KAPITEL 19
SUBLIMINALE OKKULTE KRÄFTE
Unter Okkultismus versteht man den Gebrauch der höheren Kräfte unserer Natur, unserer Seele, unseres Verstandes und unserer Lebensenergie, und die Fähigkeiten des subtil physischen Bewusstseins, auf seiner eigenen wie auch auf der materiellen Ebene, durch eine Art inneren Druck seines eigenen geheimen Gesetzes und seines Potentials, Resultate zu erzielen, die sich im menschlichen Denken, Leben und Körper oder in Objekten und Ereignissen in der materiellen Welt manifestieren und Wirkung zeigen. Eine Entdeckung oder Verbreitung dieser wenig bekannten oder bis jetzt unentwickelten Kräfte wird von einigen bekannten Denkern als nächster Schritt der Menschheit in ihrer zukünftigen Evolution angenommen… (89)
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Bewusstsein als solches kann in seiner eigentlichen Natur durch das gewöhnliche menschlich-tierische Bewusstsein nicht begrenzt werden, es hat eine größere Reichweite. Yogische oder okkulte Kräfte sind nicht übernatürlicher oder unglaublicher als die Fähigkeit ein herausragendes Gedicht zu schreiben oder großartige Musik zu komponieren; so wie die Dinge sind können das nur wenige Menschen – nicht mal einer in einer Million; denn Poesie und Musik kommen aus dem inneren Wesen, und um wahre und große Dinge zu komponieren oder zu schreiben, muss man zwischen dem äußeren Verstand und dem inneren Wesen den Durchgang frei haben. Deshalb hast du die poetische Kraft bekommen, sobald du mit Yoga begonnen hast – yogische Kraft hat den Weg frei gemacht. Mit yogischem Bewusstsein und yogischen Kräften ist es dasselbe; es geht darum den Durchgang freizubekommen – denn sie existieren schon in dir. Natürlich, zunächst ist die Hauptsache, darauf zu vertrauen, danach zu streben, und sich mit dem wahren inneren Drang darum zu bemühen. (90)
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Das wahre oder direkte Wissen oder die Vision von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beginnt mit der Öffnung des psychischen Bewusstseins und der psychischen Fähigkeiten. Das psychische Bewusstsein ist das, was jetzt häufig das subliminale Selbst genannt wird, das subtile oder Traum-Selbst der indischen Psychologie, und seine Reichweite von potenziellem Wissen ist fast unbegrenzt, und umfasst eine sehr ausgedehnte Kraft und viele Arten der Einsicht, sowohl in die Möglichkeiten als auch in die tatsächlichen Gegebenheiten in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Seine hauptsächliche Fähigkeit, die am leichtesten Aufmerksamkeit erzeugt, ist die, mit der psychischen Wahrnehmung Bilder von allen Umständen und Verhältnissen in Zeit und Raum sehen zu können. Das, was dabei von Hellsehern, einem Medium oder anderen Personen eingesetzt wird, ist oft, oder sogar meistens eine spezialisierte Fähigkeit, die zwar begrenzt, jedoch oft genau und fehlerfrei in ihrer Erkenntnis ist, und sie setzt keine Entwicklung der inneren Seele, des spirituellen Wesens oder der höheren Intelligenz voraus. Diese Fähigkeit ist eine Tür, die sich durch Zufall oder durch eine angeborene Gabe, oder durch eine Art Druck zwischen dem wachen und dem subliminalen Verstand öffnet, und nur seine Inhalte der Oberfläche oder Peripherie hereinlässt. Alle Umstände und Dinge, durch die der verborgene universale Geist seine Macht auf eine bestimmte Weise ausübt, werden in Bildern dargestellt – nicht nur visuell, sondern man könnte sagen, auch in hörbaren oder anderen Bildern – und eine gewisse Entwicklung der subtilen oder psychischen Sinne macht es möglich – diese Darstellungen oder Übertragungen mit einer perfekten Genauigkeit zu empfangen, und sie nicht so sehr vorherzusagen, sondern vielmehr in ihren korrekten Bildern die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft außerhalb der Reichweite der physischen Sinne sehen zu können, wenn es keine Einmischung durch den konstruierenden Verstand und seine Vorstellungen gibt, das heißt, wenn keine künstlichen oder verfälschenden gedanklichen Bilder dazwischenkommen, und die psychische Sinneswahrnehmung frei, aufrichtig und passiv ist. Die Genauigkeit dieser Art des Sehens hängt davon ab, dass sie sich auf die Darstellung der gesehenen Dinge beschränkt, und der Versuch daraus Schlüsse zu ziehen, sie zu interpretieren, oder sich sonst wie über das visuelle Erkennen hinaus zu begeben, kann zu vielen Irrtümern führen, wenn nicht gleichzeitig eine starke, verfeinerte, subtile und reine psychische Intuition existiert oder ein hoher Entwicklungsstand der leuchtenden intuitiven Intelligenz.
