Kapitel 2

Alles Leben ist Yoga

Worte Sri Aurobindos

Bei rechter Betrachtung von Leben und Yoga erkennen wir, dass alles Leben bewusst oder unbewusst Yoga ist. Denn unter diesem Begriff verstehen wir das methodische Bemühen, zur Selbst-Vollendung zu gelangen, indem wir alle Potenziale, die in unserem Wesen verborgen sind, zum Ausdruck und unser individuelles Menschsein mit dem universalen und transzendenten Dasein, das wir partiell im Menschen und im Kosmos geoffenbart sehen, zur Einung bringen. Alles Leben ist, wenn wir hinter seine Erscheinungen schauen, ein unermesslicher Yoga der Natur, die versucht, ihre Vollkommenheit in einem stetig wachsenden Ausdruck ihrer Möglichkeiten zu verwirklichen und sich mit ihrer eigenen göttlichen Wirklichkeit zu einen. Im Menschen, ihrem Denker, erschafft sie sich zum ersten Mal auf dieser Erde ein seiner selbst bewusstes Werkzeug und den Vollstrecker ihres Willens, wodurch ihre große Absicht rascher und machtvoller zustande gebracht werden kann. Yoga, wie Swami Vivekananda gesagt hat, kann man als ein Mittel auffassen, durch das wir unsere eigene Entwicklung in ein einziges Leben oder in ein paar Jahre oder sogar in wenige Monate dieses körperlichen Daseins zusammenzudrängen vermögen. Demnach kann ein gegebenes Yoga-System nicht mehr als eine Auswahl oder eine Konzentration, zwar in begrenzter, aber dennoch intensiverer Form, der allgemeinen Methoden der Natur sein, wie sie jetzt noch von der großen Mutter bei ihrer gewaltig emporsteigenden Arbeit verwendet werden, nämlich unpräzise, weitläufig, in gemächlichen Bewegungen und mit einer sichtlich ungeheuren Verschwendung an Material und Energie, aber doch mit einer immer vollständigeren Kombination. Nur ein solches Verständnis des Yoga als einer Intensivierung aller Naturkräfte kann die Grundlage für eine gesunde und rationale Synthese der Yoga-Methoden darstellen. Dann erscheint der Yoga nicht länger als etwas Mysteriöses und Abnormes, das keine Beziehung zu den gewöhnlichen Prozessen der Welt-Energie oder zu der Absicht hat, die sie in ihren beiden großen Bewegungen der subjektiven und objektiven Selbst-Erfüllung im Auge hat. Vielmehr offenbart sich der Yoga als eine intensive und außergewöhnliche Anwendung von Mächten, die die Natur bereits manifestiert oder noch fortschreitend in ihren weniger hervorragenden, aber allgemeineren Verfahrensweisen organisiert hat.

Worte Sri Aurobindos

Der Mensch ist genau jener Inbegriff und jenes Symbol eines höheren Daseins, das in die materielle Welt herabkam, damit hier das Niedere seine Gestalt umwandeln und die Natur des Höheren annehmen kann und dass sich das Höhere in den Gestaltungen des Niederen offenbart. Niemals darf es die unausweichliche Voraussetzung oder das ganze, letzte Ziel seines höchsten Ringens oder seines machtvollsten Mittels für seine Selbst-Erfüllung sein, dass der Mensch dieses Leben missachtet, das ihm für die Verwirklichung jener Möglichkeit verliehen wurde. So etwas kann nur eine zeitweilige Notwendigkeit unter gewissen Bedingungen oder ein spezialisiertes äußerstes Bemühen sein, das dem Individuum auferlegt wird, damit es dadurch eine höhere allgemeine Entfaltungsmöglichkeit für die Menschheit vorbereitet. Das wahre und ganze Ziel des Yoga kann nur dann voll erfüllt werden, wenn der bewusste Yoga im Menschen, ebenso wie der unbewusste Yoga in der Natur, nach außen hin die gleiche Bedeutung erhält wie das Leben selbst und wir wieder, im Blick auf den Weg und die Vollendung, in einem vollkommeneren und erleuchteteren Sinn sagen können: „Alles Leben ist Yoga.“

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