharmonie zwischen den vitalen Schwingungen. Und das drückt sich in dieser körperlichen Unbewusstheit durch Angst aus. Der Körper ist etwas schrecklich Unbewusstes. Wie sehr man doch arbeiten muss, um ihm ein klein wenig Bewusstsein zu geben! Er lebt automatisch, aus Gewohnheit. Er ist schrecklich unbewusst.

Worte der Mutter

Was ist der Grund für den Widerwillen, den man instinktiv gegen bestimmte Tiere wie Schlangen und Skorpione empfindet?

Dieser Widerwille, wie auch jeder andere, ist keine unbedingte Notwendigkeit. Keinerlei Widerwillen mehr zu haben ist eine der grundlegenden Errungenschaften des Yoga.

Der Widerwille, von dem du sprichst, kommt von der Angst. Ohne Angst gäbe es ihn nicht. Diese Angst gründet sich nicht auf Vernunft, sie ist instinktiv, sie ist nicht individuell, sondern arteigen — eine allgemeine, zur gesamten Menschheit gehörige Regung. Wenn man einen menschlichen Körper annimmt, nimmt man gleichzeitig einen Haufen Regungen, Ideen, Gefühle, Assoziationen, Anziehungen, Abneigungen und Ängste auf, die der Menschheit eigen sind.

Doch von einem anderen Gesichtspunkt aus gibt es in der Natur der Anziehungen und Abneigungen etwas sehr Persönliches. Denn diese Regungen sind nicht für alle die gleichen und hängen vor allem von der Schwingungsart des Vitals in jedem ab. Manche Menschen empfinden nicht nur keinen Widerwillen gegen Schlangen, sondern haben für sie geradezu eine Sympathie, eine vitale Affinität, eine Vorliebe.

Die Welt ist voll von Dingen, die weder angenehm noch schön sind. Doch das ist kein Grund, in dauerndem Widerwillen gegen sie zu leben. Alle Empfindungen, die das menschliche Mental stören und schwächen, wie Schreck, Abscheu und Angst, können gemeistert werden. Ein Yogi muss solche Reaktionen überwinden, denn von den ersten Schritten im Yoga an ist es nötig, in Gegenwart aller Wesen, aller Dinge und Geschehnisse völlige Gelassenheit zu bewahren. Immer gilt es ruhig, unbewegt und unerschütterlich zu bleiben. Darin besteht die Kraft des Yogis. Die gefährlichsten wilden Tiere können ihm nichts anhaben, wenn er vor ihnen vollkommene Ruhe und Gelassenheit bewahrt.

Widerwille ist eine Regung der Unwissenheit. Er ist eine instinktive Abwehrbewegung. Was aber vor Gefahr am besten schützt, ist nicht unvernünftiges Zurückschrecken, sondern Erkenntnis, das Wissen um die Natur der Gefahr und bewusste Anwendung der Mittel, die sie beseitigen oder entkräften. Die Unwissenheit, die den unvernünftigen Regungen zugrundeliegt, ist der allgemeine Zustand der Menschheit. Doch sie kann überwunden werden, denn wir sind nicht unbedingt an die grobe menschliche Natur gebunden, die uns umgibt und von der das äußere Wesen ausgeht.

Die Unwissenheit wird durch das Wachsen des Bewusstseins aufgehoben. Was du brauchst, ist Bewusstsein, immer mehr Bewusstsein, ein reines, einfaches, helles Bewusstsein. Im Lichte dieses vollkommenen Bewusstseins erscheinen die Dinge, wie sie sind, und nicht, wie sie erscheinen wollen. Es ist wie eine Leinwand, die alle Dinge getreulich in ihrem Ablauf zeigt. Darauf lässt sich klar erkennen, was hell und was dunkel, was gerade und was krumm ist. Versenkt man sich als bloßer Zuschauer, so wird das Bewusstsein wie eine Leinwand oder ein Spiegel, ist man tätig, so gleicht es einem Scheinwerfer. Man braucht ihm nur die gewünschte Richtung zu geben, um in vollem Licht zu sehen, was auch immer es sei, gleich wo.

Der Weg zu diesem vollkommenen Bewusstsein besteht darin, dein jetziges Bewusstsein zu erhöhen, indem du es aus seinen Gleisen und Grenzen heraushebst, es erziehst oder dem Göttlichen Licht öffnest, damit das Göttliche Licht in ihm voll und frei wirken kann. Aber das Licht kann sein Werk erst dann ganz und ungehindert tun, wenn du dich aller Begierde und aller Angst entledigt hast und im Mental ohne Vorurteile, im Vital ohne Vorliebe, im Physischen ohne Furcht und Anziehung bist, die dich trüben und festhalten können.