Eine vollständigere Öffnung des psychischen Bewusstseins führt uns weit über diese Fähigkeit der Vision durch Bilder hinaus, und gewährt uns zwar nicht wirklich Zugang zu einem neuen Zeitbewusstsein, aber zu vielen Wegen des dreifachen Zeitwissens. Das subliminale oder psychische Selbst kann vergangene Zustände des Bewusstseins zurückbringen, oder sich in sie hineinprojizieren, oder zukünftige Zustände des Bewusstseins oder der Erfahrung voraussehen oder erleben, oder sich sehr stark in diese hineinprojizieren, obwohl das seltener vorkommt. Es bewerkstelligt das, indem es zeitweilig entweder in die Dauerhaftigkeit der Zeit eintritt oder sich selbst oder die Macht seines erfahrenden Wissens mit den Darstellungen von Vergangenheit und Zukunft identifiziert, die in einem ewigen Zeitbewusstsein hinter unserer Mentalität erhalten werden, oder die durch die Ewigkeit des Superminds in einer unteilbaren Kontinuität der Zeitvision aufgeworfen werden. Das psychische Selbst kann auch den Eindruck dieser Dinge empfangen und eine beschreibende Erfahrung davon im subtilen Äther des psychischen Wesens entwickeln. Oder es kann aus der unterbewussten Erinnerung, in der sie immer latent vorhanden ist, die Vergangenheit hervorrufen, und ihr in sich selbst eine lebendige Form verleihen, und ihr eine Art erneuertes Dasein geben, das sich wieder erinnert, und ebenso kann es aus den latenten Tiefen, wo sie schon geformt im Wesen liegt, die Zukunft hervorrufen, und sie auf ähnliche Weise für sich selbst gestalten und erfahren. Das psychische Selbst kann durch eine Art der psychischen Gedanken-Vision oder Seelen-Intuition – diese ist nicht dasselbe wie die subtilere und weniger konkrete Gedanken-Vision der leuchtenden intuitiven Intelligenz – die Zukunft vorhersehen und vorherwissen, oder diese Seelen-Intuition in die Vergangenheit einblenden, die hinter den Schleier zurückgegangen ist, und sie für das gegenwärtige Wissen zurückholen. Es kann eine Art sinnbildliches visionäres Sehen entwickeln, das die Vergangenheit und die Zukunft durch eine Vision von Einflüssen und Bedeutungen übermittelt, die zu den supraphysischen Ebenen gehören, die für die Schöpfung im materiellen Universum aber bestimmend sind. Es kann die Absicht des Göttlichen fühlen, den Verstand der Götter, und die Verzeichnisse aller Dinge und deren Bedeutungen, die auf die Seele herabkommen und einwirken, und die komplexe Bewegung der Kräfte bestimmen. Es kann auch die Bewegung derjenigen Kräfte spüren, die den Druck sich zu verwirklichen verkörpern oder auf ihn antworten – ebenso wie es die Anwesenheit und die Handlungen von Wesen der mentalen, vitalen oder von anderen Welten wahrnehmen kann, die sich mit unserem Leben befassen. Es kann alle erdenklichen Arten von Hinweisen auf Ereignisse in der vergangenen, gegenwärtigen und der zukünftigen Zeit sammeln, es kann vor sich die ätherische Schrift sehen, akasa-lipi die alle Geschehnisse der Vergangenheit niederschreibt, alles festhält was in der Gegenwart entsteht, und die Zukunft ausarbeitet.
All diese und eine Vielzahl von anderen Kräften sind in unserem subliminalen Wesen verborgen, und können mit dem Erwachen des psychischen Bewusstseins an die Oberfläche gebracht werden. Dazu gehört auch das Wissen über unsere vergangenen Leben – ob es vergangene Seelenzustände sind oder Persönlichkeiten, als die wir gelebt haben, oder frühere Schauplätze, Ereignisse oder Beziehungen zu anderen – oder auch Kenntnisse von früheren Leben anderer Menschen, oder von der Vergangenheit der Welt oder über die Zukunft, sowie von gegenwärtigen Geschehnissen, die außerhalb der Reichweite unserer physischen Sinne liegen, oder durch die Mittel der Erkenntnis der Oberflächen-Intelligenz nicht zu erfassen sind. Nicht nur die Intuition und die Eindrücke von physischen Ereignissen liegen für unser psychisches Wesen offen, sondern auch Erkenntnisse über das Wirken einer vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung des Verständnisses, des Lebens und der Seele in uns und anderen Menschen. Für unser psychisches Wesen steht nicht nur die Wahrnehmung von dieser Welt offen, sondern auch von anderen Welten oder Ebenen des Bewusstseins und deren Manifestationen in der Zeit, sowie von ihrem Eingreifen, ihren Aktionen und deren Auswirkungen auf die Angelegenheiten der Erde und die Seelen, die auf ihr leben und auf deren Schicksal, denn das psychische Wesen steht den Mitteilungen des Universalen nah und ist nicht nur hauptsächlich vom unmittelbaren Geschehen in Anspruch genommen, und nicht in den engen Kreis seiner rein persönlichen oder physischen Erfahrung eingeschlossen. (91)
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Das Erwachen des psychischen Bewusstseins befreit in uns den direkten Gebrauch des Verstandes als sechsten Sinn, und diese Kraft kann als dauerhaft und anhaltend wirksam etabliert werden. Das physische Bewusstsein kann nur durch äußere Mittel, Anzeichen und Hinweise mit den Gedanken anderer Menschen kommunizieren oder von den Ereignissen in der Welt um uns herum erfahren, und es macht über diese begrenzten Möglichkeiten hinaus nur einen wahllosen und unbestimmten Gebrauch von den direkteren Fähigkeiten des Verstandes, und hat nur einen dürftigen Umfang von gelegentlichen Vorgefühlen, Intuitionen und Mitteilungen, die es empfangen kann. Tatsächlich sind unsere Gedanken ständig in Aktion, und durch verborgene Ströme, die uns nicht bewusst sind, wird andauernd durch die Gedanken anderer auf unsere eingewirkt, aber wir haben keine Kenntnis von diesen Übermittlungen und keine Kontrolle darüber. Während es sich entfaltet, macht uns das psychische Bewusstsein diese große Masse aller Arten von Gedanken, Gefühlen, Suggestionen, von Willenskräften und Einflüssen bewusst, die wir von anderen empfangen oder selbst an sie aussenden oder die wir von der allgemeinen mentalen Atmosphäre um uns herum aufnehmen oder selbst in sie hineinwerfen. Wenn es dann Macht, Präzision und Klarheit entwickelt, werden wir fähig, diese Einflüsse bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen oder augenblicklich ihre Herkunft und ihren Weg zu uns zu fühlen, und unsere eigenen Mitteilungen mit einem bewussten und intelligenten Willen zu steuern. Es wird dann möglich, die gedanklichen Aktivitäten des Verstandes anderer Menschen geistig mehr oder weniger fehlerlos und scharfsichtig zu erkennen, gleich ob sie uns physisch nah oder weit von uns entfernt sind, und ihr Temperament, ihren Charakter, ihre Gedankengänge, Gefühle und Reaktionen zu verstehen, zu fühlen und uns mit ihnen zu identifizieren. Das geschieht entweder durch eine psychische Empfindung oder eine direkte gedankliche Wahrnehmung, oder durch eine sehr empfindsame und häufig intensiv konkrete Aufnahme dieser Inhalte in unserem Verstand oder an seiner Oberfläche, die sie aufzeichnet. Gleichzeitig können wir bewusst zumindest das innere Selbst anderer Menschen für unser eigenes inneres mentales und psychisches Selbst empfänglich machen, und wenn sie genügend feinfühlend sind, auch ihren äußeren Verstand aufnahmefähig und plastisch für seine Gedanken, Suggestionen und Einflüsse, oder wir können unseren Gedanken oder ihren aktiven Bildern sogar als Einfluss in dem subjektiven, selbst in dem vitalen und physischen Wesen anderer Menschen eine Form geben, um dort als eine helfende, formende oder bestimmende Kraft und Präsenz zu wirken. (92)
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Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Berühren, sind eigentlich Eigenschaften des Verstandes, nicht des Körpers; aber der physische Verstand, den wir normal gebrauchen, beschränkt sich selbst auf die sinnliche Aufnahme der äußeren Eindrücke, die er durch das Nervensystem und die physischen Organe empfängt. Aber der innere Manas verfügt auch über eine subtile innere Sicht und einen subtilen inneren Gehörsinn sowie eine Fähigkeit zu eigener Kontaktaufnahme, die nicht von den physischen Sinnesorganen abhängt. Und er hat überdies nicht nur eine Fähigkeit zu direkter Verbindung des Verstandes mit einem Gegenstand – die sogar bei einem hohen Grad der Aktivität zu einer Wahrnehmung der Inhalte eines Objektes innerhalb oder außerhalb der physischen Reichweite der Sinne führt – sondern auch zu direkter Kommunikation von Verstand zu Verstand. Der Verstand ist auch fähig, die Einflüsse von Sinneseindrücken zu unterbinden, ihre Bedeutungen zu verändern und ihre Intensität abzuschwächen. Diese Fähigkeiten benützen oder entwickeln wir gewöhnlich jedoch nicht, sie äußern sich nur unterschwellig, und treten manchmal in abweichenden, ungewöhnlichen Handlungen hervor, bei dem einen mehr, beim anderen weniger, oder sie kommen an die Oberfläche und werden dort aktiv, wenn man sich in außergewöhnlichen Situationen befindet. Diese Fähigkeiten bilden die Grundlage des Hellsehens, Hellfühlens und der Übertragung von Gedanken und Impulsen, der Telepathie sowie der meisten der gewöhnlichen – sogenannten okkulten Kräfte, obwohl diese besser, weniger mystisch, eher als die bis jetzt unterschwelligen Aktivitäten des Manas bezeichnet werden sollten. Das Phänomen der Hypnose und viele andere Erscheinungen hängen von der Aktivität dieses subliminalen sinnlichen Verstandes ab, wobei es nicht so ist, dass er allein alle Elemente des Phänomens der Hypnose ausmacht, aber dieser Verstand der Sinne ist das erste unterstützende Mittel des Austausches, der Kommunikation und der Erwiderung von Gedanken, obwohl viele der eigentlichen Vorgänge zur inneren Buddhi gehören. Der physische Verstand und der supraphysische Verstand ist die zweifache Mentalität der Sinne, die wir besitzen und von der wir Gebrauch machen können. (93)
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Es gibt okkulte Fähigkeiten des Denkens und der Lebenskraft, die nicht in die gegenwärtige systematische Anordnung des Verstandes und des Lebens in der Materie, die die Natur vornimmt, einbezogen sind, sie sind aber potenziell vorhanden und können dazu gebracht werden, sich auf materielle Dinge oder Ereignisse auszuwirken, oder sie können sogar der gegenwärtigen Systematisierung hinzugefügt oder in sie hineingebracht werden, um die Kontrolle des Denkens über unser eigenes Leben und unseren eigenen Körper zu erweitern, oder um auf die Gedanken, das Leben oder die Körper anderer Menschen oder auf die Bewegungen der kosmischen Kräfte einzuwirken. Die moderne Zulassung der Hypnose in der Medizin ist ein Beispiel der Entdeckung einer solchen systematisierten Anwendung von okkulten Kräften, obwohl sie durch ihre Methode und Formel eingeschränkt und begrenzt ist. Diese Kräfte berühren uns sonst jedoch nur gelegentlich oder durch eine verborgene Aktivität, deren Prozess uns entweder unbekannt ist, oder nur von einigen wenigen unvollständig wahrgenommen wird. Wir alle erfahren andauernd einen Ansturm von Suggestionen, wie Gedanken-Suggestionen, Impuls-Suggestionen, Willens-Suggestionen, emotionalen und sinnlichen Suggestionen, von Gedanken-Wellen und Wellen von Lebensenergien, die von anderen oder von der universalen Energie auf uns oder in uns einströmen, die jedoch ohne unser Wissen agieren und ihre Wirkungen hervorbringen. Eine systematische Bemühung, diese Bewegungen, ihr Gesetz und ihre Möglichkeiten zu erkennen, zu meistern, und die Macht der Natur-Kraft hinter ihnen zu benützen, oder uns vor diesen Bewegungen zu schützen würde in einen Bereich des Okkultismus fallen: aber selbst innerhalb dieser Provinz wäre es nur ein kleines Gebiet; denn die möglichen Felder, Anwendungsmöglichkeiten und Prozesse dieses ausgedehnten Aktionsradius eines wenig erforschten Wissensgebietes sind weit und vielfältig. (94)
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Im Phänomen der Hypnose kann der hypnotisierte Patient nicht nur daran gehindert werden, den Schmerz einer Verletzung oder Stichwunde zu fühlen, während er sich in einem hypnotisierten Zustand befindet, sondern er kann auch mit gleichem Erfolg davon abgehalten werden, wie üblich mit Schmerz zu reagieren, wenn er wieder aufgewacht ist. Der Grund für dieses Phänomen ist vollkommen einfach: es entsteht deshalb, weil der Hypnotiseur das gewöhnliche Wachbewusstsein, das Sklave der gewohnheitsmäßigen, nervösen Reaktionen des Nervensystems ist, außer Kraft setzt, und dadurch gelingt es ihm, an das unterschwellige mentale Wesen in den inneren Tiefen zu appellieren, an das innere mentale Wesen, das, wenn es will, die Nerven und den Körper meisterhaft beherrscht. Aber diese Befreiung, die durch Hypnose abnormal, schnell und ohne wirkliche Selbstbeherrschung durch den Einfluss eines fremden Willens zustande kommt, kann genauso natürlich, stufenweise mit dem Resultat wahrer Selbstbeherrschung durch den eigenen Willen erreicht werden, um teilweise oder vollständig einen Sieg des inneren mentalen Wesens über die gewohnheitsmäßigen nervlichen Reaktionen des Körpers zu erlangen. (95)
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Die Fähigkeit okkulte Dinge zu sehen, existiert in jedem Menschen, meistens latent, häufig jedoch auch nahe der Oberfläche der äußerlichen Wahrnehmung, und manchmal, jedoch seltener, schon an dieser Oberfläche selbst. Wenn man tratak praktiziert, ist es ziemlich sicher, dass diese Fähigkeit früher oder später hervorkommen wird – obwohl manche damit Schwierigkeiten haben, und es bei ihnen länger dauert; diejenigen, bei denen diese Kraft der okkulten Vision sich sofort zeigt, besaßen sie schon immer nahe des äußeren Bewusstseins, und sie taucht beim ersten direkten Druck darauf auf. (96)
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Subjektive Visionen können genauso echt sein wie objektives Sehen, der einzige Unterschied besteht darin, dass das eine ein Sehen realer Dinge im materiellen Raum ist, während das andere eine Vision von realen Dingen ist, die zu anderen Ebenen gehören, die bis hinunter zum subtil-physischen Bereich reichen; selbst symbolische Visionen sind insofern real, als dass sie symbolische Realitäten darstellen. Sogar Träume können im subtilen Bereich eine Realität besitzen. Visionen sind nur dann nicht wirklich, wenn es sich um rein gedankliche Vorstellungen handelt, die nichts darstellen, was wahr ist, oder wahr war, oder wahr sein wird.
Diese Visionskraft ist manchmal angeboren und wie selbstverständlich vorhanden, sogar ohne jegliche Anstrengung sie zu fördern, manchmal erwacht sie von selbst und entfaltet sich vielseitig, oder es bedarf wenig Übung um sie zu entwickeln; das ist nicht unbedingt ein Zeichen spiritueller Errungenschaft, aber normalerweise, wenn man durch das Praktizieren von Yoga beginnt, nach innen zu gehen oder mehr verinnerlicht zu leben, erwacht die Kraft der subtilen Vision in mehr oder weniger starkem Ausmaße; das geschieht jedoch nicht immer so einfach, besonders dann, wenn man dar an gewöhnt ist, stark im Intellekt oder im mehr nach außen gekehrten vitalen Gefühls-Bewusstsein zu leben. (97)
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Die Menschen schätzen Visionen vor allem deshalb, weil sie ein Schlüssel (es gibt noch andere) dazu sind, mit anderen Welten oder den inneren Welten Kontakt aufzunehmen, sowie mit allem was dort existiert, und das sind Regionen immenser Reichtümer, die die der physischen Ebene, so wie sie jetzt ist, bei Weitem übersteigen. Man betritt dort ein weiteres, freieres Selbst und eine weitere, plastischere Welt; natürlich vermitteln individuelle Visionen nur einen Kontakt, und nicht den eigentlichen Zutritt zu ihr, aber die Macht der Vision ermöglicht diesen Zugang während sie sich erweitert, und durch die Kraft anderer subtiler innerer Sinneswahrnehmungen, (wie Hören, Berühren usw.) verstärkt wird. Diese Eindrücke anderer oder innerer Welten haben nicht bloß den Effekt wie die reine Vorstellungskraft eines Dichters oder Künstlers, (obwohl diese auch dazu führen kann, wenn sie stark genug ist), sondern sie führen, wenn sie vollständig vertieft werden, zu einem andauernden Wachstum des Wesens und Bewusstseins und seiner Fülle der Erfahrungen und zu einer Erweiterung seiner Möglichkeiten.
Die Menschen schätzen die Kraft der Vision auch aus einem anderen Grund, der von größerer Bedeutung ist: sie kann eine erste Beziehung zum Göttlichen und seinen Ausdrucksformen und zu dessen Energien herstellen; sie kann die Öffnung für eine enge Verbindung mit dem Göttlichen sein, eine Öffnung des Gehörs für seine Stimmen, die leiten, sowie für die Gegenwart als auch für das Bild des Göttlichen im Herzen und für viele andere Dinge, die das bringen, was Menschen durch Religion und Yoga suchen.
Des Weiteren ist die Vision von Wert, weil sie ein erster Schlüssel zu den inneren Ebenen des eigenen Wesens ist, im Unterschied zu den Welten oder Ebenen des kosmischen Bewusstseins. Yoga-Erfahrung beginnt oft mit einer Öffnung des dritten Auges auf der Stirn (das Zentrum der subtilen Vision zwischen den Augenbrauen) oder mit einer Art Anfang der Ausweitung des feinstofflichen subtilen Sehens, die zuerst unwichtig erscheinen mag, die jedoch das Vorzimmer zu tieferer Erfahrung ist. Selbst wenn Vision dazu nicht nötig ist, weil man auf direktem Weg zur Erfahrung innerer Ebenen kommen kann, kann sie später als eine kraftvolle Unterstützung dieser Erfahrung hinzukommen. Sie kann voller Hinweise sein die bei der Selbst-Erfahrung helfen, oder sie kann zum Verständnis von Verhältnissen und Menschen dienen. Sie kann wahrheitsgemäß sein, und das Voraussehen der Zukunft und Gefühle der Vorahnung verleihen, sowie zu anderen Bewusstseins-Öffnungen von geringerer Wichtigkeit führen, die jedoch für einen Yogi sehr nützlich sein können. Kurz gesagt ist die Vision ein sehr großartiges, jedoch nicht unerlässliches Instrument.
Aber es gibt solche Visionen und solche, wie ich schon angedeutet habe, genau wie es solche Träume und solche gibt, und man muss Unterscheidungs- und Einschätzungsvermögen in diesen Dingen entwickeln, und verstehen, wie man diese Fähigkeiten zu gebrauchen hat. (98)
